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"Von null auf 55.000 - das ist eine unglaubliche Leistung"

"Die UN muss dafür sorgen, dass die Geldgeber erhalten bleiben"

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Glauben Sie, dass die Behandeltenzahlen wieder zurückgehen werden, weil kein Geld oder keine Arzneimittel mehr zur Verfügung stehen?»

De Korte: Wenn man einer der Geldgeber ist, können die UN es letztendlich nicht zulassen, dass man sich zurückzieht - sie müssen dafür sorgen, dass die Geldgeber erhalten bleiben. Dies muss Teil eines gesamten, nachhaltigen Entwicklungsprogramms sein, sowohl im Kleinen wie beispielsweise in einer Stadt, wo Therapien angeboten werden, als auch auf nationaler Ebene wie im Falle Botswanas, aber wahrscheinlich auch in ganz Afrika. Es muss Teil eines wesentlich breiter angelegten Entwicklungsprogramms sein. Wenn dies nicht geschieht, sehe ich keine Lösung. Hier werden die internationalen Organisationen wirklich gebraucht.

Demonstration in Botswana am Welt-AIDS-Tag

Eine weitere Lektion, die wir in Botswana wirklich gelernt haben, ist die Mobilisierung des Privatsektors. In Afrika ist das nirgendwo sonst geschehen, zumindest habe ich es nicht gesehen. Selbst in Gegenden Afrikas mit bedeutenden Wirtschaftsaktivitäten - momentan arbeite ich viel im Niger-Delta - sehe ich nicht, dass da irgendetwas in Bezug auf HIV/AIDS und nachhaltige Entwicklung geschieht. Das ist dort ein enormes Problem. Schließlich braucht die Privatwirtschaft ebenfalls mehr Beratung. Sowohl von Regierungsseite als auch von den internationalen Organisationen, die ja wichtige Partner für die Privatwirtschaft darstellen, muss dies erkannt werden. Das wird manchmal schwierig sein, denn die Kultur und Denkweise der Wirtschaft unterscheidet sich stark von der des öffentlichen Sektors.

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Wurde der Privatsektor eigentlich in ACHAP bewusst berücksichtigt? Gab es eine spezielle Initiative oder ein Programm, um den Privatsektor zu involvieren?»

De Korte: Ja, wir haben den Privatsektor eingebunden. Wir haben dafür zwar keine Werbung betrieben, aber wir haben ein Wirtschaftsbündnis ins Leben gerufen und das Bankwesen sowie die Diamantminen mobilisiert. In Botswana ist das eine Partnerschaft zwischen dem Unternehmen de Beers und der Regierung.

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Es scheint, als sei das südliche Afrika - etwa im Vergleich zu Lateinamerika - besonders HIV/AIDS-anfällig. Außerdem sind Frauen hier besonders häufig betroffen. Wie ist das zu erklären?»

De Korte: Das ist eine sehr schwierige Frage. Es gibt einen medizinischen Grund. Besonders im Süden Afrikas ist das Virus ein Subtyp des Virus 1C. Seine viralen Eigenschaften sind sehr viel stärker ausgeprägt als dies bei Retroviren anderswo der Fall ist. Aufgrund dieser Epidemiologie des Virus wird es sehr viel leichter übertragen. Und wenn es übertragen wird, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass sich sehr viel schneller Symptome bilden.

Arbeitsmigration bringt soziale Probleme und PromiskuitätDaneben gibt es noch andere Gründe, mit denen wir uns befassen müssen. Die Arbeitsmigration im Süden Afrikas ist sehr groß. Viele Menschen arbeiten in den Bergwerken, die meist von ihren Heimatsiedlungen weit entfernt liegen. Südafrikaner verlassen ihr Zuhause jeweils für 3 bis 6 Monate und besuchen zwischendurch ihr Dorf für ein paar Wochen. So leben sie über längere Zeiträume hinweg ohne Sexualpartner und gehen in ihrem Sexualverhalten unter diesen Umständen möglicherweise Risiken ein.

Außerdem sind die afrikanischen Länder sehr arm. Die Kluft zwischen den Reichsten und den Ärmsten ist riesig. In Botswana haben fünfzig Prozent der Bevölkerung maximal 100 Dollar im Monat. Tausende von allein stehenden Frauen mit oft drei oder vier Kindern leben in den Bergbaustädten in Armut - neben Bergleuten, deren Familien auf dem Land leben und die jede Menge verfügbares Einkommen haben. In diesem Umfeld kommt es zu so genanntem "transactional sex", sexuellen Handlungen im Tausch gegen Geld oder Waren. Das macht deutlich, wie sich die Infektion ausbreitet: Es liegt an der Mobilität, den Einkommensunterschieden und der Tatsache, dass viele Frauen im Süden Afrikas kaum Verhandlungsmöglichkeiten haben, was sexuelle Beziehungen angeht. Und aus biologischen Gründen ist die Chance für Frauen, sich durch heterosexuellen Geschlechtsverkehr mit AIDS zu infizieren etwa sechs Mal größer als für Männer.

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Liegt es auch an ihrer gesellschaftlichen Rolle, dass Frauen wesentlich weniger Kontrolle über ihr Sexualleben haben als Männer?»

Welt-AIDS-Tag in Botswana: Werben für KondomeDe Korte: Absolut. Sie haben eigentlich nichts zu sagen. Es gibt viele Sexbeziehungen mit Generationsunterschieden. Das ist ein klassisches Schema: Ein junges Mädchen im Alter von 15 bis 20 Jahren lässt sich von einem älteren Mann aushalten, denn sie möchte ein Mobiltelefon und andere Dinge haben. Und dann ist da ein älterer Mann von 40 oder 50 Jahren, manchmal sogar ein Familienmitglied, der sich eine Zeit lang um das junge Mädchen kümmert. Vielfach infiziert sich das junge Mädchen dabei mit HIV. Dieses Verhalten ist kulturell akzeptiert und immer noch sehr weit verbreitet.

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© Alle Fotos: www.achap.org

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