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Meilensteine der Arzneimittelentwicklung

Kräuter oder Extrakte aus Pflanzen dienten jahrhundertelang als probates Mittel, um Schmerzen zu lindern oder bestimmte Krankheiten zu heilen. Erst seit ca. 130 Jahren sind Arzneimittelforscher in der Lage, immer wirksamere Medikamente auf der Basis einzelner Wirksubstanzen zu entwickeln. Wichtige Meilensteine der Arzneimittelentwicklung sind hier aufgelistet.

Alle Angaben beziehen sich auf das Jahr, in der das Medikament international erstmals auf den Markt kam oder eine Zulassung zur genannten Anwendung erhielt. Es wurden Innovationen ab ca. 1850 erfasst.

21. Jahrhundert

2020er-Jahre

2022

Erstes Medikament gegen stark beschleunigte Alterung durch Hutchinson-Gilford-Progeriesyndrom oder progeroide Laminopathie

Piktogramm Durchstechflasche

2022

Erste Gentherapie für Menschen mit Hämophilie A

2022

Erstes Medikament gegen bestimmte genetisch bedingte Formen von Adipositas

Piktogramm Coronavirus

2022

Erstes orales und Varianten-unabhängig einsetzbares Virustatikum gegen SARS-CoV-2

2021

Erste antivirale Antikörper gegen Covid-19; mit unter zwei Jahren Entwicklungszeit die schnellstentwickelten therapeutischen Medikamente mit neuen Wirkstoffen seit Einführung der Arzneimittelzulassung.

Entscheidende Durchbrüche gegen Krankheiten konnten im 19. Jahrhundert durch verbesserte Hygiene und die Entwicklung der ersten Desinfektionsmittel erzielt werden.

Die Umstände einer Entbindung waren in früheren Zeiten - anders als heute - des öfteren lebensbedrohlich. Im Preußen des 19. Jahrhunderts starben acht bis neun von 1.000 Frauen bei der Geburt ihres Kindes oder kurz danach.

Einer der Hauptgründe aus heutiger Sicht waren die katastrophalen hygienischen Bedingungen - z.B. war das Händewaschen vor einer Untersuchung bis weit ins 19. Jahrhundert in vielen Krankenhäusern und bei den meisten Ärzten nicht üblich. Erst die Entdeckung der Bakterien und deren Fähigkeit, lebensbedrohende Infektionen zu verursachen, löste erste Gegenmaßnahmen aus.

Die Einführung von umfangreichen Hygienemaßnahmen und der ersten Desinfektionsmittel rettete vielen Menschen das Leben, besonders Frauen im Kindbett und neugeborenen Kindern. Auch bei Operationen bedeutete die Beachtung der Hygiene einen wesentlichen Fortschritt, da tödliche Infektionen vermieden wurden.

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts sorgten neue Impfstoffe und die ersten ursächlich wirkenden Medikamente, wie z.B. Chemotherapeutika und Antibiotika gegen Krankheitserreger, für Erfolge bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten.

Alle Antibiotika wie zum Beispiel das Penicillin bekämpfen krankheitserregende Bakterien, indem sie den Stoffwechsel der Bakterien stören. Die Bakterien werden vergiftet bzw. ihre Vermehrung wird gestoppt. Menschliche Zellen werden nicht angegriffen. Die Wirkungsweise der Antibiotika ist jedoch von Wirkstoffklasse zu Wirkstoffklasse sehr verschieden. Und im Laufe der Zeit wurden immer neue Wirkstoffklassen gefunden.

Syphilis - noch im 20. Jahrhundert Millionen von Opfern

Ein gutes Beispiel für die Entwicklung eines Antibiotika-Wirkstoffes ist der Kampf gegen die Syphilis. Seit der Neuzeit galt die Syphilis, die nach der Entdeckung Amerikas nach Europa eingeschleppt wurde, als eine der am meisten gefürchteten Infektionskrankheiten der Menschheit. Vergleichbar mit Aids verlief diese Geschlechtskrankheit chronisch und meist tödlich. Noch zu Anfang des 20. Jahrhunderts fielen weltweit Millionen Menschen dieser Krankheit zum Opfer. Dem Berliner Forscher Paul Ehrlich (1854 - 1915) gelang es als erstem, ein wirksames Mittel gegen die Syphilis zu finden.

Er nutzte dazu das Prinzip der selektiven Vergiftung bei Zellen. Ehrlich entdeckte, dass sich manche Zellen mit einem Farbstoff einfärben ließen, andere jedoch nicht. So zog Ehrlich aus seinen Versuchen den Schluss, dass diese Reaktion auch mit Arzneiwirkstoffen möglich sein könnte. Weitere Versuche zeigten, dass sich bestimmte Substanzen zwar an Bakterien, aber nicht an menschliches Gewebe anhefteten.

Von diesem Ergebnis ausgehend entwickelte Ehrlich einen Wirkstoff, der nur die Krankheitserreger, aber nicht die gesunden Zellen des menschlichen Organismus als Angriffspunkt suchte. Unter der Arbeitsbezeichnung "Verbindung 606" wurde diese Entdeckung Ehrlichs weiter vorangetrieben und war ein großer Schritt in die Richtung der modernen antibakteriellen Therapie. Im weiteren Verlauf der Forschung wurde der Wirkstoff in Ampullen an eine große Zahl von ausgewählten Ärzten versandt mit der Bitte, diesen Wirkstoff zu testen und Berichte über dessen Wirkung zu schreiben.

Dieses Mittel gegen Syphilis gilt damit nicht nur als das erste Medikament, das eine umfassende klinische Prüfung durchlaufen hat, sondern auch als eines der ersten Chemotherapeutika überhaupt. Dank der bisherigen intensiven Forschungsarbeit von Paul Ehrlich gelang es nun, ab 1910, innerhalb von fünf Jahren in Deutschland die Zahl der Neuerkrankungen um die Hälfte zu senken.

Längere Lebenserwartung dank wirksamer Arzneimittel

Die Bekämpfung der Syphilis und anderer hoch ansteckender Krankheiten, wie z.B. Tuberkulose, durch wirksame Arzneimittel wie Chemotherapeutika und Antibiotika führten zu einem Anstieg der Lebenserwartung und zur Verbesserung der Lebensqualität in den europäischen Industrieländern.

Erst seit Beginn des 20. Jahrhundert konnte man von echten Erfolgen in der Arzneimittelforschung sprechen, zunächst vor allem durch die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen gegen Infektionskrankheiten.

Bis heute geht weltweit immer noch ein großer Teil aller Todesfälle auf Infektionskrankheiten zurück. Der Kampf gegen Infektionserreger und die Entwicklung neuer Medikamente werden auch deshalb immer weitergehen müssen, weil bekannte Infektionserreger immer wieder neue, gegen Impfungen resistente Formen bilden. Es tauchen aber auch neue, bisher unbekannte Erreger auf, wie z.B. Ebola oder SARS.

Insulin ist ein gutes Beispiel für die Entwicklung und die Fortschritte der Arzneimittelforschung in den letzten Jahrzehnten.

Welcher Wirkstoff rettete 1923 erstmals einem jugendlichen Diabetiker das Leben? Insulin. Damals war es noch ein grober Extrakt aus den Bauchspeicheldrüsen geschlachteter Schweine. Die an Diabetes erkrankten Patienten mussten sich alle vier Stunden Insulin spritzen - auch nachts. Seit 1936 gab es Insulin als Präparat, das für mindestens acht Stunden wirkte.

In den folgenden Jahrzehnten wurde Insulin großtechnisch aus den Bauchspeicheldrüsen von Schweinen und Rindern gewonnen und zu Präparaten mit schneller und verlangsamter Wirkung verarbeitet. Eine sichere Deckung des weltweit dramatisch steigenden Insulinbedarfes wurde erst durch das ab Ende 1982 verfügbare, gentechnisch in Bakterien oder Hefe hergestellte Humaninsulin gewährleistet.

Bis heute wurden und werden gentechnisch erzeugte Insuline weiter verbessert. Zusammen mit wieder befüllbaren Insulinpens und tragbaren Blutzucker-Messgeräten ermöglichen sie den Diabetikern ein mobileres Leben, und der Blutzuckerspiegel lässt sich heute leichter an den natürlichen Verlauf anpassen.

Die Zahl von Operationen wegen Magen- bzw. Zwölffingerdarmgeschwüren konnte seit den 1970er Jahren erheblich gesenkt werden.

Ab Mitte der 1970er Jahre wurde die Therapie von Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüren mit der Einführung von zwei neuen Medikamentenklassen revolutioniert: Beide Wirkstoffklassen erwiesen sich als sehr wirkungsvoll und reduzierten gezielt die Säureproduktion des Magens. Dadurch können Magen- beziehungsweise Zwölffingerdarmgeschwüre leichter wieder ausheilen. Vielen Patienten konnte durch diese Behandlung fortan eine Operation erspart bleiben.

Anfang der 80er Jahre entdeckten Wissenschaftler im Bakterium Helicobacter pylori, das bei vielen Menschen im Magen lebt, eine der wichtigsten Ursachen der Geschwüre. Heutiger Standard ist die Ausrottung von Helicobacter durch eine einwöchige Therapie mit einem Protonenpumpen-Hemmer und mehreren Antibiotika. Danach treten bei über 90 Prozent der Patienten binnen fünf Jahren keine Geschwüre mehr auf - ein Ergebnis, das zuvor nicht einmal chirurgisch zu erzielen war.

Bei Verletzungen ist die Gerinnungsfähigkeit unseres Blutes lebensrettend. Verklumpt das Blut jedoch in unverletzten Blutgefäßen, hat das gefährliche Folgen.

Die Gerinnsel (Thromben) können Blutgefäße am Ort ihrer Entstehung oder - nachdem sie abgeschwemmt wurden - in anderen Organen verstopfen (Embolie). Vor allem Thrombosen, die sich in Venen bilden, sind ein großes Problem. Noch in den 1960er Jahren stand man dem hilflos gegenüber. Ein gängiges Therapiekonzept bestand darin, gefährdeten Patienten für ein halbes Jahr Bettruhe zu verordnen. Ältere Patienten konnten aufgrund des Thromboserisikos vielfach nicht operiert werden.

Dann wurden zur Vorbeugung von Venenthrombosen zwei Klassen von gerinnungshemmenden Wirkstoffen (Antikoagulantien) verfügbar: Cumarinderivate werden als Tabletten eingenommen, Heparine - die man als Molekülgemisch aus Schweinedarm gewinnt - werden gespritzt. Richtig dosiert unterdrücken Präparate beider Klassen die Gerinnungsfähigkeit des Blutes nicht vollständig, sondern senken die Neigung zur Bildung von Gerinnseln.

Entstandene Thromben können inzwischen auch mit Hilfe von Enzymen bekämpft werden, die das körpereigene System zur Auflösung von Blutgerinnseln aktivieren.

Individuelle Therapien und neue Wirkstoffe erhöhen die Überlebenschancen der Patientinnen und ermöglichen brusterhaltende Behandlung.

Bis Ende der 70er Jahre wurden Brustkrebspatientinnen ausschließlich chirurgisch behandelt, meist unter Amputation der betroffenen Brust. Danach wurde die unterstützende Therapie eingeführt, die versucht, nach der Operation noch im Körper verbliebene Krebszellen durch Bestrahlung und/oder Medikamente zu vernichten und so einem Rückfall vorzubeugen. Die Medikamente hierfür konnten in den letzten 20 Jahren erheblich hinsichtlich Wirksamkeit und Nebenwirkungen verbessert werden.

Heute wird aus vielen Behandlungsoptionen eine individuelle Therapie für die Patientin zusammengestellt. Stützpfeiler der Behandlung ist nach wie vor die chirurgische Entfernung des Tumors. Doch kann bei über 75 Prozent der Patientinnen heute brusterhaltend operiert werden. Daran schließen sich auf konkrete Krankheitssituationen abgestimmte Bestrahlungs- und Chemotherapie-Maßnahmen an. Durch eine medikamentöse Nachbehandlung über viele Jahre kann danach das Wiederauftreten des Tumors vielfach verhindert oder zumindest hinausgezögert werden.

Erst mit der Einführung der Polio-Schluckimpfung (1960 in der DDR und 1962 in Westdeutschland) konnte die Kinderlähmung (Polio) in Deutschland zurückgedrängt und schließlich ausgerottet werden.

Die Kinderlähmung ist eine hoch ansteckende, durch Viren verursachte Infektionskrankheit. Sie beginnt mit allgemeinen Krankheitssymptomen, die meistens nach 14 Tagen abklingen. Bei rund einem Prozent der Patienten kommt es zu Lähmungserscheinungen (auch der Atemmuskulatur) oder zu einer schweren Gehirnhautentzündung, die kaum behandelt werden kann. Bleibende Schäden sind meist die Folge, einige Patienten sterben daran. Der erste Massenimpfstoff gegen Polio wurde in den 1950er Jahren in den USA entwickelt.

In der DDR wurde die Schluckimpfung mit lebenden Polio-Viren bereits 1960 eingeführt, um eine sich ankündigende Polio-Epidemie zu bekämpfen. Im damaligen Westdeutschland waren durch die spätere Einführung der Impfung im Jahr 1962 bereits mehrere tausend Patienten an Kinderlähmung mit späteren Folgeschäden erkrankt, in der DDR durch die frühere Impfung nur wenige hundert.

Vor Einführung der Schluckimpfung wurden die Menschen weltweit regelmäßig von großen Polio-Epidemien heimgesucht. Erst die Einführung von Massenimpfungen führte dazu, dass die Kinderlähmung in Europa und den USA ausgerottet werden konnte.

Seit 1998 werden in Deutschland wieder Polio-Impfstoffe ohne lebende Viren verwendet, die nicht als Schluckimpfung gegeben werden. Mit diesem neuen Impfstoff können auch Menschen, die an Aids leiden, ohne Risiko geimpft werden. Der letzte in Deutschland bekannte Fall von Kinderlähmung wurde Mitte der 80er Jahre gemeldet. Dennoch kann auf die Polio-Impfung erst dann verzichtet werden, wenn die weltweite Ausrottung gelungen ist.

Seit Antikörper auch außerhalb von Mensch oder Tier hergestellt werden können, sind sie zu einem wertvollen Instrument gegen verschiedene schwere Erkrankungen geworden.

Antikörper gelten als die Spürhunde des menschlichen Immunsystems, weil jeder von ihnen sich nur an ein ganz bestimmtes anderes Molekül heftet - ein Oberflächenprotein eines Virus beispielsweise, oder das Gift eines Diphtheriebakteriums. Durch die Bindung machen die Antikörper ihr Zielmolekül unschädlich und bereiten seinen Abbau vor. So tragen Antikörper zum Schutz des menschlichen Körpers bei.

Vor rund hundert Jahren von den Wissenschaftlern Paul Ehrlich und Ilja Metschnikow entdeckt und in Form von "Antiseren" gegen Wundstarrkrampf, Schlangengift und anderes schon lange auch als Medikament verwendet, stehen Antikörper heute mehr denn je im Blickfeld der Arzneimittelforschung: Denn besondere Antikörperpräparate haben in den letzten Jahren die Therapie von Brustkrebs und anderen Krebserkrankungen, rheumatoider Arthritis, Morbus Crohn und anderen schweren Erkrankungen wirksamer gemacht. Diese modernen Antikörper-Medikamente werden allerdings nicht - wie Antiseren - aus dem Blut gewonnen, sondern basieren auf gentechnischer Produktion in Zellkulturen.

Anders als in Seren, die Antikörpergemische enthalten, sind in jedem neuen Präparat auch immer nur untereinander völlig gleiche Antikörper enthalten, die auch alle auf das gleiche Zielmolekül gerichtet sind. Zielmolekül ist in einem Falle beispielsweise ein Oberflächenmolekül von Brustkrebszellen, das sie besonders teilungs"wütig" und damit gefährlich macht. Solche untereinander gleichen Antikörper heißen monoklonale Antikörper.

Dass man sie herstellen kann, ist dem deutschen Wissenschaftler Georges Köhler und dem Argentinier Cear Milstein zu verdanken, die für ihr unorthodoxes Produktionsverfahren 1975 den Nobelpreis erhielten. Ihr Verfahren funktionierte allerdings nur mit Mäusezellen und führte zu Antikörpern, die zumeist nur bei Mäusen ohne gravierende Nebenwirkungen eingesetzt werden konnten. Erst die moderne Gentechnik konnte das überwinden und machte einige Jahre danach die monoklonalen Antikörper für die Humanmedizin breiter nutzbar.

Heute gibt es mehr als zehn verschiedene zugelassene Medikamente auf der Basis von monoklonalen Antikörpern. Viele weitere sind in fortgeschrittenen Stadien der Entwicklung. Und das Therapieprinzip, Moleküle im Krankheitsgeschehen durch Antikörper gezielt außer Gefecht zu setzen, ist sicherlich noch für Jahre und Jahrzehnte nicht ausgeschöpft.

Mit den Möglichkeiten der Gentechnik stehen den Arzneimittelforschern heute völlig neue Methoden zur Erforschung von Krankheitsursachen und zur Entwicklung sowie Herstellung von innovativen Medikamenten zur Verfügung.

Ab Mitte der 1970er Jahre trat die Gentechnik in der Arzneimittelforschung ihren Siegeszug an. Heute sind Medikamente mit etwa 75 gentechnisch hergestellten Wirkstoffen zugelassen. Der erste gentechnisch hergestellte Arzneistoff war das Humaninsulin, das 1982 in Deutschland zugelassen wurde. Wichtigste Anwendungsgebiete sind Impfstoffe, Diabetes, Multiple Sklerose, Krebs und seltene Krankheiten.