"Von null auf 55.000 - das ist eine unglaubliche Leistung"
"Ein Großteil der traditionellen Heiler riet den Patienten, die Behandlung abzubrechen"
Wenn wir auf die praktischen Einzelheiten der Initiative zurückkommen, wie hat sich die Zusammenarbeit mit der Bevölkerung entwickelt? Sie erwähnten, dass anfänglich praktisch keinerlei Tests durchgeführt wurden.»
De Korte: Die meisten Menschen haben die Tests tatsächlich akzeptiert, wenn sie ihnen angeboten wurden. Wir wissen, dass etwa 86 Prozent der Leute, die eine Klinik aufsuchen, dem angebotenen Test zustimmen. Nur 14 Prozent weigern sich. Das ist ermutigend. Die Akzeptanz ist so hoch, weil die Leute wissen, dass ihnen Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, wenn sie HIV-positiv sind.
Wie sah die Zusammenarbeit mit den örtlichen Häuptlingen und Heilern aus?»
De Korte: Die Zusammenarbeit mit den Häuptlingen und traditionellen Heilern vor Ort war sehr schwierig. Im Land gibt es 8.000 registrierte sowie wesentlich mehr unregistrierte Heiler. Es gibt allenfalls 400 biomedizinisch ausgebildete Ärzte, also haben wir etwa 20-mal mehr traditionelle Heiler als Biomediziner. Infolgedessen konsultieren die Menschen in Botswana traditionelle Heiler wesentlich öfter als biomedizinisch ausgebildete Ärzte.

Konkurrenten der modernen Medizin: Auf einen Arzt kommen rund zwanzig traditionelle Heiler
Wir sind nicht immer in der Lage gewesen, die Heiler zu involvieren, weil sich das biomedizinisch ausgebildete Personal teilweise stark gegen diesen Ansatz gewehrt hat. Dies war eines unserer wichtigsten Probleme innerhalb des Behandlungsprogramms, denn ein Großteil der traditionellen Heiler riet den Patienten, die Behandlung abzubrechen. Das ist ein echtes Problem.
Es wird oft argumentiert, dass Markenarzneimittel zu teuer sind und dass mit Generika wesentlich mehr Patienten behandelt werden könnten. Teilen Sie diese Ansicht?»
De Korte: Die meisten Generika zur Behandlung von HIV/AIDS sind teurer als Markenarzneimittel. Dies wird selbst in den Berichten der Ärzte ohne Grenzen (MSF) erwähnt. Dank der Accelerating Access Initiative haben viele Unternehmen differenzierte Preisstrukturen und liefern ihre Arzneimittel zu stark verringerten Preisen in die Entwicklungsländer. Andererseits aber gibt es einen echten Zusammenhang zwischen den Generikapreisen und dem Mangel an Transparenz in einem Land. Je mehr Korruption es gibt, desto höher sind die Generikapreise. Manchmal werden Generika daher für etwa den doppelten oder dreifachen Preis der Originalsubstanz verkauft. Unglaublich!
Es steht trotz Ihrer Erfolge außer Zweifel: Die Zahl der Behandelten muss dringend gesteigert werden. Was ist nötig, um mehr Leute zu therapieren und wie lange wird das dauern? Sind neue Initiativen wie PEPFAR und die "3 by 5"-Initiative der WHO der Weg in die Zukunft?»
Größenordnungen
Mit nur einem Vierhundertstel der Wirtschaftskraft muss das kleine Land Botswana mehr als doppelt so viele antiretroviral behandelte AIDS-Patienten versorgen wie Deutschland.
Einwohner:
Botswana: 1,6 Mio
Deutschland: 81 Mio
Bruttoinlandsprodukt (2005, geschätzt):
Botswana: 7,4 Mrd. US$
Deutschland: 2900 Mrd. US$
HIV-Infizierte:
Botswana: 600.000
Deutschland: 49.000
Antiretroviral Behandelte:
Botswana: 55.000
Deutschland: 25.000
De Korte: Ich glaube, die Verfügbarkeit von größeren finanziellen Ressourcen ist ein Teil der Lösung. Aber natürlich gibt es noch andere Elemente. Was die Anzahl der Patienten angeht, so haben wir in Botswana eine beinahe exponentielle Akzeptanzsteigerung gesehen. Der Grund hierfür ist relativ einfach: Wenn man anfängt und die Entscheidung trifft, die Antiretroviraltherapie in einer Klinik oder einem Krankenhaus bereitzustellen, unternehmen die Leute erst einmal nichts. Die Arzneimittel sind vorhanden, es gibt vielleicht sogar eine Menge AIDS-Patienten, aber den Leuten fehlt die Erfahrung. Ich habe viel an einem Ort namens Serowe, einer Kleinstadt in Botswana, gearbeitet, wo genau dies passiert ist. Wir haben mit einem neuen Patienten pro Woche begonnen. Wir haben in Gruppensitzungen über den Patienten diskutiert und so viel wie möglich von diesem Einzelfall gelernt. Dann gingen wir zu einer Neuaufnahme pro Tag über und mittlerweile nimmt Serowe vierzig Patienten pro Tag auf. Es ist ein Lernprozess, das sieht man immer wieder. Die Lernkurve flacht erst ab, wenn der Sättigungsgrad erreicht ist. Ich glaube, das werden wir in ganz Afrika erleben. Wir sollten also nicht überrascht sein, dass der Aufnahmeprozess für neue Patienten nicht schneller verläuft. Das kann nicht schneller gehen. Es ist ein Lernprozess.

"Sorgen über die Nachhaltigkeit": Donald de Korte in Serowe (Botswana)
Mehr Sorgen mache ich mir über die Nachhaltigkeit. Momentan läuft das Projekt, aber die Patienten brauchen lebenslange Therapie. Was passiert also in drei, vier oder fünf Jahren, wenn die Gelder aufgebraucht sind und keine weiteren Mittel zur Verfügung stehen? In vielen Ländern Afrikas haben wir weder das steuerliche noch das wirtschaftliche Umfeld, um die Patienten in Regierungsprogramme aufzunehmen, die gänzlich staatlich finanziert werden. Ich glaube nicht, dass man schon ausreichend darüber nachgedacht hat, was in fünf Jahren ist. Was wird passieren, wenn wir im Jahr 2010 sechs Millionen Menschen behandeln? Was wird bis zum Jahr 2050 geschehen?
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