Drucken
öffnen / schließen
Wenn Sie diese Felder durch einen Klick aktivieren, werden Informationen an Facebook, Twitter oder Google in die USA übertragen und unter Umständen auch dort gespeichert. Näheres erfahren Sie hier: https://www.heise.de/ct/artikel/2-Klicks-fuer-mehr-Datenschutz-1333879.html

Nebenwirkungsmeldungen: Behörden und Hersteller tauschen sich aus

Von jedem Medikament sind, wenn es auf den Markt kommt, neben der erwünschten Wirkung auch unerwünschte Wirkungen bekannt, die das Mittel bei einigen Patienten haben kann; die sogenannten Nebenwirkungen (die Packungsbeilage listet sie auf). Trotzdem muss bei jedem Medikament auf mögliche weitere Nebenwirkungen geachtet werden: manche Nebenwirkungen treten einfach zu selten auf, als dass man sie in klinischen Studien vor der Zulassung schon zuverlässig finden konnte. Und manche Nebenwirkungen treten nur bei Anwendung einer bestimmten Produktionscharge auf; sie sind also ein Zeichen für einen Produktionsfehler, und die Charge muss unverzüglich zurückgerufen werden.

Hersteller und Arzneimittelbehörden suchen auch nach der Zulassung nach weiteren, noch unbekannten Nebenwirkungen. Die wichtigste Informationsquelle dafür sind die sogenannten Spontanmeldungen: Hierbei melden Angehörige der Heilberufe wie Ärzte und Apotheker Verdachtsfälle von Nebenwirkungen, die bei von ihnen betreuten Patienten aufgetreten sind; oder Patienten tun das selbst (wie das seit Oktober 2012 möglich ist). Speziell für die Patienten haben die beiden deutschen Arzneimittelbehörden – das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und das Paul Ehrlich Institut (PEI) – eine gemeinsame Internetseite eingerichtet (siehe https://verbraucher-uaw.pei.de) eingerichtet.

Egal, ob eine Meldung von einem Arzt, Apotheker oder Patient/Anwender abgegeben wird, stets sollten zur Beurteilung des Falles mindestens die folgenden Angaben enthalten sein:

  • Angaben zur betroffenen Person (anonymisierte Patientendaten; also beispielsweise, ob Mann oder Frau, jung oder alt?)
  • Angaben zur meldenden Person
  • Name des Medikaments und ggf. Wirkstoffname und Chargennummer
  • Art der unerwünschten Beschwerden oder anderen Symptome

Wünschenswert ist sind darüber hinaus aber noch

  • weitere Angaben, die beitragen können, den Fall umfassend zu bewerten und – falls möglich – die Ursache für den unerwünschte Wirkung herauszufinden: Anwendungsgebiet, also Krankheit, gegen die das Medikament eingesetzt wurde, Begleitmedikation, verabreichte Dosis, Datum des Auftretens der Nebenwirkung, Laborwerte, Vorerkrankungen des Patienten/Anwenders

Die in der Verdachtsmeldung angegebenen persönlichen Daten werden aufgrund der Datenschutzbestimmung nicht in der zentralen Nebenwirkungsdatenbank des PEI/BfArM gespeichert.

Die Meldung kann an eine von drei Adressen gesandt werden:

  • an die deutschen Arzneimittelbehörden BfArM oder Paul Ehrlich Institut (PEI)
  • an den Hersteller, um dessen Arzneimittel es geht
  • die Arzneimittelkommission der eigenen Standesvertretung (Ärzte, Apotheker),

BfArM und PEI haben auf ihrer Internetseite einen Standardbogen für die Meldung von Verdachtsfällen unerwünschter Arzneimittelwirkungen bereitgestellt, der online ausgefüllt werden kann. Alle bei ihnen eingehenden Meldungen leiten sie auch an den jeweiligen Hersteller weiter.

Die Hersteller bewerten alle (direkt oder via Behörden) bei ihnen eingehenden Meldungen und liefern Meldung und Bewertung dann zusammen an die Behörden. Für schwerwiegende Verdachtsfälle müssen die Hersteller dabei eine 15-Tage-Frist einhalten. Zudem sind sie aber auch generell verpflichtet, im Fall von Gefahr unverzüglich Maßnahmen zur Risikominimierung und -vermeidung zu ergreifen, die sie natürlich mit den Behörden absprechen müssen.

Die Arzneimittelkommissionen leiten die bei ihnen eingehenden Meldungen ebenfalls an die Behörden (und diese dann an die Hersteller) weiter.

Die Behörden sind zum Sammeln aller Meldungen verpflichtet. Im Jahr 2013 erfasste das BfArM beispielsweise mehr als 60.000 Eingänge, die etwa 28.000 Nebenwirkungsmeldungen entsprachen.


Bewertung der Nebenwirkungen

Letztlich müssen also alle meldepflichtigen Verdachtsfälle sowohl den Behörden als auch dem Hersteller bekannt sein. Und sie alle müssen bewertet worden sein; eine Aufgabe, die laut Gesetz den Arzneimittelsicherheitsexperten des Unternehmens zufällt: Diese müssen beurteilen, wie wahrscheinlich es ist, dass das Medikament für die Nebenwirkung ursächlich verantwortlich war. Die Bewertung muss schnell und präzise ablaufen. Das ist vergleichsweise einfach möglich, wenn die Experten zum betreffenden Medikament bereits früher Fälle von ähnlichen Nebenwirkungen bewertet haben.

Handelt es sich aber um eine seltene und zuvor noch nicht registrierte Nebenwirkung, wird die Bewertung schwieriger: Ein möglicher Zusammenhang lässt sich erst nach sorgfältiger Analyse unter Einbeziehung aller Datenquellen – darunter Krankenakten aus klinischen Studien – eingrenzen. Es kommt aber auch vor, dass aufgrund fehlender oder unvollständiger Daten eine eindeutige Aussage nicht möglich ist.

Wie schon erläutert, hat das Unternehmen für die Lieferung einer Bewertung im Fall eines schwerwiegenden Verdachtsfalls nur 15 Tage Zeit, seine Bewertung an die Behörde zu liefern. Es muss bei einer solchen Lieferung auch immer darauf hinweisen, falls sich aufgrund der Bewertung das Nutzen-Risiko-Verhältnis geändert hat und deswegen risikominimierende Maßnahmen wie z. B. eine Warnaktion oder Einschränkungen im Anwendungsbereich des betreffenden Medikaments für notwendig erachtet werden.

Um den Informationsaustausch über Ländergrenzen hinweg noch zu beschleunigen, wurde eine europaweite Datenbank bei der europäischen Zulassungsbehörde EMA eingerichtet, in der Nebenwirkungsmeldungen zentral erfasst werden: Sie heißt EudraVigilance.


Reaktionen
Mitarbeiter der Behörden prüfen die Meldungen und Bewertungen im Hinblick auf ein mögliches Arzneimittelrisiko. Auch leiten sie ihre Erkenntnisse routinemäßig an die zuständigen Gremien der EU, an die Weltgesundheitsorganisation WHO und gegebenenfalls auch an Arzneimittelbehörden anderer Länder weiter.

Ebenso prüfen die Zulassungsbehörden die Berichte zur Arzneimittelsicherheit (Periodic Safety Update Reports, PSURs), die von den Unternehmen regelmäßig für jedes Medikament eingereicht werden müssen. Diese Berichte gehen über die Bewertung einzelner Fälle hinaus und zeigen die Sicherheitslage aufgrund der Zusammenschau aller bis dato eingegangenen Meldungen. So stellt beispielsweise ein einzelner Fall von Sehnenentzündung nach der Einnahme eines Antibiotikums keinen Grund dar, die Sicherheit des Präparats in Frage zu stellen. Eine Häufung solcher Meldungen kann hingegen eine Neubewertung der Sicherheit dieses Arzneimittels und Vorsichtsmaßnahmen nötig machen.


Der Stufenplan zur Abwehr von Arzneimittelrisiken

Ärzte und Apotheker können Verdachtsfälle von Nebenwirkungen dem Hersteller, den Behörden BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) bzw. PEI (Paul-Ehrlich-Institut) oder den Arzneimittelkommissionen der Ärzte und Apotheker melden.Auch Patienten/Anwender können durch die Meldung von möglichen Nebenwirkungen entweder über ihren Arzt oder Apotheker oder direkt über das gemeinsame Meldeformular der Zulassungsbehörden dazu beitragen, weitere Erkenntnisse zu Medikamenten zu sammeln.

Ärzte und Apotheker können Verdachtsfälle von Nebenwirkungen dem Hersteller, den Behörden BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) bzw. PEI (Paul-Ehrlich-Institut) oder den Arzneimittelkommissionen der Ärzte und Apotheker melden.Auch Patienten/Anwender können durch die Meldung von möglichen Nebenwirkungen entweder über ihren Arzt oder Apotheker oder direkt über das gemeinsame Meldeformular der Zulassungsbehörden dazu beitragen, weitere Erkenntnisse zu Medikamenten zu sammeln.


Keine Routine ist angesagt, wenn die Behörden anhand einzelner Meldungen oder aus einem periodischen Bericht erkennen – oder vom Hersteller direkt darauf hingewiesen werden –, dass möglicherweise ein Arzneimittelrisiko besteht. In diesem Fall wird ein europäisches Risikobewertungsverfahren, ein sogenanntes Referral-Verfahren eingeleitet. In diesen europaweit harmonisierten Verfahren werden alle verfügbaren Daten zu dem jeweiligen Arzneimittelrisiko zusammengetragen und ausgewertet. Je nach Dringlichkeit des Sachverhaltes kann beispielsweise ein „Standardverfahren“ (Referral-Verfahren nach Artikel 31 der Richtlinie 2001/83/EG) oder aber ein beschleunigtes „Dringlichkeitsverfahren“ (Referral-Verfahren nach Artikel 107i der Richtlinie 2001/83/EG) durchgeführt werden, um schnellstmöglich zu reagieren und erforderliche risikominimierende Maßnahmen einleiten zu können. In Deutschland ist für die Durchführung der Maßnahmen der sog. Stufenplanbeauftragte dafür verantwortlich, dass aus Risikobewertungsverfahren resultierende Maßnahmen, wie zum Beispiel der Versand eines Rote-Hand-Briefes, durchgeführt werden.

Neben den Risikobewertungsverfahren, können die nationalen behörden der Mitgliedstaaten wie das BfArM oder das PEI jederzeit auch Sofortmaßnahmen einleiten, wenn eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Gesundheit besteht. Dazu zählen beispielsweise:

  • die Auflage, das Medikament vorerst nicht zu vertreiben (vorrübergehendes Einstellen des Inverkehrbringens),
  • ein vorrübergehendes Verbot, das betreffende Medikament anzuwenden,
  • die Rücknahme bzw. die Anordnung des Ruhens der Zulassung.

Das Rote-Hand-Symbol auf Briefen und Faxen ist exklusiv für wichtige Informationen zur Arzneimittelsicherheit reserviert, aus denen sich direkte Handlungsempfehlungen und Maßnahmen für die Anwendung eines bestimmten Medikaments ergeben.Diese Maßnahmen werden Ärzten und Apothekern umgehend mit einem Rote-Hand-Brief mitgeteilt. Der Begriff bezieht sich auf das auffällige Symbol „Rote Hand" auf Umschlag und Briefbogen, das exklusiv für Informationen zur Arzneimittelsicherheit reserviert ist und sicherstellen soll, dass diese wichtigen Informationen nicht übersehen werden. Der Brief wird vom betreffenden Unternehmen versandt; dies darf aber erst nach behördlicher Freigabe des Inhalts erfolgen. Die Rote-Hand-Briefe finden sich auch auf den Webseiten des BfArMund des PEI.

Die Rücknahme oder das Ruhenlassen der Zulassung für ein Arzneimittel sind glücklicherweise seltene Ereignisse. Denn den nach der Zulassung entdeckten Arzneimittelrisiken kann in der Regel dadurch begegnet werden, dass die Therapie um bestimmte Kontrolluntersuchungen ergänzt wird, durch die Probleme erkannt werden können, ehe sie nachhaltigen Schaden angerichtet haben. Oder dadurch, dass ausdrücklich darauf hingewiesen wird, mit welchen anderen Mitteln das betreffende Medikament nicht kombiniert werden darf.


Persönlich verantwortlich
Jedes Unternehmen, das Medikamente unter seinem Namen in Verkehr bringt, muss der zuständigen Aufsichtsbehörde (dem jeweiligen Regierungspräsidenten oder Senat) einen so genannten Stufenplanbeauftragten benennen. Dieser Mitarbeiter muss die Meldungen sammeln und bewerten und ist persönlich dafür verantwortlich, dass alle Erkenntnisse zu Arzneimittelrisiken vollständig, richtig und rechtzeitig weitergegeben werden. Für diese Position kommt nur ein Arzt oder Naturwissenschaftler mit mindestens zweijähriger Berufserfahrung in Frage.

Selbst wenn sich der pharmazeutische Unternehmer entschließt, ein Arzneimittel wieder vom Markt zu nehmen - etwa aus wirtschaftlichen Gründen oder weil bessere Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen -, müssen der Stufenplanbeauftragte und die Experten der Abteilung Arzneimittelsicherheit darauf vorbereitet sein, dass noch Nebenwirkungen gemeldet werden, bei denen es sich um Spätfolgen handeln könnte. Die Verpflichtung zur Wachsamkeit gegenüber Arzneimittelrisiken umfasst also nicht nur die „Lebensspanne" eines Arzneimittels, sondern geht lange darüber hinaus.

Kombinierte hormonale Kontrazeptiva im Risikobewertungsverfahren
Am Beispiel der kombinierten hormonalen Kontrazeptiva soll nachfolgend der Ablauf eines Referral-Verfahrens verdeutlicht werden. Im Oktober 2013 wurde das Referral-Verfahren auf Ersuchen von Frankreich initiiert. Dabei sollten die Medikamente im Hinblick auf das Risiko für die Bildung von Blutgerinnseln (venöse Thromboembolien) untersucht werden. Im Ergebnis der Überprüfung kam man im Januar 2014 zu dem Schluss, dass der Nutzen der Medikamente in der Verhütung ungewollter Schwangerschaften weiterhin gegenüber den Risiken überwiegt und dass das bekannte Risiko für Blutgerinnsel im Zusammenhang mit allen kombinierten hormonalen Kontrazeptiva gering ist.

In der Folge des europäischen Risikobewertungsverfahrens wurden die Produktinformationen der Medikamente aktualisiert, um Frauen zu helfen, zusammen mit medizinischem Fachpersonal informierte Entscheidungen über ihre Wahl der Empfängnisverhütung zu treffen. Mittels Rote-Hand- Brief wurden Ärzte im Januar 2014 noch einmal über das bekannte Risiko von Blutgerinnseln und über Risikofaktoren für deren Entstehung aufgeklärt. Zudem wurden in Abstimmung mit dem BfArM Informationsmaterialien für Frauen und medizinisches Fachpersonal erarbeitet, die dabei helfen sollen, über die Symptome beim Auftreten von Blutgerinnseln aufzuklären und Ärzte bei der Verschreibung eines Kontrazeptivums zu unterstützen.

Weiterführende Informationen zu laufenden und abgeschlossenen Risikobewertungsverfahren kann man hier nachschlagen:

BfArM: http://www.bfarm.de/.../_functions/risikoBewVerf_Filtersuche_Formular.html?nn=3494892

PEI: http://www.pei.de/.../pharmakovigilanz-node.html

EMA: http://www.ema.europa.eu/.../referral_search.jsp&mid=WC0b01ac05805c516f