#MacroScopePharma 11/25
Der Economic Policy Brief des vfa
Wagniskapital: Deutschland muss die Lücke zu den USA schließen
Die Verfügbarkeit von Wagniskapital ist ein zentraler Treiber für Innovationen, Unternehmensgründungen und technologisches Wachstum. Doch im globalen Vergleich bleibt Europa – und insbesondere Deutschland – deutlich hinter den USA zurück. Geringe Gründungsdynamik, unzureichende Skalierungsbedingungen und ein fragmentierter Kapitalmarkt begrenzen das Potenzial junger Unternehmen. Eine Stärkung von Venture Capital ist daher Voraussetzung, um internationale Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.
Die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft wird maßgeblich durch die Entwicklung neuer Ideen, die Gründung von Unternehmen und die Risikobereitschaft von Investor:innen, neue Geschäftsmodelle zu finanzieren, bestimmt. Die industriellen Kerne Europas und Deutschlands brauchen dabei deutlich mehr Dynamik, um im Wettbewerb um die Zukunftstechnologien mit den anderen großen Wirtschaftsräumen bestehen zu können. Gründungsraten und Wachstumschancen junger Firmen liegen unter dem internationalen Durchschnitt und die Beschäftigung konzentriert sich in etablierten Großunternehmen.(1)
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Mario Draghi identifizierte in seinem Report zur Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union(3)
fehlendes Risikokapital als ein wesentliches Hemmnis für eine dynamisch-technologische und wirtschaftliche Erneuerung. Das Potenzial von Start-ups und Scale-ups bliebe deshalb zu großen Teilen ungenutzt.
Risikokapital (Venture Capital, kurz: VC) finanziert junge, innovative Unternehmen, die über klassische Wege, wie eine Finanzierung durch Banken, schwer an Kapital kommen. Start-ups verfolgen häufig riskante Geschäftsmodelle. Sie verfügen meist nur über immaterielle Vermögenswerte wie Patente, die als Sicherheiten für Bankenkredite häufig nicht genügen. Deshalb braucht es Investor:innen, die ein erhebliches Verlustrisiko eingehen und jungen Unternehmen Eigenkapital zur Verfügung stellen: Sie profitieren damit aber auch an einem möglichen Unternehmenserfolg. Risikokapital ist also wichtig, weil ohne dieses viele der innovativsten Unternehmen gar nicht erst entstehen oder groß und Zukunftstechnologien weder entwickelt noch zur Marktreife gebracht werden können.(4)
VC fungiert dabei auch als Innovationsmotor: Ein US-Dollar Wagniskapital übersetzt sich in stärkere Patentaktivität als ein US-Dollar konventioneller Forschung und Entwicklung (F&E).(5)
Neben der Finanzierung riskanter, wachstumsorientierter Sektoren bieten Risikokapitalgeber zusätzlich Beratung, Netzwerke und enges Monitoring und fördern somit schnelles Wachstum von Start-ups.(6)
Die USA bieten den größten Risikokapitalmarkt
Die weltweite Risikokapital-Finanzierung junger Unternehmen (vgl. Box „Daten und Methoden“) ist in der vergangenen Dekade massiv ausgeweitet worden. Den Höhepunkt erreichten die internationalen Kapitalflüsse im Jahr 2021 mit 715 Milliarden US-Dollar – wohl auch wegen der zahlreichen neuen Geschäftsmodelle, die sich während der Corona-Krise entwickelten. Nach dieser Spitze normalisierte sich das Niveau, schwenkte zuletzt aber wieder auf den insgesamt stark positiven Finanzierungstrend ein (Abbildung 1). Die VC-Finanzierung wurde zwischen dem Jahr 2010 und 2020 weltweit in etwa versiebenfacht, maßgeblich durch die hohen absoluten Zuwächse in den USA und den stark anziehenden chinesischen Markt. Gegenüber dem Volumen des Jahres 2020 stieg die globale VC-Finanzierung bis heute um etwa ein Sechstel, vor allem getrieben durch den Fokus auf Künstliche Intelligenz im Besonderen und Informations- und Kommunikationstechnologien(7) im Allgemeinen.
Die USA sind das dominierende Ziel der weltweiten Risikokapitalströme. Die Hälfte des Kapitals fließt in Start-ups in den USA. Erst mit großem Abstand folgen Europa mit 16 und China mit 14 Prozent Volumenanteil. Die Stärke der USA gründet sich auf eine breite Fondsbasis, funktionierender Exit-Kanäle und tiefer Spätphasenpools, die vor allem das kapitalintensive Wachstum und die Internationalisierung finanzieren.(8) Vor allem Börsengänge sind als Exit-Kanal in den USA wegen der großen Tech-Börsen Nasdaq und NYSE deutlich erfolgreicher als in anderen Teilen der Welt. Anteilsverkäufe gelingen auch wegen der größeren Zahl an potenziellen Investor:innen und der höheren Risikobereitschaft in den USA besser und meist zu höheren Bewertungen. Gerade für private Investoren sind Anteilsverkäufe beispielsweise in Deutschland steuerlich deutlich unattraktiver als in den Vereinigten Staaten, was auch die Bereitschaft für einen Einstieg in ein Unternehmen bremst.
Gemessen an der Größe des US-Marktes spielen Länder wie Deutschland kaum eine Rolle. Deutschland kann lediglich 2,5 Prozent des globalen VC-Kapitals anziehen – nur etwa ein Zwanzigstel der Summe, die in den USA zur Verfügung steht. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr erwirtschafteten die USA ein Bruttoinlandsprodukt in Höhe von 29, Europa von 27 und EU sowie China von 19 Billionen Dollar.
Risikobereitschaft weltweit deutlich unterschiedlich
Noch deutlicher wird die Herausforderung, wenn die Kapitalströme im Verhältnis zur Wirtschaftskraft betrachtet werden – die sogenannten Intensitäten, die auch als Maß für die Risikobereitschaft und Anlagechancen in Wirtschaftsräumen gesehen werden können: Das Risikokapital, das US-Start-ups pro Jahr zufließt, entspricht mittlerweile fast einem Prozent der amerikanischen Wirtschaftsleistung. Europa dagegen kam zuletzt auf lediglich 0,2 Prozent und Deutschland liegt sogar noch unterhalb des europäischen Durchschnitts. Immerhin verzeichnet die europäische Intensität einen Aufwärtstrend und könnte in diesem Jahr an China vorbeiziehen (Abbildung 3). China lag zwischen 2015 und 2018 gleichauf mit den USA, hat aber seitdem sichtbar nachgelassen. Deutschland folgt dem europäischen Trend steigender VC-Kapitalintensität nicht, sondern verliert ebenfalls an Risikokapital. Während dies in China auch durch die veränderte geopolitische Lage und einer Zurückhaltung internationaler Geldgeber zu erklären ist, scheint es für Deutschland vor allem ein Problem mit Blick auf die Anlagechancen zu sein. Die Unternehmensgründungen sind in den vergangenen Jahren ebenfalls schwach.(9)
Im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung konzentriert sich die Risikokapitalfinanzierung also ebenfalls auf wenige Weltregionen – und Europa und Deutschland spielen hier eine eher untergeordnete Rolle. Kleinere Länder wie Israel, Singapur oder die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) schneiden mit Blick auf die Intensität deutlich besser ab – und belegen regelmäßig Spitzenplätze im internationalen Vergleich.

Innerhalb Europas ist das VC-Umfeld nur im Vereinigten Königreich annähernd vergleichbar mit den USA. Mit einer Intensität von etwa 0,77 liegt der Wert dort in etwa auf dem Niveau von Indien. Weit abgeschlagen ist Japan mit einem Wert von 0,12. Japans Bevölkerung ist im Vergleich der G7-Länder die mit Abstand älteste. Auch die industrielle Struktur des Landes mit der Spezialisierung auf Automotive und Elektronik gerät im Zuge der globalen Verschiebungen, besonders angesichts der Industriestrategie Chinas, unter Druck.
Digitale Technologien ziehen das meiste Risikokapital an
Das globale Risikokapital konzentriert sich weiterhin stark auf wenige Technologiebereiche. Mehr als 55 Prozent aller VC-Investitionen fließen in Softwareentwicklung, Gesundheit und Finanztechnologien. Software – einschließlich KI-Anwendungen – hat dabei in den vergangenen zwei Jahrzehnten besonders stark zugelegt: Lag ihr Anteil in den 2000-er Jahren noch knapp im zweistelligen Bereich, stieg er im vergangenen Jahr bereits auf rund ein Viertel und dürfte 2025 ein Drittel des globalen VC-Volumens erreichen (vgl. Box auf Seite 10). Der Gesundheitssektor verlor nach seinem Hoch in den Nullerjahren zwar etwas an relativer Bedeutung, bleibt mit durchschnittlich 17 Prozent aber weiterhin die wichtigste Branche im internationalen VC-Geschäft.
Dynamik zeigen vor allem Robotik und Finanztechnologien. Die Robotik kommt zwar erst auf knapp fünf Prozent des globalen Risikokapitals, wächst jedoch kontinuierlich. Auch FinTech – inklusive Kryptowährungen – verzeichnete in den vergangenen Jahren deutliche Zuwächse, wenn auch mit zuletzt leicht rückläufiger Tendenz.
Andere Technologiebereiche haben ihre Hochphase bereits hinter sich. Mobilitätsnahe Technologien erreichten ihren Peak 2017, seither sinken ihre Finanzierungsvolumina. Telekommunikation verlor nach ihrer Blütezeit um die Jahrtausendwende kontinuierlich an Bedeutung und spielt heute kaum noch eine Rolle im Risikokapitalmarkt.
Im Energiebereich folgte auf das Hoch des Jahres 2008 – ausgelöst durch den damaligen Rekordölpreis – zunächst ein deutlicher Rückgang. Erst die Energiekrise 2022/23 führte vorübergehend zu höheren Finanzierungsvolumina. Die Halbleiterbranche wiederum hat das Boomniveau der frühen 2000er-Jahre zwar hinter sich, gewinnt aber seit Kurzem erneut an Dynamik.
USA setzen auf Digitales, China auf Transport und Deutschland auf Nischen
Die Verteilung von VC über Technologiefelder hinweg unterscheidet sich zwischen den großen Wirtschaftsregionen deutlich. Während weltweit 16 Prozent aller VC-Investitionen in den Gesundheitssektor und 15 Prozent in Software fließen, offenbaren die Regionen sehr unterschiedliche strategische Prioritäten.
In Europa entfällt ein vergleichsweise hoher Anteil des Risikokapitals auf den Gesundheitssektor: 13 Prozent aller europäischen VC-Investitionen gehen in Health-Start-ups. Dadurch liegt Europa hinter den USA (19 Prozent), China (17 Prozent) und der Schweiz (31 Prozent), aber deutlich vor Ländern wie Indien, Singapur oder den VAE. Allerdings zeigt sich innerhalb des Kontinents ein gemischtes Bild. Deutschland fällt spürbar zurück: Zwar investieren deutsche Start-ups anteilig in Software, FinTech, Mobilität und Energietechnologien jeweils etwas mehr Kapital als in Gesundheit, doch fließt immerhin jeder zehnte Euro in ein Gesundheits-Startup. Im internationalen Vergleich ist das jedoch wenig: Nur 1,5 Prozent der weltweiten VC-Mittel im Gesundheitsbereich gehen nach Deutschland – weniger als nach Indien und nur ein Drittel des Volumens, das in das Vereinigte Königreich fließt. Besonders auffällig ist Europas Fokus auf den Energiesektor. Mit elf Prozent legt Europa überdurchschnittlich viel Gewicht auf Start-ups mit Energietechnologien (Welt: sieben Prozent). Länder wie Deutschland und Frankreich tragen hierzu wesentlich bei.
Die USA behaupten ihre Sonderstellung im globalen Risikokapitalmarkt mit großer Deutlichkeit. Nahezu in jedem Technologiefeld vereinen sie überproportionale Anteile der weltweiten Investitionen auf sich. In Software/KI fließen 68 Prozent des globalen VC-Volumens in die USA. Im Bereich Sicherheit liegt der US-Anteil bei 71 Prozent, in der Robotik bei 64 Prozent und im Gesundheitssektor bei 63 Prozent.
Dieses Muster unterstreicht die starke Digital- und KI-Orientierung des US-amerikanischen Start-up-Ökosystems und seine Fähigkeit, international entscheidende Skalenvorteile auszuspielen.
China zeigt ein deutlich anderes Profil: Die Volksrepublik konzentriert sich stark auf industrielle und physische Technologien. Transporttechnologien sind mit 20 Prozent der wichtigste Bereich – mehr als doppelt so viel wie in Europa (neun Prozent) und fast dreimal so viel wie in den USA (sieben Prozent). Auch Halbleiter werden in China überdurchschnittlich stark mit Risikokapital versorgt (14 Prozent des chinesischen VC-Kapitals, was wiederum über der Hälfte (56 Prozent) der weltweiten VC-Mittel in diesem Bereich entspricht). Der Gesundheitssektor verzeichnet (mit 17 Prozent) zwar einen höheren Stellenwert als in Europa und Deutschland, kommt aber nicht an die Stärke bei Halbleitern heran. China bleibt damit ein VC-Markt, der digitale Elemente einbindet, aber stark industrie- und technologiehardware-orientiert bleibt.
Deutschland liegt in nahezu allen Technologiefeldern deutlich unter den globalen Marktanteilen, weist jedoch einige Nischenstärken auf: Vergleichsweise hohe Anteile am globalen VC-Aufkommen erreicht Deutschland in den Bereichen Energie, Nahrung und Transport (mit jeweils rund vier Prozent). Gleichzeitig fällt der globale Anteil deutscher Gesundheits-Start-ups mit nur 2,5 Prozent niedrig aus.
Pharma und Biotech: Europa holt auf
Start-ups im Gesundheitssektor zählen zu den größten Empfängern von VC. Über die vergangenen Jahre floss fast ein Sechstel des weltweiten Risikokapitals in gesundheitsbezogene Geschäftsmodelle. Erst seit 2023/24 hat der KI-Boom diese Dominanz gebrochen: Software- und KI-Start-ups haben dem Gesundheitsbereich die Spitzenposition abgenommen. Dennoch bleibt Gesundheit in fast allen großen Märkten – insbesondere den USA – eine der größten und stabilsten VC-Säulen.
Ein Blick auf die Zusammensetzung zeigt, dass die Dynamik im Gesundheitssektor maßgeblich von Biotechnologie getrieben wird: 37 Milliarden US-Dollar flossen 2024 weltweit in Biotech-Start-ups. Das entspricht rund 60 Prozent des gesamten Health-VC-Volumens. Der Rest verteilt sich zunehmend ausgewogen auf Pharma und Medizintechnik beziehungsweise medizinische Geräte. Biotech ist seit Jahren die stärkste Triebkraft innerhalb des Gesundheitssektors.
Dabei kam es zu einer Verschiebung der globalen Kräfteverhältnisse. In den vergangenen Jahren hat Europa im Gesundheitssektor erheblich aufgeholt – als einzige Region wird Europa das Niveau der Jahre 2020–24 im Jahr 2025 voraussichtlich übertreffen, besonders getrieben durch Finanzierungen von Biotech-Startups. Europa dürfte damit wieder vor China liegen, wenn es um die Finanzierung von Pharma- und Biotech-Start-ups geht.
Die USA bleiben in der VC-Finanzierung weiterhin dominant, gegenüber den Vorjahren ist allerdings ein Rückgang zu verzeichnen, im Biotech-Bereich gar ein deutlicher. VC-Investor:innen ziehen sich sichtbar aus dem chinesischen Pharmasektor zurück. China, in den frühen 2020er-Jahren noch ein dynamisch wachsender Gesundheitsmarkt, hat sürbar an Dynamik verloren.
Fazit: Risikokapitalfinanzierung stärken – Ökosystem schnell ausbauen
Europa und insbesondere Deutschland stehen im globalen Wettbewerb um Zukunftstechnologien, neue Geschäftsmodelle und Wachstum vor einer strukturellen Herausforderung. Die geringere Verfügbarkeit von Wagniskapital, stagnierende Gründungsdynamiken und schwache Skalierungsbedingungen verhindern, dass Start-ups und Scale-ups ihr volles Potenzial entfalten. Deutschland trifft dieser Befund besonders: Trotz starker industrieller und wissenschaftlicher Grundlagen gelingt es nur unzureichend, Kapital in innovative, wachstumsstarke Sektoren zu lenken – ein Muster, das sich in nahezu allen Technologiefeldern widerspiegelt.
Die USA stärken ihre technologische Führungsrolle auch durch eine umfangreiche Finanzierung mit Risikokapital, mit effizienten Exit-Kanälen und eine hohen Risikobereitschaft bei Kapitalgebern. China setzt zudem in erheblichem Maße auf staatliche Unterstützung. Europa bleibt dagegen in zentralen Wachstumsfeldern zurück. Die Folge ist ein zunehmendes Auseinanderdriften der großen Wirtschaftsregionen bei Innovationskraft, Unternehmenswachstum und technologischer Wettbewerbsfähigkeit. Dem ist vor allem auf europäischer Ebene zu begegnen: Ein integrierter europäischer Kapitalmarkt ist zentral, um die Skalierung junger Unternehmen zu erleichtern und Europas Start-up-Ökosystem international wettbewerbsfähiger zu machen. Ergänzend dazu können öffentliche Investoren stärker Ankerkapital zur Verfügung stellen und so privates Wagniskapital hebeln. Schließlich gilt es, steuerliche Anreize zu verbessern, Exit-Kanäle auszubauen und regulatorische Hürden abzubauen, damit mehr privates Kapital in wachstumsorientierte, innovative Unternehmen fließen kann. Mit dem Standortfördergesetz geht die Bundesregierung nun erste Schritte für eine strukturelle Verbesserung des VC-Marktes. Auch der skizzierte Deutschlandfonds hat Verbesserungen zum Gegenstand. Gleichwohl bedarf es hier weiterer Verbesserungen.
Dies gilt insbesondere in den Schlüsselindustrien für die wirtschaftliche Erneuerung. Die Pharmaindustrie ist Vorreiter einer wissensbasierten Industrie, wird in Europa und Deutschland jedoch zugleich durch ein unzureichend entwickeltes Innovations- und Finanzierungsökosystems gehemmt. Sie investiert überdurchschnittlich in F&E, betreibt zahlreiche Forschungsstandorte in Deutschland und trägt erheblich zur gesamtwirtschaftlichen Innovationsleistung bei. Dennoch gelingt es zu selten, exzellente wissenschaftliche Ergebnisse in wachstumsstarke Unternehmen zu übersetzen.
Gerade in der frühen und mittleren Entwicklungsphase von Wirkstoffen zwischen akademischer Erkenntnis und marktfähigem Produkt klafft eine Finanzierungslücke. Projektförderung ist kleinteilig, bürokratisch und deckt nur einen Bruchteil der Entwicklungskosten.(10)
Die Pharmabranche benötigt im Verhältnis zu ihren eigenen F&E-Ausgaben besonders wenig öffentliche Unterstützung. Gleichzeitig stehen Start-ups und Biotech-Unternehmen vor einem strukturell zu kleinen Risikokapitalmarkt: Deutschland liegt beim VC-Volumen, selbst gemessen am BIP, nur im Mittelfeld Europas. Den USA und China steht ein Vielfaches des Kapitals zur Verfügung, das hierzulande in junge, forschungsintensive Unternehmen fließt – große Fonds, tiefe Spätphasenpools und schlagkräftige Exit-Märkte entstehen vor allem jenseits des Atlantiks.(11)
Vor diesem Hintergrund sollte die Lücke zu den USA bei Risikokapital und Kapitalmarkttiefe gezielt geschlossen werden – gerade mit Blick auf pharmazeutische Innovationen. Es braucht eine kohärente Innovationspolitik: auskömmliche und fokussierte Grundlagenforschung in starken Clustern, systematische Förderung von Start-ups und innovativen KMU, eine lückenlose Finanzierungskette, die das Valley of Death überbrückt, sowie eine aktive Fachkräftestrategie.(12)
Konkret heißt das: größere, übersichtlich gestaltete Förderprogramme für Pharma und Biotech, schnellere, digitalisierte Verfahren und einen „One-Stop-Shop“ für Gründungen,(13)
steuerliche Anreize für private F&E-Investitionen sowie für Beteiligungen an VC- und Wachstumsfonds und technologiespezifische Public-Private-Fonds, die frühklinische und klinische Entwicklung langfristig mit Eigen- und Wagniskapital mittragen.
Zudem muss Deutschland aktiv an einer kapitalmarktbasierten Wachstumsstrategie für Europa mitwirken. Eine gestärkte Kapitalmarktunion mit vereinfachter grenzüberschreitender Anlage, harmonisiertem Insolvenzrecht und einer stärkeren europäischen Aufsicht (ESMA) würde tiefe Aktienmärkte und funktionierende Exit-Kanäle schaffen, die für Life-Science-Scaleups entscheidend sind. Gleichzeitig sollten Mittel für staatliche Kofinanzierung von Wagniskapital – etwa über nationale Wachstumsfonds – erhöht und konsequent so ausgestaltet werden, dass sie privates Kapital, insbesondere von Versicherern und Pensionsfonds, hebeln statt verdrängen. Dazu gehören regulatorische Anpassungen, die Solvency-II-Hürden für VC-Investitionen von Versicherern senken, nationale Beschränkungen für Pensionsfonds überprüfen und pan-europäische Dachfonds über den EIF und die EIB stärken, um große, grenzüberschreitende VC-Fonds zu ermöglichen.
Wird dieser Mix aus forschungs-, kapitalmarkt- und industriepolitischen Reformen entschlossen umgesetzt, kann Deutschland seine Rolle als pharmazeutischer Schlüsselstandort sichern, die Gründungs- und Wachstumsschwäche überwinden und einen deutlich größeren Anteil der weltweiten Wertschöpfung in Zukunftstechnologien im eigenen Wirtschaftsraum halten.
Daten und Methoden
In diesem Gutachten werden Venture Capital-Ströme verwendet, die von der Datenplattform dealroom.co ausgewiesen werden – einer der führenden und umfangreichsten Datenbanken zu Venture Capital. Diese Kapitalströme lassen sich nach verschiedenen Kriterien filtern, etwa nach Herkunfts- oder Zielland des Kapitals. Die hier analysierten Daten beziehen sich auf das Ziel der Kapitalströme. Hier wurde zudem auf frühe Finanzierungsrunden abgestellt und dabei der von der KfW genutzen Auswahl gefolgt.(14) Das dabei insgesamt einem Land zufließende Kapital lässt sich nach Geschäftsbereichen bzw. Technologiefeldern unterteilen. Hierfür stehen 31 als Industrien ausgewiesene Kategorien zur Verfügung, von denen die zwölf gewichtigsten im Text dargestellt sind (vgl. Abbildungen 5 und 6), während die Kategorie „Übrige“ die Verbleibenden zusammenfasst. Zu beachten ist, dass nicht alle VC-Transaktionen (zumindest zeitnah) kategorisiert werden können – und wenn, dann in einigen Fällen nicht eindeutig – so dass die Summe aller auf Kategorien aufgeteilten Ströme nicht mit der Gesamtsumme identisch ist. Zumeist ergeben sich geringere Summen, die Diskrepanz fällt aber vor allem für jüngere Daten ins Gewicht, für die noch nicht alle Daten vollständig ausgewertet sind. Für die Anteilsberechnungen wurden die Diskrepanzen nicht berücksichtigt, die Bezugsgröße ist also jeweils die Summe über alle ausgewiesenen Industrien. Zudem bietet der Datenanbieter auch 75 Unterkategorien („Subindustries“) an, bei denen ähnliche Probleme auftreten: Sie lassen sich nicht eins-zu-eins obigen Kategorien zuordnen, so dass zusätzliche kleine Diskrepanzen auftreten. Die Unterkategorien wurden für Abbildungen 7 und 8 genutzt, die Diskrepanz ist in ersterer als Abweichung der farblich markierten Flächen (Biotech, Medizinische Geräte und Pharma) von der Gesamtgröße (Linie Gesundheit) ablesbar.
MacroScope Facts
Die DIHK befragt dreimal jährlich Unternehmen nach ihren Investitionsabsichten. Der Anteil derjenigen, die ihre Investitionen ausweiten wollen, wird dem Anteil derjenigen gegenübergestellt, die geringere Investitionen planen. Die Differenz (der Saldo) ist ein Indikator für anstehende Ausgaben in Maschinen, Fahrzeuge, Bauten sowie Forschung und Entwicklung. Die Handelshemmnisse, die die USA in den vergangenen Monaten mit Vehemenz aufgebaut haben, treffen die heimische Pharmaindustrie besonders hart. Die Folge: Auch in dieser Branche ist die zuvor zuversichtliche Investitionslaune im Herbst eingebrochen.
Fußnoten:
(1) OECD (2025): „OECD Insights on Productivity and Business Dynamics: Germany“. OECD Insights on Productivity and Business Dynamics – Country Notes, online verfügbar.
(2) Bundesverband Deutsche Startups e. V. (2021): „Für ein Wirtschaftswunder 2.0. Wie Startups und Scaleups den deutschen Arbeitsmarkt beflügeln“, online verfügbar.
(3) Draghi, M. (2024): „The future of European competitiveness – A competitiveness strategy for Europe“, online verfügbar.
(4) Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2025): „Perspektiven für morgen schaffen – Chancen nicht verspielen“, Jahresgutachten 2025/26, online verfügbar; vgl. Ziffern 200f.
(5) Kortum, S. und Lerner, J. (1998): „Does venture capital spur innovation?“, NBER Working Paper 6846, online verfügbar.
(6) Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2024): „Stärkung der europäischen Kapitalmärkte“, Policy Brief 2/2024, online verfügbar.
(7) Vgl. das Going Digital Toolkit der OECD: „Venture capital investment in the ICT sector as a share of GDP“, online verfügbar.
(8) National Venture Capital Association (2024): „2024 NVCA Yearbook“, online verfügbar.
(9) Michelsen, C. und Junker, S. (2025): „Unternehmensgründungen: Deutschland braucht mehr Entrepreneure“, MacroScope Pharma, Economic Policy Brief des vfa Nr. 06/25, online verfügbar.
(10) Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI, 2022): „Gutachten 2022 zu Forschung, Innovation und technologischer
Leistungsfähigkeit Deutschlands“, online verfügbar.
(11) Arnold, N., G. Claveres und J. Frie (2024): „Stepping Up Venture Capital to Finance Innovation in Europe“, IMF Working Paper WP/24/146, online verfügbar.
(12) vfa (2024): „Innovationen wachsen lassen: F&E finanzieren, Gründungen fördern, Wachstum ermöglichen.“, Positionspapier, online verfügbar.
(13) Vgl. die Vorschläge des OECD-Gutachtens in Fußnote 1.
(14) Viete, S. und G. Metzger (2025): „KfW Venture Capital-Dashboard Q3 2025“, KfW Bankengruppe, online verfügbar, dort insb. Appendix I.
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