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#MacroScopePharma 10/25

Der Economic Policy Brief des vfa



Herbstprognose: Erholung der deutschen Wirtschaft verspätet sich


Die deutsche Wirtschaft bleibt im Krisenmodus. Strukturelle Probleme im Land, zunehmende Konkurrenz auf den Weltmärkten und eine hohe Unsicherheit über den Zugang zum US-Markt zögern die Erholung immer weiter hinaus. In diesem Jahr dürfte die deutsche Wirtschaft stagnieren. Für das kommende Jahr ist mit einem Wachstum von 1,3 Prozent zu rechnen. Die Pharmaindustrie baut weiterhin Beschäftigung auf und investiert gegen den Trend hohe Summen in Forschung und Entwicklung sowie neue Anlagen. Dies ist allerdings kein Selbstläufer: Die Entwicklungen in den USA stellen eine erhebliche Herausforderung für die Branche dar.

Weltwirtschaft: Geopolitische Umbrüche belasten

Tabelle Wachstumsraten und Inflation in ausgewählten Weltregionen

Dies trifft vor allem die fortgeschrittenen Volkswirtschaften, allen voran Deutschland. Aber auch die Vereinigten Staaten selbst belasten die hohen Zollsätze(3) : Eine geringere globale Arbeitsteilung senkt die Produktivität, während eine Weitergabe der Zölle an die US-Verbraucher:innen die Inflation anschieben wird. Entsprechend sorgenvoll verhalten sich dort die Konsument:innen. Die bereits eingesetzte Konsumflaute – verstärkt durch einem schwächeren Arbeitsmarkt – dürfte sich fortsetzen. Die im Sommer geschlossenen Handelsabkommen dürften die Unsicherheit für Unternehmen und Haushalte nur geringfügig reduzieren. Wegen der steigenden Inflation dürfte die US-Notenbank nur zögerlich mit Zinssenkungen auf die wirtschaftliche Flaute reagieren. Die US-Regierung kann wegen des Ausgabenstopps zumindest kurzfristig keine Impulse für die Nachfrage setzen. Abzuwarten bleibt, wie sich die Investitionstätigkeit im Land in Reaktion auf die Zölle mittelfristig entwickeln wird. Für viele Unternehmen ist der US-Markt wegen seiner Größe von erheblicher Bedeutung. Entsprechend werden vielfach Planungen für den Aufbau von Produktionsstätten in den USA vorangetrieben.

Europa steht ebenfalls vor erheblichen Herausforderungen. Der einzige Bereich, der derzeit die Konjunktur stützt, ist der private Konsum: Eine stabile Beschäftigung und eine moderate Inflation sorgen für Realeinkommenszuwächse und damit für Nachfrage. Dagegen treiben steigende Zins- und Verteidigungsausgaben die Haushaltsdefizite in den großen Euroländern in die Höhe. Zusätzliche Spielräume durch gelockerte EU-Fiskalregeln bleiben begrenzt. Länder wie Frankreich scheitern daran, notwendige Sparmaßnahmen politisch umzusetzen und rutschen deshalb in eine Regierungskrise. Lediglich Deutschland schiebt mit öffentlichen Investitionen die Konjunktur an. Größtes Sorgenkind Europas bleibt die Industrie. Die US-Zölle, aber auch der von China vorangetriebene Wandel in der Weltwirtschaft sowie der starke Euro belasten die Exporte. Dies und die hohe Unsicherheit mit Blick auf die US-Politik dämpfen die Investitionen erheblich. Alles in allem schwächt sich die Konjunktur im Euroraum ab, zumal der Zinssenkungszyklus der europäischen Zentralbank abgeschlossen sein dürfte.

China stellt in seiner Industriestrategie die Eigenständigkeit des Landes und eine neue Dominanz auf den Auslandsmärkten ins Zentrum(4) . Dabei geht einerseits um technologische Souveränität, durch den Ausbau anspruchsvoller, exportorientierter Zukunftsindustrien – beispielsweise in den Bereichen LifeSciences, Photovoltaik, Elektromobilität und Batterien. Andererseits nutzt China seine Dominanz bei wichtigen Rohstoffen und Vorprodukten. Dies stärkt Chinas Rolle in strategischen Sektoren und erhöht den Wettbewerbsdruck auf Produzenten in den anderen Industrieländern. Dabei produziert China deutlich mehr als der chinesische Markt nachfragt und drängt die überschüssigen Produkte hoch subventioniert ins Ausland. Im Zuge immer neuer US-Zölle haben chinesische Exporteure offenbar ihre US-Lieferungen über Drittmärkte umgelenkt beziehungsweise erschließen weitere Märkte. Die fehlende Nachfrage aus dem Inland kann mit dieser Strategie allerdings nicht dauerhaft ausgeglichen werden und das Wachstumstempo wird allmählich abflachen.

Deutschland: Zunächst weiter Flaute, dann Wachstum auf Pump

Die deutsche Wirtschaft ist in den vergangenen zwei Jahren geschrumpft und wird auch in diesem Jahr voraussichtlich nicht wachsen (siehe Abbildung und Tabelle unten). Strukturelle und geopolitische Probleme belasten die Wirtschaft nun schon rund ein halbes Jahrzehnt. Die Wirtschaftsleistung wird im Jahr 2025 nicht das Niveau zum Jahresende 2019 übertreffen. Erst im Jahr 2026 dürften die von der Bundesregierung geplanten Investitionen die Wirtschaftsleistung ankurbeln. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte im kommenden Jahr mit 1,3 Prozent erstmals seit Jahren wieder sichtbar zulegen.

Deutsches Bruttoinlandsprodukt und wichtige Komponenten

Tabelle: Eckdaten der Prognose für Deutschland

Die Schwäche der deutschen Wirtschaft ist kein konjunkturelles Phänomen. Die Probleme wurzeln tiefer. Der deutschen Wirtschaft fehlt es an Hightech-Investitionen und neuen Geschäftsmodellen, die auf Forschung und Innovation beruhen. Je länger diese Schwäche anhält, desto mehr wird die Wettbewerbsfähigkeit auf den Auslandsmärkten in Mitleidenschaft gezogen. Die Ursachen für die fehlende Erneuerung sind auf drei Ebenen zu suchen: Erstens hat der Kostenschock der Energiekriese der deutschen Industrie Mittel für Investitionen entzogen. Zudem sind die vorhandenen Produktionskapazitäten weniger rentabel, was in den anhaltenden Abbau energieintensiver Produktionskapazitäten mündete. Zweitens belasten eine überbordende und ineffiziente Bürokratie, ein sich demografisch bedingt zuspitzender Arbeitskräftemangel sowie ein auch für ausländische Investoren und Fachkräfte unattraktives Steuersystem. Drittens fehlt es an einer modernen öffentlichen Infrastruktur, die unternehmerisches Handeln und Innovationen ermöglicht. Zugleich erzwingt Russlands machtpolitischer Kurs steigende militärische Ausgaben zulasten produktivitätssteigernder Investitionen, etwa in die Verkehrsinfrastruktur, Digitalisierung oder in den Ausbau klimaneutraler Technologien.

In dieser Situation trifft Deutschland auf eine immer größere Konkurrenz auf den Exportmärkten. Vor allem China geht in vielen wichtigen Bereichen der deutschen Exportwirtschaft wie Maschinen– und Fahrzeugbau in direkten Wettbewerb. Mit staatlich subventionierten chinesischen Produkten werden wichtige Märkte erschlossen und deutsche Exporte verdrängt(5) – allen voran in China selbst. Die Ausfuhren dorthin geben seit drei Jahren spürbar nach (Abbildung unten). Doch auch in anderen Weltregionen verlieren Schlüsselindustrien aus Deutschland kontinuierlich an Boden. Bisher konnte ein Teil der wegfallenden Ausfuhren in den USA ausgeglichen werden. Doch mit der verschärften US-Zollpolitik gerät auch dieser Markt ins Wanken, insbesondere, weil die Unsicherheit die Nachfrage nach Investitionsgütern – einem Kernbereich der deutschen Exportwirtschaft – bremst. Deshalb und wegen der insgesamt schwachen Weltkonjunktur (vgl. Tabelle oben "Wachstumsraten und Inflation in ausgewählten Weltregionen") trägt der Außenhandel momentan nicht – und im weiteren Verlauf nur sehr verhalten – zur wirtschaftlichen Erholung bei (siehe Tabelle unten).

Tabelle: Entwicklung der deutschen Wirtschaft

Die Folge: Seit nunmehr drei Jahren befinden sich die Exporte auf Talfahrt (vgl. Abbildung oben "Deutsches Bruttoinlandsprodukt und wichtige Komponenten", "Exporte") und dürften den Höchststand vom Frühsommer 2022 auf absehbare Zeit nicht wieder erreichen. Die US-zollbedingte Sonderkonjunktur zu Jahresbeginn war dabei nur ein Ausreißer. Typischerweise folgt einer derart aktiven Phase eine Flaute, weil die vorgezogene Produktion und Auslandsnachfrage anschließend wegfallen. Dies deutet sich für den weiteren Verlauf dieses Jahres an: Die US-Ausfuhren brachen zuletzt spürbar weg (Abbildung unten). Eine verhaltene Erholung bei den Exporten lässt daher noch bis zum Jahreswechsel auf sich warten. Erst im kommenden Jahr steht wieder ein Plus zu Buche – das mit rund anderthalb Prozent jedoch nur etwa halb so hoch ausfällt wie die Rate, die für den Euroraum zu erwarten ist.

Stärker noch als die Ausfuhren sanken die Investitionen: Seit dem Jahr 2022 sind sie nahezu kontinuierlich zurückgegangen. Die Bauinvestitionen sind seit geraumer Zeit im freien Fall. Im kommenden Jahr dürften sich diese wegen der öffentlichen Investitionen spürbar beleben. Die Investitionen in Maschinen und Fahrzeuge sind in Folge der kräftigen, weltweiten Zinsanhebungen bis zuletzt abgerutscht. Dass sich die Zinsen mittlerweile auf niedrigerem Niveau stabilisiert haben und auch verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten die Investitionskosten senken, dürfte perspektivisch zu einer Belebung führen. Ein kräftiger Schub zeichnet sich wegen der mittlerweile geringen Kapazitätsauslastung und hohen Unsicherheit dennoch nicht ab. Gleichwohl besteht die Chance, dass mit den geplanten Militärausgaben und staatlichen Infrastrukturinvestitionen stärkere Impulse auf die private Investitionstätigkeit ausstrahlen, sofern sie auch die Bedarfe der Unternehmen unterstützen.

Der Konsum hat die Wirtschaft in den vergangenen Quartalen spürbar gestützt. Gründe dafür sind eine Erholung der Realeinkommen, eine gesunkene Inflation und eine höhere Konsumneigung. Im kommenden Jahr dürften zudem die Einkommen aus unternehmerischer Tätigkeit den Konsum etwas stärker stützen. Belastend wirken jedoch eine hohe Arbeitsplatzunsicherheit und der schwächere Beschäftigungsaufbau, die nicht zuletzt durch die US-Handelshemmnisse verursacht werden.(6) Insgesamt dürfte der Konsum aber weiter zulegen. Vom anhaltenden Aufwärtstrend beim Konsum profitieren auch die konsumnahen Dienstleister. Sie stützen die deutsche Wirtschaft bereits seit geraumer Zeit. Zudem liefern die öffentlichen Dienstleister und – im Zuge der Digitalisierung – insbesondere die IT-Dienstleister weiterhin Impulse.

Industrie: Schwäche in der zweiten Jahreshälfte

Die Industrie schraubt ihre Produktion bereits seit sieben Jahren zurück. Anfangs galt das vor allem für die Automobilindustrie. Sie befindet sich seit Ende 2018 in einem Abwärtstrend und baut sichtbar Beschäftigung ab. Mit Blick auf die im Industrievergleich trübe Stimmung dürfte sich daran nichts ändern (Abbildung unten, "Automobilbranche"). Auch die Auftragslage hat sich zuletzt wieder verschlechtert – vor allem die Bestellungen aus dem Euroraum waren rückläufig. Bei der Interpretation der Produktionszahlen – im August gab es einen herben Rücksetzer – ist zu beachten, dass die späten Werksferien besonders durchschlagen.(7)

Ebenfalls anhaltend schwach ist die Entwicklung in den energieintensiven Branchen. Seit Frühjahr 2022 mussten sich die Unternehmen an eine geänderte Kostenstruktur anpassen und Produktionskapazitäten abbauen. Allen voran in der Metallindustrie kam es angesichts der massiven Anhebung der US-Zölle zu Vorzieheffekten. Die ins Frühjahr vorgezogene Produktion zieht nun bereits deutliche Ausfälle nach sich (vgl. Abbildung unten, "Energieintensive Branchen"). Eine Normalisierung der Produktion dürfte sich auf niedrigerem Niveau bis zum Jahreswechsel einstellen.

Die Investitionsgüterhersteller haben weiter mit dem hohen Zinsniveau und der Unsicherheit zu kämpfen. Diese zinsreagiblen Branchen sind in Deutschland stark vertreten. Die jüngsten Zinssenkungen der Zentralbanken haben die Aussichten für die Branchen zuletzt indes etwas aufgehellt. Und die geplanten öffentlichen Investitionen sowie die verbesserten Abschreibungsmöglichkeiten dürften die deutsche Investitionstätigkeit beleben und sich damit für die Branche positiv niederschlagen (vgl. Abbildung unten, "Zinsreagible Branchen").

Insgesamt steckt die Industrie weiter in einer Durststrecke – nicht zuletzt, weil die vielerorts vorgezogene Produktion noch für einige Zeit für Ausfälle sorgt. Ab dem kommenden Jahr wird die Industrieproduktion aber voraussichtlich einen Aufwärtstrend einschlagen. Wegen des rauen weltwirtschaftlichen Umfelds, das insbesondere auf den deutschen Exporten lastet, dürfte dieser jedoch verhalten ausfallen (vgl. Abbildung unten, "Industrie").

Pharma: Zwischen Zollbelastung und Aufwärtstrend

Die US-Handelsbeschränkungen treffen die deutsche Pharmabranche besonders hart(8) , da der US-Markt mit einem Anteil von rund einem Viertel der Arzneimittelausfuhren der bedeutendste Einzelmarkt ist. In den USA werden im Jahr 2025 voraussichtlich Pharmazeutika im Wert von rund 600 Milliarden US-Dollar verkauft. In Europa wird – trotz deutlich größerer Bevölkerungszahl – weniger als die Hälfte umgesetzt.

Unklar ist nach wie vor ob und welchen Zollsatz die USA tatsächlich auf pharmazeutische Güter aus der EU erheben. Aktuell deutet vieles darauf hin, dass die im August verhandelte Obergrenze von 15 Prozent für die meisten Produkte gelten wird. Im Fokus der USA stehen patentgeschützte Arzneimittel. Eine Reihe von Generika sollen ausgenommen werden. Gleichzeitig verfolgen die USA ein breit angelegtes Onshoring pharmazeutischer Produktion. Hierzu wurden zwei Programme gestartet, die den Kapazitätsaufbau beschleunigen und die Arzneimittelzulassung erleichtern sollen.(9) Ein weiteres Element der US-Pharmapolitik ist eine Initiative, Preisdifferenzen zwischen den USA und anderen Ländern zu reduzieren. Diese Politik ist eine erhebliche Herausforderung für die global stark arbeitsteilige Pharmaproduktion. Der bedeutsame US-Markt kann von außerhalb der USA voraussichtlich schwieriger erreicht werden. Gleichzeitig bleiben alle Märkte außerhalb der USA für dort produzierende Unternehmen weiterhin offen. Dies, die Ansiedlungserleichterungen und die individuellen Verhandlungen mit der US-Administration mit Blick auf die Preisgestaltung haben das Potenzial, erhebliche Investitionen in die USA zu lenken.

Das Frühjahr war intensiv auf die Belieferung des US-Marktes ausgerichtet. Durch vorgezogene Lieferungen ließen sich nämlich die damals erst angekündigten Zölle noch vor deren Einführung umgehen. Im März kam es zu einem sprunghaften Anstieg bei Produktion und Umsätzen. Zusätzlich wurden Lagerbestände – soweit möglich – auf den US-Markt umgelenkt, was zumindest die Einschätzungen zum Fertigwarenbestand nahelegen (vgl. "MacroScope Facts" unten). Teilweise wurden wohl auch für den Export vorgesehene Chargen zunächst als Inlandsumsatz verbucht. Entsprechend stiegen die Inlandumsätze in einigen Monaten deutlich an (Abbildung unten, "Umsatz" - grüne Linie).

Die Exporte in die USA folgten diesem Muster. Im März waren sie auffallend hoch, fielen jedoch in den Folgemonaten deutlich ab. Die einem Vorziehen typischerweise folgende Flaute dürfte aber später und zeitlich gestreckt einsetzen. Darauf deuten die bis zuletzt gestiegenen Auftragseingänge hin (vgl. Abbildung oben, "Auftragseingang"). Die jüngst hohen Ausfuhren in andere Länder zeigen, dass nun zunächst in die USA umgelenkte Lieferungen in die ursprünglichen Empfängerländer nachgeholt werden. Daher dürften Produktion und Umsätze im weiteren Jahresverlauf weiterhin erhöht bleiben und erst zum Jahreswechsel nachlassen. Insgesamt wird die Branche trotz der Zölle in diesem Jahr ihre Produktion, Umsätze und Exporte deutlich ausweiten (Tabelle unten). Für das kommende Jahr hingegen sind geringere Werte zu erwarten. Während die Inlandsumsätze einem verhaltenen Aufwärtstrend folgen dürften, werden die Auslandsumsätze wohl weiter steigen, aufgrund der US-Handelsrestriktionen jedoch spürbar gebremst.

Tabelle: Pharmaprognose 2025/26 im Überblick

Anders als in vielen anderen Industriezweigen hat die Pharmaindustrie ihre Investitionen zuletzt kräftig ausgeweitet. Insbesondere im Bereich F&E hält die Investitionsfreude unvermindert an, was die laut Stifterverband von der Branche geplanten Aufwendungen sowie die zuversichtlichen Investitionsaussichten laut der Deutschen Industrie- und Handelskammer belegen. Auch die ifo-Erwartungen der Pharmaunternehmer bleiben zuversichtlich. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass US-Präsident Trump mit den angekündigten, teils extrem hohen Zollsätzen Unternehmen zu Investitionen in den USA drängen will. Mehrere große Konzerne haben sich bereits zu entsprechenden Schritten bekannt. Auch wenn Investitionen in Deutschland zugunsten der USA zumindest teilweise zurückgestellt werden, dürften die Investitionen der Pharmaindustrie hierzulande weiter steigen.

Die Beschäftigung in der Pharmaindustrie hat sich besser entwickelt als in der Gesamtwirtschaft. Während dort die Zahl der Erwerbstätigen zuletzt kaum noch zunahm und die Industrie sogar einen Rückgang von rund 62.000 Beschäftigten (−1 Prozent) verzeichnete, konnte die Beschäftigung in der Pharmaindustrie nach sehr kräftigen Zuwächsen in den Vorjahren immerhin noch um 0,5 Prozent wachsen. Vor dem Hintergrund der hohen Investitionen dürfte die Beschäftigung allmählich wieder stärker anziehen. Viele Projekte umfassen Rationalisierungen wie Automatisierung, die zwar langfristig Effizienzgewinne bringen, nach einer Aufbauphase aber auch zusätzliche Einstellungen erfordern. Daher ist für dieses Jahr nur ein leichter Beschäftigungszuwachs zu erwarten, für das kommende Jahr jedoch wieder ein deutlicherer Anstieg.

Fazit: Markt ausbauen, Bürokratie verschlanken und Innovation fördern

Die deutsche Wirtschaft bleibt auch im Herbst 2025 im Krisenmodus. Eine anhaltende Erholung verzögert sich, da strukturelle Probleme, geopolitische Unsicherheiten und zunehmender Protektionismus die konjunkturelle Dynamik bremsen. Die Ursachen liegen tief: Hohe Energie- und Standortkosten, Investitionszurückhaltung, Fachkräftemangel sowie eine überbordende Bürokratie schwächen die Wettbewerbsfähigkeit. Zugleich verschärft sich der internationale Druck – insbesondere durch Chinas industriepolitische Expansion und die US-Zollpolitik, die globale Wertschöpfungsketten zunehmend verzerrt.

In diesem Umfeld erweist sich die Pharmaindustrie als Stabilitätsanker. Trotz Handelshemmnissen und konjunktureller Schwäche expandieren Produktion sowie Beschäftigung weiter. Die Branche investiert überdurchschnittlich in F&E und neue Anlagen. Sie sichert damit hochwertige Arbeitsplätze und Innovationskraft in Deutschland. Ein großes Risiko für den Standort sind die Entwicklungen in den USA. Diese erfordern jetzt eine entschlossene Antwort zur Stärkung des Standorts Deutschland und Europa.

Teil dieser Antwort ist eine Weiterentwicklung des Wegs, der in den vergangenen Jahren mit der Pharmastrategie begonnen wurde. Die dort formulierten Maßnahmen müssen weiter konsequent umgesetzt werden. Die internationale Wettbewerbssituation hat sich zwischenzeitlich aber noch einmal deutlich verändert. Deshalb ist auch eine Weiterentwicklung der Pharmastrategie notwendig. Von erheblicher Bedeutung für künftige Investitionen sind Größe, Offenheit sowie Innovationsfreundlichkeit des eigenen Markts in Deutschland und Europa – zudem können weitere Märkte außerhalb der USA erschlossen werden. Dies ist notwendig, um künftig weniger stark von politischen Entscheidungen aus den USA beeinflusst zu werden.

Ein zweites Element ist eine konsequente Beschleunigung und Effizienz von Verwaltungsprozessen. Dies hat in der Pharmabranche eine hohe Rendite: Denn Standards sind international harmonisiert und gegenseitig anerkannt. Deshalb ist es ein echter Standortvorteil, wenn beispielsweise die Prozesse der Qualitätssicherung besonders schnell und effizient gestaltet sind. Dies reduziert die Standortkosten, beschleunigt aber auch die Zeit des Produktionsaufbaus und steigert so den Wert von Patenten.

Ein drittes Element sind die konsequente Unterstützung innovativer Forschungsansätze, die Nutzung und Entwicklung neuer digitaler Technologien und die Unterstützung von Hightech-Investitionen. Ein Instrument sind dabei eine weitere Ausweitung der steuerlichen Forschungsförderung, aber auch der Aufbau im internationalen Vergleich einzigartiger Forschungsdatensätze. Gelingt eine schnelle Weiterentwicklung der Pharmastrategie, sind weitere Investitionen der Branche zu erwarten.

Chip-Krise

Empfindlicher Einbruch im Schlussquartal möglich

Nachdem sich die globale Chipkrise der Jahre 2021 bis 2023 allmählich entspannt hatte, drohen mit dem Ausfuhrstopp beim Halbleiterhersteller Nexperia erneut Lieferprobleme. Nexperia zählt zu den weltweit größten Herstellern von Halbleitern, die in vielen Branchen – unter anderem in der Fahrzeugindustrie – zentral und kurzfristig kaum zu substituieren sind. Die in Medien diskutierten Werksschließungen an den Volkswagen-Standorten Wolfsburg und Zwickau könnten erhebliche Auswirkungen auf die Produktion der Branche entfalten – auch wenn sie nur kurzzeitig nötig werden. Das haben die Erfahrungen aus der Coronakrise gezeigt, als im Frühjahr 2020 bei den deutschen Kfz-Herstellern die Bänder stillstanden.

Je nach Szenario drohen aktuell empfindliche Einbußen bei den Herstellern. Aber auch die Zulieferer müssen im Extremfall ihre Produktion entsprechend drosseln. Die Automobilbranche bezieht eine ganze Reihe von Vorleistungen, für die Karosserie etwa von den Metallerzeugern, die fast ein Zehntel ihrer Produktion an die Automobilbranche liefern. Das bedeutet: Bricht die Autoproduktion um die Hälfte ein, bleiben auch sie im schlimmsten Fall vorübergehend auf fünf Prozent ihrer Produktion sitzen. Die drohenden Ausfälle bei den Autobauern strahlen also weit und deutlich spürbar in die deutsche Wirtschaft aus.

Im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion steht derzeit der VW-Konzern, aus dem rund 41 Prozent aller in Deutschland produzierten Pkw stammen. Das Werk in Zwickau produzierte im Jahr 2023 rund 15 Prozent aller Fahrzeuge des VW-Konzerns.(10) Der mögliche vorübergehende Stopp der VW-Golf-Produktion in Wolfsburg würde einen Anteil von etwa 23 Prozent betreffen, während der ebenfalls diskutierte Produktionsstopp des Modells Tiguan rund 13 Prozent ausmachen würde. Zusammengenommen wäre damit etwa die Hälfte der gesamten VW-Pkw-Produktion betroffen – was wiederum rund einem Fünftel der gesamten deutschen Pkw-Produktion entspricht. Zudem könnten Kurzarbeit und Produktionsstopps auf weitere Modelle, Standorte und Hersteller ausgeweitet werden.

Die konkreten Folgen eines Lieferausfalls lassen sich derzeit nur näherungsweise und unter einer Reihe von Annahmen abschätzen. Dies betrifft in erster Linie die Dauer und den Umfang der Produktionseinschränkungen, die Ausstrahlwirkungen entlang der Wertschöpfungskette und die Frage, in welchem Umfang die Produktion kurzfristig nachgeholt werden kann. In einem Szenario I „Schadensbegrenzung“ wird unterstellt, dass sich die Einschränkungen auf VW in dem oben genannten Umfang konzentrieren, es zwar gelingt, die Lieferengpässe auf politischer Ebene innerhalb kurzer Zeit (konkret: zwei Wochen) zu beenden, aber die Produktionsausfälle in diesem Jahr nicht aufgeholt werden können. Szenario II „breite Wirkung“ geht davon aus, dass die gesamte Branche ihre Produktion um 50 Prozent reduzieren muss, der Konflikt erst nach intensiven Verhandlungen beigelegt werden kann, die Produktion für fünf Wochen (bis Ende November) gedrosselt wird und die Produktionsausfälle nicht kurzfristig aufgeholt werden. Das Szenario III „Eskalation“ unterstellt wiederum eine branchenweite Drosselung der Produktion um 50 Prozent, und dass, weil es bis zum Jahresende keine Einigung gibt, die Produktionseinschränkungen für die verbleibenden zehn Wochen des Jahres anhalten. Die Szenarienbetrachtung beschränkt sich auf den Automobilsektor. Kommen Einschränkungen in weiteren Wirtschaftszweigen hinzu, entstünden zusätzliche negative Impulse für die deutsche Wirtschaft. Die Auswirkungen auf die Zulieferer der Automobilbranche werden auf Basis von Input-Output-Beziehungen abgeschätzt.

Deutschland wird den meisten Prognosen zu Folge im Jahr 2025 kein spürbares Wirtschaftswachstum erfahren und voraussichtlich gar stagnieren (siehe Tabelle oben "Eckdaten der Prognose für Deutschland"). Ein Einbruch bei der Kfz-Produktion könnte – je nach Szenario – Deutschland das dritte Jahr in Folge in die Rezession drücken. Die wirtschaftlichen Folgen eines Produktionsstopps in der Automobilindustrie wären aber auch schon bei kürzeren Unterbrechungen in den Quartalsraten sichtbar: Der Zuwachs der Wirtschaftsleistung im Schlussquartal 2025 fiele im optimistischen Szenario I um knapp − 0,2 Prozentpunkte geringer aus (als die bislang zu erwartenden + 0,1 Prozent, vgl. Tabelle oben "Entwicklung der deutschen Wirtschaft"). Würde der Produktionsstopp eine breite Wirkung entfalten (Szenario II), wären es gut ein Prozentpunkt und im Falle einer Eskalation (Szenario III) sogar nahezu zwei Prozentpunkte. Selbst auf das Gesamtjahr gerechnet wären diese Effekte spürbar – sie lägen grob zwischen − 0,05 und − 0,5 Prozentpunkten (Abbildung unten). Zu rund zwei Dritteln ginge dies auf den direkten Rückgang der Automobilproduktion zurück, das verbleibende Drittel fällt aufgrund der gebremsten Produktion bei den Zulieferern an – sofern, wie unterstellt, die heimische Herstellung aller Vorleistungen eingestellt wird. In der Automobilindustrie spielt diese Art der „just in time Produktion“ nämlich eine große Rolle, um Lager- und Logistikkosten zu senken. Dieses Prinzip dürfte sich auch bei den Zulieferern fortsetzen, Produktionseinschränkungen wirken sich dann in der Breite unmittelbar aus.

Dabei sind die Wirtschaftszweige unterschiedlich stark betroffen (Tabelle unten). Insgesamt müsste die Industrie einen Produktionsrückgang von − 0,6 bis − 7,0 Prozent verkraften. Die größten Einbrüche entstünden naturgemäß in der Automobilbranche selbst. Im Falle einer eng begrenzten Auswirkung der Chip-Knappheit würde deren Produktionsleistung im vierten Quartal um − 3,3 Prozent sinken. Im Szenario einer Eskalation wären es rund 37,5 Prozent. Bei den Zulieferern wären relativ am stärksten die Kunststoff- und Metallbranchen betroffen, gefolgt von der Elektroindustrie, wären. Zu beachten ist: Sobald die benötigten Chips wieder verfügbar sind oder anderweitig ersetzt werden können, könnten die Hersteller versuchen, die ausgefallene Produktion möglichst rasch – und im günstigsten Fall vollständig – nachzuholen.

Tabelle: Rückgang der Produktion im 4. Quartal 2025

Die drohenden Verwerfungen wegen des Ausfalls eines Lieferanten von vergleichsweise einfachen elektronischen Bauteilen und Chips zeigen erneut, wie verwundbar die deutsche Industrie aufgrund strategischer Abhängigkeiten ist. Ähnliche Risiken schlummern in zahlreichen Bereichen, wie jüngst auch in der strengeren Ausfuhr seltener Erden aus China deutlich wurde oder beim Stopp von Energielieferungen aus Russland zu erfahren war. Dies betrifft zudem zahlreiche Vorleistungen für die Industrie, digitale Dienstleistungen aber auch lebenswichtige Produkte wie Arzneimittel und Medizintechnik. Nicht zuletzt im Zugang zu Schlüsseltechnologien gibt es erhebliche Risiken, die durch eine Stärkung der Souveränität Deutschlands und Europas adressiert werden müssen.

Fußnoten:

(1) Wachstumsraten von EU-27, UK, Schweiz, Norwegen, Russland, Türkei, USA, Kanada, Brasilien, Mexiko, Argentinien, Peru, Kolumbien, Chile, Japan, China ohne Hongkong, Südkorea, Indien, Indonesien, Taiwan, Thailand, Malaysia, Singapur, Philippinen, Hongkong; mit ihren BIP-Anteilen (an der Summe) gewichtet

(2) Vgl. Fußnote 1, insbesondere Kapitel 5.

(3) Simulationen des Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel) zufolge treffen die US-Zölle die USA selbst sogar am härtesten; vgl. die diesbezügliche Pressemitteilung des IfW Kiel vom 3. April 2025, online verfügbar.

(4) García Herrero, A., Schindowski, R. (2024): „Unpacking China’s industrial policy and its implications for Europe“, Bruegel Working Paper 11/2024, online verfügbar.

(5) Matthes, J. und E. Schmitz (2024): „Konkurrenzdruck aus China für deutsche Firmen – Ergebnisse einer Unternehmensumfrage“, IW-Report Nr. 30, Institut der deutschen Wirtschaft, Köln. Online verfügbar.

(6) Schneemann, C., Mönnig, A., Maier, T., Weber, E., Zenk, J. und Zika, G. (2025): „Die Auswirkungen von Zöllen der USA auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt in Deutschland“, IAB-Forschungsbericht 09/2025, online verfügbar.

(7) Allerdings gilt diese Einschränkung auch für die besonders positiven Juli-Zahlen. Alles in allem haben wohl insbesondere die Werksferien dazu geführt, dass die amtlichen Zahlen den Juli zu gut und im Gegenzug den August zu schlecht darstellen. Mit einem spürbaren Schub im September dürfte die Produktion auf ein unverzerrtes Niveau zurückfinden.

(8) Laut Berechnung des ifo-Instituts mit einem Handelsmodell ist die deutsche Pharmabranche im Industrievergleich mit Abstand am härtesten getroffen. Vgl. Baur, A., Flach, L., und Scheckenhofer, L. (2025): „Von Zolllücken und Zolleffekten: Trumps Handelspolitik 2.0 und ihre Folgen für die deutsche Wirtschaft“, ifo Schnelldienst, 78(06), online verfügbar

(9) Mit dem PreCheck-Programm der Federal Drug Administration (FDA) sollen Neuinvestitionen erleichtert und Zeit zwischen Investitionsentscheidung und Produktionsstart erheblich reduziert werden. Zudem soll ein Fast-Track Programm die Zulassung generischer Arzneimittel aus US-Produktion deutlich beschleunigen.

(10) Puls, Thomas (2024): „Die Automobilindustrie im Jahr 2024“. IW-Report 38/2024. Köln: Institut der deutschen Wirtschaft, online verfügbar.

Autor:

Dr. Claus Michelsen
Geschäftsführer Wirtschaftspolitik
Dr. Claus Michelsen

Telefon 030 20604-120

c.michelsen@vfa.de

Co-Autor:

Dr. Simon Junker
Senior Manager Konjunkturpolitik
Dr. Simon Junker

Telefon 030 20604-511

s.junker@vfa.de

Pressekontakt:

Henrik Jeimke-Karge
Pressesprecher Wirtschaftspolitik
Henrik Jeimke-Karge

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