Drucken
öffnen / schließen
Wenn Sie diese Felder durch einen Klick aktivieren, werden Informationen an Facebook, Twitter oder Google in die USA übertragen und unter Umständen auch dort gespeichert. Näheres erfahren Sie hier: https://www.heise.de/ct/artikel/2-Klicks-fuer-mehr-Datenschutz-1333879.html

#MacroScopePharma 06/25

Der Economic Policy Brief des vfa



Unternehmensgründungen: Deutschland braucht mehr Entrepreneure


Deutschland braucht dringend wirtschaftliche Erneuerung. Ein wichtiger Baustein dafür ist, dass junge und innovative Unternehmen auf den Plan treten und Firmen ersetzen, deren Geschäftsmodell heute nicht mehr wirtschaftlich ist. Im internationalen Vergleich ist Deutschland für junge Unternehmen aber eher ein „cold spot“ - sie gründen häufiger an anderen Orten. Dennoch: Auch in Deutschland zeichnet sich ein erforderlicher, sektoraler Wandel in der Unternehmenslandschaft ab. Gerade in den Schlüsselindustrien des Landes braucht es aber mehr Dynamik, damit neue und vielversprechende Unternehmen entstehen.

Gründungen seit langer Zeit rückläufig – Zahl der Unternehmen wächst trotzdem

Bis in die Corona-Krise hinein sanken die Unternehmensgründungen in Deutschland. Dies ist ein Trend, der schon zur Jahrtausendwende einsetzte. Vor rund zwei Jahrzehnten wurden in Deutschland rund 800.000 Unternehmen neu gegründet, danach ging es fast kontinuierlich bergab. Zwar stiegen in den vergangenen beiden Jahren die Neugründungen wieder leicht, dennoch waren es im vergangenen Jahr rund ein Viertel weniger als damals.(4) Da jedoch auch die Geschäftsaufgaben im gleichen Zeitraum sanken, nahm die Zahl der Unternehmen per Saldo zu (Abbildung unten).

Dabei ist eine Entwicklung beachtenswert: Unter den Gründungen im Jahr 2024 kommt, mit Blick auf Rechtsform und Beschäftigtenzahl, rund 120.900 Betrieben eine größere wirtschaftliche Bedeutung zu (kein Nebenerwerb, vgl. zur Box unten). In dieser Gruppe entspricht dies im Vergleich zum Jahr 2005 sogar einem Rückgang um 31 Prozent. Unter den Gründungen finden sich somit zunehmend Nebentätigkeiten, während mehr und mehr wirtschaftlich relevante Gründungen fehlen.

In den Corona-Jahren 2020 bis 2022 haben umfangreiche staatliche Stützungsprogramme viele Schließungen verhindert – deren Zahl nahm vorübergehend deutlich ab. In den vergangenen beiden Jahren hat sich dies normalisiert – 2024 gab es genauso viele (wirtschaftlich bedeutende) Schließungen wie 2019, im Jahr vor der Pandemie.

Zahl der Industrieunternehmen sinkt

In der Industrie hat sich das Blatt dagegen gewendet: Bereits seit 2013 übersteigt die Zahl der Schließungen die der Neugründungen (Abbildung unten). Dies ist deshalb bemerkenswert, weil gleichzeitig die industrielle Wertschöpfung durchaus noch beträchtliche Zugewinne verzeichnete. Die schon früh ausbleibende Gründungsdynamik deutet darauf hin, dass in zentralen Bereichen der Industrie die Erneuerung zu kurz kommt. Heute steht die Industrie auch aus anderen Gründen erheblich unter Druck.

Zwischen den Jahren 2018 und 2021 gab es zusammengenommen rund anderthalb Tausend mehr Gründungen als Geschäftsaufgaben, größtenteils geht auch dies allerdings auf die Stützungsmaßnahmen während der Corona-Pandemie zurück, die Geschäftsaufgaben verhinderten. Dies zeigt sich daran, dass in den Jahren 2020 und 2021 selbst Branchen, in denen die Zahl der Unternehmen seit Langem per Saldo schrumpft, vorübergehend ins Plus drehten. So hat etwa die Lebensmittelindustrie zwischen 2011 und 2019 jedes Jahr im Schnitt rund 250 weniger Gründungen als Schließungen verzeichnet (Abbildung unten, vgl. die orangenen Balken), 2020/21 war es nahezu umgekehrt (plus 200). Ebenso ist die Druckerei strukturell im Minus. In den übrigen Branchen überwogen die Gründungen, absolut betrachtet besonders im Maschinenbau, der Elektroindustrie und den übrigen (nicht näher aufgegliederten) Branchen.

Pharma: Hohe Erneuerungsdynamik bei den Unternehmen

Der strukturelle Wandel schlägt sich im Gründungsgeschehen nieder: Branchen, die international hohem Konkurrenzdruck ausgesetzt sind und tendenziell hierzulande an Bedeutung verlieren(5) , verzeichnen seit Jahren mehr Schließungen als Gründungen (Abbildung unten). Die Gründungs- und Schließungsraten berücksichtigen hierbei die Branchengröße: Die Zahl der Gründungen und Schließungen wird in Relation zur Zahl der Unternehmen je Branche betrachtet. Per Saldo gab es zuletzt vor allem in wenig produktiven Branchen Rückgänge, während die produktivsten Branchen am dynamischsten zulegten. So weist die Pharmabranche mit rund 185.000 Euro je Erwerbstätigen die zweithöchste Produktivität auf. Auf Platz ein liegt bei dieser Größe die in vielerlei Hinsicht besondere Mineralölindustrie. In der Pharmabranche übersteigt die Gründungsrate die Schließungsrate mit gut zwei Prozentpunkten im Industrievergleich am deutlichsten.

Für eine prosperierende Wirtschaft ist nicht allein entscheidend, dass die Gründungsraten in den relevanten Branchen über den Schließungsraten liegen. Gäbe es keine Schließungen, reichten auch wenige Gründungen aus, um eine positive Differenz aufzuweisen. In einem Umfeld mit relativ vielen Schließungen ginge dieselbe Differenz mit einer entsprechend höheren Gründungsrate einher. Per Saldo würde die Branche in beiden Fällen zwar im selben Tempo wachsen. Der entscheidende Unterschied ist aber, dass sich die Branche im zweiten Fall stetig erneuert: Bei gleicher Unternehmenszahl (im Vergleich zum ersten Fall) scheiden alte Geschäftsmodelle zugunsten junger, innovativer Unternehmen aus. Die Branche modernisiert sich rascher. Es kommt also auf zweierlei an: Innovative Branchen sollten per Saldo wachsen (Abbildung unten; dort sind dies alle Branchen unterhalb der 45°-Linie), sich aber auch hinreichend modernisieren (in der Abbildung: möglichst weit rechts liegen). Dies gilt in Deutschland nur noch für wenige Branchen.

Insolvenzen: Pleiten ziehen nach der Corona-Krise an

Insolvenzen sind eine Teilmenge der Geschäftsschließungen. Sie liefern aber eine zusätzliche Information: Insolvenzverfahren werden dann durchgeführt, wenn die Zahlungsunfähigkeit droht oder eingetreten ist – oder ein Unternehmen überschuldet ist. Insolvenzen sind daher ein Hinweis darauf, wie tragfähig die Geschäftsmodelle sind. Steigen die Insolvenzzahlen, kann dies als Indikator für zunehmende strukturelle Schwierigkeiten im Geschäftsmodell eines Wirtschaftszweigs gesehen werden.

Im Jahr 2024 gab es mit 21.812 Insolvenzverfahren ein Zehnjahreshoch. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Insolvenzzahlen in den Coronajahren 2020 bis 2022 aufgrund wirtschaftspolitischer Unterstützung mit jeweils etwa nur 15.000 Insolvenzen erheblich niedriger als üblich ausfielen (Abbildung unten). Nun haben sie zum zweiten Mal in Folge mit Zuwächsen von 22 Prozent deutlich zugelegt. Abzuwarten bleibt, ob sich diese nun auf dem Vorkrisenniveau einpendeln. Dass sie spätestens im vergangenen Jahr dann oberhalb des Trends lagen, der nach der Finanzkrise 2009 klar abwärts verlief, spricht für Nachholeffekte: Unternehmen, die in den vergangenen Jahren ohne Pandemie ohnehin pleite gegangen wären, geraten in einer Phase, in der mit der Coronakrise einhergehende Maßnahmen ausgelaufen sind, in Schieflage.

Besonders in der Baubranche kommt es üblicherweise häufig zu Insolvenzen (Abbildung unten)(6) .

Aber auch die Bereiche Handel, Verkehr und Gastgewerbe, die unternehmensnahen Dienstleister sowie die Industrie tragen typischerweise besonders stark zu den Insolvenzzahlen bei. In der Industrie sind vor allem die Hersteller von Metallerzeugnissen, Lebensmitteln und Maschinen von Insolvenzen betroffen (Abbildung unten).

Gemessen an der Branchengröße (Insolvenzen bezogen auf die Unternehmenszahlen) sind am stärksten die Bekleidungs- und die Holzindustrie betroffen (Abbildung unten). In der Textilbranche fallen derzeit zudem noch deutlich mehr Insolvenzen an als im Branchendurchschnitt (21 Prozent im Vergleich zu sonst 13 Prozent).

Fazit: Gründungsdynamik anschieben

Deutschland braucht mehr Dynamik in der Veränderung der Unternehmenslandschaft. Vor allem Gründungen sind gefragt, damit die notwendige Erneuerung der Wirtschaftsstruktur Fahrt aufnimmt und neue, innovative Produkte den Weg in die Wertschöpfung finden. Gelingt dies nicht, dürfte der Standort hinter dem Wachstum anderer großer Wirtschaftsräume zurückbleiben.

Die Gründe für die geringe Dynamik sind vielfältig. Sie reichen von fehlender Risikobereitschaft über Fragen der Finanzierung bis zu bürokratischen Hindernissen. Nach wie vor haben Deutschland und Europa große Nachteile im Bereich des Risikokapitals und der Marktgröße. Junge Unternehmen können in beispielsweise in den USA auf einen Schlag einen Markt mit mehr als 300 Millionen Menschen erreichen. Gleichzeitig gibt es einen großen Markt für Wagniskapital, der die Finanzierung erleichtert. Gerade in neuen Technologiefeldern, wo die europäische Regulierung noch weitgehend dezentral erfolgt, fehlt Entrepreneuren in Europa ein schneller und großer Marktzugang. Für innovative Schlüsselindustrien wie die Pharmabranche, die häufig neue Produkte und Produktionsverfahren entwickeln, ist dies eine große Hürde. Auch die Risikokapitalfinanzierung wird durch nationale Grenzen gebremst. Der Ansatz, mit der Agentur für Sprunginnovationen (SPRINT) hierzulande für mehr Risikokapital zu sorgen, ist richtig. Gelingen sollte aber die Kapitalmarktunion, um die Finanzierungsbedingungen strukturell zu verbessern.

Ein weiterer Faktor ist die Durchlässigkeit zwischen öffentlichen Forschungseirichtungen und Wirtschaft. Wissenschaftliche Karrieren verlaufen häufig in abgeschotteten Systemen mit stark formalisierten Qualifikationswegen, die wenig Schnittstellen zur Privatwirtschaft bieten und kaum Anreize zur Kommerzialisierung von Forschungsergebnissen setzen. Gleichzeitig herrscht in Unternehmen oft Skepsis gegenüber reinen Forschungslaufbahnen. Diese Trennung führt dazu, dass potenzielle Gründer:innen diesen Schritt nicht wagen. Zudem fehlt es in vielen wissenschaftlichen Einrichtungen an systematischer Gründungsförderung, an Netzwerken mit Industriepartnern sowie an Kenntnissen über marktorientierte Innovationsprozesse. Dies erschwert den Transfer von exzellentem Forschungswissen in marktfähige Produkte und innovative Unternehmensgründungen, was die Entstehung eines dynamischen Start-up-Ökosystems in Deutschland nachhaltig ausbremst.

Auch im Bereich der Bürokratie gibt es offensichtliche Nachteile: Bis in das Jahr 2021 wurde von der Weltbank erhoben, wie komplex es ist, ein Unternehmen zu gründen. Deutschland ist in diesem Ranking auf dem 125. Platz gelistet, weit hinter vielen anderen Industrieländern. Auch wenn derartige Rankings immer stark vereinfachend sind, so geben sie dennoch einen Hinweis auf Schwächen des Standorts. Die bürokratischen Hürden abzubauen ist wie in vielen anderen Feldern der Wirtschaftspolitik ein Schlüssel, um die Effizienz zu steigern und attraktiver für innovative Gründungen zu werden.

Die Grundlagen für neue Geschäftsideen sind allerdings gut: Gerade im industriellen Bereich gibt es eine große Kompetenz in der Produktentwicklung und auch bei Innovationsprozessen im Bereich der Produktionstechnologie. Diese Stärken sind auch in der Wissenschaft vorhanden. Das Feld für junge Unternehmen zu verbessern, ist daher durchaus erfolgversprechend. Zudem wäre der gesamtwirtschaftliche Ertrag langfristig hoch.

Fußnoten:

(1) EFI Kommission (2025), Jahresgutachten 2025, Kapitel B1: Transformativer Strukturwandel durch Digitalisierung und Dekarbonisierung, online verfügbar.

(2) Gottschalk, S., & Hottenrott, H. (2024). Das Gründungsgeschehen in Deutschland. Wirtschaftsdienst, 104(1), 64-66, online verfügbar.

(3) Röhl, K. H., & Heuer, L. (2021). Unternehmensgründungen und Wirtschaftswachstum im internationalen Vergleich: Inwieweit dienen Gründungen und Venture Capital als Wachstumstreiber? (No. 44/2021). IW-Report, online verfügbar.

(4) Im Jahr 2005 erreichten die Neugründungen einen Höchststand von 819,520, 2024 waren es 594,515, also 27 Prozent weniger.

(5) Michelsen, C. und Junker, S. (2024). Industriebeschäftigung: Der Strukturwandel ist eine Chance, MacroScope Pharma, Economic Policy Brief des vfa Nr. 05/24, online verfügbar.

(6) Ein Insolvenzverfahren wird mangels Masse abgewiesen, wenn das Vermögen des Schuldners nicht ausreicht, um die Kosten des Insolvenzverfahrens zu decken.

Autor:

Dr. Claus Michelsen
Geschäftsführer Wirtschaftspolitik
Dr. Claus Michelsen

Telefon 030 20604-120

c.michelsen@vfa.de

Co-Autor:

Dr. Simon Junker
Senior Manager Konjunkturpolitik
Dr. Simon Junker

Telefon 030 20604-511

s.junker@vfa.de

Pressekontakt:

Henrik Jeimke-Karge
Pressesprecher Wirtschaftspolitik
Henrik Jeimke-Karge

Telefon 030 20604-205

h.jeimke-karge@vfa.de