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Fehlentwicklungen nach AMNOG-Reform

Im Herbst 2022 wurde mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz eine Reform des AMNOG verabschiedet. In der Umsetzungspraxis zeigen sich nun eklatante Probleme für die Versorgung und die Glaubwürdigkeit und Akzeptanz des gesamten Verfahrens.

Ausgehend von eienr Fesnterbank zieht sich ein Riss durch die Hausfassade.

Neue Arzneimittel werden in Deutschland seit 2011 durch das AMNOG reguliert. AMNOG steht für „Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz“ und meint ein Verhandlungsverfahren der Preisbildung auf Basis einer umfassenden Zusatznutzenbewertung, die der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) durchführt. Forschende Arzneimittelhersteller und Krankenkassen konnten, so das ursprüngliche Kernprinzip des AMNOG, immer dann höhere Preise im Vergleich zur bisherigen Standardtherapie verhandeln, wenn die neuen Medikamente im Rahmen ihrer Bewertung zeigen konnten, dass sie eine Verbesserung darstellen – in anderen Fällen nicht. Auf den Punkt gebracht: Das AMNOG ermöglichte über viele Jahre einen Preis entsprechend dem therapeutischen Zusatznutzen.

Dieses Verfahren der Preisbildung hatte sich über die Jahre recht gut eingespielt. In rund 9 von 10 Fällen konnten sich GKV-Spitzenverband und pharmazeutische Unternehmen auf einen Erstattungsbetrag verständigen. Die Schiedsstelle musste nur selten eingreifen. Der Rahmen für eine nutzenbasierte Preisbildung war somit für alle Seiten grundsätzlich gegeben. Dadurch wurden positive Anreize für eine schnelle Markteinführung und Versorgung mit innovativen Arzneimitteln gesetzt. Hier war Deutschland bis zuletzt führend in Europa. Zugleich konnten die Arzneimittelausgaben über alle zurückliegenden Jahre stabil gehalten werden. Die durch das AMNOG realisierten Einsparungen erhöhten sich mit der wachsenden Zahl der Verfahren von Jahr zu Jahr.

Bereits seit einiger Zeit geriet diese Balance jedoch ins Wanken. Ein therapeutischer Mehrwert konnte in vielen Fällen, insbesondere bei besonderen Therapiesituationen, durch starre AMNOG-Vorgaben nicht adäquat abgebildet werden. Dies führte in einigen Fällen dazu, dass keine angemessenen Rahmenbedingungen für die anschließende Verhandlung bestanden und die Vermarktung der Arzneimittel in Deutschland beendet werden musste.

Umsetzung bei Arzneimittelkombinationen: zulassungswidrig, unrechtmäßig und medizinisch abwegig

AMNOG-Leitplanken treffen die Falschen und gefährden die Versorgung

Zu weiteren Fehlentwicklungen führen, die im Gesetz verankerten, neuen AMNOG-Regeln (sog. AMNOG-Leitplanken), die eine angemessene Vergütung des Zusatznutzens in vielen Fallkonstellationen von nun an verhindern. Am Beispiel des Wirkstoffes Trastuzumab-Deruxtecan zur Behandlung von Patient:innen mit einem fortgeschrittenen Brustkrebs, der gerade die Nutzenbewertung durchlaufen hat, zeigt sich die Fehlwirkung dieser neuen gesetzlichen Vorgaben. Das Arzneimittel zeigt in der Zweitlinien-Behandlung insgesamt sehr deutliche Vorteile beim Gesamtüberleben und bei schweren Nebenwirkungen - in der bisherigen G-BA-Praxis ein klarer Fall eines beträchtlichen Zusatznutzens. Unerwartet stuft der G-BA hier jedoch den Zusatznutzen als nicht-quantifizierbar ein.(1) Durch diese Einstufung fällt das Arzneimittel in der Zweitlinie unter die neuen starren Preisregelungen des GKV-FinStG, die eine Übersetzung des Zusatznutzens in einen höheren Preis verhindert. Dies wiederum kann zu erheblichen Hürden für eine erfolgreiche Preisverhandlung für dieses international anerkannte Medikament führen - ein dramatisches Signal für die zukünftigen Investitionen in die Forschung und Entwicklung neuer Arzneimittel.

Ein weiteres Beispiel ist die Nicht-Einführung der Fixkombination aus Nivolumab und Relatlimab zur Erstlinienbehandlung fortgeschrittener Melanome bei Erwachsenen und Jugendlichen ab 12 Jahren in Deutschland. Die duale Immuntherapie zeigt zwar deutliche Vorteile bei der Verbesserung des progressionsfreien Überlebens (PFS), hierzulande wird jedoch PFS nicht als patientenrelevanter Endpunkt anerkannt. Zusammen mit den neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen kann damit der Wert dieses innovativen Therapieansatzes nicht mehr widergespiegelt werden. Für diese Kombinationstherapie sieht die aktuelle Bewertung des Innovationsgrads durch die europäische Fachgesellschaft 3 von 5 möglichen Punkten.

Ähnliches gilt auch für die Nicht-Einführung des Wirkstoffes Lenacapavir zur Therapie vorbehandelter Patienten mit multiresistenter HIV-Infektion. Der große klinische Nutzen, den das Produkt für die Patienten bietet, wird sich sehr wahrscheinlich nicht in einer entsprechenden Bewertung im AMNOG-Verfahren niederschlagen: In Bezug auf die im AMNOG angewandten formalmethodischen Kriterien stellt die Durchführung von nutzenbewertungsrelevanten klinischen Studien bei vorbehandelten Patienten mit multiresistenter HIV-Infektion per se eine große Herausforderung dar. Ebenso wie auch die früheren Studien in dieser Population, erfüllt auch hier die Zulassungsstudie nicht die formalmethodischen Anforderungen der Nutzenbewertung und ist daher mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht nutzenbewertungsrelevant. Die per se schwierigen Rahmenbedingungen wurden durch die Einführung des GKV-FinStG nochmals deutlich verschärft.

Hinzu kommen bekannte Probleme durch das starre Bewertungssystem des AMNOG. Dies zeigt sich zuletzt bei Spesolimab (Spevigo), der ersten zugelassen zielgerichteten Therapie gegen akute Schübe bei generalisierter pustulöser Psoriasis, einer seltenen und potentiell lebensbedrohlichen Erkrankung. In einer formalistischen Bewertung sah der G-BA hier einen Zusatznutzen als nicht belegt an. Dies mit der Folge, dass das Arzneimittel in Deutschland nicht mehr erhältlich sein wird.

Korrektur dringend erforderlich

Die durch das GKV-FinStG erfolgten Eingriffe und seine aktuelle Umsetzungspraxis gefährden somit unnötig die Balance von guter Versorgung und Kostenkontrolle im AMNOG. Dies zeigt sich auch in der Evaluation der Auswirkungen des GKV-FinStG (oder komplette Langversion als PDF) auf die Versorgung und den Wirtschaftsstandort. Erforderlich ist eine politische Kurskorrektur. Anderenfalls riskiert die Gesundheitspolitik, die Glaubwürdigkeit des AMNOG-Verfahrens, aber vor allem die bisherige Vorbildstellung des deutschen Gesundheitssystem bei der Versorgung mit innovativen Arzneimitteln und zu verspielen.

(1) Begründet wird der G-BA-Beschluss mit der formalen Unsicherheit in Bezug auf die Quantifizierung, da sich in einer Subgruppenanalyse der randomisierten Zulassungsstudie Überlebensvorteile (vom erheblichen Ausmaß laut IQWiG) für die größere Gruppe der Personen unter 65 Jahren zeigen, während für Personen, die 65 Jahre oder älter sind, der Effekt nicht signifikant ist. Dies widerspricht der Sichtweise der ESMO, die den Innovationsgrad mit 4 von 5 Punkten eingestuft hat. Laut der DGHO löst das Arzneimittel aufgrund der Studienergebnisse in Deutschland sogar den bisherigen Therapiestandard in dieser Indikation ab. Für die Subgruppenbefunde gibt es hingegen keine biologische Rationale.