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Fehlentwicklungen nach AMNOG-Reform

Mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz wurde eine Reform des AMNOG verabschiedet. Anstatt bestehende Webfehler zu beheben, wurden damit massive Verschärfungen vorgenommen. In der Umsetzungspraxis zeigen sich nun zunehmende Probleme für die Versorgung mit nachhaltiger Fehlsteuerung.

Ausgehend von eienr Fesnterbank zieht sich ein Riss durch die Hausfassade.

Neue Arzneimittel werden in Deutschland seit 2011 durch das AMNOG reguliert. AMNOG steht für „Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz“ und meint ein Verhandlungsverfahren der Preisbildung auf Basis einer umfassenden Zusatznutzenbewertung, die der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) durchführt. Forschende Arzneimittelhersteller und Krankenkassen konnten, so das ursprüngliche Kernprinzip des AMNOG, immer dann höhere Preise im Vergleich zur bisherigen Standardtherapie verhandeln, wenn die neuen Medikamente im Rahmen ihrer Bewertung zeigen konnten, dass sie eine Verbesserung darstellen – in anderen Fällen nicht. Auf den Punkt gebracht: Das AMNOG ermöglichte es zumeist, trotz einiger Webfehler, über viele Jahre einen Preis entsprechend dem therapeutischen Zusatznutzen zu verhandeln.

Dieses Verfahren der Preisbildung hatte sich über die Jahre eingespielt. In rund 9 von 10 Fällen konnten sich GKV-Spitzenverband und pharmazeutische Unternehmen auf einen Erstattungsbetrag verständigen. Die Schiedsstelle musste nur selten eingreifen. Der Rahmen für eine nutzenbasierte Preisbildung war somit für alle Seiten grundsätzlich gegeben. Dadurch wurden positive Anreize für eine schnelle Markteinführung und Versorgung mit innovativen Arzneimitteln gesetzt. Hier war Deutschland bis zuletzt führend in Europa. Zugleich konnten die Arzneimittelausgaben über alle zurückliegenden Jahre stabil gehalten werden. Die durch das AMNOG realisierten Einsparungen erhöhten sich mit der wachsenden Zahl der Verfahren von Jahr zu Jahr.

AMNOG-Leitplanken treffen die Falschen und gefährden die Versorgung

Zu massiven Fehlentwicklungen führen, die im Gesetz verankerten, neuen AMNOG-Regeln (sog. AMNOG-Leitplanken), die eine angemessene Vergütung des Zusatznutzens in zahlreichen Fällen verhindern.

Auffällig ist dabei, dass sich der Anteil der Verfahren mit einem mindestens beträchtlichen Zusatznutzen im zurückliegenden Jahr 2023 nahezu halbiert hat. Direkt nach dem Inkrafttreten der Verschärfungen durch das GKV-FinStG am Ende des Jahres 2022 ist diese Entwicklung besonders alarmierend. Die Tendenz könnte ein Anzeichen dafür sein, dass die G-BA-Bewertungen den Fehlanreizen der AMNOG-Leitplanken ausgesetzt sind. Dies wäre genau die befürchtete Fehlsteuerung dieses Instruments: weniger statt mehr Forschungsanreize.

Am Beispiel des Wirkstoffes Trastuzumab-Deruxtecan zur Behandlung von Patient:innen mit einem fortgeschrittenen Brustkrebs, der nach dem GKV-FinStG die Nutzenbewertung durchlaufen hat, zeigt sich die Fehlwirkung dieser neuen gesetzlichen Vorgaben. Das Arzneimittel zeigt in der Zweitlinien-Behandlung insgesamt sehr deutliche Vorteile beim Gesamtüberleben und bei schweren Nebenwirkungen - in der bisherigen G-BA-Praxis ein klarer Fall eines beträchtlichen Zusatznutzens. Unerwartet stuft der G-BA hier jedoch den Zusatznutzen als nicht-quantifizierbar ein.(1) Durch diese Einstufung fällt das Arzneimittel in der Zweitlinie unter die neuen starren Preisregelungen des GKV-FinStG, die eine Übersetzung des Zusatznutzens in einen höheren Preis verhindert. Dies wiederum kann zu erheblichen Hürden für eine erfolgreiche Preisverhandlung für dieses international anerkannte Medikament führen - ein dramatisches Signal für die zukünftigen Investitionen in die Forschung und Entwicklung neuer Arzneimittel.

Ein weiteres Beispiel ist die Nicht-Einführung der Fixkombination aus Nivolumab und Relatlimab zur Erstlinienbehandlung fortgeschrittener Melanome bei Erwachsenen und Jugendlichen ab 12 Jahren in Deutschland. Die duale Immuntherapie zeigt zwar deutliche Vorteile bei der Verbesserung des progressionsfreien Überlebens (PFS), hierzulande wird jedoch PFS nicht als patientenrelevanter Endpunkt anerkannt. Zusammen mit den neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen kann damit der Wert dieses innovativen Therapieansatzes nicht mehr widergespiegelt werden. Für diese Kombinationstherapie sieht die aktuelle Bewertung des Innovationsgrads durch die europäische Fachgesellschaft 3 von 5 möglichen Punkten.

Ähnliches gilt auch für die Nicht-Einführung des Wirkstoffes Lenacapavir zur Therapie vorbehandelter Patienten mit multiresistenter HIV-Infektion. Der große klinische Nutzen, den das Produkt für die Patienten bietet, wird sich sehr wahrscheinlich nicht in einer entsprechenden Bewertung im AMNOG-Verfahren niederschlagen: In Bezug auf die im AMNOG angewandten formalmethodischen Kriterien stellt die Durchführung von nutzenbewertungsrelevanten klinischen Studien bei vorbehandelten Patienten mit multiresistenter HIV-Infektion per se eine große Herausforderung dar. Ebenso wie auch die früheren Studien in dieser Population, erfüllt auch hier die Zulassungsstudie nicht die formalmethodischen Anforderungen der Nutzenbewertung und ist daher mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht nutzenbewertungsrelevant. Die per se schwierigen Rahmenbedingungen wurden durch die Einführung des GKV-FinStG nochmals deutlich verschärft.

Hinzu kommen bekannte Probleme durch das starre Bewertungssystem des AMNOG. Dies zeigt sich zuletzt bei Spesolimab (Spevigo), der ersten zugelassen zielgerichteten Therapie gegen akute Schübe bei generalisierter pustulöser Psoriasis, einer seltenen und potentiell lebensbedrohlichen Erkrankung. In einer formalistischen Bewertung sah der G-BA hier einen Zusatznutzen als nicht belegt an. Auch bei Capmatinib (Tabrecta) zur Behandlung einer spezifischen Form des fortgeschrittenen nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinoms wurde ein Zusatznutzen trotz des hohen therapeutischen Bedarfs und sehr limitierter Behandlungsmöglichkeiten nicht anerkannt. Dies mit der Folge, dass beide Arzneimittel in Deutschland nicht mehr erhältlich sein werden.

Umsetzung bei Arzneimittelkombinationen: evidenzfrei, inkonsistent, fehleranfällig

Fehlentwicklungen zeigen sich aktuell bei der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben für sogenannte Kombinationsarzneimittel, für die ein zusätzlicher Zwangsrabatt von 20 Prozent gelten soll. Der G-BA soll Arzneimittel in seinen Beschlüssen ausweisen, die aufgrund ihrer arzneimittelrechtlichen Zulassung in einer Kombinationstherapie eingesetzt werden können. Zudem soll eine Befreiung von einer solchen Benennung bei einem mindestens beträchtlichem Zusatznutzen ermöglicht werden.

Dieses Vorgehen hat G-BA inzwischen mehrfach innerhalb nur eines Jahres angepasst. Zuletzt wieder im Herbst 2023, nachdem sich zuvor in der Praxis eklatante Mängel aufgezeigt haben. Doch auch nach dieser Anpassung bleibt die Benennung von Kombinationsarzneimittel fehleranfällig und in Teilen medizinisch abwegig:

  • Auch weiterhin sind die Benennungen evidenzfrei: der Stand der medizinischen Erkenntnisse wird offiziell gar nicht erst überprüft. Dies führt zu fiktiven Kombinationen, die nicht anders als medizinisch abwegig zu bezeichnen sind und teils der Zulassung widersprechen. Als Beispiel seien hier angebliche Kombination von zwei Wirkstoffen gleicher Klasse bei Diabetes Mellitus Typ 2 aufzuführen.
  • Auch die gesetzliche Möglichkeit einer Befreiung (für Kombinationen mit einem mindestens beträchtlichen Zusatznutzen) wird inkonsistent umgesetzt und damit in Teilen ausgehebelt. So werden manche Kombinationen trotz des beträchtlichen Zusatznutzens weiterhin vom G-BA benannt.
  • Manche Kombinationen werden benannt, obwohl die Arzneimittel in Deutschland (noch) gar nicht verfügbar sind.
  • Zudem werden bei der Benennung immer noch explizite Warnhinweise für Kombinationen übersehen (wie z.B. im Bereich der HIV-Therapien).

Es zeigt sich, dass Konstrukt der Kombinationsrabattes sich erwartbar zu einem unzähmbaren Bürokratiemonster entwickelt hat. Ohne Aussicht auf Besserung. Die fehlerhaften und abwegigen Benennungen bleiben ein Problem, da sie die Verordner irritieren und zu unhaltbaren Planbarkeitsproblemen für die Unternehmen führen. Die ausstrahlenden Wirkungen auf die Versorgung sind kaum abschätzbar. Dem steht zugleich kein nachvollziehbarer Mehrwert entgegen, da die perspektivisch betroffenen Kombinationsarzneimittel bereits vor dem Gesetz Gegenstand der Bewertung und Verhandlung im AMNOG waren.

Korrektur dringend erforderlich

Die durch das GKV-FinStG erfolgten Eingriffe und seine aktuelle Umsetzungspraxis gefährden somit unnötig die Balance von guter Versorgung und Kostenkontrolle im AMNOG. Dies zeigt sich auch in der Evaluation der Auswirkungen des GKV-FinStG (oder komplette Langversion als PDF) auf die Versorgung und den Wirtschaftsstandort. Erforderlich ist eine politische Kurskorrektur. Anderenfalls riskiert die Gesundheitspolitik, die Glaubwürdigkeit des AMNOG-Verfahrens, aber vor allem die bisherige Vorbildstellung des deutschen Gesundheitssystem bei der Versorgung mit innovativen Arzneimitteln und zu verspielen.

(1) Begründet wird der G-BA-Beschluss mit der formalen Unsicherheit in Bezug auf die Quantifizierung, da sich in einer Subgruppenanalyse der randomisierten Zulassungsstudie Überlebensvorteile (vom erheblichen Ausmaß laut IQWiG) für die größere Gruppe der Personen unter 65 Jahren zeigen, während für Personen, die 65 Jahre oder älter sind, der Effekt nicht signifikant ist. Dies widerspricht der Sichtweise der ESMO, die den Innovationsgrad mit 4 von 5 Punkten eingestuft hat. Laut der DGHO löst das Arzneimittel aufgrund der Studienergebnisse in Deutschland sogar den bisherigen Therapiestandard in dieser Indikation ab. Für die Subgruppenbefunde gibt es hingegen keine biologische Rationale.