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Bereitschaft für die nächste Pandemie: Die internationale Gemeinschaft rüstet sich

Das Risiko neuer Pandemien steigt. Die Hauptursachen sind Zerstörung der Umwelt, globale Erwärmung und zunehmende Globalisierung. Die internationale Gemeinschaft sieht es als notwendig an, sich gemeinsam und effektiv auf künftige Pandemien vorzubereiten. Die G7-Staaten haben gemeinsam mit der Weltgesundheitsorganisation und anderen UN-Organisationen unter Einbeziehung von Forschungseinrichtungen und forschenden Arzneimittelherstellern die Initiative ergriffen: In einem „Pact for Pandemic Readiness“.

Bildschirmansicht eines Weltkartenausschnitts mit Infektions-Kennzahlen für einzelne Regionen

Die Notwendigkeit eines solchen internationalen Paktes ergibt sich zum einen aus den enormen Schäden, die eine Pandemie verursacht: 6,3 Millionen Tote weltweit, 530 Millionen bestätigte Infektionen, gesundheitliche Folgeschäden (Long Covid) und als Folge von Lockdowns ein starker Rückgang der Wirtschaftsleistung, eine Unterbrechung von internationalen Lieferketten sowie massive Langzeitschäden für Kinder und Jugendliche als Folge von Kita- und Schulschließungen. Andererseits steigt die Eintrittswahrscheinlichkeit für zukünftige Pandemien: Der Hamburger Virologe und Tropenmediziner Professor Jonas Schmidt-Chanasit (1) weist auf den eindeutigen Zusammenhang zwischen globaler Umweltzerstörung und Klimaerwärmung und dem Auftreten neuer Infektionsgefahren für den Menschen hin. Er führt Beispiele an:

  • Ebola wurde mitverursacht durch massive Eingriffe des Menschen in den Lebensraum von Wildtieren durch Anlage von Plantagen oder Massentierhaltungen. Erregern, die normalerweise in geschlossenen Ökosystemen leben, gelingt es dann, auf den Menschen der das Nutztier überzuspringen.
  • Wärmere Frühjahrs- und Sommermonate in Deutschland haben dazu geführt, dass zoonotische Erreger, die von Stechmücken übertragen werden, auf dem Vormarsch in Regionen sind, die früher zu kalt waren. Ein Beispiel ist das Usutu-Virus, von dem in Deutschland eine „intensive Zunahme“ im Wege der Übertragung durch Stechmücken beobachtet wird. Hauptsächlich betroffen sind Amseln, aber bei immungeschwächten Menschen kann das Virus Hirnhautentzündungen auslösen.

Neues Risiko: Die globale Erderwärmung

Weil der Klimawandel Realität ist und die Übertragung von Viren auf den Menschen in einer globalisierten Welt und aufgrund notwendiger Sozialkontakte kaum verhindert werden kann, muss zukünftig, so Schmidt-Chanasit, sehr viel schneller reagiert werden als bei der Sars-CoV-2-Pandemie. Das erfordert eine internationale konzertierte Aktion vieler Beteiligter:

  • der Weltgesundheitsorganisation zusammen mit weiteren UN-Organisationen wie die Welternährungsorganisation FAO, das UN-Umweltprogramm UNEP und die Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE),
  • die nationalen Regierungen,
  • der Forschungseinrichtungen und der forschenden Pharmaindustrie

in einem „One-Health-in-All“-Ansatz. Das heißt, dass in einer Strategie für Pandemic Readiness alle Politikbereiche eingebunden werden müssen: neben Gesundheit auch Umwelt, Wirtschaft, Arbeit und Bildung.

Inzwischen haben sich mehrere Dutzend Initiativen gebildet, die – je nach ihrer Kompetenz - das Ziel verfolgen, Krankheitsausbrüche früh zu erkennen und zu überwachen, eine schnelle, entschiedene und koordinierte Antwort auf Gesundheitsgefahren zu geben sowie Tests, Impfstoffe und Therapeutika zu entwickeln. Eine große Bedeutung kommt dabei dem „G7 Pact for Pandemic Readiness“ zu, der zum Ziel hat, die Rolle der WHO maßgeblich zu stärken und die vielfältigen Aktivitäten und Initiativen zu koordinieren. (2) So haben die G7-Gesundheitsminister auf ihrer Konferenz am 19. und 20. Mai 2022 in Berlin ihre Absicht bekräftigt, „die Agilität der WHO“ zu stärken und die Pflichtbeiträge anzuheben.

Collaborative Surveillance: Früherkennung und Überwachung

Das Ziel ist, durch ein systematisches weltweites Monitoring die Reaktionsgeschwindigkeit bei entstehenden Pandemien deutlich zu erhöhen. Die WHO soll dabei in die Lage versetzt werden, kritische epidemiologische Warnzeichen proaktiv und unmittelbar öffentlich zu machen. Eine wichtige Rolle dabei spielt der Im September 2021 in Berlin errichtete „Global Hub for Pandemic und Epidemic Intelligence“, der als globale Drehscheibe für die Pandemie-relevante Datengenerierung und -auswertung fungiert. Das Ziel ist, ein globales Datenökosystem zur Verfügung zu haben, „aus dem wichtige handlungsorientierte Erkenntnisse für Regierungen und Verantwortliche hervorgehen“ (Bundeskanzlerin Angela Merkel im Mai 2021).

Weitere Programmpunkte der Collaborative Surveillance sind:

  • die Bildung und Unterstützung sektorübergreifender Netzwerke zur Genomsequenzierung, um neue Varianten und Krankheitserreger früh bei ihrer Entstehung in Mensch, Tier und Umwelt zu erkennen – eine unabdingbare Voraussetzung zur Entwicklung von Testverfahren, Impfstoffen und Therapeutika;
  • die Stärkung geografisch breit verteilter Kompetenzzentren im globalen Norden und Süden;
  • die Verbesserung strukturierter Aus- und Weiterbildungsnetzwerke mit aktuellen Lehrplänen und gemeinsamen Standards;
  • die Verbesserung von Netzwerken zur Beratung unter Fachkollegen;
  • der Abbau von Barrieren, die das schnelle grenz- und sektorenüberschreitende Teilen von Daten und Proben verhindern.

Schnelle Krisenreaktion: Predictable Rapid Response

Auf der Basis einer besseren, aktuellen weltweiten Surveillance sollen in Kombination mit gestärkter und verbreiterter Expertise künftig schnelle und zuverlässige Krisenreaktionen als „entschiedene und koordinierte Antwort auf Gesundheitsgefahren“ (G7-Zielsetzung) erfolgen. Wichtige Punkte dabei sind:

  • die Einrichtung und Unterstützung professioneller und gut ausgebildeter „Readinesss-Teams“, die in die lokalen Krankheitsüberwachungs- und Reaktionssysteme eingebunden sind und die mit den regionalen oder lokalen Gegebenheiten vertraut sind;
  • die Erhöhung der WHO-eigenen fachlichen Krisenreaktionskapazitäten; dazu gehört die Förderung des Global Outbreak Alert und Response Network, dem mehr als 200 Institutionen angehören wie das US-Center of Disease Control, das Robert Koch-Institut in Deutschland, UNICEF oder Ärzte ohne Grenzen, die ihre Fachkompetenzen in Krisenregionen weltweit zur Verfügung stellen;
  • die Förderung von Forschung und Entwicklung von Tests, Impfstoffen und Therapeutika, die Schaffung regulatorischer Kapazitäten und Produktionsmöglichkeiten.

Die G7-Staaten setzen sich für eine weitere Beschleunigung von Forschung und Entwicklung ein und befürworten den freiwilligen Transfer von Technik und Know how. Ziel ist die sichere Zulassung sowie schnellstmögliche und gleichberechtigte Verfügbarkeit von neuen Interventionen wie Impfstoffen, Diagnostika und Therapeutika. Die Erfahrungen bei der Impfstoff- und Diagnostika-Entwicklung und –Zulassung im Rahmen der Covid-19-Pandemie sollen dabei genutzt werden. Ferner sollen der Ausbau von Forschungs- und Produktionskapazitäten in Ländern mit niedrigem und mittleren Einkommen und die damit in Zusammenhang stehenden Bemühungen der Industrie unterstützt werden.

Noch in diesem Jahr wollen die G7-Staaten als Ergebnis einer dritten Konferenz gemeinsam mit der Weltgesundheitsorganisation und den wichtigsten Akteuren und Experten einen „Fahrplan für die praktische Zusammenarbeit“ beschließen.

Eine Fülle von Initiativen zur künftigen Pandemieabwehr

Vor dem Hintergrund der Covid-19-Pandemie ist in den vergangenen zwei Jahren eine Fülle neuer Institutionen und Initiativen auf nationaler und internationaler Ebene durch Regierungen, Forschung und Industrie entstanden. Kernstück ist ihr kooperativer, sektoren-und disziplinenübergreifender Ansatz mit dem Ziel, auf künftige, wahrscheinlicher werdende Pandemie durch neue Erreger schneller und wirksamer reagieren zu können. Einige wichtige Projekte im Überblick:

Pandemiebereitschaftsverträge

Deutsche Pandemiebereitschaft

Die deutschen Bundesregierung hat noch während der Pandemie 2021 bis 2022 über eine Ausschreibung Unternehmen ausgesucht, die bereit sind, mit ihren Produktionskapazitäten zur Pandemiebereitschaft Deutschlands beizutragen. Die schließlich im Mai 2022 zwischen der Bundesregierung und den Unternehmen BioNTech, CureVac, Wacker/CordenPharma, Celonic und IDT Biologika abgeschlossenen Verträge verpflichten die Unternehmen, Produktionskapazitäten für mRNA-, Vektor- und Protein-basierte Impfstoffe so einzusetzen, dass sie innerhalb von Monaten Impfstoffe gegen den betreffenden Erreger produzieren und ausliefern können. Die Gesamtkapazität geht weit über den Eigenbedarf Deutschlands hinaus.

EU FAB, das Pendant auf EU-Ebene

In ähnlicher Weise hat auch die EU-Kommission 2023 mit "EU FAB" ein Netz von Impfstoffherstellern aufgebaut, das im Notfall schnell Impfstoffe für die die EU herstellen kann. Sie schreibt dazu in einer Pressemitteilung: "EU-FAB hält Produktionskapazitäten vor und begründet ein vorrangiges Anrecht der EU auf die Herstellung von Impfstoffen im Falle künftiger Notlagen im Bereich der öffentlichen Gesundheit. Mit EU-FAB wird eine der wichtigsten Lehren aus der COVID-19-Pandemie gezogen – nämlich, dass es unabdingbar ist, die Produktionskapazitäten zu erhöhen, um die Nachfrage in Europa und weltweit zu befriedigen zu können."

Laut EU-Kommission wird EU-FAB wird in drei Phasen arbeiten:

  • Vorsorgephase: EU FAB reserviert die erforderlichen Produktionskapazitäten.
  • Krisenphase: Nach Feststellung einer Notlage im Bereich der öffentlichen Gesundheit beschließt die Kommission, Impfstoffe zu erwerben und EU-FAB zu aktivieren.
  • Innerhalb eines Jahres nach Beginn der Krisenphase: EU-FAB produziert eine vorab vereinbarte Anzahl von Impfstoffdosen.

Die ausgewählten Impfstoffhersteller sind:

  • für Vektorimpfstoffe: Bilthoven Biologicals B.V
  • für Proteinbasierte Impfstoffe: LABORATORIOS HIPRA S.A, CZ Veterinaria S.A.U. und Laboratorio Reig Jofre SA
  • für mRNA-Impfstoffe: Pfizer Ireland Pharmaceuticals und Pfizer Manufacturing Belgium

Jedes Unternehmen hat zugesagt, jährlich mindestens 50 Millionen Dosen für EU-FAB zu reservieren. Laut EU-Kommissionen werden diese Impfstoffdosen von Anfang bis Ende in der EU hergestellt - in Belgien, Irland, den Niederlanden und Spanien.

Die forschende Pharmaindustrie

Als Reaktion auf die Pandemie hat die Industrie inzwischen eine zweistellige Zahl von Impfstoffen und Therapeutika entwickelt, von denen der erste im Dezember 2020 zugelassen wurde.

Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI).

CEPI, die Koalition für Innovationen in der Epidemievorbeugung, wurde aufgrund unzureichender Vorbereitungen auf die Ebolafieber-Epidemie 2014 und die Zikavirus-Epidemie 2015/16 auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos im Januar 2016 initiiert und formell ein Jahr später gegründet. Gründungsmitglieder waren Norwegen, Indien, Deutschland, der britische Wellcome Trust und die Bill and Melinda Gates Foundation. Das Hauptziel ist die Entwicklung von Impfstoffen, die sich an der WHO-Prioritätenliste orientieren, sowie die Unterstützung technischer Plattformen, die bei Auftreten neuer Epidemien rasch handeln können. Im Rahmen der Covax-Initiative setzt sich CEPI auch für den gerechten Zugang von Entwicklungsländern zu Impfstoffen ein. Das Finanzierungsziel liegt bei 3,5 Milliarden Dollar.

Pandemic Preparedness Partnership (PPP)

Initiator ist die britische Regierung. Ziel auch hier: Durch Kooperation von Industrie, internationalen Organisationen und führenden Wissenschaftlern sollen 100 Tage nach der Ausrufung eines internationalen Gesundheitsnotstands Vakzine, Diagnostika und Therapeutika zur Verfügung stehen.

Die im Mai 2021 entstandene Initiative wurde vom G7-Gipfel (Cornwall 2021) und vom G20-Treffen 2021 unterstützt. Erste Schritte: die Gründung einer Globalen Pandemie-Daten-Allianz und Kooperationen von Industrie und Forschungsinstituten bei Plattformtechnologien wie mRNA oder viralen Vektoren. In diesem Jahr soll darüber entschieden werden, welche Virusfamilien im Fokus der Entwicklung von Prototyp-Impfstoffen stehen sollen. Dazu soll eine Abschätzung möglich werden, wie wahrscheinlich eine bestimmte Virusfamilie den Erreger einer neuen Krankheit X für den Menschen hervorbringt. Daraus folgt eine gemeinsam mit der WHO festgelegte Prioritätenliste.

WHO-Hub for Pandemic and Epidemic Intelligence

Der im September 2021 in Berlin eingerichtete Hub soll mit Hilfe künstlicher Intelligenz Datensätze zu Themenfeldern wie Tiergesundheit, Auftreten ungewöhnlicher Krankheiten bei Menschen, dem Zusammenhang mit dem Klimawandel Modellrechnungen für eine Risikoeinschätzung liefern, die frühe Gegenmaßnahmen ermöglicht. Erfahrungen vorangegangener Pandemien und Epidemien sollen dabei einfließen.

Initiativen für die Entwicklung von Diagnostika und Therapeutika

Die Intrepid-Allianz bringt bringt forschende Pharmaunternehmen zusammen, damit diese gemeinsam mit Non-Profit-Organisationen binnen fünf Jahren 25 orale Therapeutika bis zum Abschluss der Klinische Phase I (Erprobung an Gesunden) entwickeln.

Die Pandemic Antiviral Discovery-Initiative wird von der Novo Nordisk Foundation, Open Philanthropy und der Bill & Melinda Gates Foundation unterstützt. Ziel ist die Erforschung priorisierter Virusgruppen, die Identifikation von therapeutischen Angriffspunkten bei drei dieser Virusgruppen und die Entwicklung von Wirkstoffen bis zur Phase I.

In diese Richtung weist auch das Konzept für eine Nationale Allianz für Pandemie-Therapeutika (NA-PATH) das vom Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) und dem Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) entwickelt wurde. Ziel des NA-PATH-Konzepts ist die Erfindung und Entwicklung breit wirksamer Therapeutika insbesondere gegen drei Familien von RNA-Viren (Influenza, Coronaviren und Flaviviren (wie Zika)) zu fördern, damit im Fall eines entsprechenden Ausbruchs wirksame Therapeutika bereitstehen. Die geplante Produktpipeline erfordert die unmittelbare und intensive Zusammenarbeit der wesentlichen Beteiligten aus der akademischen Wissenschaft, Industrie, regulatorischen Einrichtungen sowie nationalen und internationalen Förderorganisationen und der Politik. Derzeit befindet sich NA-PATH in einer Pilot-Phase.

Die deutsche Fraunhofergesellschaft hat im Mai 2022 einen Standort für Immunologie, Infektions- und Pandemiebekämpfung eröffnet, der mit der Universität München, dem Klinikum der Universität und dem Unternehmen Roche als Partner zusammenarbeitet.

Das Antiviral Program for Pandemics der USA

Im Jahr 2021 stellt die US-Regierung 3,2 Milliarden Dollar für Kooperationsprojekte mit akademischen Einrichtungen und Unternehmen zur Verfügung, um ein Antiviral Drug Discovery Centers für Pathogens of Pandemic Concern aufzubauen, mit dem Ziel, Therapeutika gegen mehrere Virusfamilien zu entwickeln.

Zentrum für Pandemie-Impfstoffe und -Therapeutika (ZEPAI)

Das vom Bundesministerium für Gesundheit am Paul-Ehrlich-Institut eingerichtete ZEPAI hat das Ziel, eine Infrastruktur aufzubauen, um die Bevölkerung schnellstmöglich mit Impfstoffen und Therapeutika zu versorgen. Zu diesem Zweck wird ein Pool interdisziplinärer Experten aufgebaut, die über Fachwissen in den Bereichen Produktion, Logistik, Infektiologie, Kommunikation und öffentliche Gesundheitsversorgung verfügen. Zur Optimierung von Planung und Logistik werden digitale Datenerfassungs- und Überwachungsstrukturen geschaffen. Dabei wird auf die Expertise der Unternehmen zurückgegriffen, mit denen die Bundesregierung im Mai 2022 Verträge zur Pandemievorsorge abgeschlossen hat.

Quellen