IW-Gutachten zur Bürokratie: Von der Last zum Standortvorteil
Klare Standards sichern Qualität, Sicherheit und Verlässlichkeit – gerade in der forschenden Pharmaindustrie. Gleichzeitig verursacht das Einhalten von Vorgaben Kosten. Ein Gutachten des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) für den vfa zeigt: Bürokratie ist nicht nur eine Belastung, sie kann für den Standort Deutschland sogar ein Vorteil sein. Vorausgesetzt die Verfahren sind modern und digital organisiert. Dann wird „gute Bürokratie“ zum Vorteil im internationalen Wettbewerb.

Wo Deutschland steht
Die Standortattraktivität leidet messbar unter komplexen Verfahren und wachsender Regulierungsdichte. Expert:innen nennen Bürokratie als wichtigsten negativen Standortfaktor. Insgesamt trägt die deutsche Wirtschaft mit rund 67,5 Milliarden Euro Umsetzungskosten durch bürokratische Regelungen. Das entspricht rund 1,5 Prozent der Wirtschaftsleistung. Bürokratie ist jedoch nicht per se schlecht: Sie setzt faire Spielregeln und schützt vor Willkür – entscheidend ist, wie sie umgesetzt wird.
Bürokratie in der Pharmaindustrie
Überproportionale Lasten: Rund 25 Prozent der gesamten Bürokratiekosten sind branchenspezifisch, gelten also für einzelne Wirtschaftsbereiche. Ein Viertel hiervon entfällt auf die Industrie. Von diesen rund 2,5 Milliarden Euro entfallen je nach Abgrenzung 94 bis 98 Prozent auf die pharmazeutische Industrie. Damit trägt eine Branche nahezu den gesamten spezifischen Aufwand in der Industrie.
Bürokratische Kosten: Die branchenspezifischen Bürokratiekosten der Pharmaindustrie haben sich seit 2012 mehr als verdoppelt – von etwas über einer Milliarde Euro im Jahr 2012 auf aktuell nahezu 2,5 Milliarden Euro. Getrieben wird der Anstieg vor allem von wenigen, sehr aufwendigen Informationspflichten: Allein Prüfprotokolle verursachen fast eine Milliarde Euro pro Jahr; insgesamt entfallen rund 80 Prozent der laufenden Kosten auf die Top-5-Pflichten: Prüf- und Herstellungsprotokolle, Kennzeichnung, Rückstellmuster und Packungsbeilagen sind in der Pharmabranche die wichtigsten Treiber bürokratischer Kosten.
Zeitlicher Aufwand: Die Branche wendet zur Erfüllung ihrer spezifischen Informationspflichten jährlich Dutzende Millionen Arbeitsstunden auf. Nach einer turnusmäßigen Datennachmessung stieg der ausgewiesene Jahreswert deutlich an; zugleich entfallen rund 84 Prozent des Zeitaufwands auf nur vier Vorgaben. Insgesamt wird jede fünfte Arbeitsstunde für Dokumentations- und Berichtspflichten aufgewandt.
Ausgewertet vom IW wurden direkte Kosten bundesrechtlicher Informationspflichten. Länder-, Kommunal- oder EU-Verordnungen sowie indirekte Effekte (z.B. verzögerte Investitionen) sind nicht vollständig enthalten. Die Werte stellen daher nur eine Untergrenze dar.
„Gute Bürokratie“ als doppelter Hebel
Die Pharmaindustrie ist im Vergleich zu anderen Branchen besonders stark reguliert. Vorgaben sichern die Sicherheit von Patient:innen. Doch eine effiziente Umsetzung der notwendigen und international harmonisierten Vorgaben hat einen großen Hebel für die Wettbewerbsfähigkeit: Durch die hohe Kostenlast wirken Vereinfachungen auch besonders stark. Laufende Kosten sinken und Entscheidungen werden beschleunigt – dadurch gewinnt der Standort an Attraktivität. Besonders vorteilhaft: Viele Standards sind international vereinheitlicht. Ein effizienter, digitaler und kompatibler Vollzug in Deutschland schafft entsprechend Wettbewerbsvorteile entlang der gesamten Wertschöpfung. Dies ist in der Pharmaindustrie besonders wertvoll für Unternehmen und hat einen entsprechend großen Anreiz für den Standort: Patente haben eine begrenzte Laufzeit. Je besser diese an einem bestimmten Standort genutzt werden kann, desto attraktiver ist dieser für Investitionen.
Erste Ansätze für schnellere, schlankere Verfahren
- Digitale End-to-End-Prozesse: Elektronische Meldungen und Genehmigungen ohne Medienbrüche, klare Datenmodelle und eine prüffähige Nachvollziehbarkeit könnten Such-, Warte- und Übertragungskosten reduzieren.
- Komplexität reduzieren: Konsolidieren, vereinheitlichen, streichen – insbesondere dort, wo wenige Vorgaben den Großteil der Last erzeugen. Klare, stabile Regeln könnten somit Änderungs- und Umstellungskosten mindern.
- Europäische Kompatibilität stärken: Mit der Harmonisierung und gegenseitigen Anerkennung ließen sich Doppelprüfungen vermeiden und Marktzugänge beschleunigen.
- Praxis-Checks verstetigen: Prozessnahe Analysen entlang typischer Abläufe (z.B. beim Bau oder bei Erweiterungen von Produktionsanlagen) könnten Engstellen sowie Doppelregulierungen und liefern die Basis für messbare Entlastungen identifizieren.
Die genannten Ansätze stellen eine Auswahl dar und bedürfen nun einer genaueren Überprüfung.
Klinische Studien und Industrieinvestitionen
Das Gutachten unterstreicht den Bedarf, Verfahren für Forschung und Produktion praxistauglich zu beschleunigen. Das Medizinforschungsgesetz setzt mit Standardisierung und Verfahrensintegration dort an. Jetzt kommt es auf eine zügige, konsistente Umsetzung an, damit Studien und Investitionen schneller umgesetzt werden und starten können.
Fazit
Bürokratie belastet Unternehmen. Sie bindet Arbeitszeit, sorgt für hohe Kosten. Richtig organisiert, kann sie jedoch zum Wettbewerbsvorteil werden. Für die forschende Pharmaindustrie lohnt sich Entlastung doppelt: Sie wirkt dort, wo die Lasten besonders hoch sind, und zahlt direkt auf Tempo, Kosten und Investitionen ein. Wenn Deutschland Vorgaben effizienter gestaltet und die größten Kostentreiber gezielt adressiert, wird aus der vermeintlichen Bremse ein Standort-Turbo.