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#MacroScopePharma 07/23

Der Economic Policy Brief des vfa



Energiepreise gesunken: Teuerungswelle ebbt allmählich ab

Der Energiepreisschock des vergangenen Jahres sitzt tief. Die gestiegenen Kosten haben sich in die Preise hineingefressen: in der Produktion, im Handel und auch für die Verbraucher:innen. In einigen Wirtschaftszweigen konnten die höheren Einkaufspreise an die Kunden weitergegeben werden. In anderen Bereichen, etwa aufgrund der hoch regulierten Preise in der pharmazeutischen Industrie, war dies nicht möglich. Doch zuletzt hat sich die Lage entspannt: Bereits in diesem Jahr – und damit früher als allgemein erwartet – dürften die Preise auf der Erzeugerstufe nachgeben.

Energiepreise: Erholung rascher als erwartet

Mit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine standen die Lieferungen russischer Energie an die europäischen Abnehmerländer infrage. Gaslieferungen wurden zunächst gedrosselt und dann – unter dem Vorwand notwendiger Wartungsarbeiten Mitte Juli erst vorübergehend und seit Anfang September 2022 – vollständig eingestellt. Zudem wurde mit dem Embargo der Europäischen Union zu Beginn dieses Jahres ein entsprechender Importstopp für russisches Erdöl beschlossen.

In der Folge stiegen im Laufe des Jahres 2022 die Preise von Öl und Gas in Rekordhöhen. Sogenannte Futures – Finanzmarkt-Instrumente, die Preise für künftige Lieferungen festsetzen – ließen zum Jahreswechsel eine nur graduell einsetzende Entspannung auf den Energiemärkten erwarten. Bei Erdgas wurde gar eine Gasmangellage befürchtet, was vor allem für die Industrie kurzfristig drastische Konsequenzen gehabt hätte.(1) Entsprechend hochpreisig wurden im Sommer vergangenen Jahres Gaslieferungen für den Jahreswechsel 2022/2023 an den Terminmärkten gehandelt. Erwartet wurde nur eine allmähliche Entspannung des Gaspreises (Abbildung 1) und ein Absinken in einen Langfristkorridor von 50 Euro je Megawattstunde erst im Jahr 2025; zum Vergleich – in der vorangegangenen Dekade schwankte er um rund 20 Euro.

Die Politik war indes erfolgreich darin, die Gasspeicher aus alternativen Bezugsquellen zu füllen – vor allem Erdgas aus Norwegen, den Niederlanden und Belgien, zunehmend aber auch Flüssiggas vor allem aus den USA über die LNG-Terminals Wilhelmshaven, Lubmin und zuletzt Brunsbüttel. Zudem wurden wegen der hohen Preise beträchtliche Mengen Energie eingespart. Insgesamt wurde rund 14 Prozent weniger Gas verbraucht als im Durchschnitt der Jahre 2018 bis 2021.(2) Die Einsparungen der privaten Haushalte und des Gewerbes, deren Energiebedarf primär auf das Heizen zurückgeht, beliefen sich auf zwölf Prozent.
Hierzu haben auch die zwischenzeitlich milden Temperaturen im Oktober und Dezember beigetragen.(3)

Die um 15 Prozent geringere Gasnachfrage der Industrie – diese nutzt Gas überwiegend für Prozessenergie und teils direkt als Vorleistung – dürfte größtenteils auf die geringere Produktionsleistung in den energieintensiven Branchen zurückgehen. Besonders energieintensive und wegen der hohen Kostensteigerungen unrentable Produktionslinien wurden gestoppt – die fehlenden Produkte durch Importe substituiert. Entsprechend ist die Produktionsleistung in den energieintensiven Wirtschaftszweigen seit Frühsommer 2022 erheblich gesunken (vgl. MacroScope Facts am Ende dieser Seite).

Wegen der Energieersparnis und der raschen Erschließung weiterer Bezugsquellen sind die Gasspeicherstände im vergangenen Jahr zu keiner Zeit auf kritisch niedrige Füllstände gesunken. In der Folge erwiesen sich auch die Preiserwartungen mit Blick auf die Gasverfügbarkeit als zu pessimistisch – also zu hoch.

Kostenschub in vielen Branchen an Kunden weitergereicht

Deutschland war wegen des hohen Anteils importierten Erdgases aus Russland akut von den zwischenzeitlich extrem gestiegenen Gaspreisen betroffen. Dies hatte eine Kostenwelle ausgelöst, die nach und nach in alle Produktionsstufen überschwappte. Die zunächst von außen kommende Teuerung (Abbildung 2) machte sich über die Importpreise vor allem in den energieintensiven Branchen bemerkbar. In der öffentlichen Wahrnehmung wurden diese Industrien als am stärksten in Mitleidenschaft gezogen betrachtet.
Allerdings haben diese Wirtschaftszweige die gestiegenen Preise rasch und in erheblichem Maß an ihre Abnehmer weitergereicht – so lagen etwa die Preise energieintensiv produzierter Waren bereits im April 2022 um über ein Drittel höher als ein Jahr zuvor.
Damit war die Teuerung im heimischen Wirtschaftskreislauf angekommen und die Kostenschübe fraßen sich nach und nach (Tabelle), wenn auch überwiegend deutlich gedämpfter, in die Breite der Industrie.

Bereits im vergangenen Jahr wurde auf diese Entwicklung hingewiesen.(4) Die im Sommer vorgelegte vfa-Prognose für das Jahr 2022 lag, mit Blick auf die außergewöhnliche Situation, dicht an den tatsächlich eingetretenen Werten. Für den gesamten Erzeugerpreisanstieg von 32,9 Prozent wurden damals 30,3 Prozent geschätzt (Abbildung 3). Auch für die einzelnen Industriezweige traf die Prognose weitestgehend zu (Abbildung 4). Lediglich für die vier am stärksten betroffenen Bereiche haben sich größere Abweichungen ergeben.(5)

Der Gesamtindex gewerblicher Erzeugerpreise umfasst die Wirtschaftszweige 05 bis 36; darunter Bergbau: B = 05-08; Industrie: C = 10-33, Energieversorgung: D = 35; Wasserversorgung: 36; innerhalb der Industrie: CA-Nahrung, CB-Textil, CC-Holzverarbeitung, CD-Raffinerien, CE-Chemie, CF-Pharma, CG-Glas/Kunststoff, CH-Metall, CI-Elektro, CJ-elektr. Ausrüstungen, CK-Maschinen, CLFahrzeuge, CM-Möbel; energieintensiv: WZ 17, 19, 20, 23, 24; nicht-energieintensiv: Industrie ohne energieintensive Branchen, vgl. hierzu auch die Informationen des Statistischen Bundesamtes online verfügbar.

Deutliche Preisrückgänge bereits im Jahr 2023

Für das laufende Jahr waren die Einschätzungen im vergangenen Sommer zu pessimistisch: Die Futures zeigten ein anhaltend hohes Energiepreisniveau an, das sich erst im darauffolgenden Jahr erholen sollte. Die Notierungen für Energie liegen nun aber deutlich niedriger als von den Finanzmärkten antizipiert. Mit dem seit geraumer Zeit nachlassenden Preisdruck bei den Energiepreisen dürften auch die Erzeugerpreise bereits im Jahr 2023 mit 14 Prozent recht deutlich nachgeben. Im kommenden Jahr dürften sie, Stand heute, mit einem Rückgang von 22 Prozent in etwa auf das Vorkrisenniveau zurückkehren.

Dabei lässt der Preisdruck in etwa so schnell nach, wie er zuvor gestiegen ist: Dort, wo die Anstiege am frühesten und in der Regel auch am stärksten eingesetzt hatten, sinken sie am ehesten und auch am deutlichsten (Abbildung 5). Die Hersteller energieintensiv produzierter Güter haben die Preise bereits etwas gesenkt.

Steigende Erzeugerpreise entlasten Hersteller, belasten aber Abnehmer

Die Auswirkungen der gestiegenen Energiepreise auf die Gewinne der energieintensiven Unternehmen wurden bereits vielfach beschrieben. Makroökonomische Effekte wie Lohnzuwächse und Konsumzurückhaltung, sowie Anpassungsreaktionen der Unternehmen wurden dabei allerdings zumeist ausgeklammert.(6)

Unklar ist, inwieweit es durch die Weitergabe der Kosten entlang der Wertschöpfungskette gelungen ist, die Margen zu stabilisieren. In vielen Branchen war nämlich auch der Preisanstieg hoch, wenn die Kosten besonders kräftig stiegen. Dies spricht dafür, dass ein Großteil der Belastung von nachgelagerten Produzent:innen oder den Verbraucher:innen getragen wurde.

Anhand der Verflechtung heimischer Produktionsbereiche mit Blick auf importierte sowie heimisch erstellte Vorleistungen lässt sich grob abschätzen, wie sich der Energiepreisschock – alle Preisreaktionen eingerechnet – auf die Kosten innerhalb der Industrie ausgewirkt hat. Dazu wird für jeden Produktionsbereich die jahresdurchschnittliche Teuerung der Güter mit ihrem Vorleistungsanteil gewichtet.

Kosten auf breiter Front stark gestiegen

Abbildung 6 stellt für ausgewählte Wirtschaftszweige die wichtigsten Vorleistungen dar – unterteilt in importierte und heimisch bezogene Waren. Für die Kokerei und Mineralölverarbeitung (obere Abbildung) machen importierte Rohstoffe mit fast zwei Dritteln den größten Posten aus. Hinzu kommen Dienstleistungen, die rund ein Fünftel der Vorleistungen ausmachen. Diese werden vorrangig aus dem Inland bezogen. Typisch ist auch der Bezug brancheninterner Güter. Auf dem vierten und fünften Platz folgen Chemieimporte und die inländische Energieversorgung. Aufgrund der stark gestiegenen Preise für Rohstoffe (importierte: plus 74 Prozent) sind die Vorleistungskosten für diesen Wirtschaftszweig mit 59 Prozent besonders deutlich gestiegen.

Die mittlere Abbildung zeigt die wichtigsten Vorleistungen der chemischen Industrie: Neben brancheninternen Vorleistungen und Dienstleistungen zählen dazu insbesondere die Versorgung mit Energie oder den hierfür genutzten Gütern. Da sich diese überdurchschnittlich verteuert hatten – für Importe chemischer Produkte war im Jahr 2022 gut 22 Prozent mehr zu zahlen, Raffinerien stellten ihren Abnehmern 75 Prozent (bei den Importen) beziehungsweise 40 Prozent (aus heimischer Produktion) in Rechnung – stieg für die chemische Industrie die Vorleistungsrechnung um rund ein Viertel.

Auch für die Pharmaindustrie stiegen die Vorleistungskosten mit elf Prozent zweistellig, obwohl die direkte Abhängigkeit von Energie (von Rohstoffen, Raffinerien und Energieversorgung) mit nicht einmal einem Prozent gering ist. Dies liegt vor allem daran, dass energieintensiv produzierte Güter in der Regel als Vorleistungen bezogen werden. Besonders bedeutsam sind dabei chemische Vorprodukte, deren Preise die hohen Energiekosten widerspiegeln.

Tatsächliche Kosten im Einzelfall deutlich höher

Zu bedenken ist, dass es sich bei diesen Berechnungen um eine Durchschnittsbetrachtung handelt und sich schon allein deswegen nicht auf die Ebene einzelner Unternehmen übertragen lässt. Eine aufgrund der Datenlage kaum vermeidbare Verwendung von Branchenmittelwerten kann das Bild indes in die eine oder andere Richtung verzerren. Dies lässt sich am Beispiel der Pharmaindustrie verdeutlichen: Die Preise für pharmazeutische Güter aus heimischer Produktion sind im vergangenen Jahr um 2,3 Prozent gestiegen. Darunter sind Medikamente, deren Preis nahezu unverändert geblieben ist, aber auch pharmazeutische Grundstoffe, deren Preis zweistellig zugelegt hat. Während Medikamente überwiegend nur für den privaten Verbrauch und als Vorleistungen der Gesundheitssektoren verwendet wurden, dürften die Grundstoffe nahezu ausschließlich in nachfolgenden Produktionsschritten eingesetzt worden sein. Die Teuerung pharmazeutischer Vorleistungen in der Fertigung liegt folglich mit etwa zwölf Prozent erheblich über dem in den Berechnungen angesetzten Durchschnitt. Ähnlich verhält es sich mit den eingesetzten Chemikalien: Während sich diese im Schnitt um ein Viertel verteuerten, haben bestimmte Produkte (etwa für die Körperpflege oder Pyrotechnik) diesen Schnitt nach unten gezogen – gleichzeitig aber wohl für die pharmazeutische Produktion keine Rolle gespielt. Indes sind die Preise für bestimmte organische Grundstoffe (Gütercode 20.14.1) um ein Drittel gestiegen. Wird dies berücksichtigt, ergeben sich für die Pharmaproduktion Kostenzuwächse von 14 bis 15 Prozent.

Angemessene Preisreaktion?

Die Frage, inwieweit Wirtschaftszweige in besonderem Maße von der Teuerung bei den Vorleistungen betroffen sind, hängt davon ab, ob die Unternehmen in der Lage waren, die gestiegenen Kosten an ihre Abnehmer weiterzugeben. Ob die Preisänderungen in einem Wirtschaftszweig eine angemessene Reaktion auf einen Kostenschock darstellen, lässt sich dabei nicht ohne Weiteres beantworten – nicht zuletzt, weil ein branchenspezifischer Kostenschub, wie oben dargestellt, allenfalls grob angenähert werden kann.

Wirtschaftszweige: A = Land- und Forstwirtschaft, Fischerei; B = Bergbau; C = Industrie, darunter: 10-12: Nahrung, 13-15: Textil, 16: Holzverarbeitung, 17: Papier, 18: Datenträger, 19: Raffinerien, 20: Chemie, 21: Pharma, 22: Gummi/Kunststoff, 23: Glas, 24: Metallerzeugung, 25: Metallverarbeitung, 26: Elektro, 27: elektr. Ausrüstungen, 28: Maschinen, 29: Kfz, 30: sonstige Fahrzeuge, 31-32: Möbel und sonstige Waren, 33: Reparatur; D: Energieversorgung; E: Wasserversorgung; G-T: Dienstleister.

Allerdings kann näherungsweise berechnet werden, wie die Erzeugerpreise anzupassen wären, um Änderungen bei den Vorleistungskosten vollständig an die Abnehmer weiterzureichen. Anders formuliert ist die Frage zu beantworten, wie stark die Absatzpreise angehoben werden müssten, um die eigene Wertschöpfung von den Kostensteigerungen abzuschirmen.

Hierfür ist neben dem oben diskutierten Kostenanstieg der Vorleistungsanteil an der Produktion zu berücksichtigen. Die Zusammenhänge lassen sich beispielsweise anhand einer Produktion im Wert von 100 Euro veranschaulichen, bei der im Umfang von 20 Euro (also einem Fünftel) Vorleistungen eingesetzt werden. Verteuern sich letztere nun um fünf Prozent (auf 21 Euro), so entspricht eine vollständige Weitergabe dieses Preisanstieges um einen Euro (auf 101 Euro Verkaufswert) einem einprozentigen Anstieg des Herstellerpreises (also wiederum einem Fünftel des ursächlichen Kostenanstiegs).

So lassen sich aus den zuvor berechneten Kostenschüben in den einzelnen Wirtschaftszweigen die wertschöpfungsneutralen Erzeugerpreisanstiege ableiten. Diesem Wert („Soll“) kann der tatsächliche Erzeugerpreisanstieg („Ist“) gegenübergestellt werden, wie in Abbildung 4. Punkte oberhalb der Diagonale weisen Wirtschaftszweige aus, bei denen der tatsächliche Preisanstieg den neutralen Anstieg übersteigt.

Trotz der Unschärfe der Analyse lässt sich für die meisten Wirtschaftszweige sagen: Sie haben die Kosten in etwa vollständig weitergereicht. In den meisten Branchen überstiegen die Preisanstiege möglicherweise gar das dafür notwendige Plus: So sind beispielsweise die Vorleistungskosten in der Papierindustrie (WZ-17) um 25 Prozent gestiegen und um diese Kosten eins-zu-eins weiterzureichen, hätte es – angesichts einer Vorleistungsquote von drei Vierteln – einer eigenen Preisanhebung um 19 Prozent bedurft – dieser Wert ist auf der horizontalen Achse abgetragen; tatsächlich sind die Erzeugerpreise um rund 30 Prozent angehoben worden (vertikale Achse). Die breiten Preisanpassungen dürften also zumindest die Wertschöpfung stabilisiert und in vielen Fällen sogar etwas angeschoben haben. Dies bezieht sich allerdings ausschließlich auf die Weitergabe der Vorleistungskosten – in vielen Fällen hat die Wertschöpfung preisbereinigt kontrahiert, weil die Nachfrage nach vielen Produkten gesunken war oder die Hersteller unrentable Produktionslinien von vornherein vorübergehend stillgelegt hatten. Hinzu kommt, dass die Lohnsteigerungen ebenfalls kräftig waren und die Margen wohl eingeengt haben.

Deutlich höhere Preissteigerungen als aufgrund dieser Überlegungen zu erwarten gewesen wären gab es insbesondere bei den Rohstoffen (Wirtschaftszweig B; der Punkt (29 Prozent, 64 Prozent) ist zur besseren Darstellung der Achsen nicht in der Abbildung dargestellt), der Energieversorgung (Wirtschaftszweig D; (50 Prozent, 97 Prozent) nicht dargestellt) und in der Landwirtschaft (Wirtschaftszweig A) – wobei die massiven Verwerfungen im Zuge des Ukrainekrieges gerade in diesen Bereichen eine genaue Messung erschweren. Geringere Preisanstiege verzeichneten die Branchen unterhalb der 45-Grad-Linie in der Abbildung. Darunter sind die Raffinerien (Wirtschaftszweig 19, (57 Prozent, 41 Prozent) nicht dargestellt), die Wasserversorgung (Wirtschaftszweig E) – die nicht zuletzt aufgrund von Preisregulierungen wohl nur verzögert reagiert, vgl. auch Tabelle 1, und die Pharmaindustrie – und letztere umso mehr, je genauer den spezifischen Bedingungen Rechnung getragen wird (vgl. den rot markierten Punkt in der Abbildung): Im Schnitt sind die Pharma-Vorleistungen um zehn Prozent gestiegen. Wird jedoch auf die relevanten chemischen und pharmazeutischen Vorprodukte abgestellt (wie oben ausgeführt), ergibt sich ein Plus von 15 Prozent. Bei einem Vorleistungsanteil von 61 Prozent wären Preisanhebungen von knapp sechseinhalb beziehungsweise fast zehn Prozent erforderlich gewesen, um zumindest die Wertschöpfung vom Kostenschock abzuschirmen – und dabei wäre der Effekt der kräftigen Ausweitung der Lohnsumme (um 5,8 Prozent) auf die Gewinne noch gar nicht berücksichtigt. Tatsächlich sind die Absatzpreise in der Pharmaindustrie mit gut zwei Prozent kaum gestiegen, rechnet man gar noch die Grundstoffe raus, die wohl vorwiegend innerhalb der Branche verwendet werden, bleibt ein niedrigerer Anstieg um lediglich 1,4 Prozent.

Kostenentwicklung lastet auf Standortqualität

Die derzeitige Kostenentwicklung ist eine große Herausforderung für Unternehmen. Dabei sind zwei Dimensionen zu unterscheiden: Mittelfristig stellt sich die Frage, ob Unternehmen angesichts der
veränderten Kostenstruktur dauerhaft rentabel am Standort produzieren können. Große Investitionen sind in jedem Fall notwendig, um die Energieeffizienz der Produktionsprozesse zu steigern und diese auf die Nutzung erneuerbarer Energie umzustellen. Die derzeitige politische Debatte fokussiert sehr stark darauf, den energieintensiven Branchen eine Brücke bei der Umstellung zu bauen, um das industrielle Produktionsnetzwerk zu erhalten.

Geringeres Augenmerk wird auf die übrigen Branchen gerichtet, die nur mittelbar und durch den teureren Vorleistungsbezug von der aktuellen Preisentwicklung betroffen sind. Gerade dort, wo die höheren Kosten nicht an die Abnehmer weitergegeben werden konnten, werden Investitionen in die Zukunft des Standorts erschwert. Mittel für Innovationen und Investitionen stehen in geringerem Umfang zur Verfügung. Auch wenn die hohen Vorleistungspreise sich künftig wieder normalisieren, werden die ausgebliebenen Investitionen aber nicht nachgeholt. Der Verlust an Wettbewerbsfähigkeit ist also dauerhafter Natur. Dies macht einen allgemeinen Investitionsimpuls umso wichtiger: Verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten für Hightech-Investitionen wären eine Option.

Für die pharmazeutische Industrie stellt sich die Lage doppelt schwierig dar: Einerseits sind die Preise der Branche in weiten Teilen administriert und lassen in der Regel keine Reaktion auf höhere Vorleistungskosten zu. Andererseits wurden die Erträge der Branche – neben anderen einschneidenden Neuregelungen – mit der im vergangenen Jahr beschlossenen zeitweiligen Erhöhung des Herstellerrabatts in einer Situation erheblich steigender Vorleistungskosten noch einmal mit zusätzlichen Abschlägen belegt. Dies setzt die Branche von zwei Seiten erheblich unter Druck und reduziert die Investitionsbudgets der Unternehmen in signifikantem Umfang. Dass dies zu geringeren Investitionen führt, wurde in vorangegangenen Studien bereits gezeigt.(7) Damit Pharma als Schlüsselindustrie am Standort Deutschland an Wettbewerbsfähigkeit gewinnt und Weltmarktanteile erobern kann, braucht es aber genau diese Investitionen in die Zukunft. Umso wichtiger ist eine koordinierte Wirtschafts- und Gesundheitspolitik.

(1) Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (2022): Energiekrise: Inflation, Rezession, Wohlstandsverlust, online verfügbar (vom 29. September 2022).

(2) Vgl. die Informationen der Bundesnetzagentur zur Gasversorgung im Jahr 2022, online verfügbar.

(3) Vgl. die Daten zum Erdgasverbrauch in Deutschland des „Open Energy Tracker“, online verfügbar.

(4) Vgl. MacroScope Pharma Economic Policy Brief 07/2022: Stark steigende Preise für Vorleistungen:
Unternehmen in der Kostenfalle, online verfügbar.

(5) Dabei dürfte, gerade für die Energieversorger, eine Rolle gespielt haben, dass die ebenfalls extrem hohen Strompreise im Schätzmodell nicht berücksichtigt werden konnten, und die Energiepreisentwicklung allein auf Grundlage der finanzmarktbasierten Indikatoren für die Gas- und Ölpreise abgeleitet wurde.

(6) Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2022), Energiekrise solidarisch bewältigen, neue Realität gestalten, Jahresgutachten 2022/2023, Kapitel 5, online verfügbar; sowie die Box „Auswirkungen höherer Energiekosten auf die Ertragskraft deutscher Industrieunternehmen“ in: Bundesbank (2023), Ertragslage und Finanzierungsverhältnisse deutscher Unternehmen im Jahr 2021, Monatsbericht 2023/3, online verfügbar.

(7) MacroScope Pharma Economic Policy Brief 06/2022, Geringe Investitionen belasten Deutschlands Wachstum, online verfügbar.

Autor:

Dr. Claus Michelsen
Geschäftsführer Wirtschaftspolitik
Dr. Claus Michelsen

Telefon 030 20604-120

c.michelsen@vfa.de

Pressekontakt:

Henrik Jeimke-Karge
Pressesprecher Wirtschaftspolitik
Henrik Jeimke-Karge

Telefon 030 20604-205

h.jeimke-karge@vfa.de