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Die Zulassung von Medikamenten mit Orphan Drug-Status

Pharmafirmen entwickeln neue Medikamente – auch solche gegen seltene Erkrankungen. Sie heißen Orphan Drugs. Gegenüber Medikamenten für häufige Krankheiten gelten bei ihnen ein paar rechtliche Besonderheiten, über die es immer wieder Unklarheiten gibt. Hier sind die wichtigsten Fakten zusammengestellt. Sie erklären, wie die Zulassung und die Erstattung von Orphan Drugs in Deutschland und der EU funktioniert.

Lungenfunktionstest bei Mukoviszidose

Wann kommt der Orphan Drug-Status in Frage?

In der EU gelten als selten im Sinne der Orphan Drug-Verordnung ausschließlich schwerwiegende Erkrankungen, an denen nicht mehr als einer von 2.000 EU-Bürgern leidet. Welche Krankheiten das konkret sind, entscheidet die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA. Ein Zerlegen einer häufigen Krankheit in Unterformen, die für sich genommen selten auftreten ("Orphanisierung"), lässt sie nicht zu. Beispielsweise können Medikamente gegen seltene Unterformen des häufigen nicht-kleinzelligen Lungenkrebses keinen Orphan-Drug-Status erhalten, weil nicht-kleinzelliger Lungenkrebs nicht selten ist.

Derzeit (Stand Januar 2025) sind in der EU kanpp 150 Medikamente mit aktivem Orphan Drug-Status zugelassen (siehe www.vfa.de/orphans); mehr als die Hälfte davon betrifft Krankheiten, an denen EU-weit sogar weniger als einer von 10.000 EU-Bürgern leiden. Hinzu kommen 95 Medikamente, deren Orphan-Drug-Status abgelaufen ist oder von der Firma zurückgegeben wurde, die aber fast alle weiterhin den Betroffenen zur Verfügung stehen.

Gibt es dadurch Benefits für Unternehmen?

Unternehmen können für ein Medikament gegen eine seltene Krankheit lange vor der Zulassung den Orphan Drug-Status beantragen. Wird das Medikament zugelassen, erhält es in der EU eine zehnjährige Marktexklusivität, die unabhängig vom Patentschutz gilt und auch ähnliche Wettbewerber-Medikamente vom Markt fern hält, solange diese nicht überlegen sind (oder einen Versorgungsengpass überwinden helfen).

Den Unternehmen werden die EMA-Gebühren reduziert oder erlassen (z.B. Gebühren für die wissenschaftliche Beratung zur klinischen Entwicklung, Gebühren für die Inspektion der Herstellungsstätte vor der Zulassung, Zulassungsgebühren), wobei eine vollständige Gebührenbefreiung nur kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) gewährt wird.

Ist es aufgrund der wenigen Patienten leichter, ein Orphan Drug bis zur Zulassung zu entwickeln?

Die Anforderungen für die klinische Erprobung und die Zulassung von Medikamenten sind unabhängig von der Häufigkeit der Krankheit: Stets müssen Wirksamkeit, Verträglichkeit und technische Qualität des Medikaments belegt werden. Bei seltenen Krankheiten ist die Durchführung der notwendigen Studien oft schwierig, weil die Teilnehmer weltweit gesucht werden müssen. Ist das Mittel nach der Zulassung im Einsatz, verlangen die Behörden vom Hersteller noch Berichte über das Behandlungsergebnis bei weiteren Patienten.

In der Arzneimittelzulassung führt ein Orphan Drug-Status nicht zu einem beschleunigten Zulassungsverfahren. Für Erkrankungen, bei denen der medizinische Bedarf sehr hoch ist, was bei seltenen Erkrankungen häufig der Fall ist, sind in der europäischen Arzneimittelgesetzgebung spezielle Zulassungswege vorgesehen.

Wird der Status auf EU-Ebene überprüft und kann er aberkannt werden?

Am Ende des fünften Jahres im Markt kann auf Antrag eines Mitgliedsstaates überprüft werden, ob die Voraussetzungen für den Orphan Drug-Status noch gegeben sind. Tritt die Erkrankung inzwischen bei mehr als einem von 2.000 EU-Bürgern auf, kann der Status und damit auch die Marktexklusivität gegenüber anderen patentierten Wettbewerberpräparaten aufgehoben werden.

Dieses Exklusivrecht hat zudem eine Einschränkung: wenn das Präparat eines anderen Anbieters sicherer, wirksamer oder anderweitig therapeutisch überlegen ist, kann auch dieser eine Orphan Drug-Zulassung im selben Anwendungsgebiet erhalten. Damit bietet der Status dem Hersteller keine absolute, sondern nur eine relative Garantie auf Exklusivität innerhalb der zehn Jahre.

Zudem verliert das Arzneimittel seinen Orphan Drug-Status, wenn es gegen eine weitere, nicht seltene Erkrankung zugelassen wird.

Welchen Nutzen hat der Status in der Arzneimittelzulassung in Deutschland?

Für Patienten mit seltenen Erkrankungen sind Orphan Drugs von höchster Bedeutung. Der Orphan Drug-Status fördert über die genannten Anreize die Bereitschaft der Firmen, Arzneimittel gegen seltene Erkrankungen zu entwickeln. Insgesamt stellen sie für die Firmen eine mal größere, in der Regel jedoch eher kleinere Einnahmequelle dar.

Zur Abkürzung von Zulassungszeiten, zur Vereinfachung der Zulassung oder zur Erleichterung des Marktzugangs in Deutschland führt der Orphan Drug-Status nicht.

Weitere Informationen über Orphan Drugs finden sich hier.