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Seehofer droht Hausärzten vor dem Tag der Entscheidung

München (dpa) - Der monatelange Aufstand des bayerischen Hausärzteverbands gegen das deutsche Kassensystem steht vor der Entscheidung. In der Nürnberger Arena werden an diesem Mittwoch mehrere tausend Ärzte erwartet, die über den kollektiven Ausstieg aus dem Kassensystem abstimmen wollen. Das Bundesgesundheitsministerium in Berlin und Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) warnten die Mediziner am Dienstag. Hausärztechef Wolfgang Hoppenthaller betonte jedoch, dass er mit einem Votum für den Ausstieg rechnet: «Ich gehe davon aus, dass die Abstimmung morgen für uns positiv verläuft», sagte der Mediziner der Nachrichtenagentur dpa.

Seehofer warnte den Hausärzteverband nach der Kabinettssitzung: «Das ist eine Überschreitung einer roten Linie. Das kann kein Ministerpräsident akzeptieren - und auch keine Regierung.» Dem Hausärzteverband habe man in einem Gespräch «unzweifelhaft deutlich gemacht», dass man einen Rechtsbruch nicht hinnehmen werde. Die Krankenkassen wollen im Falle eines Falles künftig keine Patienten mehr zu ausgestiegenen Ärzten schicken - die medizinische Versorgung aber trotzdem sicherstellen. Ein Votum der bayerischen Hausärzte für den Ausstieg hätte nach Einschätzung Hoppenthallers Signalwirkung für ganz Deutschland.

Zu der Versammlung am Mittwoch in Nürnberg erwartet Hoppenthaller zwischen 6000 und 7000 Ärzte. «Es müssten ungefähr 4000 für unseren Antrag stimmen.» Hoppenthaller appellierte an seine Kollegen, für den Ausstieg zu stimmen: «Sollte das nicht klappen, dann hätten die Hausärzte ihre letzte Chance vertan. Dann würde die ärztliche Versorgung auf dem Land in den nächsten Jahren zusammenbrechen. Wir bekommen keinen Nachwuchs mehr.»

In Berlin warnte Gesundheitsstaatssekretär Stefan Kapferer (FDP) die Ärzte vor den finanziellen Folgen: «Wer aus dem Kassensystem aussteigt, darf die nächsten sechs Jahre nicht mehr als Kassenarzt arbeiten und kann damit Behandlungen von gesetzlich Versicherten auch nicht mehr mit den Kassen abrechnen.»

Ziel des Protests ist es, die Machtstellung der Kassenärztlichen Vereinigungen zu brechen, so dass die Hausärzte künftig ihre Honorarverträge ohne Beschränkung selbst mit den Kassen aushandeln könnten. Diese Möglichkeit zu lukrativen Hausarztverträgen gab es bereits - doch hat die schwarz-gelbe Bundesregierung diese Regelung bei der jüngsten Reform faktisch wieder ausgehebelt. Denn vom 1. Januar 2011 an dürfen Kassen in Hausarztverträgen nur noch dann höheren Honoraren zustimmen, wenn diese durch Sparmaßnahmen an anderer Stelle wieder ausgeglichen werden.

Der Hausärzteverband wertet das als Vertrauensbruch. «Die Nachhaltigkeit der Aussagen unserer Politiker wird immer geringer», sagte Hoppenthaller. Die Krankenkassen wiederum beschuldigen Hoppenthaller und seine Unterstützer, sie handelten rechtswidrig und patientenfeindlich. Hoppenthaller dagegen argumentiert, dass die Honorare der Kassenärztlichen Vereinigungen so niedrig seien, dass sich der Betrieb einer Hausarztpraxis in vielen Regionen nicht mehr lohne.

«Die Ärzteschaft in Bayern ist jetzt schon überaltert», sagte er. «Der Altersschnitt ist über 56, und ein Drittel der Ärzte sind älter als 60. Sollte der Ausstieg nicht klappen, wird die ärztliche Versorgung auf dem Land in den nächsten Jahren zusammenbrechen. Viele ältere Kollegen würden ihre Praxis zumachen.» Er selbst habe ein halbes Jahr einen Weiterbildungsassistenten für seine Praxis gesucht, aber nicht eine Bewerbung erhalten.

Die AOK und viele andere Krankenkassen in Bayern haben als Reaktion auf die Drohung der Mediziner bestehende Hausarztverträge mit Hoppenthallers Verband bereits fristlos gekündigt. Falls die Hausärzte für den Ausstieg stimmen, würden die Kassenzulassungen der Aussteiger wegen der vorgesehenen Fristen voraussichtlich am 1. Juli 2011 erlöschen, sagte ein Sprecher der AOK Bayern in München. «Wir wollen die Versorgung sicherstellen mit den Ärzten, die im System bleiben, mit Fachärzten, Krankenhäusern und medizinischen Versorgungszentren.»

Die AOK verweist darauf, dass ihr mittlerweile gekündigter Hausarztvertrag den bayerischen Medizinern einen «Fallwert» von 84 Euro pro Patient garantierte - fast doppelt so hoch wie der Bundesdurchschnitt von 45 Euro. Der bayerische Hausarztvertrag sei auch besser dotiert gewesen als der Vertrag der Kassenärztlichen Vereinigung mit einem Fallwert von 61 Euro, sagte der Sprecher.