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Chemie-Nobelpreisträger nutzten geschickt die Regeln der Evolution

Stockholm/Berlin (dpa) - Nach den Prinzipien der Natur haben die diesjährigen Nobelpreisträger Grundlagen zur Produktion von Biokraftstoffen und Medikamenten etwa gegen Arthritis entwickelt. Die Forscher hätten damit die Chemie und die Entwicklung von Arzneien revolutioniert, schreibt das Nobelkomitee in Stockholm in seiner am Mittwoch präsentierten Begründung. Die US-Forscherin Frances Arnold (62) erhält die Hälfte des Preises, sie ist erst die fünfte Frau unter den rund 180 Chemie-Nobelpreisträgern. Zur anderen Hälfte geht der Preis an den US-Biologen George Smith (77) und den Briten Gregory Winter (67).

Das Prinzip der Evolution ist einfach: Bei der Entstehung jedes Lebewesens auf der Erde baut die Natur kleine Veränderungen im Erbgut ein. Nutzen diese dem jungen Lebewesen, so hat es höhere Chancen zu überleben und wiederum Nachkommen zu erzeugen. Nach diesem System entwickelten sich Pflanzen, Fische, Affen, der Mensch - und auch Nobelpreisträger, die dieses Prinzip der Evolution wiederum für ihre Arbeit nutzten.

Arnold wollte laut Nobeljury bereits 1979 als junge Luftfahrtingenieurin eine Technik entwickeln, die der Menschheit hilft, und stürzte sich zunächst auf Solar-Energie. Später wandte sie sich der damals noch recht neuen Erbgutforschung zu und nutzte das Prinzip der Evolution zur Entwicklung von Enzymen - das sind Reaktionsbeschleuniger. Durch die Fähigkeit «den Code des Lebens neu zu schreiben» wollte sie nach eigenen Angaben eine neue Art von Materialien und Chemikalien produzieren.

Arnold setzte leicht veränderte Gene für das Enzym Subtilisin in Bakterien ein, damit diese das Enzym produzieren. Dann testete sie, wie gut die so gewonnenen Enzyme funktionierten. Das Erbgut der besten setzte sie erneut in Bakterien ein. Bei jedem Durchgang wurden die Gene leicht verändert. Nach einigen Runden wirkte das Enzym 256 Mal besser als der Ausgangsstoff. So kam sie mittels Gerichteter Evolution zu den besten für ihre Zwecke benötigten Enzymen.

Heute werden Varianten des Enzyms als Waschmittelzusatz genutzt. Später wurde das Prinzip auch für Enzyme eingesetzt, die aus Zucker Biosprit oder Bioplastik machen.

Der US-Forscher Smith nutzte Viren, die Bakterien infizieren (Phagen), um gewünschte Proteine herzustellen. Die Phagen werden ebenfalls von Bakterienzellen produziert. Bei dem von Smith entwickelten Phagen-Display präsentieren Phagen verschiedene Proteine.

Winter schließlich nutzte diese Technik, um Antikörper herzustellen, die etwa in der Medizin eingesetzt werden. Einen großen Erfolg gibt es inzwischen bei der rheumatoiden Arthritis: Der Antikörper Adalimumab kam nach Angaben des Verbandes der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) 2003 in Deutschland auf dem Markt. Es ist eines der umsatzstärksten Medikamente weltweit.

«Es gibt kaum eine Pharmafirma, die nicht eine Abteilung für Gerichtete Evolution aufgebaut hat», sagt Manfred Reetz, Emeritus des Max-Planck-Instituts für Kohlenforschung in Mühlheim, der die Technik angewandt und weiterentwickelt hat. Auch in der Krebsforschung werde sie genutzt. «Jetzt kann man Arzneimittel schneller, billiger und umweltfreundlicher herstellen.»

«Der Preis repräsentiert sehr gut, was Alfred Nobel wollte: diejenigen auszeichnen, die der Menschheit am meisten nutzen. Hier gibt es so viele Anwendungen: Es ist ein grüner Preis, weil man beispielsweise bei der Herstellung von Plastik giftige Zutaten und Schwermetalle durch biologische Moleküle ersetzen kann», sagt Heiner Linke, Mitglied des Nobel-Komitees.

Die Produkte der Gerichteten Evolution haben nicht nur Vorteile, betont Reetz jedoch. «Es sollte meiner Meinung nach nicht erlaubt sein, Mais und andere Nahrungsmittel zu verwenden, um umweltfreundlichen Sprit herzustellen.» Schwere Öle dagegen, die für nichts anderes zu gebrauchen seien, «die kann man mit Hilfe der Gerichteten Evolution in Biokraftstoff umwandeln», sagt Reetz mit Verweis auf eine jüngste Arbeit des Forschers Zhi Li aus Singapur.

«Die Gerichtete Evolution hat weite Türen aufgeschlagen - positiv zu werten sind viele umweltfreundliche Methoden, es wäre aber übertrieben zu sagen, sie könne alles andere ersetzen», meint Reetz. «Mal sind diese nun entstandenen Enzyme besser, mal moderne Methoden der klassischen Chemie. Beide gehören zusammen in den Werkzeugkasten.»