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Ärzte trotz Millionenspritze auf den Barrikaden

Berlin (dpa) - Bis zu 300 Millionen Euro mehr für Deutschlands Ärzte - was sich nach einer stattlichen Summe anhört, bringt die Mediziner auf die Palme. Von einer Niederlage für die künftige Versorgung in Deutschland spricht der Hartmannbund, von einem Skandal die Kassenarzt-Vereinigung Bayern, von einer lächerlichen Anhebung die Ärzteorganisation FALK. Warum ist der Ärger so groß?

Die Krankenkassen sehen die Ärzte schon heute als Spitzenverdiener - und genau das empört die Mediziner. 165 000 Euro - auf soviel soll der jährliche Überschuss je Arzt im Schnitt zuletzt gestiegen sein. Gemeint ist das Ärzte-Brutto von den gesetzlichen und privaten Kassen nach Abzug der Praxiskosten. Mit diesen Zahlen munitionierten sich die Kassen für ihre Forderung nach sinkendem Ärztehonorar.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) spricht von Ungereimtheiten bei einem entsprechenden Kassen-Gutachten - die Mediziner reagierten mit Drohungen. Rund ein Dutzend Ärzteverbände kündigten an, Fach- und Hausarztpraxen könnten in ganz Deutschland aus Protest geschlossen bleiben. Nur noch Nötiges werde gemacht - Patienten müssten lange warten. Eine Allianz Deutscher Ärzteverbände will in Kürze das weiteres Vorgehen abstimmen.

Der unharmonischen Begleitmusik entsprechend angespannt war die Atmosphäre, als Ärzte- und Kassen-Vertreter am Donnerstag im nüchtern-luftigen «Konferenzraum 1» der KBV nahe des Berliner Tiergartens zusammenkamen. Etwa 3,5 Milliarden Euro wollten die Ärzte herausholen - rund 2,2 Milliarden die Kassen sparen. Am Ende entschied der unabhängige Vorsitzende des Schlichtergremiums, der Wissenschaftler Jürgen Wasem, gegen die Stimmen der Ärzte für das vergleichsweise kleine Honorarplus.

KBV-Chef Andreas Köhler spricht von einer hochexplosiven Stimmung in der Ärzteschaft. «Ich kann den Unmut verstehen.» Seit 2008 gebe es keinen Inflationsausgleich. Das Honorar für die rund 150 000 niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten wird kompliziert errechnet. Zahlenstreit ist in dieser Frage keine Seltenheit. Fakt ist, dass die Ärzte von den Kassen seit Jahren mehr bekommen: 30,8 Milliarden Euro waren es 2009, 32 Milliarden 2010 und zuletzt 33,3 Milliarden Euro. Doch das Geld ist höchst unterschiedlich verteilt.

Nimmt man den durchschnittlichen Honorarumsatz - Betriebsausgaben, Steuern und Versicherungen sind da noch nicht abgezogen - lagen laut KBV-Zahlen die Laborärzte mit rund 230 000 Euro pro Quartal an der Spitze. Zwei Jahre zuvor waren es laut «Dienst für Gesellschaftspolitik» noch 258 000 Euro. Nierenspezialisten und Strahlentherapeuten verdienten ähnlich gut. Bei Orthopäden kamen dagegen in den ersten zwei Quartalen 2011 demnach jeweils nur rund 56 000 Euro an - kaum mehr als zwei Jahre vorher. Hausärzte verbuchten rund 52 000 - fast 7000 Euro mehr.

Und was kommt unterm Streich heraus? Das monatliche Nettoeinkommen der Kassenärzte beträgt laut KBV nach den jüngsten Zahlen im Schnitt 5442 Euro. Einem Allgemeinmediziner blieben demnach im Schnitt 5018 Euro pro Monat, einem Orthopäden 6344 Euro, einem Psychotherapeuten dagegen nur 2658 Euro.

Aufgeholt haben in den vergangenen Jahren die Ärzte in Ostdeutschland. Und auch pro Patient pro Quartal legten manche Ärzte zu. So stieg dieser Fallwert etwa bei Kinderärzten binnen zwei Jahren von 49 auf 54 Euro - bei Radiologen sank er leicht auf 71 Euro.

Es ist unbekannt, wieviel die Ärzte der einzelnen Gruppen abzüglich Aufwendungen in der Praxis, aber vor Steuern und Abgaben, heute bekommen. Die nächsten Zahlen des Statistischen Bundesamts soll es kommendes Jahr geben. 2007 lagen hier die Radiologen mit 264 000 Euro an der Spitze. Mit 116 000 Euro bildeten die Allgemeinmediziner das Schlusslicht.

Die KBV baut ihren «Konferenzraum 1» bis Samstag um. Dann kommen dort hunderte Ärzte aus ganz Deutschland bei einem Sondertreffen zusammen, um ihrem Ärger über die Krankenkassen Luft zu machen. Köhler: «Wir werden ein deutlich wahrnehmbares Zeichen setzen, was wir von dieser Entscheidung halten und dass sich die Ärzteschaft so nicht behandeln lassen kann.» FDP-Gesundheitsexperte Heinz Lanfermann mahnte in der «Welt»: «Ich weiß nicht, ob das der richtige Weg ist, jetzt schon Praxen zu schließen.»