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Präzisionsmedizin – die beste Therapie für den Patienten oder die Patientin finden

Präzisionsmedizin – auch Personalisierte Medizin genannt – ist ein Behandlungskonzept, das Patient:innen schneller zu einer für sie geeigneten Therapie verhelfen und zugleich das Gesundheitswesen effizienter machen kann. Es beruht in hohem Maße auf den Möglichkeiten der modernen Diagnostik einschließlich Gendiagnostik.

Verteilung der Medikamente der Präzisionsmedizin auf verschiedene Anwendungsgebiete (Stand: Mai 2025)

Verteilung der Medikamente der Präzisionsmedizin auf verschiedene Anwendungsgebiete (Stand: Mai 2025). Quelle: BCG-Analyse, vfa-Datenbank. Publiziert in: BCG vfa Biotech-Report 2025


Präzisionsmedizin mit Tandems aus Medikament und Vortest

Bei den Medikamenten der Präzisionsmedizin, die erst nach Vortest eingesetzt werden, kann der Vortest grundsätzlich eine von drei Arten von Prognosen liefern:

  • ob das in Betracht gezogene Medikament bei diesem Patienten oder dieser Patientin voraussichtlich wirksam ist;
  • ob der konkrete Patient oder die Patientin das in Betracht gezogene Medikament voraussichtlich verträgt;
  • wie das Medikament für diesen Patienten oder diese Patientin am besten dosiert wird.

An Beispielen aus der HIV- und der Krebstherapie lässt sich sehen, wie die Präzisionsmedizin mit solchen Testergebnissen verfährt:

HIV-Infizierte benötigen eine Medikamentenkombination, die die Virenvermehrung in ihrem Körper verhindert. Mitunter kommt ein Medikament mit dem Wirkstoff Abacavir als Teil der Kombination in Betracht; allerdings vertragen rund 3 % der Patient:innen diesen Wirkstoff nicht. Forschung ergab, dass sich Patient:innen mit hohem Risiko einer schweren Nebenwirkung (Vergiftung) daran erkennen lassen, dass sie von einem bestimmten Gen (es trägt das Kürzel HLA-B) eine besondere Variante haben, die als HLA-B*5701 bezeichnet wird. Darauf aufbauend wurde ein Gentest entwickelt, der diese Variante nachweisen kann; für den Test ist nur eine Blutprobe der Patient:innen nötig. Seit 2008 ist jeder Behandelnde verpflichtet, mit seinen Patient:innen vor der Verordnung diesen Test durchzuführen. Haben die Patient:innen die Variante nicht, kann ihnen im Rahmen der Kombinationstherapie das Abacavir-Medikament verordnet werden; im anderen Fall muss eine andere Kombination gewählt werden.

Krebszellen zeichnen sich gegenüber gesunden Körperzellen durch eine Reihe von Mutationen (also Genveränderungen) aus; doch finden sich im Tumorgewebe verschiedener Patient:innen mit der gleichen Krebsart nicht unbedingt die gleichen Mutationen. Von den Mutationen hängt jedoch ab, ob bestimmte Therapien wirksam sind. So sind Medikamente mit den Wirkstoffen Cetuximab oder Panitumumab bei fortgeschrittenem Darmkrebs nur dann wirksam, wenn in den Tumorzellen das Gen KRAS noch unmutiert ist; das ist bei etwa 60 % der Patient:innen der Fall. Ob das im vorliegenden Fall auch so ist, muss deshalb bei einer Gewebeprobe aus dem Tumor abgeprüft werden, ehe eins dieser Medikamente verordnet wird. Ist das nicht der Fall, müssen die Ärzt:innen eine andere Therapie durchführen.

Die Vortests für viele andere Medikamente der Präzisionsmedizin funktionieren ähnlich. Im Falle von Krebsmedikamenten interessiert meist nicht die genetische Beschaffenheit der gesunden Zellen der zu behandelnden Person, sondern die der Krebszellen; also wird dann meist eine Tumorbiopsie durchgeführt, also eine kleine Probe von Tumorgewebe entnommen und untersucht. In manchen Fällen lässt sich diese Untersuchung aber sogar mit einer einfachen Blutprobe durchführen; denn diese enthält einige Krebszellen, die gewissermaßen herausgefiltert und untersucht werden können – dann spricht die Medizin von "liquid biopsy".

Was an diesen Beispielen deutlich wird: Medikament und Vortest bilden jeweils gewissermaßen ein „Tandem“, das stets zusammen zum Einsatz kommt.

Der Vorzug eines präzisionsmedizinischen Vorgehens besteht darin, Ärzt:innen und Patient:innen einiges an „Versuch und Irrtum" in der Therapiewahl zu ersparen. Die Patient:innen erhalten so im Schnitt schneller eine wirksame Behandlung und im Fall von Krebs eine bessere Chance, dass die fortschreitende Erkrankung noch aufgehalten werden kann; und die Krankenversicherungen müssen seltener für Therapien zahlen, die sich als unwirksam erweisen.

Beispiel für eine Therapie im Sinne der Personalisierten Medizin

Diese Abbildung kann auch als pdf heruntergeladen werden.

Wenn bald für mehr Medikamente die Optionen für den personalisierten Einsatz erforscht sind, könnte eine typische Behandlung im Rahmen der Personalisierten Medizin so ablaufen (siehe auch Abbildung "Beispiel für eine Therapie ..."):

1. Der Patient hat eine bestimmte Krankheit, und Medikament A erscheint zunächst als erste Wahl. Nun wird ein Vortest durchgeführt und zeigt, dass dieses Medikament speziell bei diesem Patienten wohl nicht wirksam wäre.

2. Dann käme Medikament B in Betracht. Wieder wird ein Vortest durchgeführt, aber auch dieser ist negativ – dieses Mal wegen zu erwartender Unverträglichkeit.

3. Der Arzt erwägt nun Medikament C. Der Vortest ist positiv; so dass der Arzt das Medikament verordnet und der Patient es einnimmt. Tatsächlich erweist es sich als wirksam und verträglich.

So hat das Vorgehen im Sinne der Personalisierten Medizin geholfen, einiges an Versuch und Irrtum zu vermeiden.

Die präzisionsmedizinische Forschung hat dazu geführt, dass für eine umfassende Therapieentscheidung nach Diagnose bestimmter Krankheiten nicht nur ein oder zwei, sondern gleich eine Vielzahl von Vortests sinnvoll ist. So sind es im Fall des nicht-kleinzelligen Lungenkrebs (NSCLC) derzeit zehn. In der medizinischen Versorgung in Deutschland werden allerdings längst nicht alle Vortests bei den Patienten und Patientinnen auch durchgeführt. Das dokumentiert eine Untersuchung von Griesinger et al., die 2021 publiziert wurde (siehe nachfolgende Abbildung).

Häufigkeit der Durchführung bestimmter Vortests zur Therapiewahl beim nicht-plattenepithelialen nicht-kleinzelligen Lungenkrebs (NSCLC) in Deutschland. Die Abkürzungen stehen für verschiedene Gene, bei denen die Eignung bestimmter Medikamente abhängig davon ist, ob sie mutiert sind oder nicht, was durch geeignete Vortests festgestellt werden kann. Quelle: Griesinger F et al., Lung Cancer 2021 Feb:152:174-184. Grafik entnommen aus BCG vfa Biotech-Report 2025.

Präzisionsmedizin mit individuell hergestellten Medikamenten

Die Entwicklung eines Medikaments nur für eine Person ist in aller Regel weder wissenschaftlich noch ökonomisch vorstellbar. In einigen Sonderfällen ist es jedoch sinnvoll: Dann wird statt eines einzelnen Medikaments eine Therapiemethode entwickelt, und für diese ein Verfahren, durch das das erforderliche Medikament unter Verwendung von Zellen oder Genen des jeweiligen Patienten oder der jeweiligen Patientin hergestellt werden kann.

Ein Beispiel dafür ist die zugelassene Therapie gegen die angeboren Immunschwäche ADA-SCID. Kinder, die daran leiden, haben unbehandelt nur in einer sterilen Umgebung Überlebenschancen (was ihnen den Namen "bubble boys" eingetragen hat). Seit einigen Jahren können jedoch Körperzellen der kleinen Patienten im Labor mit einem Gen nachgerüstet und wieder in den Körper infundiert werden; damit lässt sich die Immunschwäche lindern. Die gentechnisch veränderten Zellen sind dabei das "Medikament".

Ähnlich funktionieren auch die seit einigen Jahren zur Behandlung bestimmter Lymphome und Leukämien zugelassenen CAR-T-Zell-Therapien. Den Patient:innen werden Immunzellen – T-Zellen – entnommen und im Labor gentechnisch um einen Molekültyp (einen Antigen-Rezeptor) ergänzt, der es ihnen ermöglicht, die Tumorzellen zu finden und ihre Zerstörung zu veranlassen. Nachdem die veränderten Zellen im Labor vermehrt wurden, werden sie den Patient:innen zurückgegeben.

Noch in Entwicklung sind individuelle therapeutische Impfstoffe für die Krebstherapie. Sie sollen das Immunsystem des oder der Erkrankten gegen den Tumor mobilisieren, indem sie ihm plakativ nahebringen, an welchen Proteinen die Tumorzellen zu erkennen sind. Dafür kommen die Proteine in Betracht, die aus den mutierten Genen der Tumorzellen hervorgehen; denn die gibt es ja in gesunden Zellen nicht. Aus der Menge der mutierten Proteine müssen für den Impfstoff die auffälligsten ausgewählt und dann künstlich produziert werden. Nach der Injektion steigern sie dann die Aufmerksamkeit des Immunsystems für alles im Körper, was diese mutierten Proteine besitzt. Alternativ können auch mRNAs produziert und als Impfstoff verwendet werden. Sie regen dann nach der Injektion einige gesunde Zellen des Körpers dazu an, den zuvor genannten Impfstoff quasi direkt im Körper selbst herzustellen.