CAR-T-Zellen: Mit personalisierten Immuntherapien gegen Krebs
Seit 2018 sind außergewöhnliche Krebstherapien in Europa zugelassen: CAR-T-Zellen. Einsetzbar ist diese immunonkologische Methode bislang gegen bestimmte hämatologische Krebsarten, also solchen, die von Blutzellen oder ihren Vorläufern ausgehen. Die dafür individuell hergestellten CAR-T-Zellen zählen zu den Arzneimitteln für neuartige Therapien (Advanced Therapy Medicinal Products: ATMP).

CAR-T-Zelltherapien arbeiten mit körpereigenen Abwehrzellen des Patienten, die im Labor so modifiziert werden, dass sie die Tumorzellen aufspüren und zerstören können. Es handelt sich also um hochkomplexe „lebende Arzneimittel“, die von der EMA als Gentherapien eingestuft werden. Schon als es 2017 um die erste Zulassung dieser Art in den USA ging, sagte Gwen Nichols, medizinische Leiterin der amerikanischen Leukämie- und Lymphom-Gesellschaft: „Dies ist der Beginn von etwas Großem“. (1)
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Derzeit sind in der EU sechs CAR-T-Zelltherapien zugelassen. Sie werden bei der Behandlung bestimmter Patient:innen mit verschiedenen Blutkrebsarten eingesetzt: seltene Formen von Leukämie, Lymphomen und dem Multiplen Myelom. Eine detaillierte Übersicht zugelassener ATMP inklusive der CAR-T-Zelltherapien stellt der vfa in einer Datenbank bereit.(4)
Wie das Immunsystem „scharf“ gestellt wird
Die Therapie besteht aus autologen (von den Patient:innen selbst stammenden) T-Lymphozyten – kurz T-Zellen –, die im Labor gentechnisch umprogrammiert wurden, damit sie diejenigen Zellen erkennen und angreifen, die ein Tumor-spezifisches Oberflächenmerkmal wie etwa CD19 oder BCMA tragen. Dazu werden die T-Zellen gentechnisch mit einem Sensor für das jeweilige Oberflächenmerkmal (einem Chimären Antigen-Rezeptor: CAR) ausgestattet. Denn CD19 kommt speziell bei einer anderen Art von Immunzellen vor, den B-Zellen, aber auch bei 95 % der Tumoren, die aus B-Zellen entstanden sind.(5)
Das BCMA-Antigen tragen hingegen entartete Vorläufer-B-Zellen, die sich zu einem multiplen Myelom entwickelt haben. CD19 und BCMA sind also ein ideale Angriffspunkte für Immuntherapien mittels CAR-T-Zellen(6)
, wenn auf malignen B-Zellen beruhende Krebsarten zu bekämpfen sind.
Das Konzept der CAR-T-Zell-Therapie stammt bereits aus den 1980er Jahren. Im Prinzip könnte dieser Therapieansatz zur Bekämpfung aller Krebsarten eingesetzt werden, bei denen sich die Tumorzellen von allen oder den meisten anderen Zellen durch bestimmte Marker auf ihrer Oberfläche unterscheiden, die dann T-Zellen als Erkennungsmerkmale dienen können.
Da diese Therapieform das Immunsystem in die Krebsbekämpfung einbezieht, wird sie von Onkologen zu den immunonkologischen Therapien gezählt. Diese erweitern seit einigen Jahren das Repertoire der Behandlungsformen neben den anderen vier „Säulen“ der Therapie, nämlich der operativen Entfernung („Stahl“), der Bestrahlung („Strahl“), der Chemotherapie (die teilungsaktive Zellen tötet) und den zielgerichteten Therapien (die medikamentös in die Steuerung der Zellteilung eingreifen).
Geschichte des Begriffs Leukämie
Leukämie bedeutet „weißes Blut“ (altgriechisch leukós = weiß; haima = Blut). Es handelt sich um eine Gruppe von Erkrankungen des blutbildenden bzw. des Lymphsystems, die zu den Krebserkrankungen gehören. 1845 beschrieb Rudolf Virchow – fast zeitgleich mit dem schottischen Pathologen John Hughes Bennett und dem Franzosen Alfred Donné – erstmals das Krankheitsbild einer Leukämie. Virchow war es auch, der den Begriff der „Leukämie“ prägte. 1868 wurde zum ersten Mal das Knochenmark als Bildungsstätte des Blutes durch Ernst Neumann genannt, der später auch die Stammzelltheorie der Bildung von Blutzellen (Hämatopoese) entwickelte. Schließlich entwickelte Paul Ehrlich 1877 Methoden zur Färbung von Blutausstrichen, womit eine genauere Einteilung von Leukozyten – den weißen Blutkörperchen – möglich wurde. 1889 wurde durch den Mediziner und Wissenschaftler Wilhelm Ebstein der Begriff „akute Leukämie“ in Abgrenzung zu den chronischen Leukämien eingeführt, und zur Jahrhundertwende erfolgte durch den Schweizer Otto Naegeli die Klassifikation in „myeloische“ und „lymphatische“ Leukämien, die noch heute verwendet wird.
Folgen für das Immunsystem
Da CAR-T-Zell-Therapien zum Teil mit erheblichen Nebenwirkungen einhergehen, können sie laut Zulassung nur angewandt werden, wenn mindestens zwei andere Krebstherapien (wie Bestrahlung oder Chemotherapie) nicht angeschlagen haben. Zu den Nebenwirkungen zählen insbesondere der Zytokinsturm (Cytokin Release Syndrom: CRS), der durch eine starke Ausschüttung von Immunbotenstoffen durch die CAR-T-Zellen ausgelöst wird und schwere Grippe-Symptome wie hohes Fieber und Schüttelfrost bewirkt. Für diese Fälle muss vor Beginn der CAR-T-Zell-Therapie und während der Wochen danach ein bestimmtes immunmodulatorisches Medikament und eine Notfallausrüstung bereitliegen. Auch neurologische Symptome – insbesondere Enzephalopathie, Verwirrtheitszustände oder Delirium – sind möglich. Außerdem zerstören gegen CD19 gerichtete CAR-T-Zellen neben den zu Krebszellen entarteten B-Zellen auch die normalen B-Zellen des Patienten mit der Folge, dass das Immunsystem dann nicht mehr hinreichend intakt ist, um auf Krankheitserreger reagieren zu können. Die B-Zellen produzieren nämlich Antikörper, die eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung von Infektionen spielen. Der mit dem B-Zell-Mangel einhergehenden Immunschwäche kann mit einer Immunglobulin-Ersatztherapie begegnet werden.
Ziel: Nicht nur gegen Leukämien und Lymphome
Mit CAR-T-Zellen oder verwandten Zellen sollen künftig noch andere hämatologische Krebsarten, aber auch solide Tumore immunonkologisch behandelt werden. Eine Vielzahl klinischer Studien laufen, in denen geklärt wird, ob sich die Therapien hier bewähren oder nicht. Anwendungsgebiete, in denen klinische Studien mit CAR-T-Zellen laufen, sind u.a. Glioblastome, Bauchspeicheldrüsenkrebs, Adenokarzinome und Sarkome.(7)
Zudem forschen Wisssenschaftler:innen daran, mit CAR-T-Zellen auch Autoimmun- und Infektionskrankheiten wie Lupus erythematodes und HIV zu behandeln. Erste klinische Studien hierzu laufen bereits. (8)
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Weltweit gibt es inzwischen Hunderte von klinischen Studien mit verschiedenen CAR-T-Zell-Therapien, die meisten davon in China und den USA. (10)
Weitere zelluläre Therapien gegen Krebs in Entwicklung
Während des Lebens entstehen im menschlichen Körper viele Krebszellen, die jedoch in den meisten Fällen zuverlässig von Immunzellen wie den T-Zellen erkannt und abgetötet werden. Anstelle eines chimären Rezeptors kann den patienteneigenen T-Zellen daher auch ein natürlich vorkommender T-Zell-Rezeptor eingesetzt werden. Dieser bindet dann ebenfalls spezifisch Antigene auf Tumorzellen und bewirkt das Auslösen des programmierten Todes der Tumorzelle. Da hier kein CAR-Protein in die Zellen eingeschleust wird, spricht man nicht von CAR-T-Zellen, sondern von T-Zell-Rezeptor modifizierten T-Zellen (TCR-T-Zellen).
T-Zellen sind jedoch nicht die einzigen Immunzellen, die sich im Rahmen der Immunonkologie therapeutisch nutzen lassen. Auch die dendritischen Zellen von Patient:innen kommen dafür in Betracht. Ihre Aufgabe ist es fremdartige Strukturen wie Pathogene oder Krebszellen aufzuspüren. Bei diesen muss aber nicht ein Rezeptor ergänzt werden, vielmehr gilt es, sie mit einem Tumorantigen auszustatten. Dieses präsentieren die dendritischen Zellen dann T-Zellen, was sie für den Kampf gegen den Tumor aktiviert. Eine erste Therapie dieser Art, Sipuleucel-T zur Behandlung von Prostatakrebs, wurde in der EU Ende 2013 zugelassen, jedoch im Mai 2015 aus wirtschaftlichen Gründen zurückgezogen.
Abschließend sei noch der adoptive Transfer von mesenchymalen Stammzellen (MSC) – Vorläuferzellen des Bindegewebes – erwähnt. MSC lassen sich effizient mit eingeschleusten Genen modifizieren und zur zielgerichteten Therapie verschiedener Krankheiten anwenden. Es gibt einige Ansätze in der frühen klinischen Entwicklung, weitere modifizierte MSC zur Immuntherapie von Krebs mittels modifizierter MSC sind aktuell in Vorbereitung.
Hohe Anforderungen an Produktion
Der aufwendige Produktionsprozess für diese zellbasierten Therapien stellt eine große Herausforderung dar. Die Zellen müssen aus dem Blut der Patient:innen gewonnen und möglichst schnell zu einem Speziallabor transportiert werden, wo die gentechnische Ausstattung mit dem neuen T-Zell-Rezeptor erfolgt. Anschließend werden die veränderten Zellen vermehrt, zurück zu den Patient:innen gebracht und ihnen per Infusion verabreicht, wobei während des gesamten Prozesses die Kühlkette sowie die hohen Standards zur Produktion von Arzneimitteln (GMP) eingehalten werden müssen. Der autologe Zelltransfer ist damit sehr zeit- und arbeitsaufwendig und daher kostenintensiv. Es gibt zwar erste Ansätze für allogenen Zelltransfer, bei dem nicht patienteneigene Zellen, sondern Zellen von einem Spender verwendet werden; diese müssen sich jedoch erst noch in klinischen Prüfungen beweisen.
Bei der Erforschung dieser innovativen zellbasierten Therapien sind auch viele akademische Labore und Biotech-Firmen in Deutschland aktiv – teilweise in Kooperation mit großen Pharmafirmen. Daher ist es gut möglich, dass an der künftigen Ausweitung des Therapiegebietes auch Unternehmen aus Deutschland beteiligt sind.
Quellen:
(1) https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/76981/Leukaemie-Erste-CAR-T-Zell-Therapie-in-den-USA-vor-der-Zulassung
(2) https://www.nytimes.com/2017/07/12/health/fda-novartis-leukemia-gene-medicine.html
(3) https://www.nejm.org/doi/10.1056/NEJMoa1407222
(4) https://www.vfa.de/atmp
(5) https://www.fda.gov/downloads/AdvisoryCommittees/CommitteesMeetingMaterials/Drugs/OncologicDrugsAdvisoryCommittee.pdf
(6) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC3979594/
(7) www.clinicaltrials.gov
(8) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/36109639/
(9) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34375315/
(10) https://www.vfa-bio.de/biotech2020