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Tschüss -mab, Hallo -mig (und -ment, -bart und -tug)

Monoklonale Antikörper sind eine wichtige Gruppe von Biopharmazeutika, deren Wirkstoffnamen die einheitliche Endsilbe „-mab“ tragen. Ende 2021 hat die WHO überarbeitete Namensregeln veröffentlicht, die vier neue Endungen einführen. vfa bio erklärt die Hintergründe und wie Antikörpernamen in Zukunft zustande kommen.

Die Präzisionswerkzeuge des Immunsystems

Dass Antikörper ein wichtiger Bestandteil unseres Immunsystems sind, ist spätestens während der Covid-19-Pandemie den meisten Menschen bewusst geworden. Die große Stärke dieser körpereigenen Abwehrmoleküle liegt in der schier endlosen Vielfalt möglicher Antigene, die sie spezifisch erkennen und so neutralisieren können. Durch verschiedene Auswahl- und Reifungsprozesse bildet ein gesundes Immunsystem etwa innerhalb weniger Tage nach einer SARS-CoV-2-Infektion eine ganze Palette verschiedener Antikörper, die an das Virus oder davon befallene Zellen binden. Hierdurch werden sie für die Immunzellen zur anschließenden Neutralisierung markiert. (1)

Zudem arbeiten akademische Gruppen, Pharma- und Biotech-Unternehmen daran, Antikörper-basierte Medikamente zur Vorbeugung und Behandlung einer SARS-CoV-2-Infektion bei Menschen mit einem hohen Risiko für einen schweren Verlauf zu entwickeln. Vier solcher Medikamente wurden bereits in der EU zugelassen, mehrere Dutzend befinden sich in klinischen Studien. (2) (3)

Von A wie Atemwege bis Z wie ZNS

Antikörper spielen eine wichtige Rolle in verschiedenen Krankheitsgebieten

Doch auch abseits von Corona haben sich monoklonale Antikörper (mAbs) als wertvolle Medikamente etabliert (mono- vs. polyklonal und weitere Begriffe rund um Antikörper erklären wir in der Infobox). Seitdem 1998 der erste mAb zur Behandlung einer speziellen Blutkrebsart in der EU zugelassen wurde, sind ca. 130 weitere in hinzugekommen, die bei einer Vielzahl von Krankheiten eingesetzt werden. Wie die Boston Consulting Group im Auftrag von vfa bio für den Biotech-Report 2021 ermittelte, sind Wirkstoffe zur Therapie von Krebserkrankungen mit etwa einem Drittel aller mAbs dabei die größte Gruppe.(4)

Eine wichtige Rolle für die vielen neuen Wirkstoffe in den vergangenen Jahren spielen sogenannte neuartige Antikörperderivate. Damit sind biochemische Veränderungen der Molekülstruktur gemeint, die den Antikörpern neue Eigenschaften verleihen. Zusammen mit der hohen Zahl in Entwicklung befindlicher Antikörper war ihre zunehmende strukturelle Komplexität für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Ende 2021 Anlass, die Benennungsregeln für Antikörper zu überarbeiten. Denn Wirkstoffnamen werden oft bereits früh im Entwicklungsprozess von den Wissenschaftler:innen beantragt und da ein einmal vergebener INN auch dann nicht zurückgegeben wird, falls der Wirkstoff keine Zulassung erhält, war der Namensspielraum für neue Antikörper schlicht erschöpft.(5)

Wie Antikörper zu ihren Namen kamen…

Um Arzneimittelwirkstoffe weltweit einheitlich und vor allem auch verwechslungsfrei zu benennen, führt die WHO das internationale Freinamensystem, kurz INN (international nonproprietary names). Laut den bisherigen INN-Regeln galt für alle mAbs die einheitliche Endsilbe (Suffix) „-mab“, sowie mehrere mögliche Zwischensilben (Infixe), die etwa das Anwendungsgebiet (z.B. „-tu-“ für Tumortherapeutika) oder chemische Modifikationen (z.B. „-zu-“ für humanisierte Antikörper) bezeichneten.(6)

Gerade bei den Modifikationen gab es in den letzten Jahren durch die wissenschaftlichen Fortschritte viele neue Varianten. Hier kann man im Wesentlichen drei verschiedene Kategorien von mAb-Derivaten unterscheiden:

  • Derivate mit biochemischen Modifikationen, die auf vollständigen Antikörpermolekülen beruhen
  • Derivate, die auf verkürzten Antikörpermolekülen basieren (sogenannte Antikörperfragmente)
  • Konjugate, bei denen eine kleine chemische Substanz an einen Antikörper gekoppelt wird. Das kann etwa ein Chemotherapeutikum sein, um es über den Antikörper gezielt in Krebszellen einzuschleusen.

… und wie sie in Zukunft dazu kommen

Doch mit einer Endung für alle Antikörper ist jetzt Schluss. Auf ihrer letzten Tagung im Oktober 2021 beschloss die INN-Expert:innengruppe der WHO ein überarbeitetes Namenssystem, dessen Kern jetzt vier verschiedene Suffixe für Antikörper-INN bilden:

  • Bi- und multispezifische Antikörper, die zwei oder mehr verschiedene Epitope oder Antigene binden können, erhalten das Suffix „-mig“. Die Abkürzung steht für multispezifische Immunglobuline
  • Unmodifizierte, vollständige Antikörper, die spezifisch für genau ein Antigen/Epitop sind, erhalten das Suffix „-tug“.
  • Am Suffix „-bart“ erkennt man zukünftig künstliche (auf Englisch: artificial) Antikörper. Darunter versteht die WHO solche Immunglobuline, die zwar spezifisch für nur ein Antigen sind, aber in der Natur nicht vorkommende Modifikationen aufweisen. Dazu zählen beispielsweise Mutationen, die eine längere Halbwertszeit im Blut bewirken oder das Anfügen künstlicher Zuckerketten.
  • Zuletzt erhalten alle Antikörperfragmente, die nicht die Suffixe -bart oder -tug bekommen, die Endung „-ment“. In diese Kategorie fallen insbesondere Fab-Fragmente, bei denen bis auf die Antigen-bindenden Regionen fast alle anderen Proteinbereiche entfernt wurden. Dadurch sind sie besonders klein und können besser an schwer erreichbare Zielmoleküle gelangen.

Modell eines Antikörper-Wirkstoff-Konjugates (Antibody-Drug-Conjugate)Antikörper-Wirkstoff-Konjugate werden hingegen nicht separat benannt: hier bekommt der mAb-Teil seinen Namen nach den neuen Regeln und der Name des gekoppelten Wirkstoffs wird einfach mit einem Leerzeichen angehängt.(7) Ebenso werden bis auf wenige Ausnahmen die Infixe nicht verändert. Einen detaillierten Überblick der Regelungen gibt das Paul-Ehrlich-Institut auf seiner Website.(8)

Und wie geht es jetzt weiter?

Genau genommen wird es zukünftig sogar fünf Suffixe geben – denn aufgrund der INN-Regeln behalten Wirkstoffe ihren INN schließlich auf ewig. Alle bisher vergebenen INN für Antikörper enden also weiter mit dem klassischen „-mab“. Bis Ärzt:innen die ersten -migs, -ments, -barts oder -tugs verschreiben, wird es also noch mehrere Jahre dauern – Zeit genug, um sich von den -mabs zu verabschieden.

Literaturtipps