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Grippeimpfstoffe: Abwehrkraft gegen ein wandlungsfähiges Virus

Hohes Fieber, Gliederschmerzen, heftige Abgeschlagenheit – und das von einem Moment auf den anderen: Wer einmal unter der echten Grippe gelitten hat, weiß, dass sie von anderem Kaliber ist als ein harmloserer grippaler Infekt. Viele Grippeinfekte lassen sich aber durch Impfungen vermeiden. Und Unternehmen forschen an noch wirksameren Impfstoffen gegen kommende Grippewellen.

Familie in einer Winterlandschaft die in einer Reihe aufgestellt Schnee nach oben wirft.

Betroffen von Influenza, so der Fachbegriff, können in den Wintermonaten bis zu 20 Prozent einer Bevölkerung sein, schätzt die Weltgesundheitsorganisation (WHO). In Deutschland rechnet man aktuell mit rund 200.000 Fällen pro Saison, wobei mit einer erheblichen Untererfassung zu rechnen ist.(1) Laut Robert Koch Institut dauert die Krankheit meist fünf bis sieben Tage, kann aber auch wesentlich länger bestehen.(2) Und sie kann auch fatale Folgen haben: Weltweit sterben nach WHO-Auskunft bis zu 650.000 Menschen an den Folgen einer Influenza-Infektion, allein in Europa werden bis zu 72.000 Todesfälle gezählt.(3) Den besten Schutz vor der Krankheit bietet eine Grippe-Impfung.(4)

In Deutschland wird die Grippeschutzimpfung Menschen mit erhöhtem Risiko für schwere Krankheitsverläufe empfohlen, also allen Frauen und Männern ab 60 Jahren, Schwangeren und chronisch Kranken jeden Alters, außerdem medizinischen Fachkräften und Pflegepersonal sowie ganz allgemein allen, die Risikopersonen gefährden können.(5) (6) Zugelassen sind die Impfstoffe aber auch für jüngere gesunde Menschen; und Ärzt:innen und künftig auch Apotheker:innen sind darauf eingestellt sie zu impfen.

Wann zur Grippeimpfung?

Für den Aufbau eines Impfschutzes gegen Grippe für eine Saison genügt eine Injektion (bzw. nasale Applikation). Der beste Zeitpunkt dafür liegt zwischen Anfang Oktober und Mitte Dezember.(7) Dann hat das Immunsystem noch etwas Zeit, um sich auf das Eintreffen einer Influenzawelle vorzubereiten, wie sie in Deutschland meist zwischen Januar und März besonders aktiv ist. Eine Impfung kann aber auch noch sinnvoll sein, wenn Deutschland schon von einer Grippewelle erfasst wurde. Schließlich sei nie genau vorherzusagen, wie lange sie andauern wird, heißt es beim Robert-Koch-Institut (RKI).(8) Grippeschutzimpfungen bieten nicht nur niedergelassene Ärzte, Betriebsärzte und Krankenhäuser an, sondern ab Herbst 2022 sind dazu auch Apotheken berechtigt.(9)

Nutzen für Individuum und Gesellschaft

WHO und EU empfehlen eine Impfquote von mindestens 75 Prozent bei Menschen ab 60 Jahren. Davon ist man in Deutschland weit entfernt, auch wenn der Trend seit 2018/19 nach oben weist. In der Saison 2020/2021 betrug die Impfquote bei Personen ab Sechzig 47,3 Prozent – mit markanten Unterschieden zwischen westlichen (44 Prozent) und östlichen Bundesländern (62,3 Prozent). Auch bei anderen Gruppen wurden die Zielwerte nicht erreicht (chronisch Kranke: 39,3 Prozent; Schwangere: 23,3 Prozent).(10)

Dabei sind die Vorteile von Grippeschutzimpfungen unbestritten. Berechnungen zufolge werden dadurch in Deutschland, trotz relativ geringer Impfbeteiligung, bei den Über-Sechzigjährigen jährlich rund 400.000 Erkrankungen vermieden.(11) Gleichwohl stellt die Krankheit nach wie vor eine enorme Belastung für die Gesellschaft dar. So berichtet das RKI allein für die Jahre 2017 bis 2019 von bis zu neun Millionen ärztlichen Konsultationen und bis zu 45.000 Krankenhauseinweisungen im Zusammenhang mit der Virusgrippe (siehe dazu die Saisonberichte der AG Influenza 2016/17-2018/19 (12) ).

Die Gesamtkosten sind immens. So schlägt in Deutschland die Versorgung von Patienten mit klinisch diagnostizierter Grippe jährlich mit rund 3,1 Milliarden Euro zu Buche, wozu Arbeitsausfälle einen großen Teil beitragen.(13)

Welche Grippeimpfstoffe gibt es?

Von Grippeviren gibt es zahlreiche Stämme. Grob lassen sich diese in die Influenza-A-Viren und die Influenza-B-Viren gruppieren; aber auch innerhalb dieser Gruppen ist die Unterschiedlichkeit der Stämme so groß, dass bisher noch keine universellen „Anti-A“- oder „Anti-B“-Impfstoffe gelungen sind. Obendrein verändern sich die Stämme im Laufe der Zeit. In den Nationalen Influenzazentren und den Kollaborationszentren der WHO wird die Ausbreitung und Dynamik der verschiedenen Virenstämme und -linien kontinuierlich untersucht. Ausgehend davon wählt die WHO jede Saison zwei Influenza-A- und zwei Influenza-B-Stämme, gegen die sich die Impfstoffe der Saison richten sollen. Deshalb sind die meisten Grippeimpfstoffe quadrivalent (auch tetravalent genannt), enthalten also Antigene (= Immunreaktionen auslösendes Material) aus den vier Virenstämmen. Für die Nordhalbkugel-Impfstoffe trifft die WHO die Entscheidung meist im Februar; für die Südhalbkugel-Impfstoffe ein halbes Jahr später.

Die Antigene für die Impfstoffe werden aus Grippeviren gewonnen, die in Hühnereiern oder Zellkulturen vermehrt wurden.

Neben den bislang beschriebenen saisonalen Impfstoffen gibt es auch noch sogenannte präpandemische und pandemische Impfstoffe mit deutlich höheren Antigenkonzentrationen. Die betreffenden Antigene kommen dann von Viren eines Stamms, der aufgrund hoher Infektiosität und Pathogenität eine schwere Grippepandemie auslösen könnte oder das bereits getan hat.

In der Regel werden Grippeimpfstoffe zunächst für Erwachsene ab 18 Jahren zugelassen. Sie können später, nach entsprechender klinischer Prüfung, auch Jüngeren verschrieben werden. Darüber hinaus gibt es speziell für bestimmte Altersgruppen entwickelte Grippeimpfstoffe. Dazu zählen abgeschwächte Lebendimpfstoffe in Form von Nasensprays für Kinder und Jugendliche ab sechs Monaten oder ein ebenfalls in Zellkulturen hergestellter Impfstoff auf Basis mehrerer viraler Proteine (mehr zu diesem Impfstofftyp siehe unten) für Kinder ab dem zweiten Lebensjahr.(14)

Grundsätzlich stehen allen Menschen in Deutschland - vor allem denen, denen aus beruflichen Gründen oder auf Grund anderer Erkrankungen eine Grippeimpfung empfohlen wird - alle zugelassenen Grippeimpfstoffe zur Verfügung: Die Auswahlentscheidung liegt bei der/dem Einzelnen und sollte immer in Abstimmung mit der impfenden Person getroffen werden.

Die STIKO empfiehlt allen Menschen ab 60 Jahren jeden Herbst die Influenzaimpfung mit einem inaktivierten quadrivalenten Hochdosis-Impfstoff als Standardimpfung. Hochdosis-Impfstoffe enthalten etwa vier Mal mehr Antigen als die anderen Impfstoffe. Neben der Standardimpfung gibt die STIKO auch u.a. Empfehlungen für Indikations- und Reiseimpfungen gegen Influenza, etwa für Schwangere oder Bewohner:innen von Alten- und Pflegeheimen. Für diese Impfungen empfiehlt die STIKO den Einsatz von inaktivierten quadrivalenten Impfstoffen. (15) (16)

Zugelassen für die Grippesaison 2022/2023 sind in Deutschland insgesamt neun Grippeimpfstoffe mit Stammanpassung gemäß WHO-Empfehlung.(17) (8)

Schutzwirkung von Grippeimpfstoffen

Plakat der BZgA für die Grippe-ImpfungAktuelles Plakat von BZgA, RKI und anderen zur GrippeimpfungSehr viele Erkrankungsfälle lassen sich durch die Grippeimpfung verhindern. Hundertprozentigen Schutz kann sie jedoch nicht bieten. Denn die Impfstoffe enthalten ja nur die Antigene von maximal vier Grippestämmen. Breiten sich in der Zeit von der WHO-Entscheidung bis zur Impfung andere Stämme aus, wirkt die Impfung nicht oder nur vermindert. Einfluss auf die Wirksamkeit der Impfung haben zudem Faktoren wie das Alter des oder der Geimpften sowie frühere Influenza-Infektionen und -Impfungen.(18) Weil die Impfreaktion bei älteren Menschen oft schwächer ausfällt, empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) am RKI allen Personen ab 60 Jahren einen quadrivalenten Hochdosis-Impfstoff und weist dabei auf die durch Studien erwiesene Überlegenheit gegenüber konventionellen Impfstoffen hin.(19) (20) Wenn es trotz Impfung zu einer Virusgrippe kommt, verläuft diese bei geimpften Personen häufig milder als bei Ungeimpften.(21) Im Allgemeinen schützt eine Grippeimpfung rund sechs Monate lang, allerdings mit nachlassender Wirksamkeit.(22)

In mehreren Etappen zum fertigen saisonalen Grippe-Impfstoff

  • Stammauswahl: Bei der Herstellung von Grippeimpfstoffen herrscht Zeitdruck. Auf der Nordhalbkugel beginnt der Countdown im Februar (auf der Südhalbkugel im September). Dann veröffentlicht die WHO auf Basis der Meldungen von Referenzlaboren, die ständig weltweit Viren von Erkrankten sequenzieren (darunter dem Nationale Referenzzentrum für Influenzaviren am Berliner RKI (23) ), eine Vorhersage über die im nächsten Winter voraussichtlich zirkulierenden Virusstämme und wählt vier davon für die Produktion saisonaler Impfstoffe aus. Für die EU werden diese Empfehlungen durch die European Medicines Agency (EMA) bestätigt.(24)
  • Impfstoffproduktion: Im nächsten Schritt verschicken WHO-Referenzlabore den Herstellern "Saatviren" (das sind Grippeviren der ausgewählten Stämme oder auch Varianten davon, die ihnen äußerlich gleichen, aber leichter vermehrbar sind) beziehungsweise deren genetischen Code zu. Die "Saatviren" können die Hersteller dann in bebrüteten Hühnereiern oder in Säugetier-Zellkulturen vermehren. Rund 90 Prozent der Impfstoffmengen weltweit werden mit der Eier-Methode produziert (was jährlich eine halbe Milliarde Eier erfordert). Sie hat sich seit mehr als siebzig Jahren bewährt.(19) Die vermehrten Viren werden dann abgetötet, und die für den Impfstoff wesentlichen Antigene (die Proteine Hämagglutinin und Neuraminidase von der Virenoberfläche) werden gewonnen und zu injizierbaren Impfstoffen verarbeitet, die keine Viren mehr enthalten. Anders erfolgt die Herstellung des nasalen Grippeimpfstoffs: Ausgangspunkt sind hier vorhandene attenuierte (das heißt durch genetische Änderungen dauerhaft geschwächte) Grippeviren im Labor. Von diesen werden mit Hilfe des gelieferten genetischen Codes vier Versionen erzeugt, die hinsichtlich ihrer Oberflächenproteine (Hämagglutinin und Neuraminidase) den WHO-ausgewählten Grippestämmen gleichen. Diese werden zunächst in in Vero-Zellen (einem gängigen Typ von Säugetierzellen) und danach großtechnisch in Hühnereiern vermehrt. Aus diesen werden sie ohne Abtöten gewonnen und zum nasalen Impfstoff verarbeitet.(25) – Stets sind viele Herstellungsschritte und In-Prozess-Kontrollen erforderlich, damit nur einwandfreie Impfstoffe produziert werden.
  • Chargenprüfung: Von der Qualität der Impfstoffe überzeugt sich schließlich noch das Paul-Ehrlich-Institut (das als Bundesbehörde für Impfstoffe zuständig ist) in abschließenden Chargenprüfungen. Erst wenn diese positiv abgeschlossen sind, dürfen die Impfstoffe ausgeliefert werden.
  • Belieferung: Beginnen kann die Belieferung von Arztpraxen und Apotheken in der Regel im Spätsommer. Wenn alles nach Plan läuft, steht der neue Grippeschutz ab September in den Apotheken und Arztpraxen bereit.

Bedarfsgerechte Produktionsmengen für Deutschland: eine schwierige Aufgabe

Grippeimpfstoffe der Zukunft

Heutige Grippeimpfstoffe können viele Infektionen verhindern, aber sind noch nicht ideal. Eine Limitation ist die lange Vorlaufzeit für die Produktion stammangepasster saisonaler Impfstoffe. Bei kürzeren Produktionszeiten könnte die WHO-Entscheidung später im Jahr erfolgen, was die „Trefferquote“ bei der Wahl der relevanten Virenstämme erhöhen würde. Hier könnten Grippeimpfstoffe auf Basis der mRNA-Technologie punkten, weil sie schneller herzustellen sind. Mehrere solche Grippeimpfstoffe befinden sich bereits in der Erprobung mit Freiwilligen. Auch Kombinationsimpfstoffe gegen COVID-19 und Virusgrippe kündigen sich an. Auch hierzu gibt es erste klinische Studien.

Seit langem sind außerdem universelle Impfstoffe ein Ziel, also Impfstoffe, die über mehrere Jahre vor einem breiten Spektrum saisonaler wie auch neuartiger Grippeviren schützen und nur selten angepasst und nachgeimpft werden müssen. Einige Projekte dafür sind in der Forschungsphase.

Quelle

(1) https://edoc.rki.de/bitstream/handle/Beschluss-und-Wissenschaftliche-Begründung

(2) https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Ratgeber_Influenza_saisonal.html

(3) https://www.who.int/europe/activities/estimating-disease-burden-of-influenza

(4) https://www.who.int/news-room/feature-stories/detail/five-simple-steps-to-protect-against-flu

(5) https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/gesundheitsgefahren/influenza.html

(6) https://www.impfen-info.de/impfempfehlungen/fuer-erwachsene/grippe-influenza/

(7) https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Impfen/Influenza/Hochdosis-Impfstoffe/FAQ_Uebersicht.html

(8) https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Impfen/Influenza/Hochdosis-Impfstoffe/FAQ_Uebersicht.html

(9) https://www.pharmazeutische-zeitung.de/bundesrat-billigt-grippeimpfungen-in-apotheken

(10) https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv

(11) https://bmcinfectdis.biomedcentral.com/articles

(12) https://influenza.rki.de/Saisonbericht.aspx

(13) https://link.springer.com/article

(14) https://www.pei.de/DE/newsroom/hp-meldungen/2022/220824-influenzasaison-2022-2023-freigabe-erste-grippeimpfstoff-chargen.html

(15) https://www.kbv.de/html

(16) https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Impfen/Influenza/Hochdosis-Impfstoffe/FAQ_Uebersicht.html

(17) https://www.pei.de/DE/arzneimittel/impfstoffe/influenza-grippe/influenza-node.html

(18) https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Impfen/Influenza/faq_ges.html

(19) https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv

(20) https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Impfen/Influenza/FAQ17.html

(21) https://bmcinfectdis.biomedcentral.com/articles

(22) https://academic.oup.com/jid/article

(23) https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/NRZ/Influenza

(24) https://www.pei.de/DE/newsroom/hp-meldungen/2022/220824-influenzasaison-2022-2023-freigabe-erste-grippeimpfstoff-chargen.html

(25) https://www.ema.europa.eu/en/documents/product-information/fluenz-tetra-epar-product-information_de.pdf

(26) https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv