Künstliche Intelligenz in der Pharmaforschung: Chancen, Anwendungsbeispiele und Rahmenbedingungen
Künstliche Intelligenz (KI) verändert die Arzneimittelentwicklung und die Patientenversorgung grundlegend. Ob bei der Identifizierung neuer Wirkstoffziele, dem Design von Molekülen oder der Durchführung klinischer Studien – KI verkürzt Entwicklungszeiten, reduziert Risiken und eröffnet den Weg zu personalisierter Medizin. Damit Deutschland und Europa international wettbewerbsfähig bleiben, braucht es jedoch klare innovationsfreundliche Rahmenbedingungen und gezielte Förderung.

Wie KI die Pharmaforschung revolutioniert
Neue Wirkstoffziele identifizieren
KI wertet riesige Mengen an Genom-, Proteomdaten (Gesamtheit aller Proteine, die in einer Zelle, einem Gewebe oder einem Organismus zu einem bestimmten Zeitpunkt und unter bestimmten Bedingungen vorhanden sind) oder Transkriptomdaten (Gesamtheit aller RNA-Moleküle, die zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer Zelle oder einem Gewebe vorhanden sind) aus und findet Muster, die auf neue Angriffspunkte für Therapien hinweisen. So können bislang unentdeckte Krankheitsmechanismen sichtbar werden.
Wirkstoffe schneller designen
Generative KI-Modelle entwickeln neue Moleküle mit gewünschten Eigenschaften oder optimieren bestehende Substanzen. Dadurch lassen sich Zeit und Kosten für das Screening Millionen potenzieller Kandidaten massiv reduzieren.
Nebenwirkungen vorhersagen
Machine-Learning-Modelle sagen frühzeitig Toxizität oder Nebenwirkungen voraus. So können riskante Kandidaten schon in der präklinischen Phase aussortiert werden.
Klinische Studien effizienter machen
KI hilft, geeignete Patient:innen für Studien zu finden, Einschluss- und Ausschlusskriterien zu optimieren und Studiendesigns realitätsnäher zu gestalten. Das beschleunigt die Rekrutierung und erhöht die Erfolgswahrscheinlichkeit.
Personalisierte Medizin ermöglichen
Durch die Verknüpfung von Genetik, Krankengeschichte und Real-World-Daten unterstützt KI eine individuell zugeschnittene Therapieentscheidung – und macht Präzisionsmedizin praktisch anwendbar.
Konkrete Anwendungsfelder
Künstliche Intelligenz wird heute entlang der gesamten pharmazeutischen Wertschöpfungskette eingesetzt – von der Identifikation neuer Zielstrukturen bis hin zur Unterstützung der klinischen Versorgung. Sie ist längst nicht mehr nur ein Werkzeug der Zukunft, sondern ein integraler Bestandteil moderner Forschung und Entwicklung.
Frühe Forschung: Mustererkennung in Gen- und Bilddaten
In der frühen Forschung nutzen Wissenschaftler:innen KI-Modelle, die große Mengen an Genom- und Transkriptomdaten, Bildgebung und klinische Informationen gleichzeitig auswerten. Auf diese Weise lassen sich Muster erkennen, die auf bislang unbekannte Krankheitsmechanismen oder vielversprechende molekulare Angriffspunkte hinweisen.
Präklinische Entwicklung: Generative KI für neue Molekülstrukturen
In der präklinischen Entwicklung kommen generative Modelle zum Einsatz, die in der Lage sind, neuartige Moleküle oder Antikörper von Grund auf zu entwerfen. Dabei werden gewünschte Eigenschaften – etwa Bindungsstärke, Spezifität oder Verträglichkeit – von Beginn an mitberücksichtigt. KI-Systeme können Millionen potenzieller Sequenzen durchspielen, simulieren, welche davon am besten zum Zielprotein passen, und so Kandidaten auswählen, die anschließend im Labor getestet werden. Rückmeldungen aus diesen Tests fließen wiederum zurück ins Modell, sodass ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess entsteht.
Automatisierte Labortechnik: Forschung in Echtzeit
Besonders innovativ sind integrierte Plattformen, die Machine Learning mit automatisierter Labortechnik verbinden. Sie ermöglichen es, innerhalb kurzer Zeit hunderte Molekülvarianten zu entwerfen, synthetisch herzustellen, experimentell zu prüfen und die Ergebnisse sofort in das KI-Modell zurückzuspeisen. Dadurch verkürzen sich Entwicklungszyklen von Monaten auf Wochen.
Klinische Forschung: Effizientere Studien mit KI
Auch in der klinischen Forschung eröffnet KI neue Möglichkeiten: Sie unterstützt bei der Hypothesengenerierung, indem sie medizinische Literatur, Omics-Daten (Bezeichnung für umfassende molekulare Datensätze, die durch die Analyse vollständiger biologischer Systeme entstehen – etwa das gesamte Erbgut, alle RNA-Moleküle, alle Proteine oder alle Stoffwechselprodukte) und Real-World-Daten zusammenführt. Zudem hilft sie, geeignete Patient:innen für Studien zu identifizieren, Ein- und Ausschlusskriterien zu optimieren und den Studienverlauf zu überwachen. So können Studien schneller rekrutiert, effizienter durchgeführt und mit höherer Erfolgswahrscheinlichkeit abgeschlossen werden.
Klinische Praxis: Von der Forschung in die Versorgung
Darüber hinaus entstehen digitale Lösungen für die klinische Praxis: KI-Systeme erkennen Muster in radiologischen Bildern oder Labordaten, die dem menschlichen Auge entgehen, und geben Ärzt:innen wertvolle Entscheidungshilfen. Damit tragen sie nicht nur zu präziseren Diagnosen bei, sondern schlagen auch die Brücke zwischen Forschung und Versorgung – mit direkten Vorteilen für Patient:innen.
Notwendige Rahmenbedingungen
Damit Künstliche Intelligenz ihr volles Potenzial in der Pharmaforschung entfalten kann, braucht es klare und innovationsfreundliche Rahmenbedingungen. Zentral ist ein verantwortungsvoller Zugang zu hochwertigen Gesundheitsdaten. Interoperable, qualitativ gesicherte Datensätze ermöglichen es, KI-Modelle zuverlässig zu trainieren und neue Therapieansätze datenbasiert zu entwickeln – ohne dabei den Datenschutz oder die Privatsphäre der Patient:innen zu gefährden.
Ebenso wichtig ist eine moderne und transparente Regulatorik. Behörden müssen klare Leitlinien bereitstellen, wie KI-Anwendungen in der Arzneimittelentwicklung, der Diagnostik oder in Produktionsprozessen bewertet und zugelassen werden. Innovationsfreundliche Strukturen, wie Testumgebungen („Regulatory Sandboxes“), können dabei helfen, neue Technologien praxisnah zu prüfen und regulatorische Unsicherheiten zu reduzieren.
Darüber hinaus spielt die Förderung von Talenten und Kompetenzen eine entscheidende Rolle. Nur wenn ausreichend Fachkräfte im Bereich KI, Data Science und Life Sciences ausgebildet werden und in Deutschland arbeiten können, lassen sich innovative KI-Lösungen nachhaltig entwickeln und einsetzen.
Schließlich ist die europäische Souveränität von großer Bedeutung. Gemeinsame europäische Datenräume, standardisierte KI-Infrastrukturen und kooperative Plattformen stärken die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Pharmaindustrie und gewährleisten, dass Forschungsergebnisse und Daten unabhängig von globalen Anbietern genutzt werden können.
Fazit: KI als Motor medizinischen Fortschritts
Künstliche Intelligenz ist der Schlüssel zu einer neuen Ära der Arzneimittelentwicklung.
Sie beschleunigt Forschung, verbessert Diagnosen, ermöglicht personalisierte Therapien und hilft, neue Medikamente schneller zu Patient:innen zu bringen.
Deutschland und Europa verfügen über exzellente Forschung und starke Unternehmen – aber ohne klare Daten- und Regulierungsstrukturen droht ein Wettbewerbsnachteil. Nur wenn Rahmenbedingungen verlässlich, transparent und innovationsfreundlich gestaltet sind, kann KI ihr volles Potenzial entfalten – zum Nutzen von Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft.
FAQ: Häufige Fragen zu KI in der Pharmaforschung
Was bedeutet Künstliche Intelligenz in der Pharmaforschung?
KI bezeichnet Systeme, die große Datenmengen analysieren, Muster erkennen und Prozesse in der Arzneimittelentwicklung automatisieren oder verbessern – von der Molekül-Suche bis zur klinischen Anwendung.
Wie hilft KI bei der Wirkstoffentwicklung?
KI-Modelle können chemische Verbindungen simulieren, deren Wirksamkeit bewerten und potenzielle Wirkstoffkandidaten identifizieren. Das beschleunigt Forschung und reduziert Kosten erheblich.
Wie profitieren Patient:innen von KI?
KI trägt dazu bei, dass neue Medikamente schneller entwickelt, Behandlungen individueller gestaltet und Diagnosen präziser gestellt werden können – das stärkt die medizinische Versorgung insgesamt.
Welche politischen Maßnahmen sind nötig?
Innovationsfreundliche Regulierungen, interoperable Datenräume und gezielte Förderung von Fachkräften schaffen die Basis für nachhaltige KI-Innovationen in der Pharmaforschung. Darüber hinaus braucht es europäische Kooperationen, um gemeinsame Standards für Datennutzung, Transparenz und Sicherheit zu etablieren. So kann KI verantwortungsvoll eingesetzt werden – zum Nutzen von Forschung, Wirtschaft und Patient:innen gleichermaßen.
Wie verändert KI klinische Studien?
KI-gestützte Systeme helfen, geeignete Patient:innen schneller zu identifizieren, Ein- und Ausschlusskriterien präziser zu definieren und Studiendaten in Echtzeit zu analysieren. Das führt zu effizienteren Studien, weniger Abbrüchen und oft auch zu einer besseren Repräsentation unterschiedlicher Patientengruppen.