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#MacroScopePharma 06/23

Der Economic Policy Brief des vfa



Produktivität: Deutschlands Industrie rutscht ins internationale Mittelmaß

Deutschland fällt bei der Produktivität zurück. Die Wertschöpfung je Beschäftigtem – ein zentrales Maß für die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft – legt in Deutschland bereits seit rund 15 Jahren langsamer zu als in vielen anderen Ländern. Gerade der für Deutschland besonders wichtige industrielle Sektor verliert zunehmend an Boden. Dies liegt auch daran, dass die Modernität des Kapitalstocks in vielen Wirtschaftszweigen gelitten hat. Investitionen in moderne Anlagen müssen deshalb dringend angestoßen werden.

Re-Industrialisierung in den USA – De-Industrialisierung in Europa?

Produktivität als Schlüssel zukünftigen Wohlstands

Umso wichtiger ist es, nun in Europa und für den Industriestandort Deutschland die richtige Antwort auf die globalen Herausforderungen des Standortwettbewerbs zu geben. Produktivitätsfortschritte sind dabei der langfristig entscheidende Faktor für die Zunahme des Wohlstands eines Landes. Die Produktivität beschreibt, wie viel Wertschöpfung eine erwerbstätige Person eines Landes durchschnittlich erwirtschaften kann.

Gerade als rohstoffarmes Land muss Deutschland auf Produktivität setzen, um im internationalen Wettbewerb nicht abgehängt zu werden. Wegen des demografischen Wandels ist es von besonderer Bedeutung, die vorhandenen Arbeitskräfte effizient einzusetzen. Ansonsten drohen Verteilungskonflikte: Immer mehr Menschen müssen von immer weniger Erwerbstätigen versorgt werden. Ohne eigene Rohstoffvorkommen funktioniert dies nur mit deutlichen Produktivitätsschüben – idealerweise sollte die Wirtschaftsleistung je erwerbstätiger Person mindestens in dem Tempo zulegen, wie die Erwerbspersonenzahl zurückgeht.

Deutschlands Produktivitätswachstum sinkt allerdings schon seit geraumer Zeit. Das ist zwar in den meisten entwickelten Volkswirtschaften so – das Tempo der Produktivitätsgewinne hinkt hierzulande aber besonders hinterher. Aber auch wenn Deutschland sich vom Niveau her noch im Mittelfeld bewegt: Werden jetzt nicht die Weichen für die Modernisierung gestellt, dann wird der internationale Standortwettbewerb nicht zu gewinnen sein.

Im OECD-Durchschnitt (4) liegt das jährliche Produktivitätswachstum seit 2005 bei etwa einem Prozent. Dabei ist dies zwischen den Ländern heterogen: Deutschland kommt auf gut die Hälfte, während Schwellenländer tendenziell eine höhere Rate aufweisen (Abbildung 2). Die nordamerikanischen Volkswirtschaften verzeichnen Zuwächse nur knapp unterhalb des Durchschnitts, die Türkei und Südkorea legten etwa doppelt so stark zu.

Wachstumsraten im internationalen Vergleich

Treiber bleibt die Industrie

Für die gesamtwirtschaftliche Produktivität spielt auch die Wirtschaftsstruktur eine Rolle, da die Produktivität typischerweise stark von Branche zu Branche schwankt. Länder wie die USA, die stark in der IT-Dienstleistungsbranche sind, haben dadurch einen Vorsprung. Diese Branche ist nämlich besonders produktiv, im OECD-Durchschnitt weist sie den höchsten Wert auf (Abbildung 3), abgesehen vom wirtschaftlich eher unbedeutenden Bereich der Erzeugung durch die privaten Haushalte.

Werden die Produktivitätszuwächse der einzelnen Wirtschaftsabschnitte mit ihrem Anteil an der Wirtschaftsleistung gewichtet, ergibt sich ihr Beitrag zum gesamtwirtschaftlichen Produktivitätszuwachs. Es zeigt sich einmal mehr, dass die Industrie – für sich genommen bereits eine der produktivsten Branchen – den Ton angibt, denn mit einem Wertschöpfungsanteil von einem Sechstel ist sie im OECD-Durchschnitt der gewichtigste Bereich. Um gesamtwirtschaftlich bei der Produktivität Fortschritte zu machen, bleibt die Industrie also das entscheidende Schwergewicht.

Deutsche Industrie nur im internationalen Mittelfeld

Deutliche Produktivitätszuwächse verzeichneten nur noch wenige Länder, darunter Irland, Südkorea und viele osteuropäische Länder (Abbildung 4). Diese Zuwächse gehen maßgeblich auf die Industrie zurück, die durchweg schneller zugelegt hat als die Gesamtwirtschaft.

Deutschland hat seinen industriellen Kern weitestgehend bewahrt: Mit einem Anteil von rund 22 Prozent trägt das verarbeitende Gewerbe in Deutschland erheblich mehr zur Wirtschaftsleistung bei als etwa in den USA oder Frankreich, deren Anteil nur etwa halb so groß ist wie hierzulande (12,5 beziehungsweise 11,8 Prozent).

Umso überraschender ist es daher, dass es Deutschland bei der Produktivität der Industrie gerade einmal ins Mittelfeld schafft, sogar noch hinter anderen Schwergewichten wie etwa den USA oder Frankreich.

Deutschland bei den Produktivitätslokomotiven dünn aufgestellt

Aufschlussreich ist ein Blick in die Industriebranchen. Zu den Produktivitätslokomotiven, die OECD-weit am dynamischsten zulegen, gehören die Elektrotechnik, der Fahrzeugbau, die elektrischen Ausrüstungen, der Maschinenbau und die Pharmaindustrie (Abbildung 5). Deutschland, Frankreich und die USA sind darin teilweise führend: In der Elektrotechnik sind die USA weit vorne und auch die beiden europäischen Wettbewerber verzeichnen hier überdurchschnittliche Zuwächse. Im Fahrzeugbau schneidet Deutschland traditionell gut ab.

Problematisch ist dagegen, dass die drei genannten Länder nicht in der Breite der relevanten Branchen vertreten sind. Dies spiegelt sich als „Bauch“ unterhalb des OECD-Durchschnitts bei den einzelnen Ländern links im Chart (wo die hohen Zuwächse dargestellt sind) wider. Bei elektrischen Ausrüstungen sowie im Maschinenbau hinken alle drei Länder hinterher, bei Pharma sind es Deutschland und die USA.

Erschwerend kommt hinzu, dass es sich bei all diesen Branchen nicht nur um diejenigen mit dem höchsten Wachstumspotenzial handelt (gemessen am OECD-Durchschnitt), sondern auch um die vom Niveau her produktivsten. Die Abbildung „Vergleich der Produktivität einzelner Wirtschaftsbereiche gemessen in Relation zum nationalen Industriedurchschnit" stellt die Produktivität der Industriebranchen denen der gesamten Industrie eines Landes gegenüber; diese Relation vermeidet Probleme beim Vergleich der Wertschöpfung in verschiedenen Währungen. Die Abbildung zeigt, dass die pharmazeutische Industrie OECD-weit zu den produktivsten Branchen zählt. Ihre Produktivität liegt in der Hälfte der Länder beim zweieinhalbfachen des Industriedurchschnitts, auch in Deutschland.

Zusammen mit den seit geraumer Zeit schwachen Zuwächsen bei der Produktivität ergibt sich folgender Befund: Deutschland verliert seit gut 15 Jahren in den produktivsten Branchen an Boden. Noch kann die deutsche Industrie ihre starke Position zwar halten – diese ist durch Punkte in Abbildung 6 dargestellt: sie liegt meist nahe dem OECD-Median. Bei dem vergleichsweise langsamem Tempo das Deutschland beim Produktivitätswachstum seit geraumer Zeit vorlegt, ist es jedoch nur eine Frage der Zeit, bis andere Länder vorbeiziehen.

Ursachen liegen auch in Investitionsschwäche

Die Produktivität ist Ergebnis einer Vielzahl vorangegangener Entscheidungen. Einer der wichtigsten Faktoren dürfte die Investitionstätigkeit sein. Dort, wo den Arbeitnehmer:innen moderne Produktionsanlagen zur Verfügung stehen, ist deren Produktivität höher. Insofern ist die Produktivität auch ein Kennzeichen der Standortqualität: Fällt sie in einer Branche im Vergleich zu anderen Ländern schwach aus, liegt dies oftmals daran, dass die Standortbedingungen im relativen Vergleich schlechter abschneiden – und die Unternehmen dann bevorzugt in anderen Ländern investieren.

Dies spiegelt sich darin wider, dass vorhandenes Kapital nur zögerlich auf den neuesten Stand gebracht wird: In Deutschland werden Maschinen und Anlagen vergleichsweise lange genutzt, bevor sie erneuert werden. Es mag zwar effizient klingen, wenn Kapital weit über die vorgesehene Nutzungsdauer eingesetzt wird. Diese Kostenersparnis wird aber erkauft mit geringerer Produktivität: Während in anderen Ländern moderne Ausrüstungen zum Einsatz kommen, wird in deutschen Unternehmen weiterhin vielfach auf alte Technik gesetzt. Ein internationaler Branchenvergleich bestätigt den Zusammenhang zwischen der Modernität des Kapitalstocks und höherer Produktivität.

Auf gesamtwirtschaftlicher Ebene mag dieser Zusammenhang noch undeutlich sein (Abbildung 7, oben) – wohl auch, weil einige Länder aufgrund verschiedener Sonderfaktoren ausscheren, vor allem jedoch aufgrund der unterschiedlichen Wirtschaftsstrukturen. Der Blick auf die Ebene einzelner Wirtschaftszweige lässt ihn deutlicher hervortreten. In der pharmazeutischen Industrie oder in der Bauwirtschaft ist er beispielsweise klar ersichtlich.

In nahezu allen Industriebranchen ist ein moderner Kapitalstock Grundlage für Produktivität – und ein steigender Modernitätsgrad führt zu vergleichsweise hohen Produktivitätsgewinnen: Im Schnitt fördern ein um fünf Prozentpunkte moderneres Kapital das Produktivitätswachstum um einen ganzen Prozentpunkt.(5) Am deutlichsten ist dies in der pharmazeutischen Industrie (Abbildung 7, unten), in der dieses Verhältnis eins zu 0,44 beträgt. Mit anderen Worten: Würde ausreichend rasch reinvestiert, um den Modernitätsgrad um einen Prozentpunkt – und damit auf den OECD-Durchschnitt – zu heben, fielen die Produktivitätszuwächse knapp einen halben Prozentpunkt höher aus. Um das OECD-Tempo bei den Produktivitätsraten in diesem Bereich zu erreichen, wäre der Modernitätsgrad allerdings um weitere fünf Prozentpunkte zu steigern – etwa auf das Niveau von Belgien.

Bei alldem ist zu bedenken, dass der Zusammenhang bereits deutlich hervortritt, obwohl der Modernitätsgrad des Kapitalstocks nur einer der Bestimmungsfaktoren für Produktivität ist; würden weitere erklärende Faktoren hinzu-gezogen, dürfte die Produktivität besser erklärt werden. Zu diesen zählen die Qualifizierung der Beschäftigten einer Branche ebenso wie die Forschungsintensität.

Frischen Wind braucht das Land

Deutschland hat noch nicht alle Hausaufgaben gemacht: Angesichts des demografischen Wandels bedarf es dringend eines Produktivitätsschubes. Nur mit produktiven Arbeitnehmer:innen können immer weniger Erwerbstätige eine alternde Gesellschaft tragen. Dazu muss der Standort attraktiver werden. Vor allem Investitionen sind dringend nötigt, schon allein, um den vorhandenen Kapitalstock überhaupt auf der Höhe der Zeit zu halten – aber nicht zuletzt auch für die Umstellung der Wirtschaft auf klimaneutrale Fertigungsstrukturen.

Neben den passenden Rahmenbedingungen, wie etwa einer schlanken und investitionsfreundlichen Bürokratie, dürfte insbesondere gezielte Investitionsförderung zu einem moderneren Kapitalstock beitragen. Klug gestaltete Investitionsprogramme schieben private Investitionen an: Anreize, etwa steuerlicher Art, oder die Flankierung von Forschungsclustern beispielsweise durch den Aufbau öffentlicher Infrastruktur erhöhen den Nutzen privater Investitionen. In der wissenschaftlichen Literatur wird zwar auch ein gegenläufiger Effekt diskutiert: Gesamtwirtschaftlich betrachtet erhöht die Finanzierung öffentlicher Ausgaben die Nachfrage nach Mitteln am Kapitalmarkt und damit deren Preis, was wiederum private Investitionen verdrängt. Allerdings überwiegt klar der positive Effekt , und das wohl umso mehr, je gezielter öffentliche Förderung ausgestaltet ist. Je gezielter diese nämlich greift, desto geringer ist der erforderliche Finanzierungsbedarf im Vergleich zu breit angelegten Programmen, was den negativen Kapitalmarkt-Effekt abmildert.

Öffentliche Mittel sollten also erstens auf hochproduktive Branchen setzen und zweitens vorrangig dort eingesetzt werden, wo sie die Produktivität in besonderem Maße ankurbeln. Unter den Industriezweigen erfüllen beide Kriterien vor allem die Pharma- und die Elektroindustrie (Abbildung 8). Dort lohnt also ein eingesetzter Euro am meisten mit Blick auf den dringend benötigten Produktivitätsschub. Hinzu kommt, dass dies die Branchen sind, die auch absolut gesehen die höchste Produktivität aufweisen.

(1) Bistline, J., Mehrotra, N., & Wolfram, C. (2023). Economic Implications of the Climate Provisions of the Inflation Reduction Act (No. w31267). National Bureau of Economic Re-search, online verfügbar.

(2) Jansen, J., Jäger, P., & Redeker, N. (2023). For climate, profits, or resilience? Why, where and how the EU should respond to the Inflation Reduction Act, Jaques Delores Center Policy Brief, online verfügbar.

(3) Clemens, M., Fratzscher, M., & Michelsen, C. (2021). Ein Investitionsprogramm zur Krisenbewältigung. Wirtschafts-dienst, 101(3), 168-171, online verfügbar.

(4) Soweit Daten vorhanden sind; dies gilt – abgesehen von Datenlücken zu einigen Wirtschaftszweigen – für 35 der OECD-Länder. Nicht enthalten sind Chile, Israel und Neuseeland.

(5) Dies ergeben Regressionen für die einzelnen Branchen; verwendet werden nur diejenigen Schätzungen, die einen einigermaßen hohen Erklärungsgehalt aufweisen.

Autor:

Dr. Claus Michelsen
Geschäftsführer Wirtschaftspolitik
Dr. Claus Michelsen

Telefon 030 20604-120

c.michelsen@vfa.de

Pressekontakt:

Henrik Jeimke-Karge
Pressesprecher Wirtschaftspolitik
Henrik Jeimke-Karge

Telefon 030 20604-205

h.jeimke-karge@vfa.de