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#MacroScopePharma 09/22

Der Economic Policy Brief des vfa



Ökonomischer Fußabdruck: So strahlt Pharma in andere Wirtschaftsbereiche aus


Die deutsche Pharmaindustrie ist eine Schlüsselbranche. Denn sie ist nicht nur zentral für die medizinische Versorgung, sondern auch wichtiger Wirtschaftsfaktor. Ihre Produktion entspricht – die vorgelagerten Verflechtungen eingerechnet – 1,3 Prozent der gesamtwirtschaftlichen Produktionsleistung. Mehr als 300.000 Beschäftigte sind direkt oder indirekt mit der Pharmaindustrie verbunden. Im vergangenen Jahrzehnt hat die Pharmaindustrie, auch nach diesem Maßstab, an Bedeutung gewonnen.

Verflechtung der industriellen Wertschöpfung groß

Direkte, indirekte und induzierte ökonomische Effekte

Die gesamtwirtschaftliche Bedeutung wird üblicherweise mit dem sogenannten ökonomischen Fußabdruck abgebildet(2) , der auf verschiedene Größen abstellt (Produktion, Wertschöpfung und Beschäftigung) und sich aus mehreren Effekten zusammensetzt. Der Fußabdruck lässt sich interpretieren als wirtschaftliche Aktivität und Arbeitsplätze, die bei einem Ausfall der Industrie wegfallen, etwa im Zuge einer Standortverlagerung. Die künftigen Verluste bei einer Verlagerung können gerade bei forschungsintensiven Branchen noch größer ausfallen.

Der direkte Effekt ist der Beitrag der betrachteten Branche, also beispielsweise die Erwerbstätigen, die in der Pharmaindustrie tätig sind oder – was nicht völlig deckungsgleich damit ist – die sich an der Herstellung pharmazeutischer Güter beteiligen. Dieser, direkt aus den regelmäßig veröffentlichten Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen ablesbare Wert, dürfte bei einem Produktionsstopp langfristig entfallen.

Der indirekte Effekt ist die Produktion (bzw. Wertschöpfung, Beschäftigung), die in vorgelagerten Stufen angeregt wird: Dadurch, dass die Pharmaindustrie chemische Vorprodukte einsetzt, entsteht ein Teil der Nachfrage der chemischen Industrie. Diese Nachfrage nach Vorleistungen bringt wiederum weitere Nachfrage der Lieferanten mit sich – so benötigt die chemische Industrie etwa in hohem Maße Energie, um die Bestellungen der Pharmabranche herstellen zu können. Bei einem abrupten Produktionsstopp fielen diese angeregten Aktivitäten zumindest vorübergehend weg, sofern nicht die Lieferbeziehungen aufrechterhalten oder anderweitig ersetzt werden können. Somit ist der indirekte Effekt als eine Obergrenze zu verstehen.

Häufig wird zudem ein induzierter Effekt berechnet. Dieser ergibt sich aus der Nachfrage, die die durch die wirtschaftliche Aktivität erzeugten Einkommen schaffen: So führen die Arbeitseinkommen der direkt und indirekt Beschäftigten etwa zu zusätzlichem Konsum, ebenso wie die Gewinne, die ausgeschüttet werden. Aus einbehaltenen Gewinnen können dagegen beispielsweise neue Investitionen finanziert werden. Diese zusätzliche Nachfrage kurbelt wiederum die Produktion aller Wirtschaftszweige an. Der Effekt wird hier auf Grundlage bestehender Studien zugeschätzt.

Dieser Effekt dürfte ebenfalls überwiegend mittelfristig wirken, bis etwa Arbeitskräfte eine neue Stelle gefunden haben und freigesetztes Kapital einer neuen Verwendung zugeführt wird.

Letztlich gibt es einen katalytischen Effekt, der mit den nachgelagerten Produktionsstufen zusammenhängt: Fällt die Produktion eines Wirtschaftsbereiches aus, so fehlt diese in Bereichen, die diese Güter als Vorleistung benötigen. Dieser Effekt wird meistens – wie auch hier – ausgeklammert.(3) Häufig dürfte es nämlich möglich sein, heimische Vorprodukte durch Importe zu ersetzen und somit die Produktion aufrechtzuerhalten. So scheint es plausibel, dass das Gesundheitssystem in Deutschland auch ohne heimische Produktion fortbesteht – ob allerdings stets, und besonders in Krisen, alle benötigten Produkte reibungslos und rechtzeitig zur Verfügung stehen, ist eine andere Frage. Die vergangenen Jahre lassen derartige Sorgen berechtigt erscheinen und haben den Wert regional verfügbarer Produktionsstätten unterstrichen.

Je nach konkreter Abgrenzung bzw. Auswahl zur Verfügung stehender amtlicher Zahlen, ergeben sich teils unterschiedliche Einschätzungen zum ökonomischen Fußabdruck.

Fußabdruck des statischen Produktionsbereichs, der ausschließlich pharmazeutische Produkte herstellt
Fußabdruck der Pharmaindustrie, einschließlich aller Tätigkeiten

Statistische Produktionsbereiche stellen genau ein Gut her

Klassische Analysen zum ökonomischen Fußabdruck stützen sich auf sogenannte Produktionsbereiche. Diese (rein statistischen) Einheiten stellen genau eines der Güter her, beispielsweise Medikamente, die in Deutschland produziert werden.

Die Input-Output-Tabellen(4) , die die Vorleistungsverflechtungen der deutschen Wirtschaft abbilden, fokussieren sich auf diese Bereiche. Daher wird üblicherweise nur der Kernbereich eines untersuchten Wirtschaftszweiges betrachtet, um den indirekten Effekt zu bestimmen. Abbildung 2 weist den Fußabdruck eines solchen fiktiven Bereichs aus, der ausschließlich pharmazeutische Produkte herstellt.(5)

Allerdings wird in der Realität kein Gut ausschließlich in dem zugehörigen Zweig produziert (Abbildung 1 oben): So werden pharmazeutische Produkte zwar überwiegend im Wirtschaftszweig Pharma (21) hergestellt, aber zu geringen Teilen beispielsweise auch in der Nahrungsmittelindustrie; chemische Stoffe stammen in der Regel aus dem Wirtschaftszweig Chemie (20), aber teils auch etwa aus der Pharmaindustrie.

Allein mit Blick auf die Herstellung pharmazeutischer Güter ergibt sich für die Pharmaindustrie ein kleinerer Beitrag: Da diese nur 92 Prozent dieser Güter bereitstellt, fällt bereits der direkte Effekt geringer aus – das zeigen die entsprechend geringeren Werte in Abbildung 3 (dargestellt als dunkelblaue Balken). Hinzu kommt, dass die Zahlen zu den Produktionsbereichen auch firmeninterne Lieferungen umfassen: Der Produktionswert in Abbildung 2 enthält diese, während die Darstellung der Wirtschaftszweige (in Abbildung 3) diese ausklammert. Für die zentrale Größe, die Wertschöpfung, ist dies indes unerheblich, denn im gleichen Maße wie der Produktionswert durch die Berücksichtigung der firmeninternen Lieferungen steigt auch die Summe der Vorleistungen. Bei der Berechnung der indirekten Effekte sind diese Lieferungen aber berücksichtigt.

Reale Wirtschaftszweige: Mehr als der Kernbereich

Stärker ins Gewicht fällt jedoch, dass die Produktion dieser Bereiche lediglich einen Teil der wirtschaftlichen Tätigkeit des jeweiligen Wirtschaftszweigs ausmacht, in dessen Kernbereich die Produktion fällt. Dies gilt für alle Wirtschaftszweige (Abbildung 1, oben), für die Pharmaindustrie aber in besonderem Maße: So macht der wirtschaftliche Schwerpunkt, die Herstellung pharmazeutischer Produkte, lediglich 56 Prozent des gesamten Produktionswerts der Branche aus. Dies liegt daran, dass bei der Pharmaindustrie in hohem Maß Tätigkeitsfelder hinzukommen, allen voran die Forschung und Entwicklung und die Erzeugung chemischer Stoffe (Abbildung 1 unten, schlüsselt auf, in welche Tätigkeitsfelder die übrigen 44 Prozent fallen).

Alle Wirtschaftszweige sind ein Konglomerat ihrer wichtigsten Produktionsbereiche. Die Einengung auf den jeweiligen Kernbereich stellt den Fußabdruck kleiner dar als er tatsächlich ist – in der Pharmaindustrie besonders deutlich.

Fußabdruck der Pharmaindustrie größer als in klassischer Analyse

Beschränkt man die Betrachtung allein auf die Herstellung pharmazeutischer Produkte, dann beträgt der direkte Produktionswert der pharmazeutischen Industrie 36,3 Milliarden Euro zuzüglich 14 Milliarden Euro indirekter Effekte. Daraus ergibt sich eine direkte Bruttowertschöpfung von 13,7 Milliarden Euro, die in anderen Bereichen indirekt weitere 6,1 Milliarden Euro anstößt. Rund 52.000 Beschäftigte bringen sich direkt in den Produktionsprozess ein – indirekt kommen weitere 89.000 Arbeitnehrmer:innen hinzu (Abbildung 2).

Das vollständige Bild ergibt sich allerdings erst, wenn man alle weiteren Tätigkeitsfelder der Industrie mit betrachtet (Abbildung 3). Vor allem die Tätigkeiten der Industrie im Bereich Forschung und Entwicklung, Chemie, Handel und Immobilien steigern den direkten Produktionswert auf 54,9 Milliarden Euro, zzgl. indirekter Effekte von insgesamt 24,4 Milliarden Euro. Die Bruttowertschöpfung beläuft sich – direkt und indirekt zusammengenommen auf 37,6 Milliarden Euro. Dabei stehen zusammengenommen 305.000 Beschäftigte in Lohn und Brot.

Die Bedeutung der Industrie wird damit allerdings weiterhin unterschätzt. In vorliegenden Berechnungen wird nicht berücksichtigt, dass viele Pharma-Unternehmen – oder zumindest einige ihrer Betriebe – ihre Haupttätigkeit in einem anderen Wirtschaftszweig haben, allen voran sind dies Forschungstätigkeiten (WZ72), oder die Unternehmen organisieren ihre Geschäftstätigkeit (WZ70) und den Vertrieb (WZ46) über Niederlassungen in Deutschland, teils werden sie auch der chemischen Industrie (WZ20) zugeordnet. Somit entfallen diese der Pharmabranche im weiteren Sinne zuzurechnenden Beiträge völlig, die aber auch merklich zur Produktion, Wertschöpfung und Erwerbstätigkeit beitragen dürften.

Weitere Effekte durch Einkommen in der Pharmaindustrie

Der induzierte Effekt, so wie oben dargestellt, wird auf Grundlage der Ergebnisse annähernd berechnet. Bestimmt wird, wie hoch die zusätzliche Nachfrage ist, die durch die in der Pharmaindustrie generierten Einkommen (Arbeits- und Gewinneinkommen) entsteht.(6)

Dabei wird auf die Elastizitäten dieser Studie zurückgegriffen, die sich jedoch auf den Kernbereich beziehen. Dadurch wird der Effekt allenfalls unterschätzt: Denn der Konsum relativ zum Arbeitseinkommen dürfte, bezogen auf den Kernbereich, geringer sein als in der Gesamtwirtschaft. Die überdurchschnittlichen Löhne bei der Herstellung pharmazeutischer Produkte gehen nämlich typischerweise mit einer höheren Sparneigung, also einem anteilig geringeren Konsum einher. Für die Nebentätigkeiten dürften die induzierten Effekte somit tendenziell höher ausfallen – da hier jedoch die Ergebnisse des Kernbereiches übertragen werden, wird hier nicht die vollständige Zusatznachfrage berücksichtigt.

Auf dieser Grundlage ergeben sich eine zusätzliche induzierte Produktion in Höhe von 32 Milliarden Euro, bei der Wertschöpfung sind es 15 Milliarden Euro und bei den Erwerbstätigen weitere 240.000. Somit stehen, alles in allem, rund 1,75 Prozent der gesamtwirtschaftlichen Produktion mit der Pharmaindustrie in Zusammenhang, bei der Wertschöpfung sind es 1,7 Prozent und die reichlich 500.000 Erwerbstätigen entsprechen 1,2 Prozent aller Arbeitne-mer:innen in Deutschland.

Fußabdruck wächst seit Jahren überdurchschnittlich – Chancen nicht verpassen

Dabei hat die Bedeutung der Pharmaindustrie im vergangenen Jahrzehnt zugenommen (Abbildung 4). Zwischen 2010 und 2019 stieg der Anteil des Produktionswerts der Branche von 1,1 auf 1,3 Prozent. Mit den Durchbrüchen im Bereich der Impfstoffentwicklung auf Grundlage der mRNA-Technologie dürfte der Anteil noch einmal deutlich gestiegen sein und die Grundlage für weiteres Wachstum der Branche gelegt haben. Denn die zusätzlichen Einnahmen werden in großen Teilen in neue Forschungsvorhaben aber auch in die Infrastruktur und den Aufbau der Belegschaften investiert.

Längerfristig wird der demografische Wandel zu einer größeren Nachfrage von Gesundheitsleistungen führen. Allein deshalb wird der Anteil der Gesundheitswirtschaft an der Wertschöpfung in den kommenden Jahren deutlich steigen. Ob allerdings die Wertschöpfung der pharmazeutischen Industrie gleichermaßen zulegen oder gar deutliche Überschüsse mit der Entwicklung und Herstellung von Medikamenten erwirtschaftet werden können, hängt maßgeblich von den politischen Weichenstellungen ab: 16 EU-Länder verfolgen die Absicht, den innovativen Schwung der vergangenen Corona-Krise zu nutzen und in eine höhere Wirtschaftsleistung zu katalysieren.

Das sogenannte Important Project of Common European Interest (IPCEI) für eine gezielte Unterstützung des Produktionsstandorts der pharmazeutischen Industrie wird ohne deutsche Beteiligung starten. Notwendige nationale Impulse im Bereich der Biotechnologie und im Bereich der Datennutzung lassen auf sich warten – Vorhaben der Gesundheitspolitik belasten die Innovations- und Investitionsanreize. Das Gegenteil wäre jetzt notwendig um die Aufbruchstimmung der vergangenen Jahre zu nutzen und im Standortwettbewerb Boden zu gewinnen.

Fußnoten:

(1) Expertenkommission Forschung und Entwicklung (2022): Gutachten 2022, online verfügbar.

(2) DIW Econ (2022): “Die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der pharmazeutischen Industrie in Deutschland vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie”, demnächst online verfügbar.

(3) Eine Ausnahme, die sich diesem Effekt widmet, ist etwa IW Consult (2022): „Bedeutung der deutschen Papierindustrie“, online verfügbar.

(4) Angaben zu absoluten Zahlen beziehen sich auf die aktuelle Input-Output-Tabelle mit Jahreswerten für 2019 (Stand Mai 2022), online verfügbar.

(5) Die Effekte entsprechen, abgesehen von rundungsbedingten Abweichungen insbesondere bei den Erwerbstätigenzahlen, den Ergebnissen der DIW Econ-Studie (ibid.).

(6) Vgl. DIW Econ (2022), ebd.

Autor:

Dr. Claus Michelsen
Geschäftsführer Wirtschaftspolitik
Dr. Claus Michelsen

Telefon 030 20604-120

c.michelsen@vfa.de

Pressekontakt:

Henrik Jeimke-Karge
Pressesprecher Wirtschaftspolitik
Henrik Jeimke-Karge

Telefon 030 20604-205

h.jeimke-karge@vfa.de