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Arzneimittelfälschern auf der Spur

Minderwertige und gefälschte Arzneimittel sind ein globales Problem. Vor allem in Entwicklungsländern richten sie immensen Schaden an. Über Ausmaß, Vermeidung und Abwehr der zunehmenden Gefahr diskutierten Experten jetzt beim World Health Summit in Berlin.

Im Vordergrund steht das

Präsentation des Minilab vom Global Pharma Health Fund beim WHS 2019

Von zehn Arzneimitteln, die in armen Weltregionen angeboten werden, ist ein Medikament gefälscht oder schlechter als auf der Verpackung behauptet. Mit dieser Meldung machte die Weltgesundheitsorganisation WHO weltweit Schlagzeilen. Hochrechnungen zeigten, so die UN-Organisation weiter, dass minderwertige und gefälschte Medikamente jährlich bei bis zu 169.000 Kindern zum tödlichen Ausgang einer Lungenentzündung führen. Besonders groß sei das Problem in Afrika. Allein durch gefälschte Malaria-Präparate kommt es dort nach Angaben der WHO zu schätzungsweise 116.000 zusätzlichen Todesfällen und hohen Folgekosten.

Lutz Heide steht an einem Pult und blickt in die Kamera. Auf der rechten Seite ist ein Roll-Up zu erkennen. Darauf ist ein afrikanisches Kind zu sehen, das auf dem Arm der Mutter untersucht wird. Darunter steht in weißer Schrift auf blauem Grund: Gemeinsam für Gesundheit und Entwicklung.„Die bisher vorliegenden Zahlen liefern nur Anhaltspunkte, insgesamt müssen wir weltweit von einer hohen Dunkelziffer ausgehen“, sagte Lutz Heide, Professor für Pharmazeutische Biologie an der Universität Tübingen, kürzlich beim World Health Summit (WHS) in Berlin. Fälschungen, so Heide, seien oft nur schwer nachzuweisen und entgingen häufig der behördlichen Kontrolle. Der Wissenschaftler mit großer Erfahrung in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit leitete den vom vfa ausgerichteten WHS-Workshop „Falsified and Sub-Standard Medicines“ (Interview: „Fünf Fragen" an Prof. Heide).

Was genau sind gefälschte Arzneimittel und gibt es eine gemeinsame Definition?

Peter beyer steht an einem Pult mit Mikrofon und einem aufgeklappten Laptop. Er präsentiert seinen Vortrag. Im Hintergrund ist ein Roll-Up des vfa und des DNTDs e.V., auf dem ist ein afrikanisches Kind zu sehen, das auf dem Arm der Mutter untersucht wird.Dass die besorgniserregende Entwicklung heute überhaupt von globaler Warte betrachtet wird, ist der WHO zu verdanken, die 2013 ein weltweites Überwachungssystem ins Leben rief und seither Hunderte Experten darin ausbildete, Verdachtsfälle zu prüfen und den Behörden zu melden. „Der erste Durchbruch bei diesem Thema war die Einigung auf eine gemeinsame Definition“, berichtete der WHO-Vertreter Peter Beyer in Berlin. Nicht nur die bewusste Täuschung über die Eigenschaften eines Arzneimittels steht seither im Visier der Fahnder, sondern ebenso minderwertige Arzneimittel, die trotz behördlicher Zulassung nicht halten, was sie versprechen sowie auch Medizinprodukte, die ohne Genehmigung auf dem Markt sind. Peter Beyer: „Wir rufen alle Mitgliedstaaten auf, in ihre Aufsichts- und Zulassungsbehörden zu investieren – so bekommen wir das Problem in den Griff.“

Dr. Alexandra Forster steht an einem Pult und präsentiert ihren Vortrag. Im Hintergrund ist ein Roll-Up des vfa und des DNTDs e.V., auf dem ist ein afrikanisches Kind zu sehen, das auf dem Arm der Mutter untersucht wird. Auf dem Roll-Up steht der Text: Auch für forschende Pharmafirmen seien Arzneimittelfälschungen eine ständige Herausforderung, sagte Dr. Alexandra Forster, Leiterin der Abteilung für Kriminalitätsbekämpfung bei der Bayer AG. „Solche Produkte zersetzen das in uns gesetzte Vertrauen, schaden uns wirtschaftlich und, das ist das Wichtigste, sie gefährden die Sicherheit von Patienten“, sagte Forster. Neben Afrika sei der Balkan ein weiterer Fälschungs-Hotspot, berichtete sie. Ihr Unternehmen habe auf seiner Website ein Kontaktformular eingerichtet, um Betroffenen die Meldung von Verdachtsfällen zu erleichtern. Forster wies in ihrem Vortrag auch auf securPharm hin, eines der größten Infrastrukturprojekte der Arzneimittelversorgung in Europa. Es ermöglicht Apothekern die Echtheitsprüfung jedes einzelnen rezeptpflichtigen Medikaments, indem sie den Barcode (2D-Code oder Data Matrix Code) auf der Verpackung einscannen und mit einer europaweiten Datenbank abgleichen. Ist das Medikament dort nicht registriert, folgt ein Alarmzeichen – in Deutschland passiere das nur sehr selten, sagte Alexandra Forster.

Wie lassen sich Arzneimittelfälschungen praktikabel nachweisen?

Prof. Lutz Heide steht vor einer blauen Wand und blickt in die Kamera. In der hand hält er eine leeres Glas mit grünem deckel und eine Tablettenpackung. Neben und vor ihm steht das „Im Prinzip eignet sich das europäische Fälschungssicherungssystem für viele Weltregionen, aber es überall in Gang zu bringen, würde Jahrzehnte dauern“, sagte Lutz Heide. Aktuell seien vor allem schnelle, billige Methoden zur Detektion von Arzneimittelfälschungen gefragt, die auch in Entwicklungsländern funktionieren. Erste Hinweise liefere oft eine sorgfältige Kontrolle der Verpackung auf sprachliche Mängel und andere Auffälligkeiten. Bewährt habe sich zudem das robuste Kleinlabor „Minilab“ des Global Pharma Health Fund (GPHF). Es analysiert ein Arzneimittel per Dünnschichtchromatografie innerhalb von zwei Stunden, und zwar überall dort, wo es gerade erforderlich ist. Das GPHF-Minilab im Kofferformat sei mit rund fünftausend Euro günstig und die Bedienung schnell erlernbar, sagte Heide. Neuere, kleinere und deutlich schnellere Kleinlabors nutzen die Ramanspektroskopie oder die Nahinfrarotspektroskopie. „Das Problem dieser Geräte sind die noch nicht ausreichend vorhandenen Referenzwerte“, sagte der Tübinger Pharmazie-Professor. Die Echtheitsprüfung ist also bisher nur für ausgewählte, meist weit verbreitete Arzneimittel möglich.

„In Afrika erleben wir derzeit ein Wettrüsten zwischen Gesundheitsbehörden und Arzneimittelfälschern“, berichtete Mirfin Mpundu, Direktor des Ökumenisch-Pharmazeutischen Netzwerks EPN mit Sitz in Kenia. Die kirchliche Organisation testet in zwölf afrikanischen Ländern regelmäßig Stichproben der auf Märkten verkauften Arzneimittel mithilfe des GPHF-Minilabs. Im Verdachtsfall werden die Proben zur genauen Analyse weitergeleitet, etwa an das Labor von Lutz Heide in Tübingen. Auf diese Weise konnten schon viele Betrügereien aufgedeckt werden; in diesem Jahr etwa gefälschte Antimalariamittel im Tschad und in der Zentralafrikanischen Republik sowie Blutdrucksenker in Kamerun, die einen ganz anderen, lebensgefährlichen Wirkstoff enthielten. Mpundu: „Unsere Stichproben-Strategie erhöht die Vorsicht der Fälscher, aber auch die Aufmerksamkeit der Aufsichtsbehörden.“

Mirfin Mpundu steht an einem Pult (unscharf im Vordergrund) und präsentiert seinen Vortrag. Im Hintergrund ist ebenfalls unscharf ein Roll-Up des vfa und des DNTDs e.V., auf dem ist ein afrikanisches Kind zu sehen, das auf dem Arm der Mutter untersucht wird.

Was sind die Lösungen für die Zukunft?

Shushan Tedla steht an einem Pult und richtet ein Mikrofon. Vor ihr ein aufgeklappter Laptop. Links ist ein Roll-Up des vfa und des DNTDs e.V. zu sehen, darauf ist ein afrikanisches Kind zu abgebildet, das auf dem Arm der Mutter untersucht wird. Auf dem Roll-Up steht der Text: Ein Vorzeigebeispiel sei Tansania mit seiner gut funktionierenden Arzneimittelbehörde TMDA und mehr als 9000 akkreditierten Ausgabestellen für Medikamente, sagte Shushan Tedla vom Deutschen Medikamenten-Hilfswerk action medeor. Um Arzneimittelfälschern längerfristig das Handwerk zu legen, sei es wichtig, die Versorgungskette in den einzelnen Ländern genau zu kontrollieren und auch eigene Produktionsstätten für Arzneimittel zu schaffen – „in Tansania hat action medeor bereits eine Fabrik aufgebaut“, berichtete Tedla. Sie forderte darüber hinaus mehr länderübergreifende Zusammenarbeit in der Region und eine Harmonisierung von Vorschriften im Arzneimittelbereich.

In der lebhaften Debatte zum Abschluss des WHS-Workshops ging es um das Minilab und andere Detektionsmethoden, aber auch um die weit verbreitete Korruption in afrikanischen Aufsichtsbehörden und um zähe Verhandlungen zur Harmonisierung nationaler Regelwerke. Mit Kopfnicken wurde ein Diskussionsbeitrag von Lutz Heide quittiert: „Lösen lassen sich die Probleme letztlich nur, wenn genug gute Arzneimittel für alle bereitstehen.“