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Bürgerversicherung: Jeder meint etwas anderes

Fischer: Mutation des Modells "Bürgerversicherung""Bürgerversicherung: Alle reden davon und jeder meint etwas anderes", übertitelte die Deutsche Presseagentur kürzlich eine Meldung und spottete weiter: "Nicht einmal im Kernpunkt - nämlich der Einbeziehung aller Berufsgruppen und Einkunftsarten - sind sich die Visionäre des Gesundheitswesens einig."

In der Tat: Der Begriff "Bürgerversicherung", der hohe Akzeptanz beim Wahlvolk verspricht, ist schon besetzt - das Modell dahinter aber noch völlig unklar.

Arbeitgeberbeiträge einfrieren - ja, nein oder vielleicht?

Außenminister Fischer machte vor, dass sich das aus der Rürup-Kommission stammende Modell der Bürgerversicherung, öffentlichkeitswirksam modifizieren lässt. Er "vereinte" kurzerhand Ansätze von Bürgerversicherung und Kopfpauschalensystem zu einem eigenen Konzept, das er freilich weiterhin "Bürgerversicherung" nennt: "Wir entscheiden uns für das Einfrieren und Ausbezahlen des so genannten Arbeitgeberbeitrags. Das ist die Entkoppelung von den Lohnkosten, wie es die Kopfpauschale beinhaltet." Aber auch Beamte und Selbständige sollten einzahlen: "Wir hätten dann die Bürgerversicherung, aber abgekoppelt von den Lohnnebenkosten, weil die Arbeitgeber die Löhne und Gehälter um ihren bisherigen Anteil erhöhen."

Der Parteirat der Grünen mochte dem Vizekanzler nicht in die Parade fahren, stellte sich aber auch nicht hinter Fischer. Fünf Tage nach bekannt werden der Fischerschen Ideen beschloss das Gremium, die in der Partei strittige Frage der Arbeitgeberbeiträge offen zu halten: "Deshalb diskutieren wir den Vorschlag, ob eine prozentuale Deckelung des Arbeitgeberbeitrags in das Modell der Bürgerversicherung aufgenommen werden soll", wiegelte die gefundene Sprachregelung ab.

Am gleichen Tag sprach sich der Generalsekretär des Koalitionspartners, Olaf Scholz, entschieden gegen eine Deckelung der Arbeitgeberbeiträge aus: "Wir halten nichts von einer einseitigen Begrenzung der Arbeitgeberbeiträge", sagte er. "Das hat", so Scholz weiter, "mit der Solidarität, die wir gerade neu einführen wollen, wenig zu tun."

Einbeziehung von Miet- und Zinseinnahmen - gut oder schlecht für die Bürgerversicherung?

Generalsekretär Scholz nahm gleichzeitig Abstand von der in der SPD beliebten Forderung, Miet- und Zinseinnahmen bei der Berechnung der Kassenbeiträge zu berücksichtigen. Die sozialen Sicherungssysteme "eignen sich nicht für die Fragen der Steuererhebung", sagte Scholz.

Ganz anders die Grünen: In ihrem Parteiratsbeschluss vom 15. September wird die Einbeziehung "aller Einkommensarten" in die Bürgerversicherung gerade als Beitrag zu mehr Stabilität der sozialen Sicherung bezeichnet: "Neben den Arbeitseinkommen werden auch Miet-, Zins- und Kapitaleinkünfte zur Beitragserhebung im Rahmen der Beitragsbemessungsgrenze herangezogen. In Zukunft wird der Anteil des Erwerbseinkommens am Gesamteinkommen sinken," so der einstimmige Beschluss des Parteirats.

Beitragsbemessungsgrenze - anheben oder nicht?

Rürup-Kommissionsmitglied Lauterbach hatte in seinem Modell der Bürgerversicherung eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze auf 5100 Euro vorgesehen - war davon jedoch kürzlich wieder abgerückt: "Ich rate sogar davon ab, das jetzt zu tun", so der Professor Anfang September in einem Interview.

Der hessische SPD-Landesverband fordert in einem Papier zur "Solidarischen Bürgerversicherung" - unter dem Beifall von Gewerkschaftlern - hingegen sogar den Wegfall des Höchstbetrages, der Besserverdienende vor exorbitanten Beiträgen schützt: "Die Beitragsbemessungsgrenze ist nicht sinnvoll", formulieren die SPD-Linken.

Innerhalb der Berliner Koalitionäre herrscht in diesem Punkt - einstweilen - Einigkeit. Die Grünen beschlossen: "Die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze ist kein konstitutives Element der Bürgerversicherung. Aus unserer Sicht soll es beim Umstieg zur Bürgerversicherung bei der gegenwärtigen Beitragsbemessungsgrenze bleiben."

Auch SPD-General Scholz lehnt eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze ab, weist jedoch darauf hin, dass erst auf dem SPD-Bundesparteitag im November konkretere Beschlüsse zur Bürgerversicherung zu erwarten seien - die Ideen der hessischen Basis und Gewerkschaftler sind also noch nicht vom Tisch.

Forschende Arzneimittelhersteller: Sozialer Ausgleich ist Sache des Staates, nicht der Versicherten

Aus der schwelenden Diskussion könnte am Ende ein Modell hervorgehen, dass das urspünglich selbst gesetzte Ziel verfehlt - nämlich eine breitere Finanzierungsbasis für die Krankenversicherung zu gewinnen: Setzen sich die Kritiker einer Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze durch und bleiben die anderen Einkommensarten außen vor - beides gegenwärtige Position der SPD-Spitze -, dann bleibt als wesentlicher Unterschied zur heutigen GKV nur die Ausdehnung auf Beamte und Selbständige. Die wären aber nicht nur neue Beitragsszahler sondern auch zusätzliche Versicherte und würden damit auch die Kostenseite zusätzlich belasten.

Die forschenden Arzneimittelhersteller plädieren deshalb dafür, dass nicht mit jedem neuen Vorschlag eine andere Bevölkerungsgruppe mit der Sicherung des sozialen Ausgleichs belastet wird, sondern dass diese Rolle der Staat übernimmt. Der VFA hat bereits im Juni 2002 ein eigenes, detailliert ausgearbeitetes Konzept zur Umgestaltung der Krankenversicherung vorgelegt. Es basiert auf einer allgemeinen Versicherungspflicht und einkommensunabhängigen, risikogerechten Versicherungsprämien. Sozialer Ausgleich findet im VFA-Modell über staatliche Bezuschussung der Prämien einkommensschwacher Versicherter statt.