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Stellungnahme zu den vom Gemeinsamen Bundesausschuss beschlossenen allgemeinen Entscheidungsgrundlagen zur Bildung von Festbetragsgruppen

Die Entscheidungsgrundlagen des G-BA zur Festbetragsgruppenbildung sind nicht sachgerecht

Der Gemeinsame Bundesausschusses (G-BA) hat in seiner Sitzung am 15.06.2004 allgemeine Entscheidungsgrundlagen zur Bildung von Festbetragsgruppen und zur Ermittlung der Vergleichsgrößen beschlossen.

Die Entscheidungsgrundlagen werden den Vorgaben des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG) nicht gerecht. Sie tragen vor allem dazu bei, den Innovationsschutz weiter auszuhöhlen. Darüber hinaus ist die Entstehung der Kriterien nicht transparent und nicht gesetzeskonform.

Nach den Entscheidungsgrundlagen hat der G-BA die Bildung von Festbetragsgruppen für Protonenpumpenhemmer (zur Therapie von Magenerkrankungen), für Sartane (zur Behandlung des Bluthochdrucks) und für Triptane (zur Akutbehandlung von Migräneanfällen) unter Einbeziehung patentgeschützter Arzneimittel beschlossen. Diese Beschlüsse belegen unsere Kritik an den Entscheidungsgrundlagen.

  1. Die Entscheidungen des G-BA sind intransparent

    Der G-BA hat detaillierte Entscheidungsgrundlagen vorgelegt, die als Grundlage für die aktuelle Festbetragsgruppenbildung herangezogen werden.

    Wir kritisieren, dass diese Entscheidungsgrundlagen unter Ausschluss der Öffentlichkeit entstanden sind und dass die betroffenen Hersteller keine Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten haben.

    Vor dem Beschluss der allgemeinen Entscheidungsgrundlagen, insbesondere der Kriterienbildung für die Auslegung des Merkmals "therapeutische Verbesserung" und der Bildung der Festbetragsgruppen hätte eine erneute Anhörung der Arzneimittelhersteller durchgeführt werden müssen. Dies ergibt sich aus sowohl aus § 35 Abs. 2 SGB V als auch aus der EG-Transparenzrichtlinie (89/105/EWG). Die Anhörung der betroffenen Unternehmen nach §°35 Abs. 2 SGB V muss sich auf alle für die Entscheidungsfindung des G-BA relevanten Sachverhalte und Grundlagen erstrecken, wozu u.a. der jetzt vorliegende Kriterienkatalog unzweifelhaft gehört. Das Gesetz schreibt ausdrücklich vor, dass das Anhörungsergebnis in die Entscheidung des G-BA einzubeziehen ist. Zudem sieht die EG-Transparenzrichtlinie vor, dass das Verfahren mitgliedstaatlicher Preisreglementierung für Arzneimittel "auf objektiven und überprüfbaren Kriterien" beruhen und entsprechend begründet sein muss. Insoweit geht sie von einem Verwaltungsverfahren aus, in dem den Betroffenen hinreichendes rechtliches Gehör gewährt wird. Dies hat Prof. Dr. Jürgen Schwarze, Universität Freiburg, in seiner rechtsgutachtlichen Stellungnahme vom Mai 2004 ausführlich begründet.

    Angesichts der unterbliebenen erneuten Anhörung der Arzneimittelhersteller ist zu kritisieren, dass in der Pressemitteilung des G-BA vom 15.06.2004 ausgeführt wird, die Beschlussfassung der Festbetragsgruppen auf der Basis der Entscheidungsgrundlagen sei der Ausgangspunkt für einen "offenen Dialog über die wissenschaftliche und rechtliche Haltbarkeit der angewandten Kriterien". Dem hätte gerade das Anhörungsverfahren gedient. Im Übrigen mutet es seltsam an, ausgerechnet die Haltbarkeit der Festbetragsgruppenbildung über einen offenen Dialog lösen zu wollen. Dies muss vor der Beschlussfassung geschehen.
  2. Die Innovationsschutzklausel wird nicht beachtet

    Von der Festbetragsgruppenbildung sind nach dem GMG Arzneimittel mit patentgeschützten Wirkstoffen auszunehmen, die eine therapeutische Verbesserung, auch wegen geringerer Nebenwirkungen, bedeuten (§ 35 Abs. 1 a Satz 2 SGB V). Diese sog. Innovationsschutzklausel wird vom G-BA nicht beachtet.

    Aus den Entscheidungsgrundlagen des G-BA wird ersichtlich, dass zusätzliche Anforderungen an die Qualität der therapeutischen Verbesserung gestellt werden ("therapeutisch bedeutsames Ausmaß"), die über den Wortlaut des GMG bzw. des SGB V hinausgehen. Ein solches einschränkendes Verständnis des Begriffs "therapeutische Verbesserung" lehnt der VFA ab.

    Der G-BA fordert weiterhin, dass die therapeutische Verbesserung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht. Es soll zudem ein Konsens unter "großen Mehrheit der einschlägigen Fachleute" zur Zweckmäßigkeit der therapeutischen Verbesserung bestehen.

    Innovationen können diese Anforderungen praktisch nicht erfüllen, da sich ein breiter Konsens zu einer therapeutischen Verbesserung erst in der Anwendung zeigt. Diese Anforderung ist deswegen für neu zugelassene Arzneimittel nicht zu erfüllen.

    Schließlich fordert der G-BA, dass Endpunktstudien vorgelegt werden, die eine signifikante Verringerung der Krankenlast und Sterblichkeit innerhalb einer repräsentativen Bevölkerungsgruppe belegen. Diese Anforderung können innovative Arzneimittel praktisch nicht erfüllen, da Endpunktstudien zeitaufwändig sind und kurz nach Zulassung eines neuen Präparates noch nicht vorliegen können.

    Eine "therapeutische Verbesserung" ist auch gegeben, wenn ein Arzneimittel eine zusätzliche Indikation aufweist. Der G-BA beschränkt die therapeutische Verbesserung jedoch auf das gleiche Anwendungsgebiet. Damit werden Präparate, die ein zusätzliches Anwendungsgebiet aufweisen, mit einem Festbetrag belegt. Der VFA lehnt diese Limitierung des G-BA ab.
  3. Therapeutische Verbesserungen werden ignoriert

    Der G-BA hat die Bildung von Festbetragsgruppen für Protonenpumpenhemmer, für Sartane und für Triptane und ohne jede Begründung beschlossen. Keiner der betroffenen Wirkstoffe weist demnach eine therapeutische Verbesserung auf.

    Therapeutische Verbesserungen müssen im Einzelfall geprüft und können durch verschiedene Kriterien nachgewiesen werden:

    Ein Sartan zur Bluthochdruckbehandlung, das aufgrund seiner veränderten Substanzeigenschaften leicht gewebegängig ist, dadurch langsam abgebaut wird und somit eine vergleichsweise lang anhaltende Wirkung aufweist, darf nicht in die Festbetragsregelung einbezogen werden.

    Wenn beispielsweise das erste Triptan eine wesentlich gezieltere Behandlung der Migräne als zuvor ermöglicht, da es an spezifischen Rezeptoren im Organismus angreift und dadurch selektiv nur der Migräne-Schmerz behandelt, darf das Präparat nicht unter Festbetrag gestellt werden.

    Gleiches hat für einen Protonenpumpenhemmer zu gelten, der die Therapiedauer nachgewiesenermaßen von acht auf vier Wochen halbiert.
  4. Bei den Entscheidungsgrundlagen sind die Interessen der Patienten zu beachten

    Der G-BA lässt in seinen Entscheidungsgrundlagen therapeutisch relevante Innovationen außer Acht, die für Ärzte und Patienten wesentlich sind. So beschränkt er sich darauf, nur "schwerwiegende" Nebenwirkungen (Tod, Invalidität, Arbeitsunfähigkeit) in die Entscheidungsgrundlagen einzubeziehen.

    Auch die Reduktion von nicht schwerwiegenden Nebenwirkungen muss Beachtung finden. Wenn durch eine therapeutische Verbesserung zum Beispiel Übelkeit und Erbrechen bei Chemotherapie reduziert werden kann, bedeutet dies für den Patienten eine relevante therapeutische Verbesserung. Eine Einschränkung auf "schwerwiegende Nebenwirkungen" ist im Übrigen auch nicht in § 35 SGB V vorgesehen und insoweit nicht gesetzeskonform.

    Auch eine geringere Wechselwirkung mit anderen Präparaten ist eine therapeutische Verbesserung, die beachtet werden muss, weil die Kombinierbarkeit mit anderen Präparaten gerade für ältere, multimorbide Patienten von entscheidender Bedeutung ist.

    Es kann darüber hinaus nicht akzeptiert werden, dass ein schnellerer Therapieerfolg und eine breitere Anwendbarkeit eines Präparates durch eine zusätzliche Indikation offenbar nicht in die Entscheidungsgrundlagen einbezogen wurden. Beide Kriterien müssen aber einbezogen werden.
  5. Die Methodik zur Ermittlung von Vergleichsgrößen ist weiterhin nicht sachgerecht

    Der G-BA will bei der Ermittlung von Vergleichsgrößen ein neues Verfahren anwenden. Abgestellt werden soll auf einen Mittelwert der verschiedenen Dosisstärken. In den Entscheidungsgrundlagen ist vorgesehen, den Mittelwert nach der Anzahl der Verordnungen zu gewichten. Dieser schematische Ansatz führt dazu, dass hohe Dosierungen eines Wirkstoffes negative Konsequenzen für den Festbetrag haben. Besonders hohe Dosierungen, die medizinisch wichtig und für bestimmte Indikationen erforderlich sind, müssten die Anbieter deswegen aus dem Handel nehmen. Damit wird oftmals die Versorgungssicherheit gefährdet.

    Daher fordern wir weiterhin, dass sich der Gemeinsame Bundesausschuss bei der Definition von Vergleichsgrößen an der Erhaltungsdosis in der Leitindikation orientiert.
  6. Die Beschlüsse dürfen so nicht wirksam werden

    Die heute getroffenen Beschlüsse liegen nunmehr der Bundesgesundheitsministerin zur Prüfung vor. Sie ist jetzt gefordert, von ihrem Recht zur Beanstandung gem. § 94 Abs. 1 SGB V Gebrauch zu machen: Das Verfahren zur Bildung neuer Festbetragsgruppen muss neu aufgerollt und die heute vom G-BA genannten Kriterien für therapeutische Verbesserungen müssen in einem transparenten Verfahren unter Beteiligung der Industrie überarbeitet werden. Dabei müssen die formalen und materiellen Gesetzesvorgaben beachtet und dem Schutz therapeutischer Verbesserungen konsequent Rechnung getragen werden.