Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt hat am 6. Februar 2003 ihre "Eckpunkte zur Modernisierung des Gesundheitswesens" vorgestellt. Die Eckpunkte konzentrieren sich in erster Linie auf die Ausgabenseite und den Vertragsbereich des Gesundheitssystems und setzen damit die einseitige Kostendämpfungspolitik der vergangenen Jahre fort. Die Ministerin hat bei der Vorstellung des Papiers allerdings das Zugeständnis gemacht, ihre Reformpläne um Fragen der Novellierung des Leistungskatalogs und der Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), die in der Rürup-Kommission beraten werden, zu ergänzen. Einen umfassenden Gesetzentwurf will Ministerin Schmidt im Mai 2003 vorlegen.
Der VFA hält eine Verzahnung der jetzt vorgelegten Reformansätze der Ministerin mit dem von der Rürup-Kommission zu erarbeitenden Gesamtkonzept einer Modernisierung der Sozialsysteme für unverzichtbar. Ein Ausblenden der Finanzierungsseite und des Leistungsrechts würde dazu führen, dass die finanziellen Probleme der Krankenkassen in den kommenden Monaten weiter zunehmen. Spätestens im Sommer 2003 ist mit der nächsten Welle von Beitragssatzanhebungen zu rechnen. Keine der von der Ministerin bis dato angekündigten Maßnahmen trägt dazu bei, diese Probleme zu lösen.
Das deutsche Gesundheitswesen kann mit punktuellen Reformen, wie sie das Eckpunktepapier avisiert, nicht auf eine tragfähige Basis gestellt werden. Umfassende Strukturreformen im Gesundheitswesen dürfen weder unterlaufen noch auf die lange Bank geschoben werden: Es muss eine Reform aus einem Guss geben.
Zentralinstitut zur medizinischen Qualitätssicherung
Für die forschenden Arzneimittelhersteller bedeutet das Vorhaben der Ministerin, ein sog. "Institut zur Sicherung der Qualität in der Medizin" einzurichten und innovative Arzneimittel dort einer zentralen Kosten-Nutzen-Prüfung zu unterwerfen, eine besondere Gefahr. Der VFA wendet sich entschieden gegen die Einführung einer solchen standardisierten Arzneimittelbewertung ("Vierte Hürde"). Die Hersteller haben bereits im Rahmen eines aufwendigen Zulassungsverfahrens die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit ihrer Produkte belegt. Ein zusätzlicher Erkenntnisgewinn ist folglich nicht zu erwarten. Mit dem Institut
würde vielmehr ein neuer, überflüssiger bürokratischer Apparat aufgebaut, um mit viel Aufwand die Vor- und Nachteile neuer Medikamente zu prüfen. Das hätte zur Folge, dass Patienten auch auf lebenswichtige neue Medikamente warten müssten, bis darüber entschieden ist, in welchem Maße die Präparate als erstattungsfähig angesehen werden.
Warnendes Beispiel können dabei die Erfahrungen sein, die in Großbritannien mit dem Institut NICE (National Institute of Clinical Excellence) gemacht worden sind - eine Einrichtung, die von Befürwortern einer Vierten Hürde gerne als Vorbild für das geplante deutsche Qualitätsinstitut genannt wird. Die Erfahrungen mit NICE, das seit Herbst 1999 eine Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln für den staatlichen Gesundheitsdienst (National Health Service) durchführt, sind für die britische Regierung sehr ernüchternd. Das aufwendige Bewertungsprozedere von NICE verzögert die Verordnung innovativer Arzneimittel in Großbritannien deutlich. Ein Jahr und länger mussten die Patienten dort auf den Zugang zu Innovationen warten - z. B. bei einem neuen Medikament gegen Lymphdrüsenkrebs 15 Monate, bei einem neuen Brustkrebspräparat 15 Monate, bei einem Mittel gegen Multiple Sklerose 30 Monate, bei einem Medikament gegen Schizophrenie 14 Monate, bei einem Alzheimerpräparat 12 Monate und bei einem Arzneimittel gegen Erblindung 16 Monate. Solche negativen Folgen einer zusätzlichen Arzneimittelbewertung für die Patienten werden gegenwärtig in Großbritannien unter dem Stichwort "NICE blight" (= durch NICE verursachte Verschlechterung) heftig diskutiert. Den Fehler der Briten darf die Bundesregierung auf keinen Fall wiederholen.
Ausdehnung der strukturierten Behandlungsprogramme
Eine weitere Aufgabe des neuen Zentralinstituts soll die Entwicklung einheitlicher Behandlungsleitlinien für Disease-Management-Programme sein. Gleichzeitig wird die Ausdehnung der Disease-Management-Programme auf weitere Krankheitsbilder im Eckpunktepapier als laufende, flankierende Maßnahme genannt. Die Bundesregierung will offensichtlich den im Sommer 2002 mit der Rechtsverordnung für Chroniker-Programme eingeschlagenen Weg zur Schmalspurmedizin fortsetzen. Es ist zu befürchten, dass - neben Diabetes mellitus Typ II und Brustkrebs - für weitere Indikationen medizinische Schmalspurkonzepte vorgegeben werden, die sich nicht an internationalen Qualitätsstandards orientieren und GKV-Patienten therapeutische Chancen und moderne Behandlungsmethoden vorenthalten. Der VFA fordert daher, dass bei der Entwicklung bzw. Adaption von Behandlungsleitlinien für deutsche Disease-Management-Programme die medizinischen Fachgesellschaften maßgeblich eingebunden sind. Die Leitlinieninhalte müssen zudem permanent an den Stand der Wissenschaft angepasst werden. Innovationen sind dabei ohne Verzögerung zu berücksichtigen.
Liberalisierung im Arzneimittelbereich
Die spezifischen Vorschläge der Ministerin zur Arzneimittelversorgung bedeuten keine "Liberalisierung der Arzneimittelversorgung", wie in der Koalitionsvereinbarung genannt, sondern erschöpfen sich in einer Liberalisierung der Arzneimitteldistribution. Markt und Wettbewerb sind aber nicht auf die Arzneimitteldistribution zu fokussieren, sondern generell für den Arzneimittelsektor und im Gesundheitssystem umzusetzen.