EU-Pharma-Paket: Modernisierung ohne Mut
- Fortschritte bei Zulassungsverfahren und Digitalisierung
- Modulare Schutzfristen erhöhen Risiko und erschweren Planung
- Internationaler Wettbewerb, besonders durch die USA
- Trilog-Text besser als Kommissionsentwurf, aber ohne Ambition
Nach dem Abschluss des Trilogs zum EU-Pharma-Paket zieht der vfa ein durchwachsenes Fazit. „Der politische Wille zur Einigung ist nachvollziehbar, aber der Kompromiss schwächt Europas Innovationskraft“, sagt vfa-Präsident Han Steutel. „Der Unterlagenschutz (Regulatory Data Protection) bleibt bei acht Jahren. Die Marktexklusivität (Market Protection) wird jedoch auf ein Jahr verkürzt und kann nur unter zusätzlichen Bedingungen zwei Jahre erreichen. Das macht alles komplizierter und erschwert Investitionsentscheidungen. Geboten wäre eigentlich ein mutiges Signal in die Welt wie die Verlängerung der Schutzfristen.“
Fortschritte bei Zulassungsverfahren und Digitalisierung
Die Reform enthält auch wichtige Modernisierungsschritte. Dazu gehören kürzere Verfahren bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur und die Einführung einer sogenannten Regulatory Sandbox. Der Übergang zu elektronischen Produktinformationen modernisiert die Regulierung und bringt dringend benötigte Flexibilität.
Modulare Schutzfristen erhöhen das Risiko und erschweren die Planung
Das neue modulare Anreizsystem koppelt Schutzfristen künftig an Bedingungen wie die EU-weite Verfügbarkeit, die Generierung von Evidenz oder die Versorgung unerfüllten medizinischen Bedarfs. Viele dieser Kriterien liegen teilweise außerhalb der Steuerungsmöglichkeiten der Unternehmen. Das erhöht die Komplexität und das Risiko und schwächt die Attraktivität des europäischen Standortes.
Internationale Wettbewerbsfähigkeit unter Druck, besonders durch die USA
Die Reform verfehlt aus Sicht des vfa die notwendige Antwort auf den globalen Wettbewerb. Gerade die USA verfolgen derzeit eine aktive Standortpolitik, etwa durch eine herausfordernde Handelspolitik, regulatorische Anreize und Veränderungen im Arzneimittelmarkt. Diese Maßnahmen ziehen Forschung, klinische Studien und biopharmazeutische Investitionen an-oft zulasten Europas. Dem setzt der EU-Kompromiss ein äußerst regelungsintensives System entgegen, das Anreize verkürzt und Unternehmen eher abschreckt als anzieht.
Trilog-Text besser als Kommissionsentwurf, aber Ambition bleibt zu gering
Auf Basis der Pressemitteilungen des Rates und des Europäischen Parlaments vom 11. Dezember 2025 liest sich das Ergebnis besser als der Kommissionsvorschlag von 2023. Dennoch gilt: Der Draghi-Report von September 2024 fordert klare industriepolitische Prioritäten. Dazu gehören höhere globale Wettbewerbsfähigkeit, regulatorische Vereinfachung und bessere Investitionsbedingungen. Das EU-Pharma-Paket enthält zwar einzelne Fortschritte, verfehlt jedoch dieses Ambitionsniveau.
Steutel: „Europa braucht ein klares Signal an innovative Unternehmen. Bei der Gestaltung und Umsetzung der durchführenden und delegierten Rechtsakte musssichergestellt werden, dass Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft gestärkt werden und zugleich die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten im Mittelpunkt stehen.“
Hintergrund
Das EU-Pharma-Paket ist die größte Reform des Arzneimittelrechts seit fast zwei Jahrzehnten. Nach Abschluss des Trilogs folgen nun die juristisch-sprachliche Überarbeitung, die förmliche Annahme sowie die nationale Umsetzung der Richtlinienbestandteile
Diese Bewertung basiert auf den offiziellen Pressemitteilungen des Europäischen Parlaments und des Rates der EU vom 11. Dezember 2025.
Zusätzliche Erläuterungen:
Regulatory Sandbox:
EineRegulatorySandbox ist ein regulatorisches Experimentierfeld, das Unternehmen erlaubt, neue Produkte, Dienstleistungen oder Verfahren unter vereinfachten oder angepassten regulatorischen Bedingungen zu testen, ohne sofort alle bestehenden Vorschriften in vollem Umfang erfüllen zu müssen.
Im pharmazeutischen Kontext bedeutet das konkret:
- Unternehmen können innovative Arzneimittel, digitale Gesundheitslösungen oder neue Zulassungswege zeitlich begrenzt und unter Aufsicht der Behörde ausprobieren.
- Die Europäische Arzneimittel Agentur (EMA) oder nationale Regulierungsbehörden bieten flexible Regeln, Beratung und Monitoring, um Innovation zu fördern, während die Patientensicherheit gewährleistet bleibt.
- Ziel ist es, Hürden für Innovationen zu reduzieren, die regulatorische Prüfung zu beschleunigen und gleichzeitig Risiken für Patient:innen zu kontrollieren.
- Nach Abschluss der Testphase kann die Regulierung entweder an die neuen Erkenntnisse angepasst werden oder das Produkt erhält die volle Zulassung nach den Standardregeln.
Rechtsakte der EU-Gesetzgebung:
In der EU-Gesetzgebung gibt es zwei zentrale Arten von Rechtsakten, die es den Institutionen erlauben, detaillierte Vorschriften zu erlassen, ohne dass das Europäische Parlament und der Rat für jedes Detail erneut abstimmen müssen: delegierte und durchführende Rechtsakte.
1. Delegierte Rechtsakte(Delegated Acts)
- Zweck: Ergänzen oder ändern bestimmte nicht wesentliche Teile einer EU-Richtlinie oder Verordnung.
- Wer erlässt sie: Die Kommission auf Basis einer Ermächtigung durch das Europäische Parlament und den Rat.
- Kontrolle: Parlament und Rat können innerhalb einer Frist (meist zwei Monate, verlängerbar) den Rechtsakt abweisen oder ändern.
- Beispiel: Im EU-Pharma-Paket könnte die Kommission per delegiertem Rechtsakt genau festlegen, unter welchen Bedingungen Schutzfristen verlängert werden dürfen oder welche Daten für zusätzliche Marktexklusivität erforderlich sind.
2. Durchführende Rechtsakte (ImplementingActs)
- Zweck: Sorgen dafür, dass EU-Recht einheitlich angewendet wird. Sie regeln die praktische Umsetzung von Gesetzen, die bereits durch Parlament und Rat beschlossen wurden.
- Wer erlässt sie: Meist die Kommission, manchmal unter Mitwirkung von EU-Gremien.
- Kontrolle: Die Mitgliedstaaten prüfen den Akt über Ausschüsse (Comitology). Sie können Einwände erheben, die zur Änderung oder Ablehnung führen.
- Beispiel: Im EU-Pharma-Paket könnte ein durchführender Rechtsakt regeln, wie Unterlagenschutz oder Marktverfügbarkeit praktisch kontrolliert und überwacht wird.
Der vfa ist der Verband der forschenden Pharma-Unternehmen in Deutschland. Er vertritt die Interessen von 50 weltweit führenden Herstellern und ihren rund 90 Tochter- und Schwesterfirmen in der Gesundheits-, Forschungs- und Wirtschaftspolitik. Die Mitglieder des vfa stehen für mehr als die Hälfte des deutschen Arzneimittelmarktes und beschäftigen in Deutschland rund 100.000 Mitarbeiter:innen.
Rund 20.000 davon arbeiten in Forschung und Entwicklung.
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