Drucken
öffnen / schließen
Wenn Sie diese Felder durch einen Klick aktivieren, werden Informationen an Facebook, Twitter oder Google in die USA übertragen und unter Umständen auch dort gespeichert. Näheres erfahren Sie hier: https://www.heise.de/ct/artikel/2-Klicks-fuer-mehr-Datenschutz-1333879.html

Warum die "Kostenexplosion" keine ist...

Vor einigen Tagen meldeten Nachrichten-Agenturen und Presse, die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für Arzneimittel seien im ersten Quartal 2005 auf 5,3 Milliarden Euro gestiegen, das seien rund 20 Prozent mehr als im ersten Vierteljahr 2004. Vielfach wurde das als "Kostenexplosion" bezeichnet. "Gesundheitskosten explodieren wieder!", hieß es beispielsweise auf der Titelseite der BILD-Zeitung.

Mit Blick auf die vorliegenden Zahlen ist Folgendes festzustellen:

  • Eine Ausgabensteigerung ist nur dann festzustellen, wenn man das erste Quartal 2005 mit dem ersten Quartal 2004 vergleicht. Gegenüber 2003 sind die Arzneimittelausgaben dagegen rückläufig.
  • Die Ausgabensteigerung im ersten Quartal 2005 gegenüber dem Vorjahresquartal beruht auf einem statistischen Sondereffekt. Er ist durch das Inkrafttreten des GMG am 1.1.2004 bedingt.
  • Diese Ausgabensteigerung von rund 800 Millionen Euro im Vergleich der ersten Quartale der Jahre 2004 und 2005 wurde vom Verband Forschender Arzneimittelhersteller bereits im Dezember prognostiziert; die Ursachen dafür wurden ebenfalls benannt.

Zur Erläuterung dieser Zusammenhänge einige Hintergründe:

Vorzieheffekt (Basiseffekt)

Das Gesundheitsreformgesetz (GMG) brachte für viele Patienten zusätzliche Belastungen mit sich - im Arzneimittelbereich insbesondere erhöhte Zuzahlungen, die ab Januar 2004 in Kraft traten. Die öffentliche Ankündigung dieser Maßnahmen führte dazu, dass in den Arztpraxen viele Arzneimittelverschreibungen in den Dezember 2003 vorgezogen wurden, um die ab dem Folgemonat fälligen Zuzahlungen zu umgehen. Die Umsatz-Statistik des GKV-Arzneimittelmarktes zeigt diesen Effekt deutlich:

Der Umsatz im Dezember 2003 lag um rund 800 Mio. Euro über dem Durchschnitts-Umsatz der Vormonate 2003. Entsprechend niedriger waren die Umsätze der Folgemonate: Im Januar 2004 um rund 400 Mio. Euro unter dem Durchschnitt, im Februar 2004 um rund 350 Mio. Euro.

Vergleicht man nun das erste Quartal 2005 mit dem ersten Quartal des Vorjahres, ergibt sich allein wegen dieses Effekts eine rechnerische Steigerung der Arzneimittelausgaben der GKV um mehrere hundert Millionen Euro.

Neue Zahlen zur Umsatzentwicklung im GKV-Arzneimittelmarkt im April 2005 werden voraussichtlich Anfang nächster Woche veröffentlicht. Wir werden Sie dann so schnell wie möglich informieren.

Preise

Obwohl zum Jahreswechsel das so genannte "Preismoratorium" entfiel und damit nach zwei Jahren erstmals wieder Preiserhöhungen möglich wurden, sind die Arzneimittelpreise im ersten Quartal 2005 insgesamt rückläufig. Laut GKV-Arzneimittelindex (berechnet vom Wissenschaftlichen Institut der Ortskrankenkassen) sind die Preise im ersten Quartal 2005 um 1,3 Prozent gesunken. Damit öffnet sich die Schere zwischen dem allgemeinen Preisniveau und den Arzneimittelpreisen weiter. Während die Preise des gesamten privaten Verbrauchs seit dem Jahr 2000 um über 7 Prozent gestiegen sind, sind die Arzneimittelpreise um drei Prozent gefallen.

Struktureffekt

Der Struktureffekt entsteht durch kontinuierliche Veränderungen in der Verordnungspraxis: Generika ersetzen Originalpräparate, neue Präparate ersetzen ältere, für bislang unbehandelbare Erkrankungen werden erstmals Medikamente eingeführt, medikamentöse Behandlung ersetzt chirurgische. Während das erste dieser Beispiele (Generika) in der Regel die Ausgaben der GKV sinken lässt, führen die anderen meist zu einem Anstieg der Ausgaben für Arzneimittel (wobei die Preise für einzelne Präparate in der Regel gleich bleiben). Der Struktureffekt ist damit Ausdruck des medizinischen Fortschritts.

In den ersten drei Monaten des Jahres 2005 lag die Strukturkomponente mit durchschnittlich 5,3 Prozent deutlich niedriger als in den Vorjahren: 2004 hatte sie 7 Prozent betragen, 2003 waren es noch 9 Prozent gewesen.

Vergleich mit 2003

Vergleicht man die Arzneimittelausgaben der GKV im ersten Quartal 2005 nicht mit 2004, sondern mit 2003, kommt man zu dem Ergebnis, dass die Ausgaben als Folge der Gesundheitsreform nachhaltig gesunken sind.

Fazit:

Es gibt also keinen Anlass, sich über die kürzlich konstatierte Ausgabensteigerung überrascht oder entsetzt zu zeigen. Alle Fakten und auch die zu erwartende Höhe der beklagten "Kostenexplosion" waren schon Ende vergangenen Jahres bekannt. Die Strategie von Krankenkassen, die Entwicklung der Arzneimittelausgaben zu dramatisieren, mag verständlich sein. Möglicherweise werden Argumente gesucht, warum die Beiträge für die Versicherten zum 1. Juli 2005 nicht - wie geplant - gesenkt werden. Sachlich gerechtfertigt ist sie nicht.

Download als PDF: "Warum die "Kostenexplosion" keine ist..."