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Statement

Pressekonferenz des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller e.V.
Berlin, 17. September 2002

Ergebnisse einer aktuellen Emnid-Umfrage zur Gesundheitspolitik und Arzneimittelversorgung

Cornelia Yzer,
Hauptgeschäftsführerin des Verbandes Forschender Arzneimittelhersteller

Die Gesundheit steht in der persönlichen Werteskala der Menschen ganz weit oben. Und doch gibt es kaum einen wichtigen Bereich, der in diesem Wahlkampf bei den Parteien eine so geringe Rolle gespielt hat wie die Zukunft unseres Gesundheitswesens. Auch in den Wahlprogrammen wird die Notwendigkeit einer umfassenden Neugestaltung weitgehend ausgeblendet. Eine durchgreifende Reform in der Gesundheitspolitik wird nicht angestrebt, obwohl die Zeit zum Handeln längst gekommen ist.

Der VFA hat in seiner - inzwischen - traditionellen Herbstumfrage vom Meinungsforschungsinstitut Emnid repräsentativ Einschätzungen und Erfahrungen der Bevölkerung zur Gesundheitspolitik und Arzneimittelversorgung ermitteln lassen. Die Antworten der insgesamt 1.932 befragten Personen ab 18 Jahren zeigen in aller Deutlichkeit:

  • Das Vertrauen der Bevölkerung in das Gesundheitssystem ist erschüttert.
    • Es gibt eine hohe Bereitschaft, durchgreifende und weitreichende Veränderungen im Gesundheitswesen mit zu tragen.
      • Aber weder der derzeitigen Regierung noch der Opposition trauen die Menschen zu, die Probleme wirklich in den Griff zu bekommen.
      Die Bevölkerung hat kein Vertrauen mehr in das Gesundheitssystem

      Die Bevölkerung stellt dem deutschen Gesundheitswesen und der Politik ein schlechtes Zeugnis aus:

      Nur 38 Prozent der gesetzlich Versicherten glauben, dass die derzeitige Regierung die Probleme des Gesundheitssystems lösen kann; und nur 32 Prozent trauen dies der Opposition zu.

      Das Vertrauen in das Gesundheitssystem ist zerrüttet: 69 Prozent der gesetzlich Versicherten stimmen der Auffassung zu, dass es in Deutschland eine Zwei-Klassen-Medizin gibt. 71 Prozent meinen, dass Kassenpatienten alles in allem eine schlechtere Gesundheitsversorgung als Privat-Versicherte erhalten.

      In Schulnoten ausgedrückt geben nur 37 Prozent der gesetzlich Versicherten unserem Gesundheitssystem die Noten "sehr gut" oder "gut". Besonders groß ist die Unzufriedenheit beim Beitrags-Leistungsverhältnis der Krankenkassen: Lediglich 29 Prozent der Befragten verteilen hier gute bis sehr gute Noten.

      Eindeutige Zustimmung für einschneidende Maßnahmen

      Die Bevölkerung will ein besseres Gesundheitssystem: Mehr als die Hälfte (52 Prozent) plädiert nach der Bundestagswahl für grundlegende Veränderungen im Gesundheitswesen, weitere 47 Prozent halten zumindest kleinere Veränderungen für notwendig.

      Die Menschen wissen um die Probleme. Und bei den notwendigen Konsequenzen sind sie offenbar weiter als die Politik. Für einschneidende Maßnahmen gab es bei der Emnid-Umfrage eindeutige Zustimmung:
      • 74 Prozent der Befragten sprechen sich dafür aus, dass sich die Gesetzliche Krankenversicherung auf die wesentlichen und absolut notwendigen Leistungen konzentrieren muss. So plädieren 79 Prozent dafür, dass versicherungsfremde Leistungen aus der GKV herausgenommen werden sollen, um dieses Geld für die Behandlung von Krankheiten zu sichern.
        • 77 Prozent treten dafür ein, dass Versicherte die Freiheit haben müssen, ihr Leistungspaket auch in der Gesetzlichen Krankenversicherung selbst zu gestalten.
          • 78 Prozent befürworten mehr Wettbewerb zwischen den Kassen, um so die Kosten zu reduzieren und gleichzeitig die Qualität zu steigern.
          Kaum Zuspruch gibt es hingegen bei den gesetzlich Versicherten für eine Beitragssatzsteigerung der Krankenkassen, die nur von 15 Prozent befürwortet wird. Offensichtlich ist die große Mehrheit der Versicherten nicht mehr bereit, pauschal in ein System zu investieren, dessen Leistungen außerhalb ihres Einflussbereiches liegen. Entsprechend hält nur etwas mehr als ein Viertel (27 Prozent) pauschal höhere Zuzahlungen der Versicherten für sinnvoll. Höher liegt die Akzeptanz für den Vorschlag, die Finanzsituation der gesetzlichen Krankenversicherung zu verbessern, in dem bei der Festsetzung der Beiträge auch sonstige Einnahmen, wie zum Beispiel Aktien- und Immobiliengewinne, berücksichtigt werden - hierfür sprachen sich 42 Prozent aus.

          Das Signal ist eindeutig und liegt im Trend der Vorjahresergebnisse: Die Bevölkerung unterstützt Bemühungen um Kosteneinsparungen, wenn die Qualität der medizinischen Versorgung darunter nicht leidet, und sie begrüßt mehr Mitsprachemöglichkeiten bei der Ausgestaltung des Versicherungspaketes.

          Patienten wollen bessere Informationen und mehr Mitsprache

          Der Patient will künftig eine größere und aktivere Rolle im Gesundheitswesen spielen als bisher. So wünschen sich die Befragten mehr Informationen über Krankenhäuser, Arzneimittel, Krankheiten und Ärzte. Aber nicht nur das. 83 Prozent der gesetzlich Versicherten befürworten mehr Mitsprache bei den verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten. Für eine stärkere Förderung und Beteiligung von Patienten-Selbsthilfegruppen in der Gesundheitspolitik sprechen sich 80 Prozent der GKV-Versicherten aus. Ebenfalls 80 Prozent begrüßen es, wenn sie in regelmäßigen Abständen eine Aufstellung über die erbrachten Behandlungsleistungen des Arztes erhalten.

          Emnid hat in diesem Jahr auch die Meinung der Bevölkerung zu einzelnen Reformvorschlägen ermittelt, die auf eine Flexibilisierung der Leistungs- und Tarifgestaltung der Krankversicherung zielen. Danach unterstützt eine große Mehrheit der gesetzlich Versicherten Lösungen, die eine individuellere Ausgestaltung des Versicherungsschutzes ermöglichen:
          • Für den Abschluss von Zusatzversicherungen - zum Beispiel für alternative Behandlungsmöglichkeiten, Gesundheitschecks, Komfortleistungen im Krankenhaus - sprechen sich 82 Prozent aus.
            • Eine Beitragsrückerstattung am Jahresende - sofern in diesem Zeitraum keine Leistungen in Anspruch genommen wurden - unterstützen 79 Prozent.
              • Für den Abschluss eines individuellen Versorgungsplanes, der den persönlichen Wünschen des Versicherten für seinen Krankenversicherungsschutz entspricht, plädieren 75 Prozent.
              Etwas geringer ist mit 56 Prozent die Zustimmung für die Einführung von Selbstbehalttarifen.

              Ebenfalls hohe Werte erreichen Maßnahmen, die den Wettbewerb um die beste Versorgung stimulieren:
              • 87 Prozent der gesetzlich Versicherten stimmen dem Vorschlag zu, den Wettbewerb unter den Krankenkassen zu intensivieren und den Versicherten damit die Möglichkeit zu geben, die unterschiedlichen Leistungsangebote der Krankenversicherer zu vergleichen und die für sie bestmögliche Wahl zu treffen.
                • 77 Prozent meinen, dass die Krankenkassen die Möglichkeit haben sollten, mit den qualitativ besten Krankenhäusern, Ärzten oder Arzneimittelherstellern Einzelverträge abzuschließen, um ihre Versicherten optimal zu versorgen.
                Ein Ende des Rangierens auf dem sozialpolitischen Verschiebebahnhof unterstützten 79 Prozent aller Befragten. Sie stimmen der Forderung zu, dass der soziale Ausgleich - wie zum Beispiel die Förderung von Familien - zielgerichtet über das Steuersystem erfolgen soll. Eine Mehrheit von 52 Prozent der Befragten kann sich zudem vorstellen, den Arbeitgeberanteil zur Krankenversicherung in Lohn umzuwandeln, um individuelle Krankenversicherungsverträge abschließen zu können, deren Kosten sich ausschließlich am konkret vereinbarten Leistungsumfang bemessen würden.

                Solidarität stärken, mehr Wahlfreiheit schaffen

                Diese Ergebnisse sind ein Denkzettel für die Politik. Sie dokumentieren nicht nur die Unzufriedenheit der Deutschen mit der aktuellen Situation des Gesundheitswesens, sondern auch deren Forderung nach einer durchgreifenden Reform. Das ständige Drehen einzelner Schräubchen an einzelnen Teilen des Systems reicht den Menschen nicht mehr aus.

                Die forschenden Arzneimittelhersteller haben im Juni ein Konzept für ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem vorgestellt. Wir wollen eine Reform, bei der die sozial flankierte Einführung und Stärkung marktwirtschaftlicher Strukturen die Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems steigert und gleichzeitig die Qualität der Versorgung für die Patienten erhöht. Die Emnid-Ergebnisse zeigen, dass unsere Vorschläge mehrheitsfähig sind.

                Die Stärkung der Solidarität, mehr Wahlfreiheiten durch Selbstbestimmung und Eigenverantwortung, die Chance zu qualitätsorientiertem Wettbewerb und eine Neugestaltung des Finanzierungssystems sind für uns tragende Säulen eines modernen und zukunftsfähigen Gesundheitswesens.
                Wir wollen, dass künftig die medizinische Versorgung tatsächlich auf die Bedürfnisse der Versicherten und Patienten zugeschnitten wird. Statt einer mittelmäßigen Einheitsversorgung müssen die Kassen Versorgungsalternativen bieten, die den unterschiedlichen Bedürfnissen der Bürger entsprechen. Wir wollen es den Versicherten ermöglichen, ihren Versicherungsschutz weitgehend selbst zu bestimmen und hochwertige und individuelle Versorgungsangebote in Anspruch zu nehmen - wenn sie es so wollen.

                Dies bedeutet ein höheres Maß an Mitverantwortung des Einzelnen sowie mehr Engagement für Vorsorge und Therapie. Dafür müssen ihm die notwendigen Informations- und Beratungsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden. Denn die Patienten und Versicherten beklagen zu Recht ihre passive Rolle im Versorgungsgeschehen. Eine moderne Gesundheitspolitik setzt dagegen auf mündige Bürger.

                Die Reform kann und darf nicht auf die lange Bank geschoben werden. In der nächsten Legislaturperiode müssen erste entscheidende Schritte zur Förderung des Wettbewerbs und zur Reform der solidarischen Absicherung verwirklicht werden:
                • Die Rolle des Patienten ist zu stärken
                  • Der Leistungskatalog muss differenziert werden
                    • Die Kostentransparenz gilt es zu erhöhen
                      • Die Vertragsfreiheit muss ausgeweitet werden
                        • Der Arbeitgeberbeitrag zur Krankenversicherung sollte in Lohn umgewandelt werden
                          • Die sozialpolitischen Verschiebebahnhöfe müssen beendet werden.
                          Diese Maßnahmen sind nachhaltig. Wer diese Reform konsequent angeht, wird mehr Verbündete finden, als viele Strategen im Gesundheitswesen derzeit glauben wollen. Die Emnid-Ergebnisse sind ein klares Indiz dafür, dass die Bevölkerung eine durchgreifende Neugestaltung konsequenter mittragen will, als die Politik derzeit zu handeln bereit ist.

                          Unterversorgung mit Arzneimitteln gehört weiter zum Patientenalltag

                          Die Emnid-Befragung zeigt überdies, dass Einschränkungen in der Arzneimittelversorgung weiterhin zum Patientenalltag gehören:
                          • Fast jeder Fünfte (18,3 Prozent) ist in den ersten sieben Monaten dieses Jahres entweder persönlich von Arzneimittelablehnungen betroffen gewesen oder kennt jemanden, der davon betroffen ist.
                            • Nach den Berechnungen von Emnid sind allein bis August diesen Jahres bei rund 3,45 Millionen der gesetzlich Versicherten ab 18 Jahren Arzneimittelverordnungen abgelehnt oder verschoben worden.
                              • Besonders hoch ist die Wahrscheinlichkeit von Arzneimittelablehnungen bei den chronisch Kranken: 13 Prozent von ihnen wurde in diesem Jahr von ihrem Arzt ein Arzneimittel abgelehnt oder die Verordnung wurde aufgeschoben.
                              Insgesamt 69 Prozent der Betroffenen nennen "Kostengründe" als Grund für nicht verordnete Arzneimittel. Nur ein Prozent der Ablehnungen wurden mit "unzureichende Wirkung", vier Prozent wegen eines "Nebenwirkungsrisikos" und acht Prozent mit "fehlender medizinischen Notwendigkeit" begründet. Bei 41 Prozent der Betroffenen wurde das Medikament ohne Alternative abgelehnt. Ihnen blieb nur die Möglichkeit, bei einem anderen Arzt um das Medikament nachzusuchen oder es selbst zu bezahlen.

                              Die Folgen von Arzneimittelablehnungen machen sich aber nicht nur im Portemonnaie eines Patienten bemerkbar, sie haben auch negative Folgen für deren Gesundheit. So erklärte fast ein Drittel der Betroffenen (31 Prozent), dass sie gesundheitliche Nachteile hatten, weil die Verschreibung des Arzneimittels abgelehnt wurde.

                              Die Ablösung der Arzneimittelbudgets durch regionale Zielvereinbarungen hat das Problem der Unterversorgung für den Patienten nicht ausräumen können. 80 Prozent der gesetzlich Versicherten erklärten, dass sie bei einer Erkrankung gegenüber dem Vorjahr keine Veränderung bei der Verschreibung von Medikamenten feststellen konnten. 12 Prozent sind der Meinung, dass es in diesem Jahr noch schwieriger war, die erforderlichen Medikamente zu erhalten. Bei den von Arzneimittelablehnungen Betroffenen glauben sogar 44 Prozent, dass sich die Situation verschlechtert hat. Der Wechsel von den Budgets zu den Zielvereinbarungen trägt die Züge vom Märchen "Des Kaisers neue Kleider": Einzelne Zielvereinbarungen entpuppen sich als Budgets im neuen Gewand - den Patienten bringen sie nichts, jedenfalls nichts Gutes.

                              Innovationen sind unverzichtbar und wichtig

                              Die Bevölkerung ist durchaus bereit, mehr Eigenverantwortung zu übernehmen, wenn gleichzeitig eine optimale Qualität der medizinischen Versorgung gewährleistet ist:
                              • 88 Prozent der Befragten halten den Einsatz von modernen, innovativen Arzneimitteln für alle Versicherten für unverzichtbar und wichtig.
                                • Nur 16 Prozent würden den Verzicht auf moderne und innovative Arzneimittel in Kauf nehmen, um die Finanzlage der Krankenkassen zu verbessern.
                                  • 81 Prozent der gesetzlich Versicherten sind hingegen bereit, bei geringfügigen Erkrankungen die Kosten für Arzneimittel selbst zu tragen, wenn dafür bei schwerwiegenden Erkrankungen alle Medikamente erstattet werden, die einer modernen und qualitativ hochwertigen Medizin entsprechen.
                                  Mehr als die Hälfte der befragten gesetzlich Versicherten hält es für vertretbar, dass nicht rezeptpflichtige Arzneimittel, Naturheilmittel und Arzneimittel gegen geringfügige Erkrankungen von den Krankenkassen nicht mehr erstattet werden.

                                  Mehr Qualität ist der Maßstab für ein zukunftsfähiges Gesundheitswesen

                                  Der Maßstab der Bürger ist klar - sie wollen mehr Qualität. Und sie setzen auf Innovationen. Bei der Versorgung mit Arzneimitteln ebenso wie bei der Reform des Gesundheitssystems und der Ausgestaltung des Gesundheitswesens.

                                  Eine individuellere Gestaltung von Versicherungsleistungen, ein stärkerer Wettbewerb zwischen Krankenversicherern und Leistungsanbietern um die beste Patientenversorgung, mehr Mitwirkungsmöglichkeiten für Patienten und eine Neugestaltung des Finanzierungssystems gehören unmittelbar nach der Bundestagswahl auf die Agenda für eine umfassende Gesundheitsreform.

                                  Die Versicherten in Deutschland haben einen Anspruch auf ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem, das ihnen Sicherheit im Krankheitsfall bietet. Die Politik ist daher nach der Bundestagswahl gefordert, das Gesundheitswesen zu therapieren - konsequenter, umfassender und schneller als dies bislang geplant ist.
            Unsere Mitglieder und ihre Standorte

            Unsere Mitglieder und ihre Standorte

            Die Mitglieder des vfa repräsentieren mehr als zwei Drittel des gesamten deutschen Arzneimittelmarktes und beschäftigen in Deutschland rund 102.000 Mitarbeiter:innen.
            Rund 21.000 davon sind für die Erforschung und Entwicklung von Arzneimitteln tätig. Allein in Deutschland investieren die forschenden Pharma-Unternehmen jährlich 9,6 Mrd. Euro in die Arzneimittelforschung für neue und bessere Medikamente. Dies entspricht etwa 42 Millionen Euro pro Arbeitstag.