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Arzneimittel-Anwendung bei Kindern: von Anfang an sicher

„Patientensicherheit von Anfang an – sichere Versorgung für jedes Neugeborene und jedes Kind“: Dieses Anliegen war Titel einer vfa-Veranstaltung am 15.09.2025 in Berlin anlässlich des Welttags der Patientensicherheit. Expertinnen und Experten stellten in Impulsvorträgen den Stand des Erreichten und nötige Verbesserungen vor. Hier einige der Kernaussagen.

Patient Safety Day 2025



Sicherheit darf kein Randthema sein

Simone Borchardt beim Patient Safety Day 2025Simone Borchardt, MdB und gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-BundestagsfraktionIn ihrem Grußwort betonte Simone Borchardt, MdB und gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, dass Patientensicherheit kein Randthema sein dürfe; und es gebe hier noch Verbesserungsbedarf. Beispiel Sicherheitskultur: Fehler dürften nicht ignoriert, sondern müssten ohne Schuldzuweisungen analysiert werden. Auch die Digitalisierung medizinischer Daten könne einen Beitrag leisten. Dabei dürfe Datenschutz nicht im Wege stehen. Prävention, auch schon in Kitas und Schulen, könne ebenfalls zur Sicherheit beitragen, ebenso mehr Gesundheitskompetenz.

Borchardt erwartet, dass die nächsten Generationen gesünder aufwachsen werden als die bisherigen. Deshalb könne es auch sein, dass langfristig die Gesundheitskosten sinken.

Bessere Fehlerkultur nötig

Dr. Ruth Hecker beim Patient Safety Day 2025Dr. Ruth Hecker, Vorsitzende des Aktionsbündnisses PatientensicherheitDr. Ruth Hecker, Vorsitzende des Aktionsbündnisses Patientensicherheit, berichtete von dem enormen Druck, unter dem ihre Kolleginnen und Kollegen an der Universitätsklinik Essen heute schon stehen. Grippewellen beispielsweise brächten das Versorgungssystem oft an seine Grenzen. Für Behandlungsfehler gebe es viele Ursachen, darunter unzureichende Kommunikation, Hektik, fehlendes Verantwortungsgefühl und auch Unkenntnis – etwa durch unzureichende Einarbeitung. Hecker hofft, dass die derzeit noch extrem fehlerbehafteten digitalen Unterstützungssysteme künftig helfen, Fehlbehandlungen zu reduzieren.

Hecker plädierte für weitere Forschung für Kinder, etwa zur kindgerechten Dosierung und zur altersgerechten Diagnostik. Weil Eltern oft am besten Veränderungen an ihrem Kind feststellen können und zwischen den Behandelnden und dem Kind vermitteln können, sei es wichtig, sie gut einzubeziehen.

Mehr Austausch zwischen Politik bzw. G-BA und Eltern nötig

Dr. Henriette Högl beim Patient Safety Day 2025Dr. Henriette Högl, Ärztin und Geschäftsführerin des KindernetzwerkesDr. Henriette Högl, Ärztin und Geschäftsführerin des Kindernetzwerkes, wies auf Probleme in der medizinischen Versorgung von Kindern hin. Das Kindernetzwerk ist ein Selbsthilfedachverband mit einem Fokus auf chronisch kranke und behinderte Kindern, bei denen die Sicherheit der Behandlung ein lebensbegleitendes Thema ist. Oft würden bei diesen Kindern Medikamente off-label, also außerhalb ihres Zulassungsgebietes (hinsichtlich Patientenalter oder Krankheit) eingesetzt. Verständlicherweise führe das zu Unsicherheiten bei den Ärzten und den Eltern. Immer wieder bereite auch der Übergang von der stationären zur ambulanten Versorgung Probleme, etwa was die Weitergabe sicherheitsrelevanter Informationen betrifft.

Es sei wichtig, die Perspektive der Betroffenen stärker zu berücksichtigen. Dafür müsse die Politik und der Gemeinsamen Bundesausschusses G-BA mehr mit den Eltern erkrankter Kinder reden, so Högl. Nötig sei auch eine bessere Bezahlung für die medizinische Betreuung von Kindern in Sicherheits- wie anderen Belangen; denn sie koste mehr Zeit als bei Erwachsenen.

Ressource Kinderformularium

Dr. Jakob Maske beim Patient Safety Day 2025Dr. Jakob Maske, Bundespressesprecher und Bundesvorstandsmitglied des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzt:innenDie Situation beim Off-label-Gebrauch griff auch Kinder- und Jugendarzt Dr. Jakob Maske, Bundespressesprecher und Bundesvorstandsmitglied des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzt:innen, auf – am Beispiel eines Kindes mit frühkindlichem Asthma: Zwei Medikamente sehe die Leitlinie zu dessen Behandlung vor (auch gestützt auf die Erfahrung von Medizinern); aber beide hätten gar keine Zulassung für diese Altersgruppe.

Man könne in solchen Fällen aber das „Kinderformularium“ konsultieren, so Maske. Diese regelmäßig aktualisierte Datenbank biete gesammelte Informationen zur Anwendung von Arzneimitteln bei Minderjährigen – auch zur Off-Label-Anwendung. Enthalten seien unter anderem Angaben zur Dosierung bei verschiedenen Altersgruppen, zu Nebenwirkungen, Kontraindikationen und Vorsichtsmaßnahmen. Derzeit könne das Kinderformularium dank Geld vom Bundesgesundheitsministerium, der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) und der Stiftung Kinderarznei gepflegt werden. Nötig sei allerdings eine langfristig gesicherte Finanzierung.

Off-Label-Anwendung und Repurposing in der Kinderonkologie

Prof. Stefan Pfister beim Patient Safety Day 2025Prof. Stefan Pfister, Direktor Präklinische Kinderonkologie des Hopp-Kindertumorzentrums HeidelbergBesonders sei die Situation in der Kinderonkologie, so Prof. Dr. Stefan Pfister, Direktor der Präklinischen Kinderonkologie des Hopp-Kindertumorzentrums Heidelberg. Zum einen fehle es hier in besonderem Maße an für die Patient:innen zugelassenen Medikamenten, zum anderen sei aber auch die Bereitschaft der Eltern besonders hoch, die mit einer Off-Label-Anwendung verbundenen Risiken zu akzeptieren.

Der Hintergrund: Selbst wenn es eine Krebsart sowohl bei Erwachsenen als auch bei Minderjährigen gebe, dauere es oft Jahre, bis ein zunächst für Erwachsene entwickeltes Medikament auch für Minderjährige zugelassen werde. Und etliche bei Minderjährigen auftretende Krebsarten gebe es bei Erwachsenen gar nicht. Zu deren Behandlung würden aber praktisch keine neuen Medikamente entwickelt. Es bliebe dann noch die Möglichkeit des Drug Repurposing – also die Erprobung vorhandener, aber anders indizierter Arzneimittel auch für die Behandlung der betreffenden Indikation. Dafür, mit welchen Medikamenten wirklich prioritär ein Repurposing versucht werden sollte, gebe das europäisches Konsortium ITCC-P4 aus Pharmafirmen und medizinischen Einrichtungen Empfehlungen ab.

Arzneimittelstudien mit Minderjährigen

Dr. Jan-Peer Elshoff beim Patient Safety Day 2025Dr. Jan-Peer Elshoff, pädiatrischer Studienexperte von UCB BiosciencesWie ein bestimmtes Medikament sicher angewendet werden kann, lernen dessen Entwickler in wesentlichem Maße aus klinischen Studien. Was bei Studien mit Minderjährigen zu beachten ist, stellte der pädiatrische Studienexperte Dr. Jan-Peer Elshoff von UCB Biosciences dar. Zu berücksichtigen sei zu allererst, dass Minderjährige keine homogene Studienpopulation sind. Auf dem Weg vom Früh- oder Neugeborenen bis zum jungen Erwachsenen werden Kinder größer, entwickeln mehr Fettgewebe und verändern sich im Stoffwechsel, im Immunsystem und auch im Gehirn. All das habe Einfluss auf die Wirksamkeit und richtige Dosierung eines Medikaments. Deshalb müsse man Studien meist mit eng definierten Altersgruppen durchführen.

Manche Rekrutierungshürden könnten Hersteller mittlerweile damit überwinden, dass das Studienpersonal zur Familie mit dem an der Studie teilnehmenden Kind nach Hause kommt. Mittlerweile sei es auch manchmal möglich, auf einzelne Studien zu verzichten. Denn die von wichtigen Zulassungsbehörden (auch der EMA) akzeptierte Pediatric Extrapolation Guideline (ICH E11A) beschreibe, wann und wie von mit Erwachsenen gewonnenen Daten auf Minderjährige extrapoliert werden kann

In Schwangerschaft und Stillzeit

Dr. Ulrike Seewald beim Patient Safety Day 2025Dr. Ulrike Seewald, Ärztin, Sanofi-Aventis DeutschlandAuf Sicherheitsaspekte bei der Arzneimitteleinnahme in Schwangerschaft und Stillzeit ging die Ärztin Dr. Ulrike Seewald von Sanofi-Aventis Deutschland ein. Die meisten schwangeren oder stillenden Frauen nähmen ein oder mehrere Medikamente ein; und das gelte ebenso für die Väter vor der Zeugung. Allerdings fehlten bei 71 % der verfügbaren Medikamente Informationen, was bei ihrem Gebrauch in Schwangerschaft und Stillzeit passieren kann. Meist werde nur dazu aufgefordert, das Medikament in Schwangerschaft und Stillzeit nicht zu verwenden, oder bei dringender Behandlungsbedürftigkeit der Mutter mit dem Arzt eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung vorzunehmen.

Doch würden Pharmaunternehmen durchaus bei einem Medikament nach dessen Zulassung Informationen zur Sicherheit in der Schwangerschaft gesammelt und bereitgestellt. Diese stammten von Frauen, die die Medikamente in Unkenntnis der Schwangerschaft einnahmen oder sich aufgrund einer Erkrankung nach medizinischem Rat bewusst für die Einnahme entschieden hatten.

Solche Angaben fänden sich dann unter anderem im Schwangerschaftsregister concePTION der europäischen Innovation Health Initiative. Angaben einer Muttermilchdatenbank seien dort ebenfalls eingearbeitet. Die Angaben beruhten auf Daten der Zulassungsinhaber wie auch öffentlichen Datenquellen.

Aufklärung ist Mannschaftssport

Moderatorin Lisa Braun beim Patient Safety Day 2025Moderation: Lisa Braun, Geschäftsführerin der Presseagentur Gesundheit (PA Gesundheit)Die abschließende Paneldiskussion mit allen Referentinnen und Referenten, moderiert von Lisa Braun von PA Gesundheit, wurde deutlich, dass moderne Gesundheitsaufklärung ein Mannschaftssport ist, an dem sich möglichst viele von denen beteiligen sollten, mit denen Eltern und ihre Kinder in Gesundheitsfragen zu tun haben. Durch diese könne aber auch die Sicherheit der Behandlung mit Medikamenten wesentlich gesteigert werden.