Falsche Arzneimittel: Lukratives Geschäft und Gefahr für Patienten
Berlin (dpa) - Die beiden blauen Pillen sehen auf den ersten Blick völlig gleich aus. Auf der Vorderseite ist das Logo des US-Pharmakonzerns Pfizer eingestanzt, auf der Rückseite eine Nummer. Nur wer ganz genau hinschaut, sieht kleine Unterschiede: So ist das Originalpräparat ein wenig heller, ein wenig größer als die Fälschung. «Für den Normalverbraucher sind die beiden Tabletten aber extrem schwer zu unterscheiden», sagt Martin Fensch, Sprecher von Pfizer Deutschland.
Gefunden wurden die gefälschten Medikamente vor rund vier Jahren in Baden-Württemberg. Seither hat der Handel mit Plagiaten von Arzneimitteln drastisch zugenommen: Rund 10 Millionen Tabletten hat der deutsche Zoll allein 2010 sichergestellt. Vor allem «Lifestyle»-Medikamente wie Potenzmittel oder Appetitzügler sind Zielscheiben für die Fälscher. Zunehmend werden aber auch falsche Krebsmittel, Cholesterinsenker oder Grippemittel vertrieben.
Die hohe Anzahl der sichergestellten Plagiate zeige, wie lukrativ das Geschäftsfeld für kriminelle Gruppen sei, sagt Wolfgang Schmitz vom Zollkriminalamt. «Die Gewinnspanne ist nirgendwo höher als beim Handel mit gefälschten Medikamenten.» Allein in Europa werden jährlich 10,5 Milliarden Euro umgesetzt, heißt es in einer Studie von Pfizer. Nach Angaben des Unternehmens ist der Profit beim Verkauf von einem Kilo gefälschten Viagra-Tabletten hundertmal so hoch wie bei der gleichen Menge Heroin.
Hinter dem Handel steckten hochorganisierte Banden, die auch in hohem Maße gewaltbereit seien, sagt Schmitz. Sie seien vergleichbar mit Gruppen, die am Drogen- oder Waffenhandel beteiligt sind. Die Polizei in Deutschland habe in diesem Jahr bisher 268 Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen das Arzneimittelgesetz geführt. Der Großteil der illegalen Produkte kommt aus dem Ausland, vor allem aus Indien und China.
Internationale Behörden hatten erst im September Produkte im Wert von 6,3 Millionen US-Dollar (4,6 Millionen Euro) beschlagnahmt. An der siebentägigen Operation «Pangea IV» beteiligten sich nach Angaben von Interpol Ermittler aus 81 Ländern. 13 500 Internetseiten wurden abgeschaltet und 2,4 Millionen illegale Tabletten sichergestellt. Die Aktion sei monatelang geplant worden, sagte Schmitz. Vermutlich hätten Kriminelle auch Durchsuchungen vorausgeahnt. Dass dennoch so viele Produkte beschlagnahmt wurden, sei ein Spiegel dafür, wie sicher sich die Händler fühlten.
In Entwicklungsländern liegt der Anteil von gefälschten Medikamenten nach Zoll-Angaben inzwischen bei bis zu 60 Prozent, weltweit sind es rund 10 Prozent. In Deutschland sind rund ein Prozent der Medikamente Plagiate, 914 Fälle von gefälschten Medikamenten wurden hier im vergangenen Jahr aufgedeckt.
Für die Verbraucher bergen die gefälschten Tabletten und Ampullen eine große Gefahr: Viele Plagiate enthielten geringe, falsche oder gar keine Wirkstoffe, heißt es bei Pfizer. Das könne zu Resistenzen gegen das Medikament und im schlimmsten Fall sogar zum Tod des Patienten führen.
Wie gefährlich die Inhaltsstoffe sein können, zeigt ein Beispiel aus Südamerika: Während der Durchsuchung einer Fälscherwerkstatt in Kolumbien wurde das Plagiat eines verschreibungspflichtigen Schmerzmittels von Pfizer gefunden. Die Tabletten enthielten Straßenfarbe auf Blei-Basis, Borsäure und Bodenreiniger. In anderen Tabletten, die beispielsweise in Kanada und Ungarn entdeckt wurden, fanden sich statt des pharmazeutischen Wirkstoffs Talkpuder oder das Amphetamin «Speed».