Pharmabranche sucht Rezepte für zukünftiges Wachstum
Frankfurt/Main (dpa) - Die Pharmabranche steht vor einem schwierigen Jahr. Noch verdienen die meisten großen Konzerne prächtig. Doch Umsatzeinbrüche wegen ablaufender Patente und Gesundheitsreformen in Europa und den USA setzen die Branche unter Druck. Um in Zukunft Wachstum und hohe Gewinne zu erzielen, stellen sich viele Konzerne breiter auf, stärken ihr Engagement in den Schwellenländern und verabschieden Sparprogramme. Forschungskooperationen und Übernahmen sollen helfen, schneller neue Produkte auf den Markt zu bringen.
Patentverluste und die Kürzungen der Arzneimittelpreise bleiben nicht ohne Folgen: «Die Unternehmen werden weiter versuchen, die Auswirkungen der Gesundheitsreformen durch Kosteneinsparungen aufzufangen», sagt Mediziner und Fondsmanager Markus Manns von Union Investment, der Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken.
Konzernlenker wie der neue Bayer-Chef Marijn Dekkers haben schmerzhafte Einschnitte verkündet: Bis 2012 sollen rund 4500 Stellen wegfallen. Im Gegenzug sollen 2500 Arbeitsplätze in Schwellenländern aufgebaut werden. Auch der schweizerische Konkurrent Roche hat den Rotstift angesetzt. Besonders harte Einschnitte gab es nach den Milliardenübernahmen der US-Konzerne Wyeth und Schering-Plough durch Pfizer und Merck & Co.
Laut Branchendienst IMS Health verlieren bis 2013 Medikamente mit einem Umsatz von rund 135 Milliarden Dollar ihren lukrativen Patentschutz. Das ist mehr als je zuvor. Insgesamt hat der Weltpharmamarkt ein Volumen von rund 800 Milliarden Dollar.
Prominentestes Beispiel für den Patentablauf eines Kassenschlagers ist der Blutfettsenker Lipitor, der dem Weltmarktführer und Viagra- Hersteller Pfizer in Spitzenzeiten einen Jahresumsatz von über 12 Milliarden Dollar bescherte.
Für forschende Pharmakonzerne ist die erfolgreiche Medikamentenentwicklung überlebenswichtig. Die noch immer hohen Renditen verdanken sie dem Patentschutz für selbst erforschte Medikamente. Nur einer von hundert Wirkstoffen schafft es in die Apotheke und ältere Kassenschlager müssen schnell durch neue umsatzstarke Mittel ersetzt werden. In der Regel laufen Patente nach 20 Jahren aus. In der Folge brechen die Umsätze ein, denn Hersteller von Nachahmermitteln (Generika) können billigere Konkurrenzprodukte anbieten.
Neben Patentabläufen ist die zweite Stufe der Gesundheitsreform in den USA laut Manns eine weitere Herausforderung: «Sie dürfte die Gewinne um zwei bis drei Prozentpunkte belasten.» Die ab 2014 greifende dritte Stufe könne sich dann wegen der steigenden Zahl der Versicherten positiv auswirken. Berechnungen des Teams um den Analysten Oliver Kämmerer von der WestLB beziffern alleine die Preisnachlässe für Medikamente im laufenden Jahr in den USA auf 2,5 Milliarden Dollar.
Trotz aller Schwierigkeiten erwartet Fondsexperte Manns auch positive Nachrichten: «Wir haben die Talsohle durchschritten. Ein Grund für die Einschätzung ist, dass die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA 2010 im Vergleich zu den Vorjahren wieder mehr Medikamente zugelassen hat.» Dieser Trend könnte sich 2011 fortsetzen. Eine der wichtigsten Zulassungen war das Multiple- Sklerose-Mittel (MS) Gilenia von Novartis : Gilenia dürfte in den kommenden zwei, drei Jahren einer der wichtigsten Wachstumstreiber für die Schweizer werden. Analysten trauen ihm jährliche Spitzenumsätze von 2 Milliarden Dollar und mehr zu. Nicht so rund lief es zuletzt bei der Darmstädter Merck. Der Konzern wartet in den USA und Europa noch auf die Zulassung seines MS-Mittels Cladribin.
Die Tablette ist ein Konkurrenzprodukt zu Gilenia und der größte Hoffnungsträger der Pharmasparte von Merck.
2011 dürfte auch Bayer für Schlagzeilen sorgen. Dem Gerinnungshemmer Xarelto, der allerdings noch nicht zugelassen ist, werden jährliche Spitzenumsätze von mehr als 2 Milliarden Euro zugetraut. Boehringer Ingelheim ist schon einen Schritt weiter und hat für seine Neuentwicklung Pradaxa bereits die begehrte Zulassung zur Vorbeugung von Schlaganfällen bei Patienten mit Herzrhythmusstörungen in den USA erhalten. Ein Umsatzpotenzial von zwei bis drei Milliarden hat laut Manns auch das Lupus-Mittel Benlysta der britischen GlaxoSmithKline (GSK).
Die Herausforderungen für die Branche bleiben groß. Allerdings auch die Chancen, da der Bedarf an Medikamenten durch die zunehmende Lebenserwartung und den wachsenden Wohlstand in den Schwellenländern steigen wird.