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CDU debattiert über Gesundheitspolizei für Dicke

Der Aufschrei kam mit Ansage. «Ich halte es für sinnvoll, dass bewusst ungesund lebende Menschen eine eigene Verantwortung auch in finanzieller Hinsicht tragen», erklärte der CDU-Abgeordnete Marco Wanderwitz in der «Bild». Übermäßiges Essen beschere der Solidargemeinschaft immense Krankheitskosten. SPD und Grüne reagierten mit pflichtschuldiger Entrüstung. Bislang sind Vorschläge zur Bestrafung ungesunden Verhaltens gescheitert - doch ein Ende der Debatte ist nicht in Sicht.

SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach kanzelte die Wanderwitz- Idee im «Kölner Stadt-Anzeiger» als «durchweg schwachsinnigen Vorschlag» ab. Grünen-Geschäftsführerin Steffi Lemke schimpfte: «Es ist eine bodenlose Dreistigkeit, wie die Union mit dem Finger auf Übergewichtige zeigt.»

Im Bundesgesundheitsministerium will man sich lieber gar nicht äußern, um die Debatte nicht anzuheizen. Auch die Krankenkassen lassen Wanderwitz abtropfen. «Wir wollen unseren Teil dazu beitragen, dass die Menschen gesund bleiben. Dabei setzen wir auf Prävention und positive Anreize», meint der Sprecher des Kassenverbands, Florian Lanz. Und CDU-Experte Jens Spahn lässt seinen Fraktionskollegen wissen: «Eine Gesundheitspolizei, die kontrolliert, wer was isst, um ihn dann zu bestrafen, wird es mit uns nicht geben.»

Regelmäßig - und nicht nur im Sommerloch - wird nach der großen Lösung im ewigen Bemühen um Kostendämpfung bei Gesundheit gerufen. Ganze Blöcke aus dem Leistungskatalog der Kassen herauszuschneiden, brächte Milliarden. Schon 2003 riet der Sachverständigenrat im Gesundheitswesen, die Kassen von Kosten für Unfälle beim Sport, im Verkehr und Haushalt zu befreien - Sparziel: zehn Milliarden Euro. Drei Jahre später gab es begleitend zu den Reformverhandlungen von Schwarz-Rot Schlagzeilen, die Regierung wolle Millionen von Hobby- Fußballern ans Leder.

Daraus wurde nichts. Wahlen sind mit Streichkonzerten nicht zu gewinnen - und die Abgrenzung, wann man an einer Krankheit selbst Schuld ist, ist im Einzelfall oft kaum möglich.

Die letzte Gesundheitsreform brachte nur eine Verschärfung: Versicherte müssen die Folgen von Komplikationen nach einer Schönheitsoperation oder einem Piercing seither teils selbst zahlen.
Nennenswerte Einsparungen brachte das den Kassen nicht.

Müssten nun wirklich Dicke stärker blechen, hätte die Politik auf einen Schlag riesige Sparmöglichkeiten - und mehr als die Hälfte der Bevölkerung gegen sich. Eine Schätzung der direkten und indirekten Kosten von Übergewicht und den Folgekrankheiten aus dem Robert Koch- Institut geht von 7,8 bis 13,6 Milliarden Euro aus. Insgesamt gelten laut Nationaler Verzehrstudie 66 Prozent der Männer und 51 Prozent der Frauen als übergewichtig. Geht es nach dem Gesundheitsökonom Jürgen Wasem, könnte der Staat Alkohol, Schokolade oder Risikosportgeräte auch einfach höher besteuern. Vorschlag folgt auf Vorschlag - erst vergangene Woche hatte die CDU/CSU- Mittelstandsvereinigung eine Praxisgebühr pro Arztbesuch verlangt.

Tatsächlich bastelt die Koalition aber in eine andere Richtung. Minister Philipp Rösler (FDP) erwägt, dass Kassen Zusatzbeiträge senken könnten, wenn Versicherte Vorsorge betreiben. CDU-Experte Spahn sagt: «Eine Stärkung der Eigenverantwortung der Versicherten ist erklärtes Ziel der Koalition.» So sollen Kassenpatienten künftig wohl öfter ihren Arzt selbst bezahlen - und das Geld dann von ihrer Kasse zurückfordern. Bei den Kassen bereitet man sich schon darauf vor, im Herbst Front gegen solche Pläne zu machen, wenn diese konkreter werden. Sie wollen nicht, dass Kranke künftig immer mehr mit den Preisen von Behandlungen und Diagnosen behelligt werden.