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Verbände: Ärztemangel größer - Kassen: Panikmache

Berlin (dpa) - Horrorszenario oder bittere Realität: Der Streit zwischen Ärztevertretern und Krankenkassen über eine ausreichende Zahl von Medizinern in Deutschland geht in eine neue Runde.

Nach aktuellen Erhebungen der Bundesärztekammer (BÄK) und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) nimmt der Ärztemangel in Deutschland zu. In der Fläche werde die medizinische Versorgung immer lückenhafter, warnten die Verbände am Freitag in Berlin. Bis zum Jahr 2020 werde es voraussichtlich 7000 Hausärzte weniger geben als heute.

Die Krankenkassen sprechen von Panikmache und werfen den Verbänden Zahlentricksereien vor. Damit wollten die Ärztevertreter kein Problem lösen, sondern nur Jahr für Jahr milliardenschwere Honorarerhöhungen durchsetzen, erklärte der Vize-Chef des GKV-Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenkassen, Johann-Magnus von Stackelberg.

«Die Lücken in der ambulanten und stationären ärztlichen Versorgung werden immer größer», beklagen die Ärzteverbände. Bis zum Jahr 2020 müssten allein im ambulanten Bereich 51 774 Ärzte ersetzt werden, darunter 23 768 Hausärzte. Diese Prognose ergebe sich aus dem Durchschnittsalter der Ärzte, das 2009 bei 51,9 Jahren lag.

Hauptgründe: Immer mehr ältere Ärzte setzten sich zur Ruhe, ohne dass es einen Nachfolger gibt. Viele Mediziner wanderten zudem nach dem Studium ins Ausland ab. Und der wachsende Frauenanteil bei Ärzten führe dazu, dass weniger Vollzeitstellen besetzt werden können.

Die Studie belege klar, «dass Ärztemangel kein irgendwann zu erwartendes Phänomen ist, sondern akut droht», sagte KBV-Chef Andreas Köhler. Und zwar im stationären und im ambulanten Bereich. BÄK- Vizepräsident Frank Ulrich Montgomery sagte: «Kaum jemand bestreitet noch, dass wir uns auf dem Weg in eine Wartelistenmedizin befinden.»

Die ambulante Versorgung in der Fläche nehme weiter ab. Engpässe drohten bei Augen-, Frauen-, Haut- und Nervenärzten. Schon jetzt seien in Kliniken 5000 Stellen unbesetzt. In zehn Jahren gingen fast 20 000 Ober- und Chefärzte altersbedingt in den Ruhestand.

Die Probleme beginnen nach Darstellung der Verbände bereits im Studium. Auf die 10 000 freien Medizinstudienplätze hätten sich im vergangenen Jahr etwa 50 000 Abiturienten beworben. Im Jahr 2008 habe es 76 042 Studenten gegeben, mehr als 60 Prozent waren weiblich.

«Doch nicht alle bringen ihr Studium zu Ende», hieß es. Zwischen 2003 und 2008 habe ein knappes Sechstel der Studienanfänger die Ausbildung nicht abgeschlossen. Nicht alle Absolventen fingen als Arzt in Deutschland an. Einige wanderten nach dem Studium ab.

Allein im Jahr 2009 zog es 2486 deutsche Mediziner ins Ausland.Insgesamt sind gegenwärtig rund 17 000 deutsche Ärzte im Ausland tätig. Köhler: «Diese Mediziner fehlen uns hier.» Viele Medizinerinnen arbeiten später Teilzeit oder verzichten aus familiären Gründen ganz auf den Klinik- oder Praxis-Job.

Für GKV-Vertreter von Stackelberg steht dagegen fest: «Wir haben mehr Fachärzte als genug und es gibt keinen seriösen Hinweis, dass sich dies in absehbarer Zeit ändern würde.» Probleme könnte es künftig bei Hausärzten geben. Alle Ärzte dürften sich künftig nur noch in Regionen niederlassen dürfen, wo es einen echten Bedarf gibt.

1990 seien auf 100 000 Einwohner rechnerisch 29,8 Ärzte entfallen, 2007 seien es 38,3 Ärzte gewesen, hieß es beim GKV-Spitzenverband. Die Barmer GEK warnte vor Verunsicherung von Patienten. Momentan sei in weniger als einem Prozent der Planungsbezirke eine bestehende oder unmittelbar drohende Unterversorgung festgestellt worden. «Wir haben keinen Mangel an Ärzten, sondern Mängel bei deren regionaler Verteilung.» Die Ärzteschaft selbst müsse dafür sorgen, dass finanzielle Anreize zu mehr Praxen in ländlichen Regionen führen.