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Masern - Der große Streit um den kleinen Pieks

Berlin (dpa) - Große Masern-Ausbrüche in Berlin und Bayern haben die Diskussion um die Impfung gegen die Infektionskrankheit neu angefacht. Die Politik erwägt eine Impfpflicht. Manche Eltern sehen Impfungen dagegen generell kritisch. Fakten und Argumente im Streit um den kleinen Pieks gegen die Masern:

GEFAHREN EINER MASERN-INFEKTION: Masern sind hochansteckend. Sie schwächen auch das Immunsystem. «Dadurch können zusätzlich bakterielle Super-Infektionen auftreten», erläutert Dorothea Matysiak-Klose vom Berliner Robert Koch-Institut (RKI). So kommt es bei einigen Erkrankten zu Mittelohrentzündungen (7-9 Prozent) oder einer Lungenentzündung (1-6 Prozent). In einem von 1000 Fällen folgt sogar eine Gehirnentzündung. Sie kann tödlich enden oder schwere Schäden wie geistige Behinderungen verursachen. Sehr selten tritt Jahre nach der überstandenen Infektion eine Entzündung des Gehirns und des Nervensystems auf - an diesen Spätfolgen starb im Juni ein 14-Jähriger in Nordrhein-Westfalen.

MASERN-IMPFUNG: Die Impfung bietet nach Angaben des RKI einen sehr hohen Schutz. Ein Rechenbeispiel des Instituts: Falls in einer Grundschule, in der die Hälfte der Kinder geimpft ist, die Masern auftreten, sei damit zu rechnen, dass nur zwei bis drei Prozent der Geimpften erkrankten - aber fast alle nicht Geimpften. Das Ziel ist es, 95 Prozent der Bevölkerung zu immunisieren. Denn dann könnten die Masern sich nicht mehr weiter verbreiten. Weil der Schutz beim ersten Mal nicht immer anschlägt, werden zwei Dosen empfohlen.

NEBENWIRKUNGEN: «Auch für Impfstoffe gilt, dass Sie keine Wirkung ohne Nebenwirkungen haben», sagt Michael Pfleiderer, Leiter des Fachgebiets Virusimpfstoffe am Paul-Ehrlich-Institut (PEI), das für die Zulassung der Stoffe zuständig ist. Unerwünschte Nebenwirkungen seien jedoch rare Einzelfälle. Die Impfstoffe seien seit Jahrzehnten auf dem Markt und sehr gut verträglich.

Zu den häufigeren Reaktionen auf die Impfung gehören Fieber und leichter Hautausschlag. «Die Masernimpfung ist eine Lebendimpfung. Sie erzeugt somit eine milde Masern-Infektion mit sehr abgeschwächten Masernviren und damit den Schutz gegen die Infektion», sagt Matysiak-Klose. Bei allen Impfungen kann es zudem zu Rötungen und Schwellungen kommen. «Die Gefahr, die von Masern ausgeht, ist deutlich größer als das Risiko der Impfung», betont die RKI-Expertin.

MASERN AUSROTTEN: Die Weltgesundheitsorganisation will die Masern ausrotten, in Europa bis Ende 2015. Denn weltweit sterben schätzungsweise 140 000 Kinder pro Jahr an der Krankheit. Die deutsche Debatte ist auch in diesem Zusammenhang zu sehen: Deutschland sorge mit seinen Masernfällen immer wieder für Ausbrüche in anderen Ländern, sagt Matysiak-Klose. «So trat in Bulgarien ein sehr großer Ausbruch mit 24 000 Fällen auf, der durch einen Deutschen verursacht wurde.»

IMPFPFLICHT: Falls die Impfquote nicht steigt, will Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) eine Pflicht zur Masernimpfung erwägen. «Ich finde es verantwortungslos, seine Kinder nicht impfen zu lassen», sagte er der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung». Eine Pflicht ist allerdings umstritten, da sie in das Recht auf körperliche Unversehrtheit eingreift.

In der DDR gab es eine allgemeine Impfpflicht - und auch in der Bundesrepublik war der Pieks beim Arzt schon einmal vorgeschrieben: Bis 1982 mussten Kinder gegen Pocken geimpft werden, die Krankheit wurde ausgerottet. Das Bundesverwaltungsgericht habe die Pockenimpfpflicht 1959 durchgewinkt, sagt der Hannoveraner Medizinrechtler Oliver Pramann. «Je gefährlicher eine Krankheit medizinisch eingestuft wird, desto mehr tritt das Recht des Einzelnen auf seine persönliche Freiheit und körperliche Unversehrtheit hinter dem Gemeinwohl zurück.»

Genau dies bezweifelt Kinderarzt Hirte im Fall der Masern, obwohl auch er die Impfung für sinnvoll hält. «Es gibt keine epidemiologische Notfallsituation», begründet er. Gegner argumentieren auch, die Pflicht sei schwierig durchzusetzen und steigere die Akzeptanz der Impfung nicht.

Viele Argumente der Impfkritiker entbehren aus Sicht des Paul-Ehrlich-Instituts der Grundlage - wie zum Beispiel der Verdacht, Impfungen schwächten das Immunsystem von Kindern. «Darauf deutet nichts hin», sagt Michael Pfleiderer. «Wir lesen diese Argumente auch immer wieder. Dem ist sehr schwer beizukommen, aber wissenschaftlich ist das alles nicht haltbar.»