Spotlight Pharma Market 02.25
Orphan Drugs

Orphan Drugs sind Medikamente für die Behandlung schwerwiegender Erkrankungen, die selten sind. Die Europäische Union und auch Deutschland fördern seit geraumer Zeit die Entwicklung solcher Medikamente sowie die Schaffung von Rahmenbedingungen für die Behandlung der ca. 4 Mio. Betroffenen hierzulande. Die Erfolge sind spürbar, doch es ist unbestritten, dass nach wie vor ein hoher medizinischer Bedarf in diesem Bereich besteht.
In den vergangenen Jahren standen Orphan Drugs Betroffenen in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern umfassender sowie schneller zur Verfügung(1)
. Und doch ist dies keine Selbstverständlichkeit, denn die kleine Anzahl an betroffenen Personen, begründet für diese Arzneimittel sowohl in der Entwicklung und Zulassung als auch im Markt eine besondere Therapiesituation. Die Rahmenbedingungen müssen diesen besonderen Herausforderungen auch in Zukunft gerecht werden, damit sich die Versorgungssituation der Betroffenen weiter verbessert.
Zulassungen mit Orphan Drug-Status
Die zunehmende Anzahl an Zulassungen von Orphan Drugs belegt, dass die Orphan Drug-Verordnung ein Erfolg für Patientinnen und Patienten mit seltenen Erkrankungen ist. Die Ausrichtung liegt dabei klar auf sehr seltenen Indikationen.
Bis Ende 2024 hat die Europäische Kommission anhand der Kriterien der Orphan Drug-Verordnung(2)
mehr als 2.900 Mal einen Orphan Drug-Status vergeben. Eine diskussionswürdige Auslegung der Kriterien ist in 25 Jahren nur in einer Handvoll Fälle vorgekommen (<0,2 Prozent).
297 Projekte mit Orphan Drug-Status sind bislang in eine Zulassung gemündet. Etwa 16 Prozent der Orphan Drugs sind für mehr als eine seltene Erkrankung zugelassen. Seit Inkrafttreten der Orphan Drug-Verordnung hat sich die Anzahl der Zulassungen einer Orphan-Indikation deutlich erhöht, von 18 im Zeitraum 2000 bis 2004 auf 103 solcher Zulassungen zwischen 2020 und 2024.
Für jede Indikation wird direkt vor Erteilung der Zulassung nochmals geprüft, ob die Kriterien für den Orphan Drug-Status erfüllt sind. Eine Auswertung der in diesem Zuge angegebenen Prävalenzen ergibt, dass die Zulassungen in den Fünfjahreszeiträumen ab 2000 im Durchschnitt 1 bis 1,6 je 10.000 Personen betreffen. Damit liegen sie deutlich unter der Obergrenze von 5 je 10.000 Personen, unter der eine Erkrankung in Europa als selten gilt.
Der Indikator stellt die Anzahl der Zulassungen von Orphan Drug-Indikationen seit 2000 dar, übersichtlich gruppiert in Fünfjahreszeiträumen, sowie deren durchschnittliche Prävalenz.
Einbezogen wurden sowohl alle Ende 2024 bestehenden initialen Zulassungen als auch Indikationserweiterungen, die auf einem Orphan Drug-Status basieren. Die Prävalenz der jeweiligen Zulassung ist den auf der EMA-Webseite veröffentlichten Unterlagen zum Orphan Drug-Status entnommen(3)
.
Umsatzentwicklung bei Orphan Drugs
Trotz wachsender Zahl verfügbarer Therapien blieb der GKV-Umsatz mit Orphan Drugs über Jahre konstant – der jüngste Anstieg 2024 ist vor allem auf einen Sondereffekt durch gesetzliche Änderungen zurückzuführen.
Während in den vergangenen vier Jahren bei 19 Prozent der Orphan Drugs der Status ablief, hat parallel durch neue Zulassungen die Anzahl der Arzneimittel mit aktivem Orphan Drug-Status(4)
zugenommen, sodass heute 13 Prozent mehr davon zur Verfügung stehen als Anfang 2021. Die GKV-Umsätze von Arzneimitteln mit Orphan Drug-Status bewegten sich von 2021 bis 2023 dennoch auf einem gleichbleibenden Niveau, ein Anstieg war erst im Jahr 2024 zu verzeichnen.
Für den Anstieg der GKV-Umsätze im Jahr 2024 war die Rückführung des Herstellerabschlags von 12 Prozent auf 7 Prozent im Zuge des GKV-FinStG der wesentliche Einflussfaktor. Dieser statistische Sondereffekt ist sowohl bei den Orphan Drugs als auch bei allen anderen Arzneimitteln ohne Festbetrag, insbesondere bei patentgeschützten Medikamenten zu beobachten. Hierdurch fiel die Umsatzentwicklung im Bereich Arzneimittel im Jahr 2024 um rund drei Prozentpunkte höher aus.(5)
Das Wachstum der GKV-Umsätze mit Orphan Drugs blieb jeweils hinter dem des GKV-Gesamtarzneimittelmarkts zurück.
Der Indikator stellt die Entwicklung der Umsätze von Orphan Drugs in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) dar.
Herangezogen wurden ambulante GKV-Umsätze zu Apothekenverkaufspreisen (AVP, abzüglich der gesetzlichen Rabatte) sowie die stationären GKV-Umsätze auf Basis des Abgabepreises des pharmazeutischen Unternehmers (ApU, abzüglich geschätzter Rabatte). Analysiert werden die letzten vier Jahre, in denen diese breite Datenbasis vorliegt. Betrachtet werden aktive Orphan Drugs.
Umsatzanteil unter vollumfänglicher AMNOG-Bewertung
Rund 80 % der Orphan-Drug-Umsätze werden von Orphan Drugs generiert, die oberhalb der Umsatzschwelle liegen. Damit unterliegt der Großteil der Orphan Drug-Umsätze bereits einer vollumfänglichen Nutzenbewertung.
Orphan Drugs, die innerhalb von 12 Monaten einen Umsatz von mehr als 30 Mio. Euro generieren, müssen sich einer erneuten, vollumfänglichen Nutzenbewertung unterziehen. Dann unterliegen sie den gleichen Anforderungen wie alle anderen Arzneimittel. Anschließend wird der Erstattungsbetrag auf dieser Basis neu verhandelt. Für die Bestimmung des jährlichen Umsatzes werden seit 2019 mit dem Inkrafttreten des GSAV(6)
neben den ambulanten GKV-Umsätzen zusätzlich die stationären Umsätze zulasten der GKV herangezogen.
Mit Inkrafttreten des GKV-FinStG(7)
2022 ist die Umsatzschwelle von 50 Mio. Euro auf 30 Mio. Euro pro Jahr abgesenkt worden. Aufgrund dieser Absenkung haben seither 13 Orphan Drugs zusätzlich das vollumfängliche AMNOG(8)
-Verfahren durchlaufen. (Stand April 2025)
Im Jahr 2024 wurden 79 Prozent der GKV-Arzneimittelausgaben für Orphan Drugs von solchen mit Jahresumsätzen oberhalb der Umsatzschwelle generiert. Damit unterliegt der Großteil der Orphan Drug-Umsätze der vollumfänglichen Nutzenbewertung.
Der Indikator gibt den prozentualen Anteil der Umsätze mit Orphan Drugs an, die der vollumfänglichen frühen Nutzenbewertung unterliegen.
Die Summe der GKV-Umsätze 2024 von Orphan Drugs, die die Umsatzschwelle von 30 Mio. Euro überschreiten, wird ins Verhältnis gesetzt zum AMNOG-relevanten GKV-Umsatz 2024 aller aktiven Orphan Drugs.
Berücksichtigt wurden die AMNOG-relevanten Umsätze gem. § 35a Abs. 1 S. 12 SGB V: ambulante GKV-Umsätze auf AVP-Basis (abzüglich der gesetzlichen Rabatte) sowie die stationären GKV-Umsätze. Letztere basieren auf dem ApU abzüglich geschätzter Rabatte.
Anteil Orphan Drugs unterhalb der Umsatzschwelle
Drei von vier Orphan Drugs erzielen nur geringe Umsätze – für sie ist die Orphan Drug-Regelung existenziell, um wirtschaftlich zu bleiben und damit für Patient:innen verfügbar.
Für insgesamt 104 Arzneimittel greift die sogenannte Orphan Drug-Regelung im AMNOG. Der Zusatznutzen gilt für Orphan Drugs zunächst als belegt; der G-BA prüft in diesen Fällen allerdings, wie hoch der Zusatznutzen ist. Auf dieser Grundlage finden dann – wie bei allen anderen Medikamenten – die Erstattungsbetragsverhandlungen statt. Diese speziellen AMNOG-Vorgaben gelten, bis die Medikamente innerhalb von 12 Monaten einen Umsatz von mehr als 30 Mio. Euro erzielen. Die Arzneimittel unterhalb dieser Umsatzschwelle entsprechen 75 Prozent aller aktiven Orphan Drugs(4)
, für die im Jahr 2024 Umsätze erzielt wurden. Dieser Anteil ist seit fünf Jahren nahezu gleichbleibend.
Seltene Erkrankungen stellen ein Paradebeispiel für Herausforderungen der klinischen Entwicklung und besondere Therapiesituationen dar. Eine im Dezember 2024 veröffentlichte Studie(9)
hat die existenzielle Bedeutung der Orphan Drug-Regelung aufgezeigt: bei ihrer Abschaffung wären 57 % der Orphan Drugs einem sehr hohen Marktrücknahmerisiko ausgesetzt.
Der Indikator stellt den prozentualen Anteil der Orphan Drugs dar, für die die Orphan Drug-Regelung gemäß § 35a SGB V gilt.
Einbezogen wurden aktive Orphan Drugs.
Berücksichtigt wurden die AMNOG-relevanten Umsätze gem. § 35a Abs. 1 S. 12 SGB V: ambulante GKV-Umsätze auf AVP-Basis (abzüglich der gesetzlichen Rabatte) sowie die stationären GKV-Umsätze. Letztere basieren auf dem ApU abzüglich geschätzter Rabatte.
Anteil des generischen und biosimilaren Wettbewerbs
Auch im Orphan Drug-Markt findet ein relevanter Generikawettbewerb statt – häufig mit schnell spürbaren Einsparungen.
Von den 98 Arzneimitteln mit bereits abgelaufenem Orphan Drug-Status(10)
, besteht für 28 nach wie vor Unterlagenschutz.(11)
Damit sind bereits 70 frühere Orphan Drugs generika-/ biosimilarfähig. Für 53 Prozent dieser Arzneimittel sind generische/biosimilare Produkte verfügbar. Die restlichen sind zu einem großen Anteil für Erkrankungen zugelassen, die weniger als 1 von 10.000 Personen betreffen.
Bei den ehemals umsatzstärksten Orphan Drugs beherrschen Generika mittlerweile über 90 Prozent des Marktes. Die Verschiebung der Marktanteile erfolgt in der Regel innerhalb weniger Monate. Wettbewerbsbedingte Preissenkungen bei den Original-Arzneimitteln führen bei etwa der Hälfte der früheren Orphan Drugs mit Generika/Biosimilars zu weiteren Einsparungen.

Dargestellt wird Anteil der generika-/biosimilarfähigen Arzneimittel mit früherem Orphan Drug-Status an, bei denen Generikawettbewerb besteht.
Arzneimittel wurden als nicht-generika-/biosimilarfähig klassifiziert, wenn nach Ablauf des Orphan Drug-Status noch Patent- oder Unterlagenschutz besteht. Sofern die Umsätze bei Wirkstoffen mit mehreren Indikationen nicht über den ATC-Code bzw. die Produkte abgegrenzt werden konnten, ist dies gekennzeichnet. Einbezogen wurden ambulante GKV-Umsätze zu AVP (abzüglich der gesetzlichen Rabatte) sowie die stationären GKV-Umsätze für das Jahr 2024. Letztere basieren auf dem ApU abzüglich geschätzter Rabatte.
(1) EFPIA, Patients W.A.I.T. Indicator 2024, Mai 2025
(2) Gem. Art. 3 EG-VO 141/2000 online verfügbar: Schwere und Seltenheit der Erkrankung sowie ein
signifikanter Nutzen (bisher keine geeignete Therapie (therapeutischer Solist) oder erheblicher Zusatznutzen gegenüber der Standardtherapie), in Kraft seit 22.01.2000
(3) Angaben wurden i.d.R. dem Orphan Maintenance Assessment Report entnommen
(4) Die mit dem Orphan Drug-Status verbundene Marktexklusivität bestand Ende 2024 noch.
(5) lt. DAV Frühinformation an das Bundesgesundheitsministerium vom 31. Januar 2025
(6) Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung, in Kraft seit 16. August 2019
(7) GKV-Finanzstabilisierungsgesetz; in Kraft seit 12. November 2022
(8) Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz, online verfügbar; in Kraft seit 01.01.2011
(9) Simon Kucher, Die Bedeutung der Orphan Drug-Regelung im AMNOG für die Patientenversorgung, 2024
(10) Unabhängig davon, ob ein weiterer Orphan Drug-Status in anderen Indikationen noch aktiv ist.
(11) In 15 Fällen, weil das pharmazeutische Unternehmen vor Ablauf der Marktexklusivität auf den Orphan Drug-Status verzichtet hat; 13 Mal, weil nach Ablauf der Marktexklusivität noch Patent/-Unterlagenschutz besteht.