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Europäische Nutzenbewertung: Wettlauf um die erste nationale Anwendung

Am 12. Januar 2025 ist die europäische Nutzenbewertung für neue Arzneimittel parallel zur europäischen Zulassung gestartet. Seitdem müssen pharmazeutische Unternehmen ein Dossier für die klinische HTA-Bewertung auf EU-Ebene einreichen. Die europäische Begutachtung wird dann Ausgangspunkt für die nationale Nutzenbewertung zum Zwecke der Preisbildung sein. Hier geben wir einen Überblick über das Rahmenwerk, die Verfahrensgrundlagen und den Stand der Praxisphase.

Wettlauf aus der Vogelperspektive

Die europäische Verordnung zu Health Technology Assessment

Die Verfügbarkeit von innovativen Arzneimitteln in der Europäischen Union ist unterschiedlich. Ein Grund dafür sind die fragmentierten HTA-Prozesse in den Mitgliedsstaaten, die Preis- und Erstattungsentscheidungen zu Grunde liegen. Zur Vereinheitlichung hat der europäische Gesetzgeber im Jahr 2021 die Einführung einer europäischen Nutzenbewertung beschlossen. Sie soll für neue Arzneimittel parallel zur europäischen Zulassung stattfinden. Damit sollen die nationalen HTA-Prozesse vereinfacht und der Zugang zu innovativen Therapien verbessert werden.

Die europäische Verordnung regelt die Zusammenarbeit der Mitgliedsstaaten bei den klinischen Aspekten des sog. Health Technology Assessments (HTA), insbesondere bei gemeinsamen klinischen Bewertungen (joint clinical assessment, JCA) sowie wissenschaftlichen Beratungen (joint scientific consulation, JSC). Ein verbindlicher Mechanismus regelt die einmalige Einreichung klinischer Daten auf der EU-Ebene. Die Mitgliedsstaaten müssen die europäische Bewertung angemessen berücksichtigen, können aber auch ergänzende klinische Analysen für Ihren Versorgungkontext anfordern. Entscheidungen über Zusatznutzen, Preise und Erstattung verbleiben weiterhin in der Kompetenz der nationalen Gesundheitssysteme.

Die Vorbereitungsphase der EU HTA – Grundlagen und Strukturen

Aufbau der HTA-Koordinierungsgruppe

Für die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene ist die HTA-Koordinierungsgruppe der Mitgliedsstaaten verantwortlich, in diese Vertreterinnen und Vertretern der nationalen Gesundheitssysteme entsandt werden. Die Koordinierungsgruppe wird durch ein Stakeholder-Netzwerk unterstützt, eine sichere IT-Plattform und das HTA-Sekretariat der Europäischen Kommission.

Die HTA-Koordinierungsgruppe der Mitgliedsstaaten

Leitlinien, Prozesse und Formatvorlagen

Anpassungen in Deutschland

Start der EU HTA 2025 – Beginn der europäischen Anwendungsphase

Erste betroffene Arzneimittelgruppen

Am 12. Januar 2025 ist die europäische Nutzenbewertung gestartet, zunächst für Arzneimittel für neuartige Therapien (ATMPs) und onkologische Erkrankungen. Stufenweise werden weitere Medikamente umfasst. Ab dem Jahr 2028 fallen Arzneimittel gegen seltene Leiden (Orphan Drugs) darunter und ab dem Jahr 2030 alle anderen Medikamente, inklusive der Impfstoffe.

Beteiligung Deutschlands und die Rolle des IQWiG

Die ersten Unternehmen haben bereits Anträge zur europäischen Zulassung eingereicht, die mit einer parallelen HTA-Bewertung erfolgen. Zwischen März und Oktober 2025 sind für insgesamt 10 onkologische Arzneimittel und ATMP entsprechende Verfahren angelaufen, darunter auch für Orphan Drugs. Ebenso, wurden sechs Verfahren zur gemeinsamen wissenschaftlichen Beratung gestartet, darunter mehrere mit paralleler Beteiligung der Zulassungsbehörden.

Erste Zulassungsverfahren mit parallelem EU-HTA

Nationale Umsetzung und Herausforderungen im deutschen AMNOG-Verfahren

Verknüpfung zwischen EU HTA und nationaler Nutzenbewertung

Die erste nationale Nutzenbewertung auf Grundlage einer europäischen Begutachtung wird im zweiten Quartal 2026 erwartet. Die nationalen Verfahren sollen laut Verordnungsgeber aber zunächst weitgehend unverändert ablaufen.

Unternehmen müssen bei Markteinführung weiterhin nationale Dossiers zur Nutzenbewertung vorlegen, aber dies im reduzierten Umfang. Auf europäischer Ebene vorgelegte Informationen sind hier, bis auf Verweise, nicht mehr nötig. Dies vermeidet Doppelarbeit. Ökonomische Kennzahlen sowie klinische Analysen für den deutschen Versorgungskontext, die nicht auf europäischer Ebene enthalten sind, müssen weiterhin vorgelegt werden.

Herausforderungen und Harmonisierung

Die Bewertung beim G-BA und IQWiG wird weniger effizient ausfallen. Grund ist die noch fehlende zeitliche Flexibilität des AMNOG-Verfahrens, die zur Sicherstellung der Verfügbarkeit des europäischen Berichts als Grundlage zur Nutzenbewertung notwendig wären. Auch ist der Grad der Harmonisierung zwischen europäischen und nationalen Vorgaben noch sichtlich verbesserungswürdig, um mehr Effizienz für Unternehmen und Bewertungsinstanzen zu schaffen.

Ausblick und nächste Schritte

Trotzdem sind die Grundlagen für eine erfolgreiche Anwendung von EU-HTA im deutschen AMNOG gelegt. Nach einer Erfahrungsphase will der Verordnungsgeber dann auch nachbessern, wobei er die bessere zeitliche Verzahnung und Harmonisierung von Vorgaben in den Blick nehmen muss. Das Wettrennen um die ersten Erfahrungswerte im deutschen AMNOG läuft. Wir dürfen gespannt sein, wer das Rennen macht.

FAQ

Die EU-HTA (European Health Technology Assessment) ist die europäische Nutzenbewertung für Arzneimittel. Sie bewertet seit 2025 die klinische Wirksamkeit neuer Medikamente gegenüber Therapiestandards zentral auf EU-Ebene, um Doppelarbeit in den Mitgliedsstaaten zu vermeiden und den Zugang zu innovativen Therapien zu beschleunigen. Entscheidungen über Preise und Erstattung bleiben weiterhin national.

Seit Januar 2025 gilt die EU HTA zunächst für Arzneimittel für neuartige Therapien (ATMPs) und onkologische Medikamente. Ab 2028 folgen Orphan Drugs, ab 2030 alle anderen Arzneimittel einschließlich Impfstoffe.

Deutschland ist stark eingebunden: Das IQWiG ist bereits an mehreren europäischen Bewertungen beteiligt. Außerdem hat das IQWiG die Leitung der Untergruppe für die methodische Leitfäden inne. Dennoch bleibt die Entscheidung über Zusatznutzen und Preise weiterhin national beim G-BA und dem GKV-Spitzenverband.

Unternehmen müssen künftig klinische Daten einmalig auf EU-Ebene einreichen. Nationale Dossiers bleiben erforderlich, aber in reduziertem Umfang. Das spart Aufwand und vermeidet doppelte Dateneinreichungen.

Die größte Herausforderung liegt derzeit in der zeitlichen Abstimmung zwischen europäischer und nationaler Bewertung sowie in der methodischen Harmonisierung der Vorgaben.