ATMP in Deutschland: Verfügbarkeit hoch, Anwendung zurückhaltend
Erstmals lassen sich verlässliche Aussagen dazu treffen, wie häufig die neuartigen Therapien – oder kurz ATMP – in Deutschland eingesetzt werden. Zusammengefasst lässt sich feststellen: weniger als erwartet.

Grundsätzlich sind ATMP in Deutschland gut verfügbar: 16 (84 Prozent) der 19 ATMP sind Stand Juni 2025 in Deutschland verfügbar. Ihre Anwendung ist komplex, daher werden sie überwiegend in hierfür zertifizierten Krankenhäusern eingesetzt.
Daten über die Anwendung von Arzneimitteln im Krankenhaus liegen nicht regelhaft vor. Medikamente können jedoch einen Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) erhalten, sobald sie mit dem Status 1 als Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode (NUB) eingestuft wurden. Die Gentherapie Zolgensma gegen spinale Muskelatrophie ist beispielsweise bereits im OPS-Katalog für das Jahr 2022 enthalten. CAR-T-Zelltherapien sind jedoch erst seit 2024 in diesem System sichtbar. Davor wurden sie nur übergreifend als Klasse kodiert, nicht die einzelnen Präparate.
Eine Auswertung von IGES für das Jahr 2024 zeigt, dass die zu der Zeit verfügbaren 15 Gen- und Zelltherapien nur bei 25 Prozent der geeigneten Patient:innen eingesetzt wurden. Dabei gibt es deutliche Unterschiede zwischen den jeweiligen ATMP-Kategorien. Zelltherapien wurden 2024 bei etwa 50 Prozent der erwarteten Patient:innen eingesetzt, CAR-T-Zelltherapien bei 26 Prozent, Gentherapien ohne CAR-T-Zelltherapien sogar nur bei 19 Prozent.
Aus der Perspektive der Indikationsgebiete betrachtet, wurden 2024 vor allem die ATMP gegen Krebserkrankungen deutlich seltener eingesetzt als erwartet, nämlich in nur 24 Prozent der anhand der Unterlagen zur Nutzenbewertung zu erwartenden Fälle pro Jahr. Im Bereich Hämatologie ohne Krebserkrankungen waren es sogar nur 10 Prozent. Bei den Augenerkrankungen sind doppelt so viele Patient:innen behandelt worden, wie eigentlich pro Jahr erwartet, also sechs statt drei Patient:innen.
Die Erkrankungen, gegen die Gen- und Zelltherapien zugelassen sind, betreffen zwischen zwei und mehr als 3.000 Personen pro Jahr. Bei Krankheiten mit weniger als 500 neu diagnostizierten Patient:innen pro Jahr in Deutschland werden ATMP bei 70 Prozent der Erkrankten eingesetzt. Bei Erkrankungen ab 500 neu diagnostizierten Patient:innen pro Jahr werden sie nur selten eingesetzt, nämlich nur in 13 Prozent der erwarteten Fälle.
Ein Versorgungsdefizit kann hier allerdings nicht pauschal angenommen werden. Die Gründe dafür, dass ATMP seltener angewendet werden als erwartet, sind vielfältig. Die meisten ATMP sind gegen seltene Erkrankungen zugelassen, bei denen es häufig nur Schätzungen zur Anzahl der Betroffenen gibt. In Zukunft könnten diese Angaben mit den Ergebnissen des Nationalen Registers für seltene Erkrankungen (NARSE) eine fundiertere Basis erhalten. Derzeit liegen diese Angaben gegebenenfalls höher als die tatsächliche Patient:innenzahl.
Häufig sprechen auch medizinische Gründe gegen eine Anwendung. Die CAR-T-Zelltherapien beispielsweise werden gegen Krebserkrankungen eingesetzt. Vor deren Anwendung muss ein gewisser zeitlicher Abstand zur Vortherapie eingehalten werden. Die Herstellung der Präparate selbst dauert teilweise 4 Wochen. Zudem muss die überbrückende Behandlung die Tumorlast unter einer gewissen Schwelle halten.
Ein weiterer Faktor ist die Verfügbarkeit von wirksamen Behandlungsalternativen: In den Therapiegebieten, in denen CAR-T-Zelltherapien eingesetzt werden, und auch bei den Gentherapien gegen Hämophilie A und B sind die ATMP nicht die einzige Option, die Ärzte und Patient:innen haben.
Eine gute Marktverfügbarkeit ist unter anderem durch die Rahmenbedingungen für die Erstattung nicht mit einem guten Zugang gleichzusetzen. Langwierige Erstattungsbetragsverhandlungen können den erstmaligen Einsatz stark verzögern. In dieser Zeit muss der Hersteller die Produktionskapazitäten, hochqualifiziertes Personal und die Distributionslogistik vorhalten. Den daraus entstehenden erheblichen Kosten stehen teilweise mehr als ein Jahr keine Einkünfte gegenüber.
Die Kosten für innovative Arzneimittel im Krankenhaus werden unmittelbar nach Markteintritt weder durch eine Fallpauschale (Diagnosis-Related Group, DRG) noch durch ein Zusatzentgelt abgedeckt. Zwar können zwischen einzelnen Krankenkassen und Krankenhäusern Entgelte für sogenannte Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB) vereinbart werden. Dieser Prozess ist jedoch zeit- und ressourcenaufwändig.
Mit den tatsächlichen Anwendungszahlen wird auch klar: ATMP belasten das GKV-System nicht unverhältnismäßig. Im Jahr 2024 machten sie lediglich 0,7 Prozent der Arzneimittelausgaben sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich aus.
