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Innovationsrückstand

Die EU weist im Vergleich zu den USA einen deutlichen Innovationsrückstand auf. Potenziale beim europäischen Zugang zu Arzneimittelinnovationen bleiben derzeit ungenutzt. Dieser Rückstand zeigt sich insbesondere in den längeren Zulassungsprozessen und der verzögerten Verfügbarkeit neuer Arzneimittel. Während die USA schnelle Fortschritte bei der Einführung therapeutischer Durchbrüche und Orphan Drugs machen, sehen sich kleinere Unternehmen mit Herausforderungen auf dem europäischen Markt konfrontiert.

Innovationsrückstand der EU im Vergleich zur USA

Lücke in der Versorgung

Auch vulnerable Patientengruppen, die unter seltenen Erkrankungen leiden, haben in der EU weniger Behandlungsoptionen als in den USA. 29 der 101 nicht verfügbaren Arzneimittel haben eine Orphan Drug Designation von der US-Zulassungsbehörde FDA (Food and Drug Administration) erhalten. Mindestens acht dieser nicht verfügbaren Orphan Drugs sind therapeutische Durchbrüche. Denn sie besitzen einen Breakthrough Therapy Status, den seit Einführung des „Food and Drug Administration Safety and Innovation Act“ (FDASIA) im Juli 2012 in den USA Wirkstoffe in Entwicklung erhalten können, wenn sie schwere Krankheiten bekämpfen und eine erheblich verbesserte Wirksamkeit im Vergleich zu bestehenden Therapien erwarten lassen.

Zulassungsverzögerungen

26 Tage mehr benötigte die Europäische Arzneimittelagentur EMA (European Medicines Agency) zwischen 2011 bis 2020 im Schnitt bei der Prüfung neuer Arzneimittel im Vergleich zur US-amerikanischen FDA.(2) Werden noch sogenannte Clock-Stop-Zeiten berücksichtigt, liegt der Unterschied sogar bei 120 Tagen, wie zuletzt für das Jahr 2023 festgestellt wurde. Nicht unerheblich für den späteren Zugang von Patient:innen zu neuen Arzneimitteln in der EU ist auch das sogenannte Submission Gap von ca. ein bis anderthalb Monaten.(3) Dies zeigt, dass auch die Einreichung der Unterlagen durch das pharmazeutische Unternehmen bei der EMA erst einige Wochen nach der Einreichung bei der FDA erfolgt.

Insgesamt wird deutlich, dass die EU nicht nur einen Innovationsrückstand zu den USA aufweist. Arzneimittel, die hier zugelassen werden, stehen der Versorgung von Patient:innen erst bedeutend später zur Verfügung als in den USA.

Herausforderung für kleinere Unternehmen

6 von 10 Unternehmen, die ein Produkt in den USA, nicht jedoch in der EU auf den Markt gebracht haben, waren auch zuvor noch nicht in der EU aktiv. Das betrifft unmittelbare Aktivitäten (eigene Produkte mit EMA-Zulassung) sowie mittelbare Aktivitäten (Mutterkonzern oder Kooperation mit einem Konzern, der bereits ein Produkt mit EMA-Zulassung vorweisen kann). Hier stellen vor allem das notwendige Knowhow und die Ressourcen für eine europäische Zulassung und den entsprechenden Market Access in den einzelnen Ländern für kleinere Unternehmen Markthürden dar.

Eine weitere Marktbarriere zeigt sich nach erfolgreicher Zulassung auch auf nationaler Ebene bei den Verzögerungen bis zum Markteintritt: je kleiner das Unternehmen gemessen am Umsatz der 12 Monate vor Launch des neuen Produktes ist, desto später wird das neue Arzneimittel in Deutschland auf den Markt gebracht.

Markthürden

  1. Längerer Zulassungsprozess
    Im Durchschnitt dauert die Zulassung bei der europäischen Zulassungsbehörde EMA länger als beim US-amerikanischen Pendant FDA. Das führt zu einer späteren Verfügbarkeit von Arzneimittelinnovationen in der EU.
  2. Administrativer Aufwand
    Nach der Zulassung sehen sich pharmazeutische Unternehmen in der EU mit vielschichtigen Health-Technology-Assessment (HTA)- und Erstattungssystemen konfrontiert. Dieser Flickenteppich macht es nicht nur innerhalb Europas für Unternehmen schwer, die Produkte nach der Zulassung sofort in jedem Land auf den Markt zu bringen. Er kann auch dazu beitragen, bereits eine Zulassung in der EU zu depriorisieren und zunächst Märkte wie die USA zu erschließen. Möglicherweise kann das nun gestartete europäische HTA hier zu einer Harmonisierung führen und die EU als Markt für innovative Arzneimittel wieder attraktiver machen.
  3. Fehlende Rentabilität
    Pharmazeutische Unternehmen streben an, ihre Produkte einer möglichst großen Anzahl von Patient:innen zeitnah zur Verfügung zu stellen. Restriktive Erstattungsvorgaben können jedoch in Verbindung mit dem internationalen Preisreferenzsystem zu einem Kellertreppeneffekt führen, der die schnelle Einführung der Produkte wirtschaftlich nicht tragfähig macht. Je unattraktiver Leitmärkte wie Deutschland werden, desto größer wird der Innovationsrückstand der EU.

(1) Vgl. vfa (2024), Spotlight Pharma Market 01.24 Markzugangsmonitoring

(2) Vgl. Vokinger et al. (2023): Ann Intern Med. 2023; 176: 1413 – 1418.

(3) Vgl. CIRS (2024), R & D Briefing 93