EU-zugelassene therapeutische Medikamente auf Basis von RNA oder DNA
Die Nukleinsäuren RNA und DNA kommen nicht nur (natürlicherweise) in Zellen vor. Sie können auch Wirkstoffe von Medikamenten sein. Besonders bekannt sind Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten, die einen Typ von RNA – nämlich messenger-RNA (mRNA) – enthalten. Doch auch einige Medikamente zu therapeutischen Zwecken enthalten RNA-Moleküle; und weitere sind in Entwicklung. Ebenso werden Medikamente entwickelt, die als Wirkstoff DNA enthalten.

Deeplink
Dieser Artikel bleibt dauerhaft über www.vfa.de/rna-dna-therapeutika erreichbar.
Wie natürliche Nukleinsäuren bestehen die RNA- und DNA-Wirkstoffe aus einer genau festgelegten Abfolge (Sequenz) von Bausteinen, die Nukleotide genannt werden (bis 100 Bausteine große RNA- und DNA-Wirkstoffe heißen daher auch Oligonukleotide). Allerdings ist die Molekülstruktur dieser Nukleotide in einigen Punkten gegenüber der biologischen modifiziert. Das dient insbesondere dazu, sie vor allzu schnellem Abbau im Körper zu schützen.
Übersichtsartikel
Eine ausführlichere Einführung in die RNA- und DNA-basierten Medikamente bietet ein Artikel in der Pharmazeutischen Zeitung Online vom 20.10.2022
Derzeit (Stand 29.07.2025) sind in der EU 10 therapeutische Medikamente auf RNA-Basis zugelassen (von den DNA-basierten ist noch keines zugelassen). Die unten stehende Tabelle führt sie auf. Für ein elftes ist die EU-Zulassung empfohlen.
Unterschiedliche Typen
Bislang gehören die Wirkstoffe aller zugelassenen Medikamente zu einem von zwei Typen:
- Antisense-Oligonukleotide sind einzelsträngige, kurzkettige Nukleinsäuren,
- siRNA sind kurze, einzel- oder doppelsträngige RNA-Moleküle (si steht für "small interfering").
Beide sind imstande, die Verwendung (Expression) eines bestimmten Gens für die Proteinbildung zeitweilig zu unterdrücken.
Weitere Typen von Medikamenten könnten in den kommenden Jahren dazustoßen; beispielsweise therapeutische mRNA-Impfstoffe für die Krebstherapie oder Protein-bindende RNA- und DNA-Medikamente (sogenannte Aptamere) für unterschiedliche Zwecke. Sie werden hier ergänzt, sobald sie in der Europäische Union eine Zulassung erhalten haben.
Tabellarische Übersicht über alle in der EU zugelassenen therapeutischen Medikamente auf Basis von RNA (1) (Stand: 29.07.2025)
Wirkstoff | Medikament (Produktname) | Unternehmen | Anwendungsgebiet | Zulassungsdatum | Typ | Charakterisierung (2) |
Eplontersen | Wainzua | Transthyretin Amyloidose, hereditär mit Polyneurpothie 1 bis 2 | 06.03.2025 | AstraZeneca | Antisense-Oligonukleotid | einzelsträngiges, modifiziertes chimäres Gapmer-Antisense-Oligonukleotid |
Givosiran | Givlaari | Alnylam | Porphyrie, akute hepatische | 02.03.2020 | siRNA | doppelsträngiges, chemisch synthetisiertes und modifiziertes Oligonukleotid |
Inclisiran | Leqvio | Novartis | Hypercholesterolämie und Dyslipidämien | 09.12.2020 | siRNA | doppelsträngige, chemisch synthetisiertes und modifiziertes Oligonukleotid |
Inotersen | Tegsedi | Akcea | Polyneuropathie bei Transthyretin-Amyloidose | 06.07.2018 | Antisense-Oligonukleotid | einzelsträngiges synthetisches Antisense-Oligonukleotid mit Phosphorthioat-Rückgrat |
Lumasiran | Oxlumo | Alnylam | Primäre Hyperoxalurie Typ 1 | 19.11.2020 | siRNA | doppelsträngiges, chemisch synthetisiertes Oligonukleotid |
Nusinersen | Spinraza | Biogen | 5q-assoziierte spinale Muskelatrophie | 30.05.2017 | Antisense-Oligonukleotid | einzelsträngiges, modifiziertes Antisense-Oligonukleotid mit Phosphorthioat-Rückgrat |
Patisiran | Onpattro | Alnylam | Transthyretin-Amyloidose, hereditär | 27.08.2018 | siRNA | doppelsträngiges, chemisch synthetisiertes und modifiziertes Oligonukleotid |
Tofersen | Qalsody | Biogen | Amyothrophe Lateralsklerose mit SOD1-Mutation | 29.05.2024 | Antisense-Oligonukleotid | einzelsträngiges Antisense-Oligonukleotid mit gemischtem Phosphorthioat-/Phosphat-Rückgrat |
Volanesorsen | Waylivra | Akcea | Familiäres Chylomikronämie-Syndrom | 03.05.2019 | Antisense-Oligonukleotid | einzelsträngiges synthetisches Antisense-Oligonukleotid mit Phosphorthioat-Rückgrat |
Vutrisiran | Amvuttra | Alnylam | Transthyretin-Amyloidose, hereditäre | 15.09.2022 | siRNA | doppelsträngiges, chemisch synthetisiertes Oligonukleotid |
Die wichtigsten Fragen und Antworten zu RNA-basierten Medikamenten
Was ist RNA?
RNA (Ribonukleinsäure) ist der Sammelbegriff für eine Gruppe von Biomolekülen, die in den Zellen aller Lebewesen als lange Ketten aus vier Sorten kürzerer Einheiten in fester Reihenfolge gebildet werden. Neben RNA ist auch die Abkürzung RNS gebräuchlich. Gebildet wird RNA stets als eine Art „Abschrift“ eines Abschnitts der DNA, die den Zellen als Erbmaterial dient.
Die bekanntesten RNAs sind die messenger-RNA-Moleküle (mRNA). Sie sind Abschriften von DNA-Abschnitten, die als Gene für die Bildung von Proteinen dienen. Diese Proteinbildung geschieht mit Hilfe großer Molekülaggregate namens Ribosomen, die dafür die mRNA entlang wandern. In diesen Ribosomen finden sich neben Proteinen auch weitere RNA-Moleküle - aber anderen Typs -, die rRNA genannt werden.
Einige weitere Typen von RNA - abkürzt asRNA, miRNA und siRNA genannt - dienen dazu, bestimmte Gene zu blockieren. Sie spielen also eine Rolle dafür, dass in verschiedenen Zellen und zu verschiedenen Anlässen unterschiedliche Proteine gebildet werden.
Künstlich hergestellte RNA und strukturell ähnliche Moleküle werden medizinisch genutzt; Beispiele dafür sind mRNAs in Impfstoffen gegen Covid-19 oder RSV-Infektionen sowie Antisense-Oligonukleotide und siRNA zur Dämpfung der Aktivität bestimmter Gene.
Was sind die Unterschiede zwischen RNA- und DNA-basierten Medikamenten?
RNA- und DNA-Medikamente unterscheiden sich unter anderem in der Anwendung und in der Wirkdauer.
Anwendung:
- RNA-Medikamente können einfach gespritzt werden. Die enthaltene RNA gelangt danach ohne weitere Maßnahmen in die Zellen hinein.
- Bei DNA-Medikamenten (von denen in der EU noch keines zugelassen ist) sind zusätzliche Behandlungsmaßnahmen nötig, etwa die Anwendung elektrischer Felder (Elektroporation), damit die DNA in die Zellen gelangt.
Wirkdauer:
- Antisense-Oligonukleotide und siRNA wirken nach einer Injektion nur für einige Wochen.
- mRNA aus Impfstoffen wird nur kurzzeitig zur Proteinbildung benutzt und dann abgebaut. Die gebildeten Proteine können jedoch für viele Monate bis Jahre für einen Impfschutz sorgen
- DNA-Therapeutika können das Erbgut von Zellen, die sie erreichen, dauerhaft verändern.
Welche mRNA-Medikamente gibt es?
Alle bislang in der EU und den USA zugelassenen mRNA-Medikamente sind Impfstoffe für Schutzimpfungen gegen Covid-19 oder RSV-Infektionen.
Es werden aber auch therapeutische mRNA-Medikamente entwickelt:
- Therapeutische Krebsimpfungen, bei denen mRNA den Körper anleitet, Tumorantigene zu erkennen und gezielt zu bekämpfen,
- Medikamente, deren mRNA für die zeitweilige Bildung fehlender Proteine in bestimmten Zellen sorgen soll.
Wie gelangt die RNA von RNA-Medikamenten in die Zellen?
RNA ist sehr empfindlich und würde im Körper schnell abgebaut. Deshalb wird sie meist in winzige Tröpfchen (Lipid-Nanopartikel) verpackt, die sie im Blut schützen und ihnen in bestimmte Körperzellen hinein helfen. Typische Bestandteile von Lipid-Nanopartikeln sind Phospholipide (strukturell mit Fettmolekülen verwandt) und Cholesterin.
Was sind die Vorteile von RNA-Therapeutika gegenüber traditionellen Medikamenten?
mRNA-Impfstoffe können alle mit der gleichen Produktionsmethode hergestellt werden - es ist nicht nötig, für jeden Impfstoff eine neue Methode zu entwickeln. Sie lassen sich auch kurzfristig an neue Stämme des jeweils zu bekämpfenden Erregers anpassen – ideal bei neuen oder genetisch bedingten Erkrankungen.
RNA-Therapeutika, die ein bestimmtes Gen blockieren, sind dann von Vorteil, wenn es der Pharmaforschung bislang nicht gelungen ist, das auf Basis dieses Gens produzierte Protein selbst zu blockieren.
(1) DNA-basierte Medikamente sind noch keine zugelassen
(2) laut European Public Assessment Report (EPAR) der EMA zum betreffenden Medikament