Forschungsdatenzentrum Gesundheit – Wie groß ist der Datenschatz für die pharmazeutische Forschung?
Am 09.10.2025 ist das Forschungsdatenzentrum (FDZ) Gesundheit offiziell eröffnet worden. Dieser Tag markiert einen wichtigen Schritt hin zu einer stärker datenbasierten Gesundheitsversorgung in Deutschland. Das FDZ Gesundheit bündelt künftig Gesundheitsdaten aus unterschiedlichen Quellen und stellt sie pseudonymisiert für die öffentliche und industrielle Forschung bereit. So sollen medizinische Erkenntnisse schneller in die Praxis gelangen, die Versorgungsqualität verbessert und datengetriebene Innovationen in Deutschland gestärkt werden.

Die Eröffnung des FDZ Gesundheit: Ein Meilenstein für datenbasierte Forschung
Seit dem Go-Live können Forschungsanträge beim FDZ digital eingereicht und bearbeitet werden. Antragstellende müssen dafür ein konkretes Forschungsvorhaben vorlegen. Dieses umfasst neben der Forschungsfrage auch den Zweck, den methodischen Ansatz und die benötigte Datenbasis.
Nach der Prüfung, ob das Vorhaben einem gesetzlich vorgesehenen Nutzungszweck entspricht und ob die beantragten Daten dafür geeignet und erforderlich sind, stellt das FDZ Gesundheit eine eine sichere Verarbeitungsumgebung bereit. Dort kann mit einem zugeschnittenen Datensatz gearbeitet werden. Die Daten verbleiben vollständig beim FDZ Gesundheit – ein Herunterladen, Exportieren oder Ergänzen personenbezogener Datensätze ist nicht möglich.

Von der Idee bis zum abgeschlossenen Forschungsprojekt müssen Forschende einen klar strukturierten Prozess am FDZ Gesundheit durchlaufen.
Aktuell verfügbare Datensätze und künftige Erweiterungen bis 2026
Aktuell können Forschende für ihre Analysen auf die Abrechnungsdaten der GKV-Jahre 2009 bis 2023 zugreifen. Bis Q1 2026 sollen diese Daten um den Jahrgang 2024 sowie zusätzliche Informationen – etwa zum Pflegegrad oder zu Heil- und Hilfsmitteln – erweitert werden.
Ab 2026 wird der vollständige Datensatz jeweils ein Jahr nach Ende des Berichtsjahres eingespeist. Ein vorläufiger Datensatz soll bereits rund 13 Wochen nach Quartalsende zur Verfügung stehen. Daten aus dem ambulanten Bereich werden zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht vollständig vorliegen.
Über die Abrechnungsdaten der GKV-Versicherten hinaus sollen weitere Datenquellen an das FDZ Gesundheit angebunden werden. Ab Q3/Q4 2026 ist die Integration der ePA-Daten aller Versicherten vorgesehen, die der Nutzung ihrer Daten für Forschung und Entwicklung nicht widersprochen haben. Wie umfangreich diese Daten zum Start tatsächlich sein werden, hängt davon ab, wie viele MIOs bis dahin umgesetzt wurden und in welcher Datenpunkttiefe sie vorliegen.
Die Anbindung von Register- und Genomdaten wird voraussichtlich ab 2027 möglich sein. Die Pseudonymisierung der Daten erfolgt durch die Vertrauensstelle am Robert Koch-Institut (RKI). Dort wird für jede versicherte Person ein periodenübergreifendes Forschungspseudonym erzeugt, über das alle zugehörigen Datenpunkte aus verschiedenen Quellen verknüpft werden können. Dieses Pseudonym wird durch einen one-way-Algorithmus berechnet, der auf der Krankenversicherten-Nummer basiert.

Die Datenbasis des FDZ wird in den kommenden Monaten und Jahren konsekutiv ausgebaut.

Dr. Steffen Heß, Leiter des FDZ Gesundheit
„Wir sind darauf angewiesen, dass Forschende den Prozess jetzt durchlaufen und uns zurückmelden, was nicht gut funktioniert.“
Rund 20 Forschungsanträge sind im ersten Monat nach Eröffnung beim FDZ Gesundheit eingegangen. Eine Zahl, die als Zeichen des anhaltend großen Interesses der Forschungscommunity gewertet werden kann. Insbesondere die Industrie hat lange für ihr Antragsrecht gekämpft. Eine mittlere dreistellige Zahl an Anträgen werde laut Dr. Steffen Heß, Leiter des FDZ, im kommenden Jahr erwartet.
Aktuell liegt der Fokus des FDZ-Teams auf dem Finetuning des Antrags- und Umsetzungsprozesses. „Wir sind mit einem MVP [Minimum Viable Product] live gegangen und uns ist durchaus bewusst, dass es noch Verbesserungspotenzial gibt – dieses gilt es nun umzusetzen“, so Heß. Dem FDZ-Leiter zufolge setze man dabei auf direktes Feedback von Seiten der Nutzenden: „Wir sind darauf angewiesen, dass Forschende den Prozess jetzt durchlaufen und uns zurückmelden, was nicht gut funktioniert.“ Dennis Geisthardt, Lead Digital.hub beim Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa) hätte sich eine integrativere Herangehensweise gewünscht: „Wir sind immer dankbar einen Beitrag zur Verbesserung zu leisten. Unsere Forschungsanträge sollten allerdings keine Testläufe sein. Stattdessen hätte man beispielsweise transparent ein Sandbox-Verfahren aufsetzen und die ersten Forschungsprojekte unentgeltlich für die Validierung des Verfahrens durchführen können.“
Herausforderungen im Antrags- und Registrierungsprozess

Dennis Geisthardt, Lead Digital.hub im vfa
„Die Komplexität des Prozesses darf nicht dazu führen, dass vor allem für kleinere Unternehmen maßgebliche Nutzungsbarrieren aufgebaut werden, weil sie die notwendigen Ressourcen nicht aufbringen können.“
Erstes Feedback hat das Team um Dr. Steffen Heß bereits erhalten. Insbesondere die Komplexität des Registrierungsprozesses stelle viele Antragstellende vor Herausforderungen. Negativ bewertet worden seien unter anderem das hohe Maß an erforderlichen Autorisierungsschritten, die notwendige Identifizierung über die BundID sowie der Detailgrad, mit dem bereits bei der Antragstellung die erwartete Ergebnismenge beschrieben werden muss. Auch wenn es im Antragprozess noch zu Verschlankungen kommen soll, ein gewisses Maß an Prüfschritten in der Registrierung sei durchaus gewollt, so Heß: „Wir haben uns bewusst entschieden, die Zugangshürden vorne etwas höher zu gestalten, damit wir den Nutzenden im virtuellen Analyseraum dann mehr Freiheiten lassen können.“ Dennis Geisthardt sieht den bürokratischen Aufwand dennoch kritisch: „Die Komplexität des Prozesses darf nicht dazu führen, dass vor allem für kleinere Unternehmen maßgebliche Nutzungsbarrieren aufgebaut werden, weil sie die notwendigen Ressourcen nicht aufbringen können.“ Das maximal erforderliche Investment pro Forschungsvorhaben, das für die Pharmaindustrie im mittleren fünfstelligen Betrag erwartet wird – je nach Umfang des Datenzuschnitts, der Nutzungsdauer und der Inanspruchnahme der Infrastruktur – sei insbesondere in der Anfangszeit kritisch zu betrachten, solange die Mehrwerte der Datennutzung noch limitiert seien. Dr. Steffen Heß zeigt sich zuversichtlich, dass bestehende Schwachstellen im Antrags- und Nutzungsprozess zeitig behoben werden. Die Architektur des Datenzentrums erlaube kontinuierliche Überarbeitungen – bereits ein Dutzend Updates habe es seit dem Go-Live gegeben.
Mehrwerte für die pharmazeutische Forschung
Für die forschende Pharmaindustrie verspricht das Forschungsdatenzentrum große Potenziale. Dazu gehören die Untersuchung epidemiologischer Fragestellungen, Analysen zu Versorgungsstrukturen und Arzneimittelanwendung, die Identifikation von Versorgungslücken sowie das Monitoring der Arzneimitteltherapiesicherheit. Auch für die Hypothesengenerierung – etwa zu Indikationserweiterungen oder personalisierten Therapieansätzen – kann das FDZ Gesundheit eine wichtige Grundlage bieten. Im Fokus der ersten eingegangenen Anträge stehen beispielsweise Inzidenzen und Prävalenzen einzelner Erkrankungen.

Dr. Christian Müller, Lead Data Generation bei der Bayer AG
„Abwarten bringt uns nicht weiter.“ Die Industrie solle die Möglichkeit nutzen, den Forschungsprozess am FDZ Gesundheit aktiv zu erproben und zu kommentieren.
Die Realisierbarkeit dieser Anwendungsfälle hängt jedoch maßgeblich von Qualität und Quantität der verfügbaren Daten ab. Für Dr. Christian Müller, Lead Data Generation bei der Bayer AG, lässt sich das Potenzial der FDZ-Datenbasis nur dann heben, wenn die Dokumentation und Vernetzung klinischer Daten in der Versorgung optimiert würden. Entscheidend sei neben einer standardisierten, qualitativ hochwertigen Erfassung von Informationen am Point of Care, die Interoperabilität bestehender Datenquellen, um diese perspektivisch an das FDZ Gesundheit anschließen zu können. Ohne diese Voraussetzungen, die Müller zufolge, wenn politisch gewollt, auch incentiviert werden müssten, bleibe der tatsächliche Nutzen der FDZ-Daten für Forschung und Entwicklung begrenzt.
Einen weiteren potenziellen Mehrwert der FDZ-Daten sieht Dr. Christian Müller jedoch im Kontext der Zulassung und Nutzenbewertung innovativer Arzneimittel. Eine gemeinsame Datenbasis zur Bewertung von Populationsgrößen und Therapieanteilen verspreche gleichberechtigtere und effizientere Verhandlungen zwischen den pharmazeutischen Unternehmen und den Kostenträgern. Der Einsatz von Real-World-Daten (RWD) zur Modellierung virtueller Kontrollarme als Ergänzung etablierter RCT-Studien im Kontext des Nutzennachweis wiederum könnte eine Zeitendwende in der Zulassung von Therapien für seltene Erkrankungen sowie der Gestaltung Outcome-basierter Erstattungsszenarien einläuten. Aktuell scheiterten diese Anwendungsfälle jedoch an der mangelnden Akzeptanz von RWD bei den verantwortlichen Bewertungsorganen. Für Müller stellt sich maßgeblich die Frage, welche Anwendungsfälle des FDZ Gesundheit die Politik anstrebt: „Wenn die Akzeptanz von RWD im AMNOG-Verfahren nicht steigt, wird sich die Nutzung des FDZ Gesundheit auf epidemiologische Fragestellungen und die Überwachung von Versorgungsstrukturen beschränken.“
Dr. Steffen Heß zufolge steht das FDZ Gesundheit pharmazeutischen Unternehmen auf Wunsch beratend zur Seite, um Studien- und Analysekonzepte bestmöglich auf die methodischen Erwartungen der Bewertungsgremien zuzuschneiden. Ziel sei es, die Anschlussfähigkeit von RWD-Analysen an etablierte Bewertungslogiken zu erhöhen, beispielsweise durch belastbare Studiendesigns, eine transparente Auswahl der Patientengruppen und standardisierte Auswertungsverfahren.
Das FDZ Gesundheit als Schlüssel zu einer modernen Forschungslandschaft
Mit dem Launch des FDZ Gesundheit wurde ein neues Kapitel der Gesundheitsdatennutzung in Deutschland aufgeschlagen. Entscheidend für den Nutzen dieses Kapitels – sowohl für die Forschungslandschaft als auch für Pharma-Unternehmen – werden der fortlaufende Ausbau der Datenbasis, der Abbau von Zugangshürden im Antragsprozess sowie die von der Industrie angestrebte stärkere Berücksichtigung von RWD im AMNOG-Verfahren sein. Dr. Christian Müller ermutigt die Industrie daher, die Möglichkeit zu nutzen, den Forschungsprozess am FDZ aktiv zu erproben und zu kommentieren. „Abwarten bringt uns nicht weiter“, so Müller.
Zukunftsperspektiven: Das FDZ als Blaupause für Europa
Für Dr. Steffen Heß dient die Entwicklung des FDZ gleichzeitig als Blaupause für die nationale Umsetzung des Europäischen Gesundheitsdatenraums (EHDS). Erste Gespräche zur geplanten Anbindung des FDZ an den EHDS im Jahr 2029 laufen bereits. Auch wenn der EHDS auf nationaler Ebene noch nicht final ausgestaltet ist, sieht Heß darin ein erhebliches Potenzial, nicht nur die Nutzung des Datenzentrums, sondern das gesamte deutsche Gesundheitsdatenökosystem auf eine neue Stufe zu heben.
FAQ: Häufig gestellte Fragen zum FDZ Gesundheit
Was ist das Forschungsdatenzentrum (FDZ) Gesundheit und welches Ziel verfolgt es?
Das FDZ Gesundheit, eröffnet am 9. Oktober 2025, bündelt Gesundheitsdaten aus verschiedenen Quellen – z. B. Abrechnungsdaten der GKV, elektronische Patientenakten (ePA), Register- und Genomdaten – und stellt sie pseudonymisiert für Forschung und Industrie bereit. Ziel ist es, medizinische Erkenntnisse schneller in die Versorgung zu bringen, die Qualität zu verbessern und datenbasierte Innovationen zu fördern.
Wie funktioniert der Zugang zu den Daten im FDZ Gesundheit?
Forschende müssen einen Antrag mit einem konkreten Forschungsziel stellen. Nach Prüfung wird ein sicherer virtueller Analyseraum eingerichtet, in dem auf einen zugeschnittenen Datensatz zugegriffen werden kann. Die Daten dürfen nicht heruntergeladen oder exportiert werden. Aktuell stehen GKV-Abrechnungsdaten von 2009 bis 2023 bereit, künftig auch ePA-, Register- und Genomdaten.
Welche Herausforderungen gibt es beim Antrags- und Nutzungsprozess?
Seit dem Start sind rund 20 Anträge eingegangen. Nutzende berichten von einem sehr komplexen Registrierungsprozess. Das FDZ-Team arbeitet an Verbesserungen und hat bereits mehrere Updates veröffentlicht. Leitgedanke ist, anfangs höhere Zugangshürden zu setzen, um später mehr Freiheit im Datenraum zu gewähren.
Welchen Nutzen bietet das FDZ Gesundheit für die die pharmazeutische Forschung und Versorgung?
Das FDZ ermöglicht erstmals einen strukturierten, sicheren und zentralen Zugang zu großen Gesundheitsdatensätzen. Für die pharmazeutische Forschung eröffnen sich neue große Potenziale. Versorgungslücken könnten perspektivisch schneller erkannt werden, Hypothesen für neue Therapieansätze könnten zielgerichteter entwickelt werden und bestehende Behandlungen gezielt verbessert werden. Langfristig trägt das FDZ dazu bei, medizinische Innovationen effizienter in die Versorgung zu bringen und Patient:innen besser zu erreichen.
Wie sieht die Zukunft des FDZ Gesundheit aus?
Bis 2026 sollen ePA-Daten integriert und die Datentiefe erweitert werden. Langfristig ist eine Anbindung an den Europäischen Gesundheitsdatenraum (EHDS) bis 2029 geplant.
Wie wird der Datenschutz im FDZ Gesundheit gewährleistet?
Die Daten im FDZ Gesundheit werden pseudonymisiert über die Vertrauensstelle des RKI verarbeitet. Personenbezogene Informationen bleiben stets geschützt (anonymisiert und pseudonymisiert). Der Zugriff erfolgt ausschließlich innerhalb einer sicheren virtuellen Umgebung, ohne Export- oder Downloadmöglichkeit.
Welche Datenquellen fließen in das FDZ Gesundheit ein?
Das FDZ Gesundheit, eröffnet am 9. Oktober 2025, bündelt Gesundheitsdaten aus verschiedenen Quellen – z. B. Abrechnungsdaten der GKV, elektronische Patientenakten (ePA), Register- und Genomdaten – und stellt sie pseudonymisiert für Forschung und Industrie bereit. Dadurch entsteht eine einzigartige, breit gefächerte Datenbasis für Forschung und Innovation.