Neue Alzheimer-Medikamente in fortgeschrittener Entwicklung
Die Entwicklung neuer Alzheimer-Medikamente hat bei den Pharmaunternehmen seit vielen Jahren hohe Priorität. Allein 13 Mitgliedsunternehmen des vfa erproben Mittel in Studien oder forschen an weiteren Medikamenten in einem ihrer Labors. Dazu kommen weitere Unternehmen außerhalb des Verbands.

In den USA wurde vor kurzem – erstmals nach Jahrzehnten ohne klarem Erfolg – ein neues Medikament zugelassen, das laut Studienergebnissen das Fortschreiten einer Alzheimer-Erkrankung verlangsamen kann. Es enthält den Antikörper Lecanemab. Dieser bindet sich an lösliche Vorstufen (Protofibrillen) des Proteins, das sich bei Alzheimer-Erkrankten in Klumpen zwischen den Nervenzellen findet. In der EU wurde für dieses Medikament im Februar 2023 ebenfalls die Zulassung beantragt.
Zuvor gab es über lange Zeit nur Fehlschläge. So wurde zuletzt einem anderen Medikament, das Antikörper anderer Art enthielt, in der EU die Zulassung versagt. Und davor gab es lange Zeit keine Medikamenten-Projekte, die überhaupt zu einem Zulassungsantrag führten. Eine 2014 publizierte Untersuchung über die von 2002 bis 2012 in klinischen Studien erprobten Medikamente ergab eine Misserfolgsquote von 99,6 % (J L Cummings et al.: Alzheimer’s disease drug-development pipeline: few candidates, frequent failures. Alzheimer's Research & Therapy 2014, 6:37). Zum Vergleich: Auf anderen medizinischen Gebieten kann man erfahrungsgemäß davon ausgehen, dass zumindest eins von neun Medikamenten, mit dem mit der Erprobung mit Menschen begonnen wird, später auch eine Zulassung erhält.
Trotz dieser Bilanz wurden und werden weiterhin Alzheimer-Medikamente in klinischen Studien erprobt; viele davon auch unter Beteiligung deutscher Kliniken. Zahlreiche weitere Medikamente, die das Dement-Werden verlangsamen oder verhindern sollen, haben das letzte Stadium der Erprobung (Phase III) erreicht, ebenso einige Medikamente gegen psychische Begleitsymptome der Krankheit. Wenn sie sich in den Studien bewähren, können auch für sie in den kommenden Jahren Zulassungen beantragt werden.
Zahlreiche weitere Medikamente befinden sich in früheren Erprobungsstadien, also in den Phasen II (Erprobung mit wenigen Kranken) und Phase I (Erprobung mit Gesunden).
Viel deutet darauf hin, dass die Behandlung sehr frühzeitig begonnen werden muss, wenn sie noch wirksam ins Krankheitsgeschehen eingreifen soll, und nicht erst, wenn die Alzheimer-Symptome schon ausgeprägt sind. Das ist möglich geworden, weil sich Zeichen der Krankheit (d.h. Beta-Amyloid und Tau-Fibrillen im Gehirn) mittlerweile mit nicht-invasiven bildgebenden Verfahren nachweisen lassen.
Zudem konnten Forscher zeigen, dass nicht jede Demenz mit Alzheimer-haften Symptomen wirklich mit Alzheimer-Prozessen im Gehirn einher geht. Man muss deshalb davon ausgehen, dass an vielen älteren Arzneimittelstudien nicht nur Alzheimer-Erkrankte im strengen Sinne teilgenommen haben, sondern auch andere, bei denen gegen Alzheimer-Prozesse gerichtete Medikamente nichts ausrichten konnten. Das National Institute on Aging and Alzheimer's Association Research Framework empfiehlt deshalb, bei klinischen Studien nur noch mit Patienten zu arbeiten, die die für Alzheimer charakteristischen Gehirnveränderungen aufweisen; die dafür anzuwendende biologische (statt Symptom-bezogene) Alzheimer-Definition hat das Research Framework 2018 hier in der Zeitschrift Alzheimer's & Dementia veröffentlicht.
Übersicht über die Medikamente in Entwicklung
Die Medikamente in Entwicklung greifen an verschiedenen Stellen in den Krankheitsprozess ein. Die Alzheimer-Medikamente, die bereits die letzte Erprobungsphase (die Phase III) mit Patienten oder Personen mit hohem Alzheimer-Risiko erreicht haben, bietet die folgende Tabelle (Stand: 13.02.2023):
Unternehmen | Wirkstoff des neuen Medikaments | Wirkungsweise | Stand der Entwicklung |
Biogen / Eisai / BioArctic Neuroscience | Lecanemab (BAN-2401) | gegen lösliche Beta-Amyloid-Protofibrillen gerichtet | in EU im Zulassungsverfahren seit 02/2023 (in den USA zugelassen) |
Lilly Pharma | Solanezumab | hemmt Bildung von Plaques durch Bindung an lösliches Beta-Amyloid | Phase III2 |
AZTherapies | Natrium-Cromolyn + Ibuprofen | hemmt Polymerisierung von Beta-Amyloid-Peptiden zu Plaques | Phase III |
Lilly | Donanemab | ein Beta-Amyloid-Antagonist | Phase III |
Roche / Morphosys | Gantenerumab | soll Plaque-Abbau fördern | Phase III (bei Menschen ohne Symptome, aber erhöhtem Risiko einer Alzheimer-Erkrankung) |
AB Science | Masitinib | hemmt bestimmte Kinasen | Phase III (abgeschlossen) |
TauRx Pharmaceuticals | Leuco-Methylthioninium | hemmt die Aggregation von Tau-Fibrillen | Phase III |
Cerecin | Caprylat-Triglycerid (Tricaprilin) | fördert die Energieversorgung der Nervenzellen | Phase III |
Biohaven Pharmaceuticals | Trigriluzol | Antagonist von Glutamat und bestimmten Dopaminrezeptoren und Natriumkanälen | Phase III |
AgeneBio | Levetiracetam (AGB-101) | Acetylcholinrezeptor-Agonist; Verlangsamung des Fortschreitens der kognitiven und funktionellen Einschränkung | Phase III |
Anavex Life Sciences | Blarcamesin | Antagonist des muskarinischen Acetylcholinrezeptors 2; Antagonist des muskarinischen Heterorezeptors 3, Sigma 1-Rezeptor-Agonist | Phase IIb/III |
Athira Pharma | Fosgonimeton (ATH-1017, NDX-1017) | ein Aktivator von HGF und dem MET-Rezeptor | Phase III |
Alzheon | Valiltramiprosat (ALZ-801) | k. A. | Phase III |
BioVie | NE-3107 | ein ERK1/2-Inhibitor | Phase III |
China Shineway Pharmaceutical | Sailuotong | k. A. | Phase III |
KeifeRx | Nilotinib 3 | Tyrosin-Kinase-Inhibitor | Phase III |
Boehringer Ingelheim | BI 425809 | k. A., gegen "cognitive impairment" | Phase III |
Annovis Bio / Horizon Therapeutics | Buntanetap | k. A. | Phase III |
Eisai | E-2814 | Antikörper gegen Tau-Fibrillen | Phase III |
Taho Pharmaceuticals | Galantamin (Transdermalpflaster) | k. A. | Phase III |
Alpha Cognition / Galantos | Alpha 1062 (ein Galantamin-Prodrug) | k. A. | Phase III |
NewAmsterdam Pharma | Obicetrapib | k. A. | Phase III |
Lilly | Remternetug | Antikörper gegen N3pG Beta-Amyloid | Phase III |
Cassava Sciences | Sumifilam | k. A. | Phase III |
1 wurde erprobt mit Patientinnen und -Patienten mit Alzheimer im Frühstadium
2 in Erprobung mit Alzheimer-Patientinnen und -Patienten im präklinischen Stadium der Krankheit oder mit Personen mit erhöhtem Alzheimerrisiko
3 Repurposing eines für andere Anwendungen schon zugelassenen Wirkstoffs
Dazu kommen Medikamente, die psychotische Begleitsymptome lindern sollen, wie sie manche Alzheimer-Patienten zeigen; sie sind teilweise gegen andere Krankheiten schon zugelassen. Die folgenden Medikamente haben Phase III erreicht (Stand: 08.06.2021):
Unternehmen | Wirkstoff des Medikaments | Wirkungsweise | Stand der Entwicklung |
Otsuka Pharmaceutical / Lundbeck | Brexipiprazole | zur Behandlung psychotischer Symptome; setzt an bestimmten Rezeptoren für Bostenstoffe im Gehirn an | Phase III |
Axsome Therapeutics | Dextromethorphan (DM) and Bupropion | zur Linderung von Symptomen wie Agitation | Phase III |
Concert Pharmaceuticals / Otsuka Pharmaceuticals | Deuteriertes Dextromethorphan + Chinidin | zur Linderung von Symptomen wie Agitation | Phase III |
Acadia Pharmaceuticals | Pimavanserin | ein 5-HT2A-Rezeptor-Invers-Agonist, zur Linderung von Symptomen wie Agitation | Phase III |
Alzheimer-Medikamente gegen Beta-Amyloid-Plaques
Viele Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Alzheimer auftretenden Plaques zwischen den Nervenzellen wesentlich zum Absterben von Nervenzellen beitragen. Deshalb setzen viele Arzneimittel-Kandidaten an der Substanz an, aus der sie bestehen: dem Beta-Amyloid-Protein.
Ein Typ dieser Medikamente enthält gentechnisch hergestellte Antikörper (monoklonale Antikörper, erkennbar an der Endsilbe "mab" im Namen), die sich an das Beta-Amyloid-Protein oder Vorstufen davon heften. Das Immunsystem baut dann das so markierte Protein ab, wodurch der Raum zwischen den Nervenzellen gereinigt wird. Dieser Ansatz wird auch „passive Immunisierung gegen Alzheimer“ genannt.
Auch Beta-Sekretase-Inhibitoren werden gegen Beta-Amyloid-Ablagerungen eingesetzt. Sie verstärken nicht deren Abbau, sondern sorgen dafür, dass kein neues Beta-Amyloid mehr gebildet werden kann. Denn daran ist das Enzym Beta-Sekretase beteiligt, das von den Beta-Sekretase-Inhibitoren stillgelegt wird.
Erprobt gegen das Beta-Amyloid wurden auch therapeutische Aktivimpfstoffe, die anders als gewöhnliche Impfstoffe nicht zur Vorbeugung, sondern zur Behandlung dienen. Sie sorgen dafür, dass die Patienten selbst Antikörper bilden, die sich an die Beta-Amyloid-Plaques heften und so deren Abbau einleiten. Keins dieser Projekte befindet sich aber derzeit im letzten Erprobungsstadium.
Einige Wissenschaftler ziehen aber auch in Zweifel, dass die Beta-Amyloid-Plaques tatsächlich eine zentrale Rolle spielen. Denn solche Plaques fänden sich mitunter auch im Gehirn von Menschen, die in geistiger Klarheit gestorben sind. Andererseits sind Menschen, die aufgrund einer genetischen Besonderheit kaum Beta-Amyloid-Plaques bilden können, anscheinend vor der Krankheit geschützt. Das deutet doch auf eine zentrale Rolle des Beta-Amyloids hin. Der Alzheimer-Forscher Prof. Christian Haass, Universität München und DZNE, Bonn, äußerte 2018 bei einem Workshop der Paul-Martini-Stiftung zu Alzheimer die Vermutung, dass die Amyloid-Bildung in einem frühen Stadium den Krankheitsprozess vorantreibt, der dann aber auch unabhängig von Amyloid voranschreitet. Weil sich Beta-Amyloid schon früher zeigt als eine Demenz-Symptomatik, sei es plausibel, dass einige Menschen trotz Beta-Amyloid in geistiger Klarzeit sterben.
Medikamente gegen Tau-Fibrillen
Andere Wissenschaftler nehmen an, dass vor allem die Tau-Fibrillen – Proteinstränge, die sich bei Alzheimer in den Nervenzellen bilden – für die Gehirndegeneration verantwortlich sind. Es wurden deshalb auch Wirkstoffe erfunden, die deren Bildung verhindern sollen.
Der in der Erprobung fortgeschrittenste Wirkstoff dieser Art ist Leuko-Methylthionium, das strukturell mit dem Farbstoff Methylenblau verwandt ist. Er wird gegen Alzheimer derzeit in Phase-III-Studien erprobt.
Weitere Alzheimer-Medikamente für die Behandlung
Noch etliche andere Ansatzpunkte für eine Alzheimer-Therapie werden derzeit in klinischen Studien oder bei Tieren erprobt. Dazu zählen bestimmte Kinasen oder der Energiestoffwechsel der Nervenzellen. Welche davon sich bewähren, wird erst anhand von Ergebnissen aus Phase-II- und Phase-III-Studien erkennbar sein.