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Neue Alzheimer-Medikamente in fortgeschrittener Entwicklung

Die Entwicklung neuer Alzheimer-Medikamente hat bei den Pharmaunternehmen seit vielen Jahren hohe Priorität. Allein 13 Mitgliedsunternehmen des vfa erproben Mittel in Studien oder forschen an weiteren Medikamenten in einem ihrer Labors. Dazu kommen weitere Unternehmen außerhalb des Verbands.

Nahaufnahme der Hand einer älteren Person, die verblichene Bilder aus einer Fotoschachtel hält

In den USA wurde vor kurzem – erstmals nach Jahrzehnten ohne klarem Erfolg – ein neues Medikament zugelassen, das laut Studienergebnissen das Fortschreiten einer Alzheimer-Erkrankung verlangsamen kann. Es enthält den Antikörper Lecanemab. Dieser bindet sich an lösliche Vorstufen (Protofibrillen) des Proteins, das sich bei Alzheimer-Erkrankten in Klumpen zwischen den Nervenzellen findet. In der EU hat der Hersteller für dieses Medikament im Februar 2023 ebenfalls die Zulassung beantragt. Im April 2023 berichtete ein anderer Hersteller von positiven Ergebnissen in einer Studie der Phase III mit Patient:innen in frühen Stadien der Alzheimer-Erkrankung bei Anwendung eines Medikaments mit dem Wirkstoff Donanemab; es wurde mittlerweile ebenfalls zur Zulassung eingereicht.

Zuvor gab es über lange Zeit nur Fehlschläge. So wurde zuletzt einem anderen Medikament, das Antikörper anderer Art enthielt, in der EU die Zulassung versagt. Und davor gab es lange Zeit keine Medikamenten-Projekte, die überhaupt zu einem Zulassungsantrag führten. Eine 2014 publizierte Untersuchung über die von 2002 bis 2012 in klinischen Studien erprobten Medikamente ergab eine Misserfolgsquote von 99,6 % (J L Cummings et al.: Alzheimer’s disease drug-development pipeline: few candidates, frequent failures. Alzheimer's Research & Therapy 2014, 6:37). Zum Vergleich: Auf anderen medizinischen Gebieten kann man erfahrungsgemäß davon ausgehen, dass zumindest eins von neun Medikamenten, mit dem mit der Erprobung mit Menschen begonnen wird, später auch eine Zulassung erhält.

Trotz dieser Bilanz wurden und werden weiterhin Alzheimer-Medikamente entwickelt; viele davon auch unter Beteiligung deutscher Kliniken. Und so gibt es neben den beiden zur Zulassung eingereichten Medikamenten noch zahlreiche weitere, die derzeit in abschließenden klinischen Studien erprobt werden (im sogenannten Erprobungsstadium Phase III), ebenso einige Medikamente gegen psychische Begleitsymptome der Krankheit.

Rund 75 weitere Medikamente befinden sich für die Alzheimer-Therapie im vorangehenden Erprobungsstadium (Phase II), der Erprobung mit wenigen Kranken nach erfolglichen Tests mit Gesunden (Phase I) (Quelle: PharmaProjects Database). Einige davon sind Neuentwicklungen, andere sind bereits zur Behandlung anderer Krankheiten zugelassen (z.B. bei Schlafstörungen oder bestimmten immunologischen Krankheiten).

Viel deutet darauf hin, dass die Behandlung sehr frühzeitig begonnen werden muss, wenn sie noch wirksam ins Krankheitsgeschehen eingreifen soll, und nicht erst, wenn die Alzheimer-Symptome schon ausgeprägt sind. Das ist möglich geworden, weil sich Zeichen der Krankheit (d.h. Beta-Amyloid und Tau-Fibrillen im Gehirn) mittlerweile mit nicht-invasiven bildgebenden Verfahren nachweisen lassen.

Zudem konnten Forschende zeigen, dass nicht jede Demenz mit Alzheimer-haften Symptomen wirklich mit Alzheimer-Prozessen im Gehirn einher geht. Man muss deshalb davon ausgehen, dass an vielen älteren Arzneimittelstudien nicht nur Alzheimer-Erkrankte im strengen Sinne teilgenommen haben, sondern auch andere, bei denen gegen Alzheimer-Prozesse gerichtete Medikamente nichts ausrichten konnten. Das National Institute on Aging and Alzheimer's Association Research Framework empfiehlt deshalb, bei klinischen Studien nur noch mit Patient:innen zu arbeiten, die die für Alzheimer charakteristischen Gehirnveränderungen aufweisen; die dafür anzuwendende biologische (statt Symptom-bezogene) Alzheimer-Definition hat das Research Framework 2018 in der Zeitschrift Alzheimer's & Dementia veröffentlicht.

Übersicht über die Medikamente in Entwicklung

Die Medikamente, die zum Aufhalten oder Verlangsamen der Alzheimer-Demenz in Entwicklung sind, greifen an verschiedenen Stellen in den Krankheitsprozess ein. Die folgende Tabelle zeigt diejenigen unter ihnen, die bereits die letzte Erprobungsphase (die Phase III) mit Patient:innen oder Personen mit hohem Alzheimer-Risiko erreicht haben (Stand: 28.08.2023):

UnternehmenWirkstoff des neuen MedikamentsWirkungsweiseStand der Entwicklung
Biogen / Eisai / BioArctic NeuroscienceLecanemab (BAN-2401)gegen lösliche Beta-Amyloid-Protofibrillen gerichtetin EU im Zulassungsverfahren seit 01/2023 für die Behandlung von Alzheimer im Frühstadium, wenn Amyloid diagnostiziert wurde (in den USA zugelassen)
LillyDonanemabein Beta-Amyloid-Antagonistin EU im Zulassungsverfahren, nachdem Phase III mit Patient:innen mit symptomatischer Alzheimer-Erkrankung im Frühstadium laut Hersteller positive Studienergebnissen erbracht hat (auch in den USA Zulassung beantragt)
AZTherapiesNatrium-Cromolyn + Ibuprofenhemmt Polymerisierung von Beta-Amyloid-Peptiden zu PlaquesPhase III
AB ScienceMasitinibhemmt bestimmte KinasenPhase III
TauRx PharmaceuticalsHydromethylthionin Mesylat (HMTM)hemmt die Aggregation von Tau-FibrillenPhase III mit positiven Biomarker-Ergebnissen
CerecinCaprylat-Triglycerid (Tricaprilin)fördert die Energieversorgung der NervenzellenPhase III
AgeneBioLevetiracetam (AGB-101)Acetylcholinrezeptor-Agonist; Verlangsamung des Fortschreitens der kognitiven und funktionellen EinschränkungPhase III
Anavex Life SciencesBlarcamesinAntagonist des muskarinischen Acetylcholinrezeptors 2; Antagonist des muskarinischen Heterorezeptors 3, Sigma 1-Rezeptor-AgonistPhase IIb/III
Athira PharmaFosgonimeton (ATH-1017, NDX-1017)ein Aktivator von HGF und dem MET-RezeptorPhase III
AlzheonValiltramiprosat (ALZ-801)k. A.Phase III
BioVieNE-3107 (= HE-3286)ein ERK1/2-InhibitorPhase III
China Shineway PharmaceuticalSailuotongk. A.Phase III
KeifeRxNilotinib 3Tyrosin-Kinase-InhibitorPhase III
Annovis Bio / Horizon TherapeuticsBuntanetapk. A.Phase III
EisaiE-2814Antikörper gegen Tau-FibrillenPhase III
Alpha Cognition / GalantosAlpha 1062 (ein Galantamin-Prodrug)k. A.Phase III
LillyRemternetugAntikörper gegen N3pG Beta-AmyloidPhase III
Cassava SciencesSumifilamrestauriert die Form und Funktion von Filamin APhase III
AriBio (USA)AR-1001k. A.Phase III
Novo Nordisk (Dänemark)SemaglutidGLP-1-Analogon (zugelassen für die Therapie von Diabetes und Adipositas)Phase III
Shanghai Raising Pharmaceutical (China)Benfotiamink. A.Phase III
Lighthouse Pharmaceuticals (USA)Atuzaginstat (COR-388)Gingipain-InhibitorPhase III
Neurim Pharmaceuticals (Israel)PiromelatinMelatonin-AgonistPhase II/III

1 wurde erprobt mit Patientinnen und -Patienten mit Alzheimer im Frühstadium
2 in Erprobung mit Alzheimer-Patientinnen und -Patienten im präklinischen Stadium der Krankheit oder mit Personen mit erhöhtem Alzheimerrisiko
3 Repurposing eines für andere Anwendungen schon zugelassenen Wirkstoffs



Dazu kommen Medikamente, die psychotische Begleitsymptome lindern sollen, wie sie manche Alzheimer-Patienten zeigen; sie sind teilweise gegen andere Krankheiten schon zugelassen. Die folgenden Medikamente haben Phase III erreicht (Stand: 28.08.2023):

UnternehmenWirkstoff des MedikamentsWirkungsweiseStand der Entwicklung
Acadia PharmaceuticalsPimavanserinein 5-HT2A-Rezeptor-Invers-Agonist, zur Linderung von Symptomen wie AgitationPhase III (in USA Zulassung beantragt)
Axsome TherapeuticsDextromethorphan (DM) and Bupropionzur Linderung von Symptomen wie AgitationPhase III
Concert Pharmaceuticals / Otsuka PharmaceuticalsDeuteriertes Dextromethorphan + Chinidinzur Linderung von Symptomen wie AgitationPhase III
Suven Life Sciences (Indien)Masupirdinezur Linderung von Alzheimer-SymptomenPhase III
BioXcel (USA)BXCL-501 (Dexmedetomidine in neuer Formulierung)zur Linderung von akuter AgitationPhase III
Karuna Therapeutics (USA)KarXT (Xanomeline und Trospiumchlorid)zur Linderung psychotischer SymptomePhase III

Alzheimer-Medikamente gegen Beta-Amyloid-Plaques

Viele Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Alzheimer auftretenden Plaques zwischen den Nervenzellen wesentlich zum Absterben von Nervenzellen beitragen. Deshalb setzen viele Arzneimittel-Kandidaten an der Substanz an, aus der sie bestehen: dem Beta-Amyloid-Protein.

Ein Typ dieser Medikamente enthält gentechnisch hergestellte Antikörper (monoklonale Antikörper, erkennbar an der Endsilbe "mab" im Namen), die sich an das Beta-Amyloid-Protein oder Vorstufen davon heften. Das Immunsystem baut dann das so markierte Protein ab, wodurch der Raum zwischen den Nervenzellen gereinigt wird. Dieser Ansatz wird auch „passive Immunisierung gegen Alzheimer“ genannt.

Doch werden auch Medikamente anderen Typs erprobt, die die Bildung von Beta-Amyloid behindern knnen.

Die Studienergebnisse mit mehreren gegen Beta-Amyloid gerichteten Medikamente belegen, dass Beta-Amyloid-Plaques in der Tat eine relevante Rolle im Krankheitsgeschehen spielen. Wie zentral diese ist, ist damit aber noch immer nicht geklärt. Einige Wissenschaftler:innen weisen seit Jahren darauf hin, dass sich solche Plaques mitunter auch im Gehirn von Menschen finden, die in geistiger Klarheit gestorben sind. Andererseits sind Menschen, die aufgrund einer genetischen Besonderheit kaum Beta-Amyloid-Plaques bilden können, anscheinend vor der Krankheit geschützt. Der Alzheimer-Forscher Prof. Christian Haass, Universität München und DZNE, Bonn, äußerte 2018 bei einem Workshop der Paul-Martini-Stiftung zu Alzheimer die Vermutung, dass die Amyloid-Bildung in einem frühen Stadium den Krankheitsprozess vorantreibt, der dann aber auch unabhängig von Amyloid voranschreitet. Weil sich Beta-Amyloid schon früher zeigt als eine Demenz-Symptomatik, sei es plausibel, dass einige Menschen trotz Beta-Amyloid in geistiger Klarzeit sterben.

Medikamente gegen Tau-Fibrillen

Auch die Tau-Fibrillen – Proteinstränge, die sich bei Alzheimer in den Nervenzellen bilden – könnten für die Gehirndegeneration maßgeblich verantwortlich sein. Es wurden und deshalb auch Wirkstoffe erfunden, die deren Bildung verhindern sollen.

Der in der Erprobung fortgeschrittenste Wirkstoff dieser Art ist Hydromethylthionin Mesylat (HMTM). Er wird gegen Alzheimer derzeit in Phase-III-Studien erprobt.

Weitere Alzheimer-Medikamente für die Behandlung

Noch etliche andere Ansatzpunkte für eine Alzheimer-Therapie werden derzeit in klinischen Studien oder bei Tieren erprobt. Dazu zählen bestimmte Kinasen oder Komponenten des Energiestoffwechsels der Nervenzellen. Welche davon in der Tat geeignet sind, um das Fortschreiten oder gar das Entstehen von Alzheimer aufzuhalten, wird erst anhand von Ergebnissen aus Phase-II- und Phase-III-Studien erkennbar sein.