Medizin 2030
Über die Zukunft der Medizin gibt es keine Gewissheit. Dennoch lässt sich ein optimistisches Szenario entwerfen, wie die Pharmaforschung im Bund mit Medizintechnik und Informationstechnologie die Medizin weiterbringen könnte, wenn sich heute verfolgte Ansätze als tragfähig erweisen.
Die Bevölkerung in den Industrienationen entwickelt sich immer weiter zu einer Gesellschaft des langen Lebens; und auch in ärmeren Ländern steigt die Lebenserwartung stetig. Dies dürfte sich bis 2030 und darüber hinaus fortsetzen – durch Fortschritte bei den medizinischen Möglichkeiten und der medizinischen Versorgung und durch eine wachsende Verbreitung gesünderer Lebensstile, gefördert von bevölkerungsweiten Kampagnen.
Wie schnell jedoch welche Behandlung tatsächlich Einzug in die Praxis hält, hängt aber auch davon ab, wie viel Geld den Treibern des medizinischen Fortschritts zur Verfügung steht – darunter den Firmen, die neue Medikamente entwickeln. Können jedoch gute Lösungen dafür gefunden werden, dann lässt sich für 2030 das folgende optimistische Szenario entwerfen:
Prävention durch Lebensführung und Medikamente, Diagnostik, medikamentöse und medizintechnische Therapie werden 2030 eng abgestimmt. Therapien werden oft personalisiert ausgewählt, also mit Blick auf patientenindividuelle genetische und andere körperliche Eigenheiten; wo immer möglich, geschieht das in gemeinsamer Verantwortung von Arzt und Patient. Oft wird Krebs nicht mehr tödlich sein, sondern eine chronische Erkrankung, mit der man unter Dauermedikation leben kann. Innovative Diagnostik, ein gesünderer Lebensstil und Medikamente haben die Häufigkeiten und das Schadpotenzial von Herzinfarkten und Schlaganfällen weiter gesenkt. Heute noch gefährliche Infektionskrankheiten wie Tuberkulose oder HIV sind entschärft, Masern wie auch Bilharziose und einige andere tropische Armutskrankheiten weltweit mittels Impfungen und Tabletten ausgerottet. Degenerative Erkrankungen wie Alzheimer oder Arthrose lassen sich medikamentös häufig um viele Jahre hinauszögern. Für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen steht ein breites Medikamentensortiment zur Verfügung, und auch für viele seltene Krankheiten sind wirksame Mittel entwickelt worden. Investitionen in Gesundheit schafft Produktivität und Lebensqualität – und spart Kosten für Sozial- und Versorgungsleistungen.
Für kein Einzelprojekt lässt sich ein Erfolg garantieren; aber eine leistungsfähige Grundlagenforschung im Verbund mit unternehmerischem Mut zum wirtschaftlichen Risiko und mit Rahmenbedingungen, die diesen Mut unterstützen, können ein solches Szenario Wirklichkeit werden lassen.
Perspektiven für die Prävention und Behandlung ausgewählter Krankheiten im Jahr 2030:
KREBS
Brustkrebs:
Brustkrebs wird dank neuer Diagnostik meist so früh erkannt, dass eine kleine Operation zur Heilung genügt. Sonst hält ihn eine individuell angepasste Medikamenten-Kombination dauerhaft in Schach.
Prostatakrebs:
Die Krebszellen werden meist mit individuell angepassten Medikamenten-Kombinationen an der Vermehrung und Ausbreitung gehindert. Nur, wo das nicht gelingt, wird operiert.
Gebärmutterhalskrebs:
Immer weiter verbesserte HPV-Impfstoffe bewahren die meisten Geimpften vor der Krankheit. Die Zweifel an deren Wirksamkeit sind ausgeräumt.
HERZ-KREISLAUF-ERKRANKUNGEN
Schlaganfall:
Gesunder Lebensstil und Medikamente (bei gefährdeten Patienten) senken das Risiko. Kommt es doch dazu, schlägt ein tragbares Diagnosegerät Alarm. Sofortige Behandlung wendet meist bleibende Schäden ab.
Herzinfarkt:
Das Risiko eines Herzinfarkts wird durch gesunde Lebensweise und nötigenfalls Medikamente gemindert. Ein tragbarer Infarkt-Sensor meldet sofort, wenn es doch dazu gekommen ist. Auch hier wendet eine sofortige Behandlung meist bleibende Schäden ab.
Chronische Herzinsuffizienz:
Ein erheblich geschwächtes Herz erhält Unterstützung durch implantierte Kunstherzen. Falls eine Herztransplantation erforderlich ist, ermöglicht eine vielschrittige Abfolge von Maßnahmen unter Verwendung immunsuppresiver Medikamente eine Gewöhnung des Körpers an das Spenderorgan.
INFEKTIONSKRANKHEITEN
HIV/AIDS:
Infizierte können meist geheilt werden: mit einem Medikamentencocktail, der Virus-Erbmaterial intrazellulär zerstört.
Masern:
Als eins der letzten Länder weltweit ist Deutschland schließlich Masern-frei geworden – dank Schutzimpfungen.
Tuberkulose:
Mobile Testgeräte erkennen die Krankheit sofort, neue Medikamenten-Kombinationen heilen sie binnen weniger Monate aus. Impfstoffe mindern das Ansteckungsrisiko.
Malaria:
Malaria ist nicht ausgerottet, aber dank Impfstoffen ist das Risiko, dass insbesondere von Kinder daran sterben oder bleibende Schäden davon tragen, mindestens halbiert. Auch für Tropenreisende bieten Impfstoffe einen relativen Schutz.
Hepatitis C:
Nebenwirkungsarme Virustatika-Kombinationen heilen die Krankheit binnen weniger Monate aus. In China ist Hepatitis C nicht länger Volkskrankheit.
Bilharziose (= Schistosomiasis):
Die Krankheit ist weltweit ausgerottet; dank WHO-Kampagne mit einem vom Hersteller gespendeten Medikament. Die letzten Erreger – die Pärchenegel – leben im Reservat.
Erkältungen:
Gegen Erkältungen ist kein Kraut gewachsen! Auch im Jahr 2030 werden Menschen sie verfluchen. Es gibt einfach zu viele verschiedene Erreger.
NEURODEGENERATIVE UND PSYCHISCHE KRANKHEITEN
Alzheimer-Demenz:
Die Krankheit kann frühzeitig diagnostiziert und dann mit regelmäßigen Tablette oder Spritzen aufgehalten werden.
Depression:
Biomarker weisen den Weg zum individuell passenden Medikament, das zusammen mit Psychotherapie die Krankheit meist binnen Monaten heilt.
KNOCHEN- UND GELENKERKRANKUNGEN
Arthrose:
Die Krankheit wird meist im Frühstadium medikamentös aufgehalten. Zerstörter Gelenkknorpel wird durch im Labor gezüchteten Knorpel aus eigenen Zellen ersetzt.
Rheumatoide Arthritis:
Gezielte Immun-Modulation mit Medikamenten lässt Patienten fast symptomfrei leben.
Zahnerkrankungen:
Konsequente Prophylaxe ab Kinderkrippe macht Karies selten. Fehlstellen im Kieferknochen können mit extrakorporal gezüchtetem Knochengewebe regeneriert werden.
STOFFWECHSELKRANKHEITEN
Diabetes Typ 2:
Medikamente zögern den Ausbruch jahrelang hinaus. Die meisten Patienten erleben nie den Verlust ihrer Blutzuckerkontrolle oder die gefürchteten Spätfolgen. Geeignete Medikamente werden individuell passend zum Patienten ausgesucht.
Diabetes Typ 1:
Bei Schulkindern wird halbjährlich getestet, ob sich Diabetes entwickelt. Wenn ja, bewahren ihnen immunmodulierende Medikamente eine funktionstüchtige Bauchspeicheldrüse und damit die Blutzuckerkontrolle.
ATEMWEGSERKRANKUNGEN
Asthma:
Bei hohem Risiko beugt eine Art individueller Impfung im Kindesalter der Krankheit vor. Wer doch Asthma bekommt, lebt mit Medikamenten anfallfrei.
Heuschnupfen:
Eine Art Impfung kann Menschen mit erhöhtem Risiko schützen. Betroffene können meist durch Desensibilisierung geheilt werden.
ERBKRANKHEITEN
Mukoviszidose:
Zum jeweiligen Gendefekt passende Medikamente lindern die Krankheit meist soweit, dass die Betroffenen nur noch mit milden Symptomen leben müssen.
Angeborene Immunschwäche („bubble baby“) und Blutbildungsstörungen:
Die meisten angeborenen Störungen des Immunsystems und der Blutbildung sind auf Gen-Defekte in den Stammzellen des Knochenmarkt zurück zu führen. Mit passenden Gentherapien lassen sie sich aber dauerhaft heilen; und die Patienten brauchen schon bald nach der Therapie keine Medikamente mehr. Die Risiken älterer gentherapeutischer Ansätze sind überwunden.