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Tierversuche und Tierschutz in der Pharmaindustrie

Viele Krankheiten lassen sich heute lindern oder sogar heilen: Eine HIV-Infektion ist heute kein Todesurteil mehr, Hepatitis C sogar heilbar, mit Diabetes kann man alt werden und gegen den Risikofaktor Nr. 1 – den Bluthochdruck – helfen viele Medikamente. Was Kinderlähmung, Diphtherie oder Tetanus anrichten, weiß hierzulande fast niemand mehr – dank wirksamer Impfungen. Um die Medikamente und Impfstoffe dafür entwickeln zu können, mussten die Forscher neben vielen anderen Tests auch Tierversuche durchführen.

Weniger Tierversuche

Die neue europäische Tierschutzrichtlinie benennt es klar: Ziel ist, Tierversuche irgendwann nicht mehr zu benötigen. Der Weg dorthin kann aber kein abrupter Stopp sein – denn dann käme die Forschung für neue Therapien zum Erliegen.

Dieses und weitere Szenarien hat MDR Wissen in dem Video "Tierversuche abschaffen?" untersucht. Darin wird unter anderem deutlich, dass nicht nur die Pharmaforschung, sondern auch die Impfstoff-Versorgung nach einem Stopp bald zum Erliegen käme:

Mit dem HET-CAM-Test wird die Haut- und Augenverträglichkeit von Substanzen an Hühnereiern getestet. Bis 2004 waren dafür Kaninchen erforderlich.Im Gegensatz zum Verharren in einem Fundamental-Streit "Tiervesuche ja oder nein" ist es sinnvoll, überall da, wo heute Tierversuche eingesetzt werden, mit immer weniger Tieren auszukommen, deren Belastung stetig zu verringern, höher entwickelte Tiere durch weniger entwickelte zu ersetzen und immer öfter tierfreie Testsysteme anzuwenden. Auf eine kurze Formel gebracht heißt das „Verringern, Verbessern, Vermeiden“ – oder englisch: „Reduce, Refine, Replace“. Diese sogenannten 3R-Prinzipien sind den Biologen William Russell und Rex Burch und ihrem Buch „The Principles of Humane Experimental Technique“ von 1959 zu verdanken. Sie leiten auch die Weiterentwicklung der Forschungsmethoden und Produktionskontrolle der Pharmaindustrie.


Denn dafür sprechen ethische Gründe; ebenso aber auch ökonomische Gründe: Tierversuche sind teuer, und Alternativen meist mit wesentlich geringeren Kosten verbunden. Investitionen in 3R machen sich deshalb bezahlt.

Viele Möglichkeiten zur Optimierung im Sinne von 3R wurden deshalb in den Pharmafirmen selbst entwickelt (Beispiele s.u.). Andere sind Universitäten und öffentlichen Forschungseinrichtungen zu verdanken. In Deutschland fördert das Bundesforschungsministerium (BMBF) die Entwicklung von „Ersatzmethoden zum Tierversuch“ in einem gleichnamigen Förderschwerpunkt. Mehrere Bundesländer haben auch Preise für erfolgreiche Forschungsprojekte auf diesem Gebiet ausgeschrieben, darunter Hessen und Berlin.

Dies hat schon bewirkt, dass heute viele Forschungsprojekte und Produktionskontrollen weit weniger Versuchstiere benötigen als früher. Dass sich dies noch nicht in der Tierversuchsstatistik abbildet, ist dem Umstand geschuldet, dass die Forschungsund Produktionsaktivitäten forschender Pharma-Unternehmen seit 2000 ebenfalls erheblich ausgeweitet wurden. Weniger Tiere pro Projekt, aber mehr Projekte insgesamt: In der Bilanz hat sich das in etwa ausgeglichen, wie ein Vergleich der Zahlen von 2001 (rund 870.000 Tiere) und 2010 (rund 889.000 Tiere) in der Pharma- und medizintechnischen Industrie zeigt.

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„Wenn wir wieder etwas gefunden haben, was die Tierhaltung besser oder einen Versuch weniger belastend macht, dann laden wir die ‚Konkurrenz‘ ein, sich das bei uns abzuschauen!“ Die Tierschutzbeauftragte eines forschenden Pharma-Unternehmens»

Alternativmethoden etablieren

Beispiele für erfolgreiche 3R-Projekte von Mitgliedsfirmen

Mit Hilfe von Fischembryonen (siehe Bild) lässt sich feststellen, ob ein neuer Wirkstoff zu Missbildungen führen kann. Früher waren dafür trächtige Ratten oder Kaninchen nötig. Der neue Test wurde von einem Pharma-Unternehmen entwickelt.

Fortschritt: Weniger hoch entwickelte Tierart ersetzt Säugetiere, weniger Tiere pro Test nötig
Status: firmenintern nutzbar, aber von den Zulassungsbehörden noch nicht anerkannt

Mehreren Firmen ist es gelungen, für die Pharmaforschung relevante Körperprozesse mittels Kernspintomographie, PET-Scan oder
anderen bildgebenden Verfahren ohne Eingriff ins Tier zu beobachten. So lassen sich beim gleichen Tier viele Untersuchungen durchführen, statt dass – wie früher – pro Beobachtung ein Tier getötet und geöffnet werden müsste. Das Bild zeigt Herz, Arterien und Knochen eines lebenden Kaninchens; es wurde mit Röntgen-Computertomographie aufgenommen.

Fortschritt: senkt Zahl nötiger Tiere
Status: weltweit etablierte Methode

Ein neuer Wirkstoff, der kein Sexualhormon sein soll, darf auch nicht ansatzweise wie ein solches Hormon wirken. Früher wurde das bei allen Wirkstoff-Kandidaten mit Tieren überprüft. Ein neuer Vortest – erfunden von einem Pharma-Unternehmen – erlaubt nun, die meisten Kandidaten mit solchen Nebenwirkungen schon mit tierfreien Labortests (siehe Bild) zu erkennen und sie auszumustern. Nur wenige Kandidaten bleiben übrig, die tatsächlich noch den Tier-Test durchlaufen müssen. Das Prinzip, die Zahl von Tierversuchen durch Vortests zu reduzieren, gilt auch für viele andere 3R-Projekte.

Fortschritt: weniger Versuchstiere nötig
Status: wird von immer mehr Pharma-Unternehmen übernommen