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Chemie-Nobelpreis: Mit einem „Click“ zum Wirkstoff

Mit dem Chemie-Nobelpreis 2022 werden drei Forschende für ihre wegbereitenden Arbeiten auf dem Gebiet der Click-Chemie und bioorthogonalen Chemie geehrt. Die von ihnen entwickelten chemischen Reaktionen erlauben die effiziente Verknüpfung verschiedener Molekülbausteine und werden bereits vielfältig in der Pharmaforschung und -entwicklung angewandt. Auch für die Produktion sind sie interessant.

Modell eines Antikörper-Wirkstoff-Konjugates (Antibody-Drug-Conjugate)

Den Nobelpreis für Chemie 2022 erhalten Carolyn Bertozzi, Morton Meldal und Barry Sharpless für die Entwicklung der Click-Chemie und der bioorthogonalen Chemie, wie die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften in Stockholm mitteilte. Insbesondere würdigte das Nobelkomitee die drei Forschenden für die Etablierung von grundlegenden Konzepten, die zu bedeutenden Fortschritten bei der Verknüpfung von Molekülen führten.(1)

Auch wenn der Nutzen der Konzepte nicht auf bestimmte Anwendungsfelder der Chemie beschränkt ist, wurden sie doch gerade in der Pharma- und Biotechbranche und der biomedizinischen Forschung begeistert aufgenommen. „Die Methoden der Click-Chemie und bioorthogonalen Chemie haben einen Quantensprung für die Arzneimittelentwicklung gebracht“, fasst beispielsweise Dr. Klaus Urbahns, Head of Discovery & Development Technologies im Unternehmensbereich Healthcare der Merck KGaA die Bedeutung der prämierten Arbeiten zusammen. Sein Merck-Kollege Dr. Nicolas Rasche, Laborleiter ADCs & Targeted New Biological Entities ergänzt: „Diese Technologien ermöglichen uns nicht nur einzigartige Einblicke in die Biologie von Zellen, sondern auch die Herstellung komplexer Wirkstoffe“.

Mit Click-Chemie selektiv große Moleküle aufbauen

Die organische Chemie beschäftigt sich im Kern mit Molekülen, bei denen Ketten oder Ringe von Kohlenstoffatomen das Grundgerüst bilden. Doch interessant wird es für Chemiker:innen vor allem, wenn andere Atome wie Sauerstoff, Stickstoff oder Schwefel ins Spiel kommen, durch die die Moleküle mit besonderen Abschnitten ausgestattet werden; man nennt sie auch funktionelle Gruppen. Denn sie geben den Molekülen besondere Eigenschaften und ihre spezifische Reaktivität. Eine funktionelle Gruppe kann mit bestimmten anderen funktionellen Gruppen Reaktionen eingehen, oft auch wahlweise mit mehreren, so dass sich die Reaktionen in vielen Fällen gegenseitig stören. Um zwei Moleküle über ihre funktionellen Gruppen in genau definierter Art zu verknüpfen, ist deshalb viel Laborarbeit nötig.

Barry Sharpless fand, dass es viel besser wäre, wenn man einzelne Moleküle viel eindeutiger zu größeren Molekülen verbinden könnte – wie Bausteine mit vordefinierten Kopplungsstellen. Er formulierte daher zusammen mit dem deutschen Chemiker Hartmuth C. Kolb (damals Post-Doc) und ihrem Kollegen M. G. Finn die Prinzipien der Click-Chemie. Nach diesen sollten chemische Reaktionen modular und breit anwendbar sein, unter milden Bedingungen ohne Ressourcen-intensive Lösungsmittel ablaufen, hohe Ausbeuten ohne störende Nebenprodukte liefern, sowie extrem selektiv funktionieren.(2)

Sharpless und Meldal entwickelten Reaktion, die den Grundstein der Click-Chemie legte

Als erstes Beispiel entwickelte Sharpless mit seinem Team die Reaktion von Aziden mit Alkinen. Eine Azid-Gruppe besteht aus einer Kette von drei Stickstoff-Atomen, während bei Alkinen zwei Kohlenstoffatome über eine Dreifachbindung verknüpft sind. Reagieren beide Gruppen miteinander, verbinden sie sich zu einem kleinen Ring aus Kohlenstoff- und Stickstoff-Atomen. Morton Meldal und sein Team entdeckten anschließend, dass der Einsatz von Kupfer als Katalysator die Reaktion deutlich schneller ablaufen lässt. Diese Reaktion heißt deshalb Kupfer-katalysierte Azid-Alkin-Cycloaddition (CuAAC) und bildet die Grundlage für die gesamte Click-Chemie.(3)

Zu den ersten Anwendungen für diese Reaktion zählte die Erstellung von Substanzbibliotheken für die pharmazeutische Wirkstoffforschung. Diese bestehen aus mehreren Hunderttausend bis Millionen verschiedener chemischer Verbindungen, unter denen mit Hochdurchsatz-Verfahren (Screening) Moleküle ausgewählt werden können, die sich als grober Prototyp für die Entwicklung eines neuen Wirkstoffs eignen. Denn die CuAAC-Reaktion macht es möglich, aus einer kleinen Menge verschiedener Ausgangsubstanzen mit geringem Aufwand eine Vielzahl neuer, ganz unterschiedlicher Verbindungen herzustellen. Da die Ausgangssubstanzen über Click-Chemie unterschiedlich kombiniert werden, spricht man auch von kombinatorischer Chemie. „Gerade hier kann Click-Chemie ihr volles Potenzial entfalten; und dafür wird sie auch heute noch in Pharma-Unternehmen eingesetzt“, so Urbahns.

Chemie im Gewimmel der Zelle

Eine andere Herausforderung stellen lebende Zellen dar. Denn hier finden sich Proteine und weitere große Makromoleküle wie DNA und RNA dicht beieinander; und sie alle besitzen unzählige funktionelle Gruppen, die unterschiedlich mit jeweils anderen Molekülen reagieren können. Da ist es nicht zu erwarten, dass chemische Reaktionen gezielt erfolgen, wenn diese nicht (so die biologische Lösung des Problems) unter der Kontrolle bestimmter Enzyme erfolgen. Ohne Enzyme produzieren chemische Reaktionen hier normalerweise ein Gemisch von Molekülen, die an unterschiedlichen Stellen reagiert haben. Gezielte chemische Eingriffe erfordern hingegen Reaktionen, die selektiv ablaufen und von den vielfältigen chemischen Gruppen des zellulären Molekülgemischs nicht gestört werden.(4)

Und hier kommen wieder die Fortschritte der Click-Chemie ins Spiel: „Zwar laufen fast alle chemischen Reaktionen, die von Menschen erfunden wurden, auch in menschlichen Zellen ab – aber eine nicht: die der Click-Chemie“, erklärt Urbahns.

Schnell und einfach Moleküle in Zellen markieren

Carolyn Bertozzi erkannte mit ihrem Team bereits Anfang der Neunziger Jahre dieses Potenzial und entwickelte erste Methoden zur selektiven chemischen Markierung von Kohlenhydraten auf Zelloberflächen. Für diese Pionierarbeit fütterte sie die Zellen zunächst mit Zuckermolekülen, die im Labor um Azid-Gruppen ergänzt worden waren. Die kultivierten Zellen nutzen sie zum Aufbau komplexerer Kohlenhydrate, die Teil der Zellmembran sind.

Um diese Strukturen gezielt unter dem Mikroskop sichtbar zu machen, musste das Team nur noch einen Farbstoff chemisch mit einer passenden Alkin-Gruppe versehen und auf die Zellen geben. Dort reagiert die Alkin-Gruppe ohne weiteres Zutun mit der Azid-Gruppe an den markierten Oberflächenzuckern. Vorher wären aufwendigere gentechnische Verfahren notwendig gewesen, um eine solche gezielte Markierung zu erreichen.
Heute sind der Phantasie keine Grenzen bei der Auswahl der Markierung gesetzt. So lassen sich neben Farbstoffen auch molekulare Sensoren, andere Zucker oder Wirkstoffmoleküle an spezifische Stellen in Zellen einbauen.

Chemischer Trick macht Kupferkatalysator überflüssig

Wichtig für die Tauglichkeit der bioorthogonalen Click-Chemie in lebenden Zellen sind zwei weitere Aspekte: Erstens müssen die Reaktionen bei milden Bedingungen (physiologische Temperatur und pH-Wert) ablaufen und zweitens dürfen keine Moleküle eingesetzt werden oder entstehen, die gefährlich für Zellen sind. Während die klassische CuAAC-Click-Chemie die erste Bedingung direkt erfüllt, stellt die Kupfer-Katalyse ein Problem dar.

Doch Kupfer wirkt in hohen Konzentrationen als Zellgift und kann deshalb nicht in der bioorthogonalen Chemie eingesetzt werden. Um diese Hürde zu überwinden, griff das Team von Bertozzi zu einem Trick: sie nutzten Farbstoffe mit ringförmigen Alkinen für die Kupplung an die Azid-markierten Zuckern. Solche Ringmoleküle (Cycloalkine) stehen unter hoher Bindungsspannung und reagieren deshalb leichter als die sonst verwendeten linearen Alkine, so dass kein Kupfer-Katalysator mehr notwendig ist. Diese Methode wird als Spannungs-geförderte Azid-Alkin-Cycloaddition (SPAAC) bezeichnet.

Mit Click-Chemie zwei Welten verknüpfen

Mit SPAAC lassen sich auch komplexe Wirkstoffmoleküle synthetisieren. Das prominenteste Beispiel dafür sind Antikörper-Wirkstoff-Konjugate (ADC), bei denen ein Antikörper, der spezifisch Krebszellen erkennt, und ein kleineres chemisch-synthetisches Molekül, beispielsweise ein Zytostatikum, zusammengefügt werden. Die Vorzüge liegen auf der Hand: Durch die Spezifität des Antikörpers wird das ADC nur von Krebszellen aufgenommen, die aber werden durch das dann freigesetzte Zytostatikum abgetötet. Zudem werden gesunde Zellen weitgehend verschont, was die Nebenwirkungen der Therapie deutlich verringert.(5)

Nicolas Rasche beschreibt den Stellenwert für bioorthogonaler Chemie für die Herstellung von ADC so: „Bioorthogonale Chemie ermöglicht die effiziente und vor allem positionsgenaue Verknüpfung von zwei Welten, nämlich biologischen Makromolekülen und kleinen organischen-chemischen Molekülen. Dadurch wird eine Genauigkeit bei der Herstellung der Moleküle möglich, die vorher nicht machbar war“. Bei herkömmlichen ADC trügen die einzelnen Antikörper oft eine uneinheitliche Zahl von Zytostatika, und die auch an unterschiedlichen Stellen. Tricks in der Antikörper-Herstellung in Verbindung mit der bioorthogonalen Chemie sorgten hingegen dafür, dass bei ihrer Synthese nur solche ADC-Moleküle entstehen, bei denen Zytostatika und Proteine an genau definierten Positionen in konstanter Zahl verknüpft sind.

Erste auf bioorthogonaler Chemie basierende ADC werden bereits in klinischen Studien getestet, darunter auch eins, das Rasche mit seinem Team mit entwickelt hat.

Pharmazeutische Click-Chemie hat Zukunft

Aufgrund ihrer vielfältigen Vorteile haben Click-Chemie und bioorthogonale Chemie längst einen festen Platz im Instrumentarium von akademischen Wissenschaftler:innen und in den Laboren der forschenden Pharma-Unternehmen errungen. Und auch Nachhaltigkeitsaspekte sprechen für die Click-Chemie. Nicht umsonst überlappen sich die von Sharpless formulierten Prinzipien der Click-Chemie mit denen der „Grünen Chemie“, etwa der nahezu vollständige Umsatz der Ausgangsstoffe und die Vermeidung von teuren Lösungsmitteln.(6)

Und trotz all dieser Erfolge bleibt die Wissenschaft nicht stehen. „Obwohl die jetzt verfügbare Click-Chemie kaum etwas zu wünschen übriglässt, werden weitere Innovationen auf diesem Gebiet folgen, insbesondere durch die Kombination mit anderen Technologien“, lautet das Fazit von Urbahns und Rasche.

Quellen