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Neue Forschungsergebnisse zur Entstehung von Hirntumoren

Der Warburg-Effekt beschreibt, dass Krebszellen durch eine Verschiebung ihrer Energieversorgung hin zu Sauerstoff-unabhängigen Stoffwechselwegen gekennzeichnet sind. Neue Erkenntnisse deuten jedoch darauf hin, dass bei Hirntumoren der umgekehrte Effekt die Krebsentstehung auslösen könnte. (1)

Azrt und Ärztin schauen sich ein Röntgenbild eines Schädels/Gehirns an.

Veränderter Stoffwechsel trägt zur Krebsentstehung bei

Weil sich Tumorzellen unkontrolliert teilen, benötigen sie große Mengen an Energie. Bei Untersuchungen an Krebszellen stellte der deutsche Forscher Otto Warburg vor etwa 90 Jahren fest, dass diese eine deutlich erhöhte Milchsäure-produktion aufweisen. Dies war überraschend, weil Zellen normalerweise Energie unter Sauerstoffverbrauch erzeugen (aerober Stoffwechsel), Milchsäuregärung allerdings nur bei Sauerstoffmangel (anaerober Stoffwechsel) stattfindet.

Bei Krebs sind die Mitochondrien – die Kraftwerke der Zelle – an der Veränderung des Stoffwechsels hin zur anaeroben Energiegewinnung beteiligt. Warburg erhielt für diese Entdeckung 1931 den Medizin-Nobelpreis. Er stellte jedoch zusätzlich die Hypothese auf, dass diese Stoffwechselumstellung der einzige Auslöser für die Entartung von gesunden Zellen zu Krebszellen ist. Zwar ist die Allgemeingültigkeit dieser Warburg-Hypothese inzwischen widerlegt, mehrere Studien brachten aber unabhängig voneinander Beweise, dass der von Warburg beschriebene Effekt der Stoffwechselumstellung eine wichtige Rolle in der Biologie von Tumorzellen hat. (1) (2)

Erkenntnisse bei Fruchtfliegen bringen aeroben Stoffwechsel mit Tumorentstehung in Verbindung

Im September 2020 berichteten Wissenschaftler*innen aus Wien und Berlin jedoch, dass bei Hirntumoren vermutlich der gegenteilige Effekt auftritt: Durch eine Hochregulation der sogenannten oxidativen Phosphorylierung (OxPhos), die ein wichtiger Teil der aeroben Energiegewinnung ist, wird in Tumorvorläuferzellen ein Programm aktiviert, so dass sie unsterblich werden. Dies führt zur Krebsentstehung. Grundlage waren Untersuchungen an der Fruchtfliege Drosophila, die in der Biologie vielfach als Modelorganismus eingesetzt wird. (3)

Wie die Teams im Fachmagazin Cell schreiben, analysierten sie zunächst Hirntumor-Vorläuferzellen bei Drosophila mit Einzelzellsequenzierung. Diese Technik misst, welche der Tausenden von Genen einer Zelle zu einem bestimmten Zeitpunkt aktiv sind. Dabei stellte sich zunächst heraus, dass diese Zellen unter anderem jene Gene verstärkt auslesen, die für Enzyme des anaeroben Stoffwechsels benötigt werden – was im Einklang mit dem Warburg-Effekt ist.

Hirntumorzellen haben deutlich erhöhten Sauerstoffbedarf

Als die Teams jedoch ihre Beobachtungen durch direkte Messungen der Stoffwechselaktivität an lebenden Zellen überprüften, stellten sie dort das Gegenteil fest: Die Hirntumorzellen aus Fruchtfliegen verbrauchten deutlich mehr Sauerstoff als normale Gehirnzellen. Zudem waren die Mengen an Zwischenprodukten der aeroben Energiegewinnung deutlich erhöht, während sich im anaeroben Stoffwechsel keine Veränderung zeigte. Durch weitere Untersuchungen stellte sich heraus, dass die OxPhos-Rate, die den Sauerstoff-abhängigen Energiegewinn wiedergibt, direkt mit der Zellteilungsaktivität der Hirntumor-Vorläuferzellen korreliert. (4)

Durch Vergleich der OxPhos-Rate innerhalb der Hirntumore konnten zudem darin eingeschlossene normale Neuronen mit geringerem Sauerstoffverbrauch identifiziert werden. Weil sich aus diesen Ergebnissen schlussfolgern ließ, dass eine überproportionale Erhöhung des aeroben Stoffwechsels ein Alleinstellungsmerkmal von Tumorzellen in den Gehirnen der Fruchtfliegen ist, blockierten die Forscher*innen die dafür benötigten Enzyme mit der RNA-Interferenz-Technik. So behandelte Fruchtfliegen mit Hirntumoren überlebten deutlich länger als Fliegen in der unbehandelten Vergleichsgruppe.

„Megakraftwerke“ stellen Tumorzellen die benötigte Energie bereit

Um zu erklären, wie den Tumorzellen die Umstellung auf das hohe Niveau an aerobem Stoffwechsel gelingt, analysierten die Teams ihre Sequenzierungsdaten erneut – dieses Mal im Hinblick auf jene Gene, die die Funktion der Mitochondrien steuern. Es zeigte sich, dass in den Tumorzellen und ihren Vorläuferstammzellen insbesondere jene Mechanismen aktiv waren, die mit der Membran der Mitochondrien in Verbindung stehen.

Mit speziellen Mikroskopie-Techniken vermaßen sie dann Größe und Form der Mitochondrien in den Hirntumorzellen und konnten beobachten, dass diese länger und auch insgesamt größer waren. Die beteiligten Wissenschaftler*innen vermuten, dass dies wahrscheinlich auf die Verschmelzung der Mitochondrien zu „Megakraftwerken“ zurückzuführen sein könnte, um mit mehr aerobem Stoffwechsel die Energieausbeute zu erhöhen und so den hohen Energiebedarf der Tumore zu decken. Dies wiederum löst die Programme aus, die zur Immortalisierung – also zur Unsterblichkeit – der veränderten Zellen führen und das Tumorwachstum bewirken.

Bestätigung der Ergebnisse bei humanen Zellen als Weg für neue zielgerichtete Therapien?

Da alle Versuche nur mit Fruchtfliegen oder an Zellkulturmodellen durchgeführt wurden, wollen die Autor*innen der Studie als nächsten Schritt ihre Ergebnisse bei Zellen höherer Organismen zu überprüfen. Sollten sich dort ähnliche Resultate zeigen, könnte dies den Grundstein für die Entwicklung neuer onkologischer Therapien legen. Weitere zielgerichtete Therapie sind eine wichtige Erweiterung der bisherigen Behandlungsmöglichkeiten, die chirurgische Eingriffe, Bestrahlung, Chemotherapie, zielgerichtete Therapien sowie immunonkologische Therapien umfassen. (5)

Literaturtipps