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Impfstoffe: Aus dem Ei in den Fermenter

Es klingt paradox: Für die Bekämpfung von Krankheiten, die durch Viren ausgelöst werden, muss man zunächst die Viren vermehren. Tatsächlich können auf dieser Basis hergestellte Impfstoffe unzählige Infektionen verhindern und dadurch Leben retten. Für einige Impfstoffe geschieht diese Vermehrung in Zellkulturen, für andere wie den Gelbfieberimpfstoff braucht man Hühnereier. Als Alternative für die unzähligen Hühnereier, die zum Zweck der Impfstoffherstellung gegen die Infektion mit Flaviviren benötigt werden, haben Wissenschaftler nun eine neue Technologie entwickelt(1) .

Nahaufnahme von fünf Hühnereiern, in denen zum Zwecke der Impfstoffproduktion je eine Spritzennadel steckt.

Gegen Zikavirus und Gelbfieber

Dabei geht es um die Herstellung von Impfstoffen gegen die Infektion mit Gelbfieber- oder Zikaviren. Beide gehören zur Gruppe der sogenannten Flaviviren und verursachen schwere Krankheiten beim Menschen. Insbesondere über die explosionsartige Verbreitung des Zikavirus wurde im Kontext der Olympischen Spiele 2016 in Rio intensiv in den Medien berichtet. Das Virus kann bei ungeborenen Kindern zu Hirnfehlbildungen führen, weshalb die Regierung Brasiliens schwangeren Frauen von einer Reise zu den Spielen abriet. Wie das Zikavirus kann auch das Gelbfiebervirus Muskel-, Rücken- und Kopfschmerzen verursachen(2) . Beide Erreger haben in Deutschland praktisch keine Bedeutung, da sie vor allem Länder in tropischen Regionen wie Südamerika oder Afrika betreffen(3) (4) . Derzeit können beide Krankheiten nicht geheilt werden. Gegen das Gelbfiebervirus ist aber seit langem ein Impfstoff verfügbar, der bisher nur in Hühnereiern produziert werden kann.

Höchste Qualitätsansprüche

Impfstoffe nutzen ein abgetötetes oder abgeschwächtes Virus oder Bausteine desselben, die dem Menschen injiziert werden. Der menschliche Körper erkennt diese als fremd und bildet Antikörper dagegen. Infiziert sich dieser Mensch mit demselben Pathogen, kann der Körper es einfacher erkennen und so effektiver bekämpfen. Für die Herstellung eines Impfstoffes werden deshalb zuerst lebende Viren benötigt. Und da Viren keinen eigenen Stoffwechsel besitzen, brauchen sie eine Wirtszelle, um sich zu vermehren. In der industriellen Produktion werden zu diesem Zweck Hühnereier eingesetzt – aktuell etwa eine halbe Milliarde jährlich weltweit(5) . Neben dem Aufwand, diese enorme Menge bereitzustellen, kommen umfangreiche Herausforderungen bei deren Herstellung hinzu. So müssen die Eier höchsten Qualitätsansprüchen genügen und frei von anderen Erregern sein; zudem erfolgt abschließend eine aufwendige Trennung von Virus-Material und anderen Bestandteilen der Kultur. Die normalen Eier, die zum Verzehr verkauft werden, sind ungeeignet. Vielmehr sind Eier erforderlich, die von Hühnern in speziellen Farmen unter kontrollierten Bedingungen gewonnen werden.

Vollautomatische Produktion

Biotechnologen vom Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme in Magdeburg haben nun ein Verfahren veröffentlicht, das diese Probleme zum Teil lösen soll(6) . Dafür wird der Herstellungsprozess grundlegend umgestaltet: statt Hühnereiern sollen Zellkulturen in großen Behältern – Fermentern oder Bioreaktoren – den Impfstoff produzieren. Die Wirtszellen (aus Stammzellen von Hühner-Embryonen) schwimmen dabei in einem flüssigen Medium, das alle für das Überleben und die Teilung der Zellen wichtigen Nährstoffe enthält. Eine Pumpe mit einer speziellen Membran, die nur von Flüssigkeit, aber nicht von Zellen passiert werden kann, gewährleistet eine kontinuierliche Entfernung der Abfallprodukte aus dem Fermenter. Damit die Vorräte nicht zur Neige gehen, misst eine Sonde zudem permanent die Konzentration der Zellen, worauf das System mit einer entsprechenden Anpassung der Nährstoffzufuhr reagiert. Wird eine bestimmte Zelldichte erreicht, werden Viren hinzugegeben, um sich in den Wirtszellen zu vermehren. Alle Sensoren und Anlagenteile sind miteinander verbunden, sodass die Produktion vollautomatisch ablaufen kann.

Das neue Verfahren könnte mehrere Vorteile bringen, wie zum Beispiel:

  • Es kann flexibler an den Bedarf angepasst werden und verkürzt drastisch die Produktionszeit von derzeit noch etwa einem Jahr. Ein Einliter-Fermenter wäre in der Lage, in nur zwei Wochen das Material für 10 Millionen Impfdosen herzustellen.
  • Die bisher in den Fermentern erreichten Konzentrationen von für die Produktion von Flaviviren benötigten Zellen liegen bis zu 75-mal höher als der bisherige Standard.
  • Auch die Virendichte nach der Infektion der Zellen liegt den Magdeburger Wissenschaftlern zufolge deutlich höher als bisher.
  • Und schließlich könnte dies eine Blaupause für einen Prozess sein, mit dem auch Impfstoffe gegen Viren, die bisher als besonders aufwendig und schwierig zu produzieren gelten, effizient hergestellt werden könnten.

Verfahren auch gegen Grippe geeignet?

Bevor mögliche Flavivirus-Impfstoffe aus dem Fermenter und nicht mehr aus dem Ei ihren Weg in den Alltag finden, müssen sie zunächst noch in klinischen Studien ihre Wirksamkeit und Unbedenklichkeit unter Beweis stellen. Die Wissenschaftler arbeiten außerdem daran, das Verfahren auch für die Produktion anderer Impfstoffe, wie dem gegen das saisonale Grippevirus zu optimieren. Die Entwicklung des saisonalen Grippeimpfstoffs ist sehr aufwendig und das herkömmliche Produktionsverfahren mit Hühnereiern hat in den vergangenen Jahrzehnten die höchste Verlässlichkeit und Qualität geboten. Das könnte auch der Grund dafür sein, warum die Herstellung des Grippeimpfstoffs nach wie vor in der Regel weiterhin in Hühnereiern erfolgt, obwohl bereits Zellkulturverfahren hierfür entwickelt wurden.

Literaturhinweise: