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ATMP: Große Chancen – große Herausforderungen

Neuartige Gen- und Zelltherapien eröffnen Therapiemöglichkeiten für bisher nicht oder nur unzureichend behandelbare schwere Krankheiten. Aktuelle Entwicklungen in der medizinischen Biotechnologie führen zu einem ständig wachsenden Wissen rund um diese Technologien und zu möglichen weiteren Anwendungsgebieten dieser besonderen Arzneimittel.

Die Hand eines Labormitarbeiters hält eine DNA-Probe sowie einen Ausdruck mit Informationen zu einer Sequenzierung

Von Zellen und Genen

Schon immer war es das Ziel der Medizin, Behandlungsstrategien individuell auf die Patient:innen abzustimmen. Doch erst seit der Aufklärung molekularer Krankheitsmechanismen und dem rasanten Fortschritt in der biomedizinischen Grundlagenforschung, werden die Therapien immer zielgerichteter. Die Erforschung schwerer Krankheiten wie Krebs oder Autoimmunerkrankungen erreichte mit der Sequenzierung des Humangenoms Anfang der 2000er einen Höhepunkt. Seit einigen Jahren eröffnet nun eine ganz neue Klasse von Arzneimitteln Behandlungsmöglichkeiten für bisher nicht oder nur unzureichend behandelbare schwere Krankheiten. Gemeint sind die Gen- und Zelltherapien, die zusammen mit den biotechnologisch bearbeiteten Gewebeprodukten zu den Arzneimitteln für neuartige Therapien zählen – also den ATMP (Advanced Therapy Medicinal Products). (1)

"Gen- und Zelltherapien - Neue Hoffnung für die Krebstherapie" im vfa-Podcast #MicroScope:

Anders als herkömmliche Medikamente basierend auf chemisch synthetisierten Molekülen oder biotechnologisch hergestellten Proteinen, enthalten ATMP entweder Zellen oder verpackte Nukleinsäuren wie DNA. Deshalb wird bei den Gentherapien auch zwischen zellbasierten und nicht-zellbasierten Formen unterschieden. Während bei nicht-zellbasierten Gentherapien die Nukleinsäure direkt in den Körper übertragen wird, müssen für zellbasierte Gentherapien zunächst körpereigene Zellen den Patient:innen entnommen und ihnen nach gentechnischer Veränderung wieder zugeführt werden.

Von ADA-SCID bis SMA

2012 wurde in der EU die erste Gentherapie zugelassen, zur Behandlung der Lipoprotein-Lipase-Defizienz (LPLD). Seither sind kontinuierlich weitere ATMP hinzugekommen. Mittlerweile stehen Ärzt:innen und Patient:innen 14 ATMP in der EU zur Verfügung, darunter 11 Gentherapien, 2 Zelltherapien sowie ein Gewebepräparat. (2) Und laut der Alliance for Regenerative Medicine liefen Ende 2020 mehr als 1.000 Studien weltweit mit ATMP. (3)

Ein Fokus bei der Entwicklung der Gentherapien liegt auf seltenen Erbkrankheiten, bei denen Mutationen in einem Gen oder dessen Fehlen zu schweren körperlichen Folgen führt. (4) Solche Erkrankungen wie der Immundefekt ADA-SCID oder die Spinale Muskelatrophie (SMA) stellen auch heute mehr als die Hälfte der in der EU zugelassenen Gentherapien. Darüber hinaus kommen auch fünf Gentherapien in onkologischen Indikationen zum Einsatz, darunter die inzwischen mit vier zugelassenen Produkten vertretene Gruppe der CAR-T-Zelltherapien.

Die nächste Generation von CAR-T-Zelltherapien

CAR-T-Zelltherapien werden bei bestimmten Blutkrebsarten eingesetzt und zählen zu den zellbasierten Gentherapien. CAR-T-Zelltherapien enthalten T-Lymphozyten (T-Zellen) der Patient:innen, die in Speziallaboren mit einem chimären Antigenrezeptor (CAR) ausgestattet werden. Mithilfe dieses Moleküls auf ihrer Oberfläche können die modifizierten Zellen nach der Re-Infusion Tumorzellen im Blut der Patient:innen aufspüren und gezielt abtöten. (5) Laut dem Branchenreport zur Medizinischen Biotechnologie in Deutschland 2020 von der Boston Consulting Group (BCG) und vfa bio liefen 2019 weltweit 457 Studien mit CAR-T-Zelltherapien. (6)

Und die Forschung geht auch an bereits etablierten Technologien wie CAR-T weiter. So schlussfolgerten Expert:innen der University of California in Los Angeles in einem Übersichtsartikel, dass insbesondere das erfolgreiche Design von CAR-T-Zellen für solide Krebsarten wie Leber- und Hirntumore einen wichtigen Schub für das Feld bedeuten könnte. (7)

Allerdings gelangen CAR-T-Zellen nur schwer in das dichte Gewebe solider Tumore, und außerdem unterdrückt die dortige Mikroumgebung mit entzündungshemmenden Stoffen die T-Zell-Aktivität. Für diese Herausforderungen haben Forschende unter Führung eines Teams der LMU München nun mit einer verbesserten Generation von CAR-T-Zellen Lösungen entworfen. Um etwa die Mobilität der T-Zellen zu erhöhen, wurden sie mit einem zusätzlichen Rezeptor ausgestattet, der spezifisch das CCL1 Protein erkennt. CCL1 wird insbesondere von bestimmten soliden Tumoren verstärkt gebildet – eigentlich um die Immunantwort zu unterdrücken. Mit ihrem neuen Rezeptor konnten die verbesserten CAR-T-Zellen in Laborversuchen nun deutlich besser in das Tumorgewebe eindringen. Zusätzlich baute das Wissenschaftler:innen-Team einen weiteren Rezeptor auf der Oberfläche der Zellen ein, der den Botenstoff TGF-beta abfängt und so verhindert, dass TGF-beta seinen eigentlichen Rezeptor auf der T-Zell-Oberfläche erreicht. Dort würde der Botenstoff nämlich ansonsten die Aktivität der CAR-T-Zelle herunterregulieren und sie somit unwirksam machen. (8)

Deutschland als Spitzenstandort für Gen- und Zelltherapien?!

Wie dieses Beispiel zeigt, spielen deutsche Forschungseinrichtungen eine wichtige Rolle in der Grundlagenforschung für ATMP. Jedoch kommt der Biotech-Report 2020 von BCG und vfa bio zu dem Schluss, dass Deutschland bei der klinischen Entwicklung von ATMP und dem Transfer von Forschungsergebnissen in marktfähige Produkte dabei ist, den Anschluss an China und die USA zu verlieren. So laufen von den gut 450 Studien mit CAR-T-Zelltherapien weltweit nicht einmal fünf Prozent in deutschen Studienzentren.

Nur wenn alle beteiligten Stakeholder entschlossen und gemeinsam handeln, hat Deutschland eine Chance, sich wieder in eine führende Rolle bei diesen Zukunftstechnologien zu bringen.

Literaturtipps