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Medizinforschungsgesetz: Chance für mehr Studien mit Strahlenschutz-Diagnostik und Radiopharmaka in Deutschland

Das geplante Medizinforschungsgesetz könnte endlich ein seit langem hierzulande bestehendes Handicap für Arzneimittelstudien mit Strahlenschutz-Relevanz überwinden. Dafür sollte aber im deutschen Genehmigungsverfahren auch die Anschlussfähigkeit an die Fristen im EU-Verfahren abgesichert werden.

Bilder eines PET-CT Scans des Beckens. Farbgebung primär blau, orange und pink, schwarz.

Strahlenschutz bei klinischen Arzneimittelstudien

Bei der Planung und Durchführung von medizinischen Studien mit Menschen, bei denen Röntgen-, Gamma- oder andere radioaktive Strahlung im Spiel ist, müssen stets auch die Anforderungen an den Strahlenschutz beachtet werden. Das betrifft natürlich ganz besonders die Entwickler von neuen Diagnose- oder Therapieverfahren, die mit Röntgen- oder Gammastrahlen oder beschleunigten Protonen oder Schwerionen arbeiten. Doch auch in der Entwicklung von Arzneimitteltherapien spielen Strahlenschutzaspekte eine Rolle, wenn der Erfolg einer Behandlung z. B. mit Hilfe von Röntgen- oder PET-Diagnostik kontrolliert werden muss, oder wenn die Medikamente Radiopharmaka sind, also Wirkstoffe mit radioaktiven Atomen enthalten (etwa für bestimmte Krebstherapien).

Deshalb müssen geplante Arzneimittelstudien, für die das zutrifft, strahlenschutzrechtlich geprüft werden und dürfen erst durchgeführt werden, wenn sie auch in dieser Hinsicht genehmigt wurden. Das gilt für die ganze EU und darüber hinaus.

Ein deutscher Sonderweg

Dieser Konsens endet jedoch, wenn es darum geht, wie die strahlenschutzrechtliche Prüfung von Studienanträgen organisiert wird. In fast allen Ländern wird sie von einer der beiden Institutionen vorgenommen, die ohnehin einen Studienantrag prüfen müssen: von der zuständigen Arzneimittelbehörde (so z.B. in Frankreich) oder der zuständigen Ethikkommission (so beispielsweise in den Niederlanden). Haben sie die Studie genehmigt bzw. zustimmend bewertet, schließt das auch die strahlenschutzrechtliche Genehmigung mit ein.

Anders in Deutschland: Hier prüft zwar ebenfalls die Ethik-Kommission während des Genehmigungsprozesses, ob den Strahlenschutz-Belangen entsprochen wird. Entscheidend ist aber, ob auch eine dritte Institution zustimmt: das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS). Betrifft die Strahlenschutz-Freigabe die Begleitdiagnostik in der Arzneimittelstudie, prüft das BfS den Studienantrag parallel zu Behörde und Ethik-Kommission (im sogenannten Anzeigeverfahren) und muss dem Ausrichter der Studie danach eine schriftliche Mitteilung ausstellen, dass diese Studie durchgeführt werden darf. Geht es hingegen um das Medikament selbst, beginnt das BfS überhaupt erst mit seiner Prüfung, wenn die anderen Institutionen die geplante Studie bereits abgesegnet haben (sogenanntes Genehmigungsverfahren). Bis eine vollständige Genehmigung für den Studienbeginn vorliegt, dauert es dann in Deutschland typischerweise vier Monate länger als in anderen EU-Ländern (in manchen Fällen, wenn es das BfS wegen der Schwierigkeit der inhaltlichen Prüfung erforderlich hält, sogar mehr als sieben Monate). Und sollte das BfS substanzielle Änderungen am Studienplan wünschen, gehen noch einmal bis zu 2,7 Monate ins Land, bis diese im Rahmen eines Änderungsverfahrens von Arzneimittelbehörde und Ethikkommission akzeptiert wurden und die Studie hierzulande beginnen kann.

Das alles gilt nicht nur für nur in Deutschland durchgeführte Studien, sondern auch für multinationale Studien, an denen Deutschland beteiligt ist. In letzterem Fall warten die übrigen Länder mit dem Studienstart allerdings nicht auf die Entscheidung des BfS, weil ihnen ihre eigene strahlenschutzrechtliche Prüfung genügt.

Daher kommt es häufig vor, dass für eine multinationalen Studie mit Radiopharmaka, an der eigentlich auch deutsche Einrichtungen mitwirken sollten, im Ausland längst genügend Teilnehmende rekrutiert wurden, wenn irgendwann später auch für Deutschland die strahlenschutzrechtliche Genehmigung vorliegt. Dann wird oft auf den deutschen Beitrag zur Studie verzichtet; und alle Vorbereitungen dafür waren verschwendet. Und viele Unternehmen verzichten angesichts der dargestellten Verfahrenslänge schon von vornherein darauf, Deutschland als Studienland überhaupt bei solchen klinischen Studien in Betracht zu ziehen. Das bedeutet: Keine Chance für deutsche Patient:innen, an solchen Studien teilzunehmen; und keine Chance für deutsche Kliniken und Arztpraxen, an der Entwicklung der neuen Therapien mitzuwirken.

Was das Medizinforschungsgesetz ändern soll

Das geplante Medizinforschungsgesetz der Bundesregierung zielt darauf ab, diesen seit vielen Jahren bestehenden Missstand endlich zu überwinden. Dafür sieht es laut Kabinettsentwurf für das Gesetz vom März 2024 folgende Änderungen vor:

  • Das strahlenschutzrechtliche Anzeigeverfahren gilt künftig für alle Anträge auf Studien, bei denen die voraussichtliche Gesamt-Strahlendosis pro Person 6 Millisievert nicht überschritten wird (eine gewöhnliche Röntgenaufnahme kommt auf 0,1 bis 1,0 Millisievert). Erst, wenn höhere Dosen vorgesehen sind, muss das Genehmigungsverfahren erfolgen.
  • Anzeige- und Genehmigungsverfahren sollen in das Studiengenehmigungsverfahren integriert werden und nicht mehr getrennt davon (parallel dazu oder sogar sequenziell) ablaufen.
  • Im Anzeigeverfahren bewertet künftig die zuständige Ethikkommission die strahlenschutzrechtlichen Aspekte. Die zuständige Arzneimittelbehörde (BfArM oder PEI – kollektiv die „Bundesoberbehörden“ genannt) ist an deren Entscheidung gebunden, aber stellt formal die strahlenschutzrechtliche Genehmigung aus.
  • Im Genehmigungsverfahren wird das BfS vom BfArM oder PEI mit der strahlenschutzrechtlichen Prüfung binnen einer gesetzten Frist beauftragt; sein Votum meldet es an diese zurück.
  • Die Fristen für das BfS werden im Strahlenschutzrecht an die Fristen angepasst, die sich aus dem EU-Recht (EU-Verordnung 536/2014, EU-CTR) und dem deutschen Arzneimittelgesetz (AMG) für Studiengenehmigungen ergeben.

Wichtiger Fortschritt, doch Anschluss an EU-Fristen erfordert noch mehr

Der vfa begrüßt vieles an den geplanten Änderungen: Der vorgesehene Ansatz ist grundlegend ein sehr wichtiges Signal, die bestehenden Probleme und eindeutigen Wettbewerbsnachteile in diesem Bereich am Studienstandort Deutschland endlich anzugehen. Die Integration der strahlenschutzrechtlichen Genehmigung in das Genehmigungsverfahren bei den Bundesoberbehörden (BfArM und PEI) ist überfällig. Die daraus resultierende Beschleunigung der Studiengenehmigungsprozesse insgesamt dürfte insbesondere im Fall von Studien mit strahlenschutzrechtlichem Genehmigungsverfahren erheblich ausfallen und könnte Pharmaunternehmen bewegen, doch wieder öfter deutsche medizinische Einrichtungen in solche Studien einzubeziehen.

Offen lässt der Entwurf jedoch, was geschehen soll, wenn das BfS in einem Genehmigungsverfahren binnen der gesetzten Frist kein Votum an die zuständige Arzneimittelbehörde liefert. Dazu muss es des Öfteren kommen, wenn das BfS seine Bearbeitungsgeschwindigkeit nicht steigern kann; denn bislang benötigt es (Umfragen des vfa bei seinen Mitgliedern zufolge) im Schnitt 119 Tage für ein Genehmigungsverfahren.

Daher sollte klargestellt werden, dass die zuständige Arzneimittelbehörde (BfArM oder PEI) an Stelle des BfS eine Strahlenschutz-Entscheidung treffen kann, falls dieses interne Verfahrensfristen nicht einhalten kann oder die Anforderungen des BfS von der Arzneimittelbehörde als nicht sachgerecht bewertet werden.

Diese und weitere Punkte erläutert der vfa ausführlich in seiner Stellungnahme zum Referentenentwurf zum Medizinforschungsgesetz vom 20.02.2024.