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Entwicklung von Arzneimitteltherapien gegen Long Covid

Einige Menschen behalten nach einer Covid-19-Erkrankung lang andauernde belastende Symptome zurück. Es wird nach Behandlungsmöglichkeiten gesucht; auch etliche Medikamente werden dafür erprobt. Aber die Therapieentwicklung braucht Zeit.

Mnn sitzt bei Arzt, hält sein Kinn mit verschränkten Händen und schaut unzufrieden. Vom Arzt sieht man nur ein Klemmbrett und einen orangenen Stift. Hintergrund weiße Arztpraxis.

Bei manchen Menschen bleiben nach dem Ende der eigentlichen Covid-19-Infektion chronische Beschwerden zurück; oder sie treten überhaupt erst nach der Infektion auf. Diese Beschwerden heißen Long Covid bzw. Post Covid. Leider ist bei den meisten dieser Beschwerden noch nicht klar, welche Vorgänge im Körper sie eigentlich hervorrufen. Wahrscheinlich sind es unterschiedliche Vorgänge, so dass es bei Long bzw. Post Covid mehrere Krankheits-Unterformen gibt.

Zwei Dinge machen es sehr schwierig, schnell wirksame Therapien gegen diese Beschwerden zu entwickeln:

  • Man kennt die Vorgänge im Körper kaum und weiß daher nicht sicher, wo Medikamente eingreifen könnten.
  • Und vermutlich werden die verschiedenen Krankheits-Unterformen nicht alle auf die gleiche Behandlung ansprechen. Das bedeutet (bis man die Unterformen auseinander halten kann), dass auch ein für manche Betroffene gut geeignetes Medikament in Studien – gemittelt über die vielen Teilnehmer:innen – keine starken Ergebnisse erzielen kann.

Trotzdem haben Unternehmen, Institute und Kliniken weltweit etliche Projekte aufgelegt, in denen sie den bisher zusammengetragenen Hinweisen nachgehen, was helfen könnte. In den meisten Projekten werden bereits Patient:innen im Rahmen von Studien probeweise mit den Medikamenten behandelt.

Fawzy NA, et al. (2023) berichten in einem Übersichtsartikel von 61 Medikamenten, die derzeit in Projekten erprobt werden (und zusätzlich von einigen Projekten mit Traditioneller Chinesischer Medizin). Der Artikel weist auch auf nicht-medikamentöse Behandlungs-Maßnahmen in Erprobung hin. Weitere Projekte werden von Bonilla H, et al. (2023) in einem anderen Übersichtsartikel genannt. Ein Teil der laufenden Projekte wird weiter unten im Artikel kurz beschrieben.

Der vfa rechnet damit, dass Unternehmen noch weitere Projekte starten werden, wenn die laufende medizinische Grundlagenforschung mehr über die molekularen Krankheitsvorgänge herausgefunden hat, so dass geworden ist, wo die Arzneimittelentwicklung ansetzen kann.

In einzelnen: Entwicklungsprojekte für die medikamentöse Therapie von Long und Post Covid

Derzeit werden ausschließlich Medikamente gegen Long / Post Covid erprobt, die bereits zur Behandlung anderer Krankheiten gedacht waren; einige von ihnen sind für diese anderen Anwendungen auch schon zugelassen, einige andere Medikamente sind aber auch gegen diese erst noch in Erprobung. Einige dieser Projekte werden in den folgenden Abschnitten kurz vorgestellt.

Ein von vielen Betroffenen berichtetes Symptom ist anhaltende Erschöpfung (Fatigue), z.T. auch mit schweren Konzentrationsstörungen ("Brain Fog"), ohne mit bisheriger Diagnostik erkennbaren körperlichen Ursachen. So etwas kennt die Medizin schon länger von Menschen, die an Myalgischer Encephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrom (ME/CFS) oder Fibromyalgie leiden. Eine Reihe von Medikamenten wird mit dem Ziel erprobt, diese Beschwerden zu überwinden:

  • Dazu zählt das Medikament AXA1125 von Axcella Therapeutics (USA). Es besteht aus einem Gemisch aus sechs natürlichen Aminosäuren und greift laut Unternehmensangaben die Stoffwechselregulation in den Mitochondrien ein. Es liegen positive Ergebnisse aus einer Phase IIa-Studie vor. Eine darauf aufbauende placebokontrollierte Studie der Phasen IIb und III wurde in den USA genehmigt und soll bald beginnen. Auch für UK liegt die Genehmigung für eine Phase IIb/III-Studie vor. Das Medikament wurde ursprünglich gegen eine Lebererkrankung entwickelt; die Erprobung hiergegen ist noch nicht abgeschlossen.
  • Die Charité Berlin wird ein schon für die Therapie der Herzinsuffizienz zugelassenes Medikament in einer klinischen Studie namens VERI-LONG mit Betroffenen erproben.
  • Die Charité Berlin erprobt zudem in einer klinischen Studie ein Immunadsorptionsverfahren für den gleichen Zweck, bei dem mit einer TheraSorb-Säule von Miltenyi Biotec Autoantikörper aus dem Blut der Patientent:innen entfernt werden. Einbezogen werden nur Patient:innen, bei denen entsprechende Antikörper nachgewiesen wurden.
  • In einer weiteren Studie, genannt PreVitaCOV-Studie, erproben die Universitätskliniken von Würzburg, Tübingen und Kiel sowie die Immanuel Klinik Rüdersdorf gemeinsam, ob sich Symptome wie Müdigkeit, Luftnot, Konzentrationsstörungen, Angst oder Depression durch eine kombinierte Behandlung mit Prednisolon (einer Form von Cortison) und den Vitaminen B1, B6 und B12 lindern lassen. Hintergrund ist die Hypothese, dass Nervenentzündungen die Ursache dieser Beschwerden sind.
  • In individuellen Heilversuchen wurden bei "Brain Fog" auch positive Effekte bei Anwendung von Naltrexon gesehen; einem Wirkstoff gegen Opioidwirkungen. Nun werden Medikamente mit diesem Wirkstoff für diese Anwendung auch in klinischen Studien erprobt; eine solche Studie der University of British Columbia soll in Kürze Patient:innen rekrutieren.
  • Das Unternehmen AIM ImmunoTech (USA) erprobt die Wirksamkeit eines zugelassenen Medikaments mit dem Wirkstoff Rintatolimod im Rahmen eines auch für Long Covid-Patient:innen geöffneten Expanded Access-Programms für Patient:innen mit ME/CFS. Eine Phase II-Studie hat Ende Juni 2023 begonnen und hat bereits die nötige Zahl von Teilnehmenden erreicht. Laut Hersteller aktiviert der Wirkstoff den Toll-like Rezeptor TLR-3 in den Epithelzellen der Atemwege. Von der Struktur her handelt es sich um doppelsträngige RNA mit mismatched Poly I : Poly C12U.
  • Das Unternehmen GeNeuro (mit Hauptsitz in der Schweiz und Forschungslabors in Frankreich) erprobt in einer Phase II-Studie in der Schweiz seit November 2022, ob sich mit Temelimab Fatigue und kognitive Einschränkungen reduzieren lassen. Der Antikörper Temelimab bindet das schädliche W-ENV-Protein, das bei einigen Patient:innen mit Long Covid nachweisbar ist; dementsprechend werden auch nur W-ENV-positive Patient:innen für die Studie rekrutiert. Die European Investment Bank ist an der Finanzierung beteiligt.
  • Die Universität Erlangen führte individuelle Heilversuche bei drei Long-Covid-Patienten mit dem Wirkstoff BC 007 von Berlin Cures durch. Dieser Wirkstoff (er ist ein Aptamer auf DNA-Basis) ist zur Behandlung herzkranker Patienten entwickelt worden, die Antikörper gegen körpereigene Proteine (bestimmte Rezeptoren) gebildet haben, was zu Durchblutungstörungen u.a. im Herzen führte. Bei den individuell behandelten Betroffenen mit Long Covid besserten sich laut Hersteller verschiedene Symptome (Erschöpfungszustände, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, verlorener Geschmackssinn). Berlin Cures hat im Juni 2023 mit einer klinischen Studie der Phase II mit Long Covid-Patient:innen, die bestimmte Autoantikörper aufweisen, begonnen. In Deutschland wirken Kliniken in Berlin (2x), Köln und Münster mit, in Österreich zwei Wiener Kliniken Medienberichten zufolge sollen noch Einrichtungen in der Schweiz, in Österreich und in Finnland hinzu kommen.

Eine mögliche Ursache für Long / Post Covid-Symptome könnten im Körper verbliebene SARS-CoV-2-Viren sein. Davon ausgehend wurden mehrere Studienprogramme aufgesetzt:

  • In den USA wird gleich in mehreren Studien erprobt, ob die eigentlich zur Akuttherapie in der Frühphase der Infektion entwickelte antivirale Kombination von Nirmatrelvir + Ritonavir zumindest manchen Betroffenen helfen kann. An den Phase II-Studien PAX LC und STOP-PASC wirkt der Hersteller Pfizer mit. Die vom National Institute of Health finanzierte Phase II-Studie Recover-Vital liegt in der Verantwortung der Duke University, der University of Alabama und dem Brigham and Women's Hospital (Massachusetts). Die Linderung von Fatigue und Kognitionsstörungen sind dabei in den Studien nur zwei von mehreren Wirksamkeitskriterien.
  • In Finnland wird im "SOLIDARITY Finland Long-COVID trial", einer Phase IV-Studie, die Wirksamkeit eines weiteren Virustatikums erprobt: Remdesivir. Auch dieser Wirkstoff hat bisher nur eine Zulassung für die frühzeitige Akuttherapie von Covid-19.
  • Aerium Therapeutics (USA) erprobt in Kürze in einer Phase II-Studiein den USA, ob der eigentlich für die antivirale Therapie im Frühstadium entwickelte Antikörper AER002 (PSG2) imstande ist, den Patient:innen mit Long Covid Linderung zu verschaffen. Dies wird anhand der Skala PROMIS-29 erfasst, die u.a. physische Leistungsfähigkeit, Angst, Depression, Fatigue, Schlafstörungen und Schmerzen erfasst.

Aber möglicherweise könnte auch eine Reaktivierung von latent bei den Patient:innen vorhandenen Epstein-Barr-Viren die Ursache von Fatigue und kognitiven Störungen sein.

  • Daher erprobt Virios Therapeutics (USA) in Zusammenarbeit mit dem Bateman Horne Center (Salt Lake City, USA) eine Kombination aus dem antiviralen Wirkstoff Valacyclovir und dem entzündungsdämpfenden Celecoxib. Positive Ergebnisse hinischtlich Linderung von Fatigue, Schmerzen, gestörtem vegetativen Nervensystem u.a. einer Phase II-Studie wurden im Juli 2023 vorgestellt.

Ganz anders der Ansatz, der einer Digitalen Gesundheitsanwendung zugrunde liegt:

  • Das Unternehmen GAIA (Deutschland/USA) entwickelt derzeit ein digitales Long Covid-Therapeutikum, genannt vimida. Es soll Betroffenen helfen, die Balance zwischen Aktivität und Erholung zu finden, die sie für ihren Weg zurück in den Alltag benötigen. Es wird derzeit in einer Phase II-Studie erprobt (die keine weiteren Teilnehmenden mehr aufnimmt; eine Phase-III-Studie ist in Vorbereitung. Laut Hersteller nutzt vimida Methoden der Kognitiven Verhaltenstherapie und der Akzeptanz- und Commitment Therapie (ACT), deren Wirksamkeit wissenschaftlich nachgewiesen sind.

Schmerzen an verschiedenen Stellen im Körper sind ein weiteres Symptome, die einige Long Covid-Patient:innen (wie auch Betroffene mit Fibromyalgie) erleben. Auch hiergegen ist ein Medikament in Erprobung:

  • Es ist das Medikament TNX-102 SL (= Cyclobenzaprin HCl in einer Sublingualtablette) des Unternehmens Tonix Pharmaceuticals. Es wird in einer Phase II-Studie gegen Long Covid erprobt. Gleichzeitig läuft schon eine klinische Studie der Phase III mit Patient:innen mit Fibromyalgie.

In weiteren Projekten geht es vor allem darum, Entzündungen und andere Krankheitsprozesse in den Atemwegen zu bekämpfen:

  • Gegen das Long Covid-Symptom "respiratory distress" erprobt das Unternehmen Oncotelic Therapeutics (USA) seinen Wirkstoff OT-101, ein Antisense-Molekül, dass die Bildung des Botenstoffs TGF-β2 blockiert, in Kombination mit einem TGF-β2-Inhibitor. Der Antisense-Wirkstoff wird auch für die Therapie von Patient:innen mit verschiedenen Krebsarten (die TGF-β2 im Übermaß bilden) erprobt.
  • Spanische Mediziner:innen erproben in einer Phase III-Studie, ob sich einige Atemwegssymptome bei Long / Post Covid mit einem für die Therapie von Asthma und Heuschnupfen zugelassenen Medikament mit dem Wirkstoff Montelukast behandeln lassen.
  • In ähnlicher Weise erproben kanadische Mediziner:innen in einer Phase II/III-Studie ein weiteres Medikament, das (in Japan) gegen Asthma zugelassen ist. Es enthält den Wirkstoff Ibudilast.
  • Das Unternehmen Humanetics Corportion (USA) erprobt in einer laufenden Phase II-Studie, ob sich Atemprobleme und geminderte körperliche Leistungsfähigkeit mit Genistein (formuliert als oral einnehmbare Suspension von Nanopartikeln) bessern lassen. Genistein (gesprochen "Ge-ni-ste-in") in ein pflanzliches Östrogen, das z.T. als Nahrungsergänzungsmittel angeboten wird.
  • Gegen Lungenfibrose (eine "Vernarbung" der Lunge) durch Covid-19 entwickelt das Unternehmen Pieris (USA / Deutschland) das inhalierbare Medikament PRS-220. Sein Wirkstoff ist ein Protein vom Typ Anticalin, das als CTGF-Inhibitor wirksam ist. Die Studien-Erprobung des Wirkstoffs – zunächst gegen idiopatische Lungenfibrose – hat 2022 begonnen. Das Projekt wird vom Land Bayern gefördert.
  • Schon in einer Phase II/III-Studie mit Long Covid-Patient:innen erprobt die Universität Chicago ein bereits gegen andere Formen von Lungenfibrose zugelassenes Medikament mit Sirolimus.

Weitere Projekte adressieren im Rahmen von Long/Post Covid auftretende Herz-Kreislauf-Probleme wie (häufig damit assoziierte) Kurzatmigkeit nach Anstrengung (DOE, für englisch "Dyspnea on Exertion"), Herzrasen nach Anstrengung oder "Postural Orthostatic Tachycardia Syndrome" (POTS), was durch erhebliche Beschleunigung des Herzschlags beim Aufstehen aus einer Liegeposition heraus gekennzeichnet ist.

  • In einer Phase I-Studie (genannt PEACE) wird in den USA der Einsatz des seit Jahrzehnten zugelassenen Betablockers Metoprolol bei Long/Post Covid-Patient:innen mit DOE erprobt.
  • Patient:Innen mit einer eingeschränkten Herzfunktion half in einer Studie der Tel Aviv University und des Shamir Medical Center, Be’er Ya’akov (Israel) die Anwendung von hyperbarem Sauerstoff.
  • In der Phase-IV-Studie COVIVA wird in den USA erprobt, ob der zugelassene Wirkstoff Ivabradin Patient:innen mit POTS hilft.

Ein Projekt will Menschen helfen, die in Folge einer Covid-19-Infektion an einem gestörten oder weitgehend ausgefallenen Geruchssinn leiden:

  • Ob sich ein in Folge von Covid-19 verlorener oder gestörter Geruchssinn durch Behandlung der Nasenschleimhaut mit Vitamin A regenerieren lässt, erprobt die britische University of East Anglia derzeit in einer klinischen Studie. Eine solche Behandlung muss medizinisch überwacht werden, da Vitamin A nicht überdosiert werden darf.

Die genannten Projekte stellen nur eine Auswahl dar. Auch dürften in den kommenden Wochen noch andere Medikamente in Studien auf ihre Eignung erprobt werden.